Urteil des BGH vom 20.12.2006

Schreibfehlerberichtigung

BUNDESGERICHTSHOF
IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
XII ZR 84/04 Verkündet
am:
20. Dezember 2006
Breskic,
Justizangestellte
als
Urkundsbeamtin
der
Geschäftsstelle
in der Familiensache
Nachschlagewerk: ja
BGHZ: nein
BGHR: ja
BGB § 1602 Abs. 1; SGB XII §§ 41 Abs. 2, 43 Abs. 2 Satz 1
Leistungen der Grundsicherung sind unter den Voraussetzungen des § 43
Abs. 2 Satz 1 SGB XII (bis 31. Dezember 2004: § 2 Abs. 1 Satz 3 GSiG) auf
den Unterhaltsbedarf eines Leistungsempfängers anzurechnen. Unterhaltsleis-
tungen mindern - anders als bloße Unterhaltsansprüche - allerdings den An-
spruch auf Grundsicherungsleistungen.
BGH, Urteil vom 20. Dezember 2006 - XII ZR 84/04 - OLG Nürnberg
AG
Erlangen
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Der XII. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat auf die mündliche Verhandlung
vom 20. Dezember 2006 durch die Vorsitzende Richterin Dr. Hahne, die Richte-
rin Weber-Monecke, die Richter Prof. Dr. Wagenitz und Fuchs und die Richterin
Dr. Vézina
für Recht erkannt:
Auf die Revision des Klägers wird das Urteil des 11. Zivilsenats
und Senats für Familiensachen des Oberlandesgerichts Nürnberg
vom 21. April 2004 in der Fassung des Berichtigungsbeschlusses
vom 19. Mai 2004 im Kostenpunkt und insoweit aufgehoben, als
die Klage für die Zeit ab 3. November 2003 abgewiesen worden
ist.
Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zur weiteren Verhand-
lung und Entscheidung, auch über die Kosten des Revisionsver-
fahrens, an das Oberlandesgericht zurückverwiesen.
Die weitergehende Revision wird zurückgewiesen.
Von Rechts wegen
Tatbestand:
Der Kläger begehrt Abänderung eines Urteils, nach dem er der Beklag-
ten, seiner Tochter, monatlichen Unterhalt von 579,29 € zu zahlen hat.
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Die am 7. September 1966 geborene Beklagte leidet an einer Psychose
aus dem schizophrenen Formenkreis. Aufgrund ihrer Erwerbsunfähigkeit be-
zieht sie eine Erwerbsunfähigkeitsrente, die sich bis 30. Juni 2003 auf monatlich
186,90 € belief und zum 1. Juli 2003 auf monatlich 188,85 € erhöht wurde.
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Grundlage für die Verurteilung des Klägers zur Zahlung des laufenden
Unterhalts war ein Mindestbedarf der Beklagten in Höhe des notwendigen
Selbstbehalts von 1.425 DM (728,59 €) sowie ein Medikamentenmehraufwand
von monatlich 60 DM (30,68 €). Nach Anrechnung der Erwerbsunfähigkeitsren-
te der Beklagten von (damals) 352 DM (179,97 €) errechnete sich ein vom Klä-
ger zu zahlender Betrag von 1.133 DM (579,29 €).
Der Kläger vertritt die Auffassung, die Beklagte habe einen Anspruch auf
Grundsicherungsleistungen. Mit Schreiben vom 22. Februar 2003 forderte er sie
deshalb auf, solche Leistungen in Anspruch zu nehmen. Der daraufhin von der
Beklagten gestellte Antrag wurde durch Bescheid vom 10. März 2002 zurück-
gewiesen. Der von ihr eingelegte Widerspruch blieb ohne Erfolg. Über die erho-
bene Klage war zur Zeit der letzten mündlichen Verhandlung vor dem Beru-
fungsgericht noch nicht entschieden.
