Urteil des BGH vom 18.04.2002

Leitsatzentscheidung

BUNDESGERICHTSHOF
IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
VII ZR 192/01
Verkündet am:
18. April 2002
Seelinger-Schardt,
Justizangestellte
als Urkundsbeamtin
der Geschäftsstelle
in dem Rechtsstreit
Nachschlagewerk: ja
BGHZ: ja
AGBG § 9 Abs. 1 Bf, Cl
Die Verpflichtung eines Bauunternehmers in Allgemeinen Geschäftsbedingungen
des Bestellers, zur Sicherung von Vertragserfüllungsansprüchen eine Bürgschaft auf
erstes Anfordern zu stellen, ist unwirksam.
BGH, Urteil vom 18. April 2002 - VII ZR 192/01 - OLG Dresden
LG Dresden
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Der VII. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat auf die mündliche Verhandlung
vom 18. April 2002 durch den Vorsitzenden Richter Prof. Dr. Ullmann und die
Richter Hausmann, Dr. Wiebel, Dr. Kuffer und Prof. Dr. Kniffka
für Recht erkannt:
Die Revision der Beklagten gegen das Urteil des 9. Zivilsenats
des Oberlandesgerichts Dresden vom 26. April 2001 wird zurück-
gewiesen.
Die Beklagten tragen die Kosten des Revisionsverfahrens.
Von Rechts wegen
Tatbestand:
Die Klägerin verlangt die Herausgabe von zwei Urkunden über Ver-
tragserfüllungsbürgschaften auf erstes Anfordern, die sie zur Sicherung von
Ansprüchen der beklagten Auftraggeber für den Auftragnehmer übernommen
hat.
Der Auftragnehmer bot den Beklagten zunächst Innenputz-, später auch
Trockenbauarbeiten an. Bei der Besprechung der Angebote legten die Be-
klagten jeweils mit "Verhandlungsprotokoll" überschriebene Formulare vor. Dort
ist zur Zahlungsweise und zu Sicherheitsleistungen unter anderem folgendes
vereinbart (handschriftliche Eintragungen sind in Kursivschrift wiedergegeben):
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15. Zahlungen
15.1 (...)
15.2 Der AG ist berechtigt, bei den Abschlagszahlungen einen Betrag i.H.v.
der erbrachten Leistung einschließlich des ausgewiesenen, darauf ent-
fallenden Mehrwertsteuerbetrages als Sicherheit für die Vertragserfüllung des
NU einzubehalten. Zahlung erfolgt innerhalb von – Kalendertagen nach Rech-
nungseingang.
(...)
16. Sicherheitsleistung
16.1 Der NU hat dem AG bis spätestens
Tage/Wochen*) nach Vertragsab-
schluß einzureichen:
a) Vertragserfüllungsbürgschaft über DM _________ /
% der Auftragssum-
me *)
b) (...)
Der AG behält sich vor, vom Vertrag zurückzutreten, falls der NU die festge-
legte(n) Bürgschaft(en) nicht zum vereinbarten Termin einreicht.
16.2 Der Einbehalt zur Sicherung der Gewährleistungsansprüche beträgt
%
der Abrechnungssumme zzgl. MWSt.
*) Nichtzutreffendes streichen.
Das an den Auftragnehmer dabei übergebene Muster der Beklagten zu 1
enthielt das vorgedruckte Versprechen des Bürgen, daß er Zahlung auf erste
schriftliche Anforderung leisten werde. Auf der Grundlage der Verhandlungs-
protokolle gab der Auftragnehmer seine endgültigen Angebote ab, die von den
Beklagten angenommen wurden. Die Klägerin übernahm jeweils die Bürg-
schaften unter Verwendung des Vordrucks der Beklagten zu 1.
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Ihre in erster Linie auf eine Unwirksamkeit der Sicherungsabrede ge-
stützte, mit Ermächtigung des Auftragnehmers erhobene Klage auf Herausgabe
der Bürgschaftsurkunden ist in den Tatsacheninstanzen erfolgreich gewesen.
Mit ihrer zugelassenen Revision verfolgen die Beklagten den Klageabwei-
sungsantrag weiter.
Entscheidungsgründe:
Die Revision ist nicht begründet. Die Beklagten sind verpflichtet, die we-
gen Unwirksamkeit der Sicherungsabreden ohne Rechtsgrund erlangten Bürg-
schaftsurkunden herauszugeben.
Das für das Schuldverhältnis maßgebliche Recht richtet sich nach den
bis zum 31. Dezember 2001 geltenden Gesetzen (Art. 229 § 5 Satz 1 EGBGB).
I.
