Urteil des BGH vom 02.06.2010

Leitsatzentscheidung

BUNDESGERICHTSHOF
IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
XII ZR 110/08 Verkündet
am:
2. Juni 2010
Küpferle,
Justizamtsinspektorin
als
Urkundsbeamtin
der
Geschäftsstelle
in dem Rechtsstreit
Nachschlagewerk: ja
BGHZ: nein
BGHR: ja
BGB §§ 133 A, 157 A
Zur interessengerechten Auslegung eines Mietvertrages bei der Feststellung, wer
den Vertrag auf Vermieterseite abgeschlossen hat.
BGH, Urteil vom 2. Juni 2010 - XII ZR 110/08 - LG Kleve
AG
Rheinberg
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Der XII. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat auf die mündliche Verhandlung
vom 2. Juni 2010 durch die Vorsitzende Richterin Dr. Hahne, die Richterin
Dr. Vézina und die Richter Dose, Schilling und Dr. Günter
für Recht erkannt:
Auf die Revision der Beklagten wird das Urteil der 6. Zivilkammer
des Landgerichts Kleve vom 26. Juni 2008 aufgehoben.
Auf die Berufung der Klägerin wird das Urteil des Amtsgerichts
Rheinberg vom 18. Februar 2008 teilweise abgeändert und wie
folgt neu gefasst:
Es wird festgestellt, dass zwischen der Klägerin und den Beklag-
ten seit dem 1. März 2008 kein Mietverhältnis über die Grund-
stücksparzelle N. 4, X. mehr besteht.
Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
Die Beklagten tragen als Gesamtschuldner die Kosten des
Rechtsstreits.
Von Rechts wegen
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Tatbestand:
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Die Klägerin verlangt die Feststellung, dass zwischen ihr und den Be-
klagten kein Pachtverhältnis besteht, hilfsweise, dass zwischen ihnen seit dem
1. März 2008 kein Pachtverhältnis mehr besteht.
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Mit notariellem Kaufvertrag vom 13. März 2007 erwarb die Klägerin die
Grundstücke Gemarkung W. Flur 22, Flurstück 170 und Flurstück 178 von
dem Alleineigentümer H. B. und wurde am 4. Oktober 2007 als Eigen-
tümerin im Grundbuch eingetragen. Auf den Grundstücken hatten die Eheleute
H. und C. B. die Wochenend- und Ferienhausanlage "D.
N. " betrieben, die von der Klägerin weiter geführt wird.
Die Beklagten "pachteten" mit einem im Jahr 2001 abgeschlossenen
schriftlichen Vertrag auf diesem Gelände für 30 Jahre mit einem Optionsrecht
für weitere 30 Jahre eine nicht näher bezeichnete Grundstücksparzelle, auf der
ihnen die Errichtung eines Holzmobilheimes bzw. Holzblockhauses gestattet
wurde. Der Vertrag wurde auf Verpächterseite von H. B. und auf
Pächterseite von der Beklagten zu 2 unterzeichnet. Im Kopf des schriftlichen
Vertrages war angegeben: "D. N. Fam. B. , U. Straße 16,
X. ". Unter den Unterschriften der Vertragsparteien war vorgedruckt:
"D. N. X. , Eigentümer und Betreiber: C. und H. B. ,
U. Straße 16, X. ". Die Klägerin ist der Ansicht, sie sei mangels
Identität von Veräußerer und Vermieter des Grundstücks nicht gemäß § 566
BGB in den Vertrag mit den Beklagten eingetreten. Im Übrigen genüge der Ver-
trag auch nicht der Schriftform. Vorsorglich kündigte die Klägerin mit Anwalts-
schriftsatz vom 31. Oktober 2007
,
der den Beklagten am 24. November 2007
zugestellt wurde, den Vertrag zum 29. Februar 2008.
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Das Amtsgericht hat die Klage abgewiesen. Auf die Berufung der Kläge-
rin hat das Landgericht der Klage stattgegeben. Mit der vom Landgericht zuge-
lassenen Revision verfolgen die Beklagten ihren Klageabweisungsantrag wei-
ter.