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Der Kläger hat mit dem Vorbringen, der notwendige Bedarf der Beklag-
ten werde durch die Grundsicherung in vollem Umfang gedeckt, so dass ihr
kein Unterhaltsanspruch mehr zustehe, Abänderungsklage erhoben. Er macht
den Wegfall seiner Unterhaltsverpflichtung für die Zeit ab 1. März 2003 geltend.
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Das Amtsgericht hat die Klage abgewiesen. Die Berufung des Klägers
wurde zurückgewiesen. Mit der - vom Oberlandesgericht zugelassenen - Revi-
sion verfolgt er sein Klagebegehren weiter. Während des Revisionsverfahrens
ist über die vor dem Verwaltungsgericht erhobene Klage der Beklagten ent-
schieden worden. Nach dem (rechtskräftigen) Urteil des Verwaltungsgerichts ist
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die Verwaltungsbehörde verpflichtet, der Beklagten ab 3. November 2003 Leis-
tungen nach dem Grundsicherungsgesetz unter Zugrundelegung des von ihr
tatsächlich erhaltenen Unterhalts zu gewähren.
Entscheidungsgründe:
Das Rechtsmittel ist teilweise begründet. Es führt zur Aufhebung der an-
gefochtenen Entscheidung, soweit die Klage für die Zeit ab 3. November 2003
abgewiesen worden ist, und insoweit zur Zurückverweisung an das Berufungs-
gericht.
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1. Das Berufungsgericht, dessen Entscheidung in FamRZ 2004, 1807 ff.
veröffentlicht ist, hat die Abänderungsklage gemäß § 323 ZPO für zulässig
gehalten, weil der Kläger mit der Behauptung, die Beklagte habe seit dem
1. Januar 2003 einen Anspruch auf Grundsicherungsleistungen, eine nach der
letzten mündlichen Verhandlung im vorausgegangenen Verfahren (12. Dezem-
ber 2001) eingetretene neue Tatsache geltend gemacht habe. Zwar sei das
Gesetz über die bedarfsorientierte Grundsicherung im Alter und bei Erwerbs-
minderung bereits am 29. Juni 2001 im Bundesgesetzblatt veröffentlicht wor-
den. Da das Gesetz jedoch erst am 1. Januar 2003 in Kraft getreten sei, habe
die Beklagte frühestens von da an einen entsprechenden Anspruch gehabt.
Dass sich dieser Anspruch bereits am 12. Dezember 2001 habe voraussehen
lassen, sei unerheblich. Maßgeblich sei vielmehr, wann die wesentliche Verän-
derung tatsächlich eingetreten sei.
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Das ist revisionsrechtlich nicht zu beanstanden, sondern entspricht der
ständigen Rechtsprechung des Senats (Senatsurteile BGHZ 80, 389, 397, vom
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27. Januar 1988 - IVb ZR 14/87 - FamRZ 1988, 493, 494 und vom 9. Oktober
1991 - XII ZR 170/90 - FamRZ 1992, 162, 163).
II.
