Urteil des BGH vom 07.12.2006

Leitsatzentscheidung

BUNDESGERICHTSHOF
BESCHLUSS
VII ZB 50/06
vom
7. Dezember 2006
in dem Rechtsstreit
Nachschlagewerk: ja
BGHZ: nein
BGHR: ja
ZPO §§ 114, 115
Bei der Beurteilung der Bedürftigkeit der Partei hinsichtlich einer ihren Gewerbebe-
trieb betreffenden Rechtsverfolgung ist anhand der jeweiligen konkreten wirtschaftli-
chen Verhältnisse zu prüfen, ob die Prozesskosten entweder unmittelbar aus dem
Unternehmensvermögen oder durch Kreditaufnahme aufgebracht werden können.
Auf eine Kreditaufnahme kann die Partei verwiesen werden, wenn diese im Rahmen
eines ordnungsgemäßen kaufmännischen Geschäftsbetriebs erfolgen kann.
BGH, Beschluss vom 7. Dezember 2006 - VII ZB 50/06 - OLG Jena
LG
Gera
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Der VII. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat am 7. Dezember 2006 durch den
Vorsitzenden Richter Dr. Dressler, die Richter Dr. Wiebel, Prof. Dr. Kniffka,
Bauner und die Richterin Safari Chabestari
beschlossen:
1. Die Rechtsbeschwerde der Klägerin gegen den Beschluss
des 7. Zivilsenats des Thüringer Oberlandesgerichts in Jena
vom 24. März 2006 wird zurückgewiesen.
2. Die Klägerin hat die Kosten der Rechtsbeschwerde zu tra-
gen.
Gründe:
I.
Die Klägerin begehrt Prozesskostenhilfe für eine Klage auf rückständigen
Werklohn in Höhe 6.293,23 € für das Ausheben einer Baugrube. Das Landge-
richt Gera hat den Prozesskostenhilfeantrag mangels Bedürftigkeit der Klägerin
gemäß § 114 ZPO zurückgewiesen. Die dagegen gerichtete sofortige Be-
schwerde der Klägerin hatte keinen Erfolg.
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Mit der zugelassenen Rechtsbeschwerde verfolgt die Klägerin ihren Pro-
zesskostenhilfeantrag weiter.
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II.
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Die gemäß § 574 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2, Abs. 3 Satz 2 ZPO statthafte und
auch im Übrigen zulässige Rechtsbeschwerde hat keinen Erfolg.
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1. Das Beschwerdegericht führt aus, Kosten für die Rechtsverfolgung
von den Gewerbebetrieb betreffenden Ansprüchen seien Betriebsausgaben, die
aus dem Unternehmen aufzubringen seien. Falls die Einnahmen hierzu nicht
ausreichten, seien andere unternehmerische Entscheidungen erforderlich, bei-
spielsweise die Aufnahme eines Kredits. Die Prozesskostenhilfe sei eine staat-
liche Fürsorgeleistung, die nicht dazu diene, auf Kosten der Allgemeinheit die
erfolglose wirtschaftliche Betätigung Einzelner zu subventionieren. Aus der von
der Klägerin vorgelegten Gewinn- und Verlustrechnung für das Geschäftsjahr
2004 ergebe sich, dass die Klägerin über ausreichende wirtschaftliche Bewe-
gungsfreiheit verfüge, um die Prozesskosten aus einer erweiterten Kreditauf-
nahme zu bestreiten. Bei einer am Wirtschaftsleben teilnehmenden Person, die
auch bei ordnungsgemäßem und erfolgreichem Geschäftsgang Verbindlichkei-
ten eingehe, die die zu tragenden Prozesskosten um ein Vielfaches überstie-
gen, bestünden regelmäßig keine Bedenken gegen die Zumutbarkeit einer Kre-
ditaufnahme.