Das Berufungsgericht sieht die Klausel über die Vertragserfüllungsbürg-
schaft nach dem Muster der Beklagten zu 1 in beiden Fällen als Allgemeine
Geschäftsbedingung an. Daran ändere es nichts, daß sich Haftungsumfang
und Charakter der verlangten Bürgschaften erst aus handschriftlichen Eintra-
gungen in die Verhandlungsprotokolle ergäben. Für eine Vorformulierung sei
es ausreichend, wenn eine Bedingung aus dem Gedächtnis des AGB-
Verwenders oder seiner Gehilfen wiedergegeben werde. Es sei unstreitig, daß
identische Klauseln auch gegenüber anderen auf derselben Baustelle tätigen
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Handwerkern verwendet, die Formulierungen jeweils von den Mitarbeitern der
Beklagten eingeführt und in das Protokoll eingetragen worden seien. Soweit
die Beklagten angegeben hätten, es habe grundsätzlich Verhandlungsbereit-
schaft bestanden, habe die Beweisaufnahme das nicht ergeben.
Die Vertragsklausel sei wegen Verstoßes gegen § 9 Abs. 1 AGBG un-
wirksam. Eine unangemessene Benachteiligung des Auftragnehmers liege in
der den Beklagten eingeräumten Möglichkeit, sich ohne weiteren Nachweis
zum Eintritt des Sicherungsfalls sofort liquide Mittel allein durch die Behaup-
tung zu verschaffen, ihnen stehe ein vom Bürgschaftszweck gedeckter An-
spruch zu. Damit entlasteten sie sich einerseits von dem sie nach der gesetzli-
chen Regelung treffenden Risiko einer Insolvenz des Auftragnehmers im Er-
füllungsstadium und bürdeten diesem andererseits die Klagelast und das Insol-
venzrisiko für einen Rückforderungsprozeß auf. Darüber hinaus sei die mit ei-
ner Bürgschaft auf erstes Anfordern verbundene Mißbrauchsgefahr in Rech-
nung zu stellen.
II.
Das hält der rechtlichen Nachprüfung stand.
1. Die Vereinbarung der Parteien, wonach der Auftragnehmer als Ver-
tragserfüllungsbürgschaft eine Bürgschaft auf erstes Anfordern zu stellen hat,
ist eine Allgemeine Geschäftsbedingung der Beklagten.
a) Dem angefochtenen Urteil ist entgegen der Auffassung der Revision
die Feststellung zu entnehmen, daß bei der Verwendung der Verhandlungs-
protokolle regelmäßig aus dem Gedächtnis Hinweise auf die Bürgschaftsfor-
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mulare der Beklagten zu 1 aufgenommen worden sind. Nach den Feststellun-
gen des Berufungsgerichts ist unstreitig, daß in den Verhandlungsprotokollen
mit den anderen auf der Baustelle tätigen Handwerkern dieselben Klauseln
aufgenommen worden sind. Damit ist auch festgestellt, daß der Hinweis auf die
Muster der Beklagten zu 1 aus dem Gedächtnis vorformuliert verwendet wor-
den ist.
b) Die Voraussetzungen des § 1 Abs. 2 AGBG sind nicht dargetan. Von
einem Aushandeln im Sinne dieser Norm kann nur gesprochen werden, wenn
der Verwender den in seinen Allgemeinen Geschäftsbedingungen enthaltenen
gesetzesfremden Kerngehalt inhaltlich ernsthaft zur Disposition stellt und dem
Vertragspartner Gestaltungsfreiheit zur Wahrung eigener Interessen mit der
realen Möglichkeit einräumt, die inhaltliche Ausgestaltung der Vertragsbedin-
gungen zu beeinflussen (BGH, Urteil vom 16. Juli 1998 - VII ZR 9/97, NJW
1998, 3488 = BauR 1998, 1094 = ZfBR 1998, 308 m.w.N.). Das läßt sich auch
aus den im Beklagtenvortrag in Bezug genommenen Zeugenaussagen nicht
entnehmen.
2. Die Sicherungsabrede ist jedenfalls insoweit unwirksam, als die Bürg-
schaft auf erstes Anfordern zu stellen ist. Das benachteiligt den Auftragnehmer
entgegen den Geboten von Treu und Glauben unangemessen (§ 9 Abs. 1
AGBG).
a) Der Gläubiger kann eine Bürgschaft auf erstes Anfordern nach den in
der Bürgschaftsurkunde genannten Voraussetzungen in Anspruch nehmen.