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1. Das Berufungsgericht hat die Abänderungsklage allerdings für unbe-
gründet gehalten, da eine wesentliche Veränderung der für die Verurteilung zur
Unterhaltszahlung maßgeblichen Verhältnisse nicht eingetreten sei. Dazu hat
es im Wesentlichen ausgeführt: Die geringfügige Erhöhung der Erwerbsunfä-
higkeitsrente und der zwischenzeitliche Wohngeldbezug der Beklagten in Höhe
von 13 € monatlich stellten keine wesentliche Veränderung dar. Andere den
Grund oder die Höhe des Unterhaltsanspruchs beeinflussende Verhältnisse, die
eine von der Ausgangsentscheidung abweichende Entscheidung gebieten wür-
den, lägen nicht vor. Insbesondere sei die Bedürftigkeit der Beklagten nicht we-
gen des Bezugs von Leistungen nach dem Grundsicherungsgesetz vermindert
worden oder entfallen, da sie derartige Leistungen nicht erhalte. Solche Leis-
tungen könnten ihr auch nicht fiktiv zugerechnet werden. Zwar müsse sich der
Unterhaltsberechtigte von einem privilegierten Unterhaltspflichtigen (Verwandter
in gerader Linie) grundsätzlich auf die Inanspruchnahme der Grundsicherung
verweisen lassen, da die Grundsicherung im Gegensatz zur Sozialhilfe nicht
nachrangig sei. Die Zurechnung fiktiver Einkünfte sei aber nur dann gerechtfer-
tigt, wenn dem Unterhaltsberechtigten wegen Nichtinanspruchnahme der
Grundsicherung ein Obliegenheitsverstoß anzulasten sei. Eine solche Oblie-
genheitsverletzung sei der Beklagten indessen nicht vorzuwerfen. Sie erhalte
trotz Antragstellung und der gegen den ablehnenden Bescheid eingelegten
Rechtsbehelfe keine Leistungen nach dem Grundsicherungsgesetz. Der Unter-
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haltsanspruch könne auch nicht für die Zukunft um Grundsicherungsleistungen
gekürzt werden. Denn die Gewährung solcher Leistungen sei kein zu einem
bestimmten Zeitpunkt sicher zu erwartender Umstand. Ob und gegebenenfalls
in welcher Höhe die Beklagte Grundsicherungsleistungen erhalten werde, sei
ungewiss. Der Unterhalt, den sie aufgrund des Urteils vom 23. Januar 2002 er-
halte, sei höher als ihr Anspruch auf Grundsicherungsleistungen nach § 3
Abs. 1 GSiG. Die aufgrund des Urteils erbrachten Unterhaltsleistungen seien
aber als zu berücksichtigendes Einkommen im Sinne von § 3 Abs. 2 GSiG in
Verbindung mit §§ 76 ff. BSHG auf den Anspruch auf Grundsicherungsleistung
anzurechnen. Die bedarfsorientierte Grundsicherung würde für die Beklagte
587,75 € ausmachen. Hierauf müsse sie sich ihre Erwerbsunfähigkeitsrente
sowie das Wohngeld anrechnen lassen, so dass der Anspruch sich auf
385,90 € beliefe. Der titulierte Unterhalt der Beklagten sei demgegenüber mit
579,29 € höher, weshalb ein Anspruch auf Grundsicherungsleistungen nicht
bestehe. Deshalb könne die Beklagte solche Leistungen nur erhalten, wenn sie
auf ihre Rechte aus dem Urteil vom 23. Januar 2002 verzichten würde. Das
könne ihr indessen nicht zugemutet werden, da der titulierte Unterhaltsanspruch
über denjenigen nach dem Grundsicherungsgesetz hinausgehe. Auch ein Teil-
verzicht in Höhe der Leistungen des Grundsicherungsgesetzes sei unzumutbar.
Denn wenn der Kläger den restlichen Unterhaltsanspruch erfülle, vermindere
sich gemäß § 3 Abs. 2 GSiG in Verbindung mit § 76 Abs. 1 BSHG in dieser Hö-
he wiederum der Anspruch der Beklagten auf Grundsicherung. Ein Teilverzicht
könne von der Beklagten aber auch deshalb nicht verlangt werden, da sie da-
durch ihren Grundsicherungsanspruch verlieren könne und dann weder Unter-
halt noch Grundsicherungsleistungen beziehen würde.
Dagegen wendet sich die Revision im Hinblick auf die inzwischen ergan-
gene rechtskräftige Entscheidung des Verwaltungsgerichts vom 7. Juni 2004
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insoweit mit Erfolg, als die Klage für die Zeit ab 3. November 2003 abgewiesen
worden ist.
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2. Zutreffend ist das Berufungsgericht allerdings davon ausgegangen,
dass eine Abänderung allein im Hinblick auf die geringfügig gestiegene Er-
werbsunfähigkeitsrente und den Wohngeldbezug der Beklagten mangels We-
sentlichkeit der dadurch bedingten Veränderungen nicht in Betracht kommt.