2. Dies hält der rechtlichen Überprüfung stand.
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a) In Rechtsprechung und Literatur wird die Auffassung vertreten, ein
Gewerbetreibender könne für einen zu seiner Unternehmenssphäre gehören-
den Prozess regelmäßig keine Prozesskostenhilfe beanspruchen, weil es um
Betriebsausgaben gehe, die grundsätzlich aus dem Unternehmen aufzubringen
seien, gegebenenfalls auch durch Kreditaufnahme (vgl. OLG Frankfurt
NJW-RR 1987, 320; OLG Nürnberg MDR 2003, 593, 594; OLG Schleswig
OLGR
2002, 450; OLG Brandenburg FamRZ
1997, 681; MünchKomm-
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ZPO/Wax, 2. Aufl., § 115 Rdn. 92; Zöller/Philippi, ZPO, 25. Aufl., § 115 Rdn. 64;
Kalthoener/Büttner/Wrobel-Sachs, Prozesskostenhilfe und Beratungshilfe,
3. Aufl., Rdn. 351; teilweise einschränkend OLG Jena, OLG-NL 2005, 186 und
OLGR Jena 2006, 198).
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b) Der Senat hält diese Auffassung für zutreffend.
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Der Gewerbetreibende darf bei der Prüfung der Frage, ob er in der Lage
ist, die Prozesskosten zu bestreiten, nicht deswegen strengeren Anforderungen
unterworfen werden, weil die Kosten des Rechtsstreits Betriebskosten seines
Unternehmens sind. Grundsätzlich muss auch dem gewerblich Tätigen in glei-
cher Weise wie dem Privatmann ermöglicht werden, seine Rechte gerichtlich zu
verfolgen, wenn die Situation des Unternehmens die Finanzierung des Prozes-
ses nicht zulässt, soweit § 116 Abs. 1 Nr. 2 ZPO nicht eingreift.
Bei der Beurteilung der Bedürftigkeit der Partei hinsichtlich einer ihren
Gewerbebetrieb betreffenden Rechtsverfolgung ist anhand der jeweiligen kon-
kreten wirtschaftlichen Verhältnisse zu prüfen, ob die Prozesskosten entweder
unmittelbar aus dem Unternehmensvermögen oder durch Kreditaufnahme auf-
gebracht werden können. Auf eine Kreditaufnahme kann die Partei verwiesen
werden, wenn diese im Rahmen eines ordnungsgemäßen kaufmännischen Ge-
schäftsbetriebs erfolgen kann.
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Da ein Unternehmer regelmäßig sowohl im Rahmen des laufenden Ge-
schäftsgangs als auch zur Finanzierung von Investitionsentscheidungen auf
Kreditmittel zurückgreift, kann grundsätzlich davon ausgegangen werden, dass
ihm dies auch zur Finanzierung eines Rechtsstreits über betriebliche Forderun-
gen möglich und zumutbar ist. Dies kann allerdings im Hinblick auf die wirt-
schaftliche Lage des Gewerbebetriebs auch anders zu beurteilen sein. Es ist
daher Sache der um Prozesskostenhilfe nachsuchenden Partei darzulegen und
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glaubhaft zu machen, dass sie nicht über hinreichende Möglichkeiten verfügt,
zur Finanzierung der anfallenden Prozesskosten im Rahmen einer ordnungs-
gemäßen kaufmännischen Geschäftsführung einen Kredit aufzunehmen und
ihn zu bedienen.
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c) Die Klägerin hat nicht dargelegt, dass ihr eine Kreditaufnahme im
Rahmen eines ordnungsgemäßen kaufmännischen Geschäftsbetriebs nicht
möglich oder nicht zumutbar ist. Dazu hätte jedenfalls im Beschwerdeverfahren
Anlass bestanden, da die Klägerin selbst davon ausging, dass ihr vom Landge-
richt im Hinblick auf die Möglichkeit einer Kreditaufnahme die Prozesskostenhil-
fe versagt worden ist.
Dressler
Wiebel Kniffka
Bauner Safari Chabestari
Vorinstanzen:
LG Gera, Entscheidung vom 25.01.2006 - 3 O 1976/04 -
OLG Jena, Entscheidung vom 24.03.2006 - 7 W 58/06 -