Eine schlüssige Darlegung des Sicherungsfalls ist nicht erforderlich (BGH, Ur-
teil vom 28. Oktober 1993 - IX ZR 141/93, NJW 1994, 380; BGH, Urteil vom
14. Dezember 1995 - IX ZR 57/95, BauR 1996, 251 = ZfBR 1996, 139; BGH,
Urteil vom 2. April 1998 - IX ZR 79/97, BauR 1998, 634 = ZfBR 1998, 237;
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BGH, Urteil vom 5. März 2002 - XI ZR 113/01, WM 2002, 743). Der Bürge kann
seiner Inanspruchnahme Einwendungen aus dem Verhältnis des Gläubigers
zum Hauptschuldner nur entgegensetzen, wenn der Gläubiger seine formale
Rechtsstellung offensichtlich mißbraucht (BGH, Urteil vom 5. März 2002
- XI ZR 113/01, aaO). Im übrigen ist er auf den Rückforderungsprozeß verwie-
sen (BGH, Urteil vom 10. Februar 2000 - IX ZR 397/98, BGHZ 143, 381).
b) Eine Bürgschaft auf erstes Anfordern hat damit nicht nur die Funktion
einer Sicherung. Sie räumt dem Gläubiger weiterreichend die Möglichkeit ein,
sich liquide Mittel zu verschaffen. Das ist auch dann möglich, wenn der Siche-
rungsfall nicht eingetreten ist. Damit unterliegt der Auftragnehmer der Gefahr,
durch den Rückgriff des Bürgen belastet zu werden, ohne daß der Anspruch
des Gläubigers besteht. Hierbei macht es keinen Unterschied, ob die im Er-
gebnis unberechtigte Anforderung der Bürgschaft auf einen Mißbrauch zurück-
geht oder auf eine bloße Fehleinschätzung seitens des Auftraggebers.
c) Dadurch werden die Sicherungsrechte des Auftraggebers über sein
anerkennenswertes Interesse unangemessen ausgedehnt. Allerdings hält es
der Senat für zulässig, den Auftragnehmer auch in Allgemeinen Geschäftsbe-
dingungen zur Stellung einer selbstschuldnerischen Vertragserfüllungsbürg-
schaft zu verpflichten (BGH, Urteil vom 20. April 2000 - VII ZR 458/97, BauR
2000, 1498 = ZfBR 2000, 477). Das trägt dem Interesse des Auftraggebers an
einer Absicherung seiner Ansprüche bei unzureichender Vertragserfüllung des
Auftragnehmers Rechnung. Denn ohne eine solche Sicherung ist der Auftrag-
geber möglicherweise nicht ausreichend geschützt. Über dieses Sicherungs-
interesse geht die Bürgschaft auf erstes Anfordern unangemessen weit hinaus.
Es ist nicht zu verkennen, daß der Auftraggeber durch ein vertragswidriges
Verhalten des Auftragnehmers in Liquiditätsschwierigkeiten geraten kann (OLG
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München, BauR 2001, 1618). Das rechtfertigt es nicht, das Liquiditätsrisiko
durch Allgemeine Geschäftsbedingungen einseitig zu Lasten des Auftragneh-
mers zu regeln, denn dem Auftragnehmer wird durch die Inanspruchnahme der
Bürgschaft im selben Umfang Liquidität entzogen. Ihm wird darüber hinaus das
Risiko der Insolvenz des Auftraggebers bei der nachfolgenden Durchsetzung
seiner Rückforderungsansprüche aufgebürdet.
d) Der Senat kann offen lassen, ob der Auftragnehmer Unternehmer ist.
Es besteht kein Grund, bezüglich der Wirksamkeit der Klausel danach zu diffe-
renzieren, ob es sich bei dem Gegner des Klauselverwenders um einen Unter-
nehmer handelt. Die im kaufmännischen Geschäftsverkehr bestehenden Inter-
essen weisen keine Besonderheiten auf, die eine andere Beurteilung rechtfer-
tigen könnten (Kainz, BauR 1995, 616, 625 f.).
3. Die Haftung der als Gesellschafter einer BGB-Gesellschaft gesamt-
schuldnerisch in Anspruch genommenen Beklagten bleibt unberührt von der in
der mündlichen Verhandlung von der Revision angeführten Bestimmung des
Gesellschaftsvertrages, wonach die Beklagte zu 1 schon bei Stellung des An-
trags auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens über ihr Vermögen aus der ARGE
ausgeschieden sei und die Gesellschaft unter den verbleibenden Gesellschaf-
tern fortgesetzt werde. Der ausgeschiedene Gesellschafter haftet für vor sei-
nem Ausscheiden rechtsgeschäftlich begründete Verbindlichkeiten in ihrem
jeweiligen Bestand persönlich und unbeschränkt fort.
Ullmann
Hausmann
Wiebel
Kuffer
Kniffka