Soweit die Revision geltend macht, eine weitere Veränderung sei eingetreten,
weil im Rahmen der Gesundheitsreform zum 1. Januar 2004 die Zuzahlung zu
Medikamenten bei schwerwiegenden chronischen Erkrankungen auf 1 % der
Jahresbruttoeinkünfte gesenkt worden sei, führt dies nicht zu einer anderen Be-
urteilung. Dass die Beklagte tatsächlich teilweise von den Zuzahlungen befreit
worden ist, also nicht mehr den in der Ausgangsentscheidung zugrunde geleg-
ten Mehrbedarf für Medikamente begleichen muss, hat der Kläger in den Vorin-
stanzen nicht dargelegt.
3. a) Eine Veränderung der Verhältnisse ist allerdings dadurch eingetre-
ten, dass der Beklagten durch Urteil des Verwaltungsgerichts vom 7. Juni 2004
für die Zeit ab 3. November 2003 Leistungen nach dem Grundsicherungsgesetz
zuerkannt worden sind. Diese Leistungen sind unter Zugrundelegung des von
ihr tatsächlich bezogenen Unterhalts zu gewähren. Dieser nach Schluss der
mündlichen Verhandlung in der Berufungsinstanz eingetretene Umstand ist aus
Gründen der Prozessökonomie im Revisionsverfahren zu berücksichtigen, da
schützenswerte Belange der Parteien nicht entgegenstehen und sie den Aus-
gang des Verwaltungsrechtsstreits für und gegen sich gelten lassen müssen
(vgl. Musielak/Ball ZPO 4. Aufl. § 559 Rdn. 10).
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b) Nach § 1602 Abs. 1 BGB ist unterhaltsberechtigt nur, wer außerstande
ist, sich selbst zu unterhalten. Zum unterhaltsrechtlich maßgeblichen Einkom-
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men zählen grundsätzlich sämtliche Einkünfte, wenn sie geeignet sind, den ge-
genwärtigen Lebensbedarf des Einkommensbeziehers sicherzustellen. Dazu
können auch dem Unterhaltsgläubiger zu gewährende Grundsicherungsleistun-
gen gehören, wenn sie - anders als etwa Sozialhilfe- und Unterhaltsvorschuss-
leistungen - nicht subsidiär sind. Nach § 43 Abs. 2 Satz 1 SGB XII, der der bis
zum 31. Dezember 2004 geltenden, inhaltlich übereinstimmenden Vorschrift
des § 2 Abs. 1 Satz 3 GSiG entspricht, bleiben Unterhaltsansprüche der Leis-
tungsberechtigten gegenüber ihren Kindern und Eltern unberücksichtigt, sofern
deren jährliches Gesamteinkommen im Sinne des § 16 des Vierten Buches un-
ter einem Betrag von 100.000 € liegt. Sind diese Voraussetzungen erfüllt, erfol-
gen die Grundsicherungsleistungen nicht nachrangig. Sie sind mithin als Ein-
kommen anzusehen und reduzieren den unterhaltsrechtlichen Bedarf des Leis-
tungsempfängers, ohne dass es darauf ankommt, ob sie zu Recht oder zu Un-
recht bewilligt worden sind (Klinkhammer FamRZ 2002, 997, 1001; Günther FF
2003, 10, 14; OLG Hamm FamRZ 2004, 1061; vgl. auch Senatsurteil vom
23. Oktober 2002 - XII ZR 266/99 - FamRZ 2002, 1698, 1701).
In Höhe der ihr ab 3. November 2003 gewährten Grundsicherungsleis-
tungen ist die Beklagte mithin nicht mehr unterhaltsbedürftig. Dass die Leistun-
gen zum 31. Dezember 2004 tatsächlich eingestellt worden sind, wie die Revi-
sion unter Bezugnahme auf einen Bescheid vom 18. November 2004 darlegt,
kann im Revisionsverfahren nicht berücksichtigt werden. Nach dem vorgenann-
ten Bescheid beruht die Einstellung der Leistungen darauf, dass die Beklagte
ab 15. Dezember 2004 mit ihrem Lebensgefährten zusammenleben und dieser
über Arbeitslosengeld verfügen werde. Ob diese Voraussetzungen tatsächlich
und dauerhaft eingetreten sind, insbesondere wie sich die finanziellen Verhält-
nisse des Lebensgefährten längerfristig darstellen, und ob die Grundsiche-
rungsleistungen weggefallen sind, wird im weiteren Verfahren zu prüfen sein.