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Entscheidungsgründe:
Die Revision führt zur Aufhebung des Berufungsurteils und auf die Beru-
fung der Klägerin zur Abänderung des Urteils des Amtsgerichts dahin, dass
dem Hilfsantrag der Klägerin auf Feststellung, dass zwischen den Parteien seit
dem 1. März 2008 kein Mietverhältnis mehr besteht, stattgegeben wird.
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I.
Das Berufungsgericht hat zur Begründung im Wesentlichen ausgeführt:
Zwischen den Parteien bestehe kein Mietvertrag über die von den Beklagten
genutzte Grundstücksparzelle. Der Vertrag sei nicht gemäß §§ 578 Abs. 1, 566
BGB auf die Klägerin übergegangen. Denn der veräußernde Eigentümer der
Grundstücksparzelle und der Vermieter seien nicht identisch. Eigentümer und
Veräußerer der Grundstücke sei H. B. gewesen. Demgegenüber sei
Vermieterin die die Ferienhausanlage betreibende Gesellschaft des bürgerli-
chen Rechts, genannt N. GbR, bestehend aus H. und C. B.
gewesen. Dies ergebe sich aus den Angaben im Kopf und am Ende des Ver-
trages. Die Unterschrift des Herrn B. sei danach im Namen der
N. GbR erfolgt.
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Ob sich aus der Formulierung des Vertragsformulars der Anschein erge-
be, dass auch C. B. Eigentümerin des angemieteten Grundstücksteils
sei, könne dahinstehen, weil § 566 BGB nicht an den Rechtsschein des Eigen-
tums anknüpfe, sondern allein an die rechtliche Position, nämlich die Identität
zwischen veräußerndem Eigentümer und Vermieter. Diese Identität sei hier
nicht gewahrt. Vermieterin sei die als Außengesellschaft tätig gewordene GbR,
die auch dann Vermieterin geblieben wäre, wenn der Alleineigentümer H.
B. als Gesellschafter ausgeschieden wäre.
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Eine analoge Anwendung des § 566 BGB komme hier nicht in Betracht.
Der Gesellschaftszweck der N. GbR habe in der Erschließung und Be-
bauung der Grundstücke zum gewerbsmäßigen Betreiben eines Wochenend-
und Ferienhausplatzes gemäß dem Erschließungsplan der Stadt X. be-
standen. Die GbR habe folglich ein eigenes Interesse an dem Zustandekom-
men und der Durchführung des Mietvertrages gehabt.
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Auch reiche das konkludente Einverständnis des Herrn B. nicht für
eine analoge Anwendung von § 566 BGB aus.
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II.
Diese Ausführungen halten einer rechtlichen Überprüfung nicht stand.
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1. Zutreffend geht das Berufungsgericht davon aus, dass es sich bei dem
streitigen Vertrag um einen Mietvertrag handelt. Denn er gewährt nur den
Gebrauch einer Sache, nicht aber den Bezug von Früchten.
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2. Entgegen der Ansicht des Berufungsgerichts ist jedoch der mit der
Klage geltend gemachte Hauptantrag auf Feststellung, dass zwischen den Par-
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teien kein Mietverhältnis bestand, unbegründet. Denn der Mietvertrag bestand
jedenfalls zwischen dem veräußernden Alleineigentümer H. B. und den
Beklagten. Deshalb ist mit der Eintragung der Klägerin als Eigentümerin im
Grundbuch am 4. Oktober 2007 zwischen ihr und den Beklagten gemäß § 566
Satz 1 BGB kraft Gesetzes ein Mietvertrag mit demselben Inhalt zustande ge-
kommen (vgl. Senatsurteil vom 3. Mai 2000 - XII ZR 42/98 - NJW 2000, 2346).
a) Zutreffend geht das Berufungsgericht davon aus, dass § 566 Abs. 1
BGB nach seinem Wortlaut die Veräußerung des Grundstücks durch den Ver-
mieter und damit die Identität zwischen Vermieter und Veräußerer verlangt.