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4. Eine über den Umfang ihrer tatsächlichen Gewährung hinausgehende
Anrechnung von Grundsicherungsleistungen kommt allerdings nicht in Betracht.
Deshalb liegt für die Zeit vor dem 3. November 2003 keine zur Abänderung des
Unterhaltstitels führende Veränderung der Verhältnisse vor.
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a) Nach den von der Revision nicht angegriffenen Feststellungen des Be-
rufungsgerichts wären die Leistungen der Grundsicherung geringer gewesen
als der vom Kläger zu zahlende Unterhalt. Grundsicherung ist aber nur zu ge-
währen, soweit Leistungsberechtigte ihren Lebensunterhalt nicht aus ihrem Ein-
kommen und Vermögen gemäß §§ 82 bis 84 und 90 SGB XII beschaffen kön-
nen (§ 41 Abs. 2 SGB XII). Nach § 82 SGB XII gehören zum Einkommen alle
Einkünfte in Geld oder Geldeswert mit Ausnahme der Leistungen nach diesem
Buch, der Grundrente nach dem Bundesversorgungsgesetz und der Renten
oder Beihilfen, die nach dem Bundesentschädigungsgesetz für Schäden an Le-
ben sowie an Körper oder Gesundheit gewährt werden, bis zur Höhe der ver-
gleichbaren Grundrente nach dem Bundesversorgungsgesetz. Der Begriff des
Einkommens wird näher definiert in § 1 der Verordnung zu § 82 SGB XII. Hier-
nach sind bei der Berechnung der Einkünfte in Geld oder Geldeswert alle Ein-
nahmen ohne Rücksicht auf ihre Herkunft und Rechtsnatur sowie ohne Rück-
sicht darauf, ob sie zu den Einkunftsarten im Sinne des Einkommensteuerge-
setzes gehören und ob sie der Steuerpflicht unterliegen, zugrunde zu legen.
Als solche Einkünfte sind auch Unterhaltsleistungen zu berücksichtigen.
Entgegen der Auffassung der Revision ergibt sich aus der Regelung des § 2
Abs. 1 Satz 3 GSiG, die dem § 43 Abs. 2 Satz 1 SGB XII entspricht, kein ande-
res Ergebnis. Die Vorschriften stehen nur der Anrechnung von Unterhaltsan-
sprüchen, nicht jedoch der Berücksichtigung von tatsächlich geleisteten Unter-
haltszahlungen entgegen. Dies ergibt sich sowohl aus dem Wortlaut der Rege-
lung, der ausdrücklich nur Unterhaltsansprüche erfasst, als auch aus Sinn und
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Zweck der Vorschrift. In dem Bericht des Ausschusses für Arbeit und Sozial-
ordnung wird hierzu ausgeführt, der Zweck des Gesetzes bestehe darin, für alte
Menschen bzw. in Fällen voller Erwerbsminderung eine eigenständige soziale
Leistung vorzusehen, die den grundlegenden Bedarf für den Lebensunterhalt
sicherstelle; durch diese Leistung solle im Regelfall die Notwendigkeit der Ge-
währung von Sozialhilfe vermieden werden; außerdem habe vor allem ältere
Menschen die Furcht vor dem Unterhaltsrückgriff auf ihre Kinder oftmals von
dem Gang zum Sozialamt abgehalten; eine dem sozialen Gedanken verpflichte-
te Lösung müsse hier einen gesamtgesellschaftlichen Ansatz wählen, der eine
würdige und unabhängige Existenz sichere (BT-Drucks. 14/5150 S. 48). Eine
Privilegierung der Unterhaltsverpflichteten ist dagegen nicht bezweckt worden.