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b) Das Berufungsgericht hat aber bei der Feststellung, wer den Vertrag
auf Vermieterseite abgeschlossen hat, die sich aus dem Vertrag und den Um-
ständen ergebenden Interessen der Vertragsschließenden nicht hinreichend
berücksichtigt und damit gegen anerkannte Auslegungsgrundsätze verstoßen.
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Es hat bei der Wertung, die Worte "Eigentümer und Betreiber: C.
und H. B. " enthielten lediglich eine Beschreibung der Gesellschafter
dieser GbR und könnten nicht dahin verstanden werden, dass Vermieter auch
der Eigentümer des Mietgrundstücks werden sollte, für die Beurteilung des Wil-
lens der Vertragsschließenden wesentliche Umstände außer Acht gelassen.
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Die Beklagten hatten das Grundstück zur Errichtung eines Holzblock-
hauses gemietet. Im Hinblick auf die damit verbundenen Investitionen und er-
forderlichen Finanzierungen wurde die Mietdauer auf 30 Jahre festgelegt und
den Beklagten ein anschließendes Optionsrecht für weitere 30 Jahre einge-
räumt. Angesichts dieser Umstände ist davon auszugehen, dass die Interessen
der Beklagten auf eine gesicherte langfristige Nutzung gerichtet waren. Deshalb
kam einem Abschluss des Vertrages mit dem Eigentümer des Grundstücks ein
besonderes Gewicht zu. Das langjährige Mietverhältnis wäre nämlich, wenn es
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nur mit der GbR und nicht mit dem Eigentümer abgeschlossen worden wäre,
von den für die Beklagten nicht durchschaubaren Rechtsbeziehungen zwischen
der GbR und dem Eigentümer abhängig gewesen. Darüber hinaus hätte die
Gefahr bestanden, dass in dem - hier eingetretenen - Fall der Veräußerung des
Mietgrundstücks an einen Dritten die Beklagten mangels Rechts zum Besitz
einem Herausgabeanspruch des Erwerbers gemäß § 985 BGB ausgesetzt wä-
ren. Dies hätte für die GbR einen Schadensersatzanspruch der Beklagten we-
gen Nichterfüllung des Mietvertrages zur Folge gehabt. Für diesen Schadens-
ersatzanspruch hätte H. B. als Gesellschafter der GbR auch mit sei-
nem Privatvermögen haften müssen. Ein Vertragsabschluss mit dem Eigentü-
mer H. B. lag somit im Interesse aller Beteiligten.
Bei Berücksichtigung dieses Interesses der Beteiligten kann dem Wort
"Eigentümer" im Vertrag nicht lediglich eine die Gesellschafter beschreibende
Wirkung beigemessen werden. Vielmehr lässt es auf den Willen der Beteiligten
schließen, dass der Eigentümer H. B. Vertragspartner auf Vermieter-
seite werden sollte. Dabei ist ohne Belang, ob die Vertragsschließenden verse-
hentlich davon ausgegangen sind, dass C. und H. B. gemeinsam,
sei es in Bruchteils- oder Gesamthandsgemeinschaft, Eigentümer des Grund-
stücks waren. Denn dies ändert nichts an dem Willen der Vertragsschließen-
den, dass jedenfalls der (bestimmbare) Eigentümer H. B. , der den
Vertrag allein als "Verpächter" unterzeichnet hat, Vertragspartner werden sollte.
Es ist deshalb bei interessengerechter Auslegung des Mietvertrages davon
auszugehen, dass der Alleineigentümer H. B. Vermieter war.
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c) Auf die in der Rechtsprechung und Literatur umstrittene Frage, ob und
gegebenenfalls wann § 566 Abs. 1 BGB analog anwendbar ist, wenn es an ei-
ner Identität zwischen Vermieter und Veräußerer fehlt (vgl. zum Streitstand:
Staudinger/Emmerich (2008) § 566 BGB Anm. X 1. b; MünchKomm/Häublein
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5. Aufl. § 566 BGB Rdn. 21 m.w.N.) kommt es folglich im vorliegenden Fall nicht
an.
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3. Der Hilfsantrag der Klägerin, der auf die Feststellung gerichtet ist, dass
zwischen den Parteien seit dem 1. März 2008 kein Pachtverhältnis mehr be-
steht, ist demgegenüber begründet.
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Der Mietvertrag ist durch die fristlose Kündigung der Klägerin vom
31. Oktober 2007, die den Beklagten am 24. November 2007 zugegangen ist,
zum 29. Februar 2008 beendet worden. Die vereinbarte Laufzeit des Mietver-
trages von mehr als einem Jahr ist nicht wirksam, weil der Mietvertrag nicht der
schriftlichen Form genügt (§ 550 i.V.m. § 578 Abs. 1 BGB). Der Mietvertrag gilt
deshalb für unbestimmte Zeit und konnte von der Klägerin mit der Frist des
§ 580 a Abs. 1 Nr. 3 BGB ordentlich gekündigt werden.
a) § 550 BGB will nach ständiger Rechtsprechung des Senats in erster
Linie sicherstellen, dass ein späterer Grundstückserwerber, der kraft Gesetzes
auf Seiten des Vermieters in ein auf mehr als ein Jahr abgeschlossenes Miet-
verhältnis eintritt (§ 566 Abs. 1 BGB), dessen Bedingungen aus dem schriftli-
chen Vertrag ersehen kann. Dazu ist erforderlich, dass sich die für den Ab-
schluss des Vertrages notwendige Einigung über alle wesentlichen Vertragsbe-
dingungen - insbesondere über den Mietgegenstand, den Mietzins sowie die
Dauer und die Parteien des Mietverhältnisses - aus einer von beiden Vertrags-
parteien unterzeichneten Urkunde ergibt (Senatsurteil BGHZ 176, 301= NJW
2008, 2178 - Tzn. 13, 18). Werden wesentliche vertragliche Vereinbarungen
nicht im Mietvertrag selbst schriftlich niedergelegt, sondern in Anlagen ausgela-
gert, müssen die Parteien die Zusammengehörigkeit dieser Schriftstücke in ge-
eigneter Weise zweifelsfrei kenntlich machen (Senatsurteil vom 9. April 2008
- XII ZR 89/06 - NJW 2008, 2181 Tz. 24, 27).
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b) Danach wahrt der Mietvertrag nicht die Schriftform des § 550 BGB.
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aa) Zu Recht rügt die Revision, dass bereits das Mietgrundstück im Ver-
trag nicht hinreichend bezeichnet ist. Dem Mietvertrag ist nicht zu entnehmen,
welcher Teil des Grundstücks Gegenstand des Vertrages ist. Er enthält bis auf
verschiedene handschriftlich eingefügte Quadratmeterangaben keine Anhalts-
punkte für eine Bestimmbarkeit des Mietobjekts. Soweit die Beklagten behaup-
ten, mit Abschluss des Mietvertrages sei das Mietgrundstück in einen Lageplan
eingezeichnet worden, der Bestandteil des Mietvertrages geworden sei, wird
dadurch die Schriftform nicht gewahrt. Denn der Mietvertrag enthält keine Be-
zugnahme auf einen Lageplan, auch ist ein solcher nicht mit dem Mietvertrag
verbunden.
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bb) Deshalb kann dahingestellt bleiben, ob die auf Mieterseite nur von
einer Person ohne Vertretungszusatz geleistete Unterschrift der Schriftform ge-
nügt, obwohl Vertragspartner auf Mieterseite Eheleute sind (vgl. Senatsurteil
BGHZ 176, 301= NJW 2008, 2178 – Tz. 26; BGHZ 125, 175, 178 ff.).
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Hahne
Vézina
Dose
Schilling
Günter
Vorinstanzen:
AG Rheinberg, Entscheidung vom 18.02.2008 - 13 C 265/07 -
LG Kleve, Entscheidung vom 26.06.2008 - 6 S 47/08 -