Zum Einkommen des Grundsicherungsberechtigten gehören deshalb tatsäch-
lich an ihn erbrachte Unterhaltszahlungen, selbst wenn das Einkommen des
Unterhaltsverpflichteten die Einkommensgrenze des § 43 Abs. 2 Satz 1 SGB
XII unterschreitet (Günther aaO S. 11; Klinkhammer aaO S. 999 f.; Münder
NJW 2002, 3661, 3663; Schoch ZfF 2003, 1, 9; Veldtrup/Schwabe ZfF 2003,
265, 267 f.; Grube/Warendorf SGB XII § 43 Rdn. 9; Schellhorn/Schellhorn/
Hohm SGB XII § 43 Rdn. 17; Fichtner/Wenzel BSHG 2. Aufl. § 2 GSiG Rdn. 7;
BayVGH München FEVS 55, 557, 562; VGH Baden-Württemberg NDV-RD
2006, 21 f.; LSG Nordrhein-Westfalen FamRZ 2006, 1566 f.; VG Karlsruhe Ur-
teil vom 15. März 2005 - 5 K 4713/03 - Juris; VG Ansbach Urteil vom 20. Januar
2005 - AN 14 K 04.02456 - Juris; VG Aachen Beschluss vom 30. November
2004 - 2 L 1039/04 - ZFSH/SGB 2005, 169, 170 f.; VG Arnsberg ZFSH/SGB
2004, 492, 483 f.).
b) Der Auffassung der Revision, die Regelung verstoße gegen Art. 3
Abs. 1 GG, weil die Gewährung von Leistungen der Grundsicherung letztlich
davon abhänge, ob der Unterhaltspflichtige oder der Träger der Grundsicherung
zuerst zahle, ist nicht zu folgen. Art. 3 Abs. 1 GG gebietet, alle Menschen vor
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dem Gesetz gleich zu behandeln. Dem Gesetzgeber ist damit zwar nicht jede
Differenzierung verwehrt. Er verletzt aber das Grundrecht, wenn er eine Gruppe
im Vergleich zu einer anderen Gruppe anders behandelt, obwohl zwischen bei-
den Gruppen keine Unterschiede von solcher Art und solchem Gewicht beste-
hen, dass sie die ungleiche Behandlung rechtfertigen können (st.Rspr. BVerfGE
112, 368, 401).
Der Ungleichbehandlung, die darin zu sehen ist, dass Unterhaltsansprü-
che nicht berücksichtigt, Unterhaltsleistungen dagegen als Einkommen behan-
delt werden, liegt ein die Differenzierung rechtfertigender Umstand zugrunde.
Durch die Einführung der Grundsicherungsleistungen soll, wie schon ausgeführt
wurde, die verschämte Armut im Alter und in Fällen voller Erwerbsminderung
verhindert werden. Einer solchen Hilfeleistung bedarf es nicht, wenn und soweit
der Lebensbedarf durch Unterhaltsleistungen sichergestellt wird. Dem Gesetz-
geber war es deshalb jedenfalls von Verfassungs wegen nicht verwehrt, diesen
Personenkreis von der Leistungsgewährung ganz oder teilweise auszunehmen
und nur diejenigen zu unterstützen, die der Hilfeleistung bedürfen. Dass da-
durch zugleich derjenige Unterhaltspflichtige begünstigt wird, der keine Unter-
haltszahlungen erbringt mit der Folge, dass der Berechtigte insoweit nicht über
anzurechnendes Einkommen verfügt, mag man zwar im Ergebnis für eine be-
fremdliche Konsequenz halten. Dies begründet für den zahlungswilligen Unter-
haltspflichtigen aber noch keinen Anspruch auf Gleichbehandlung. Dem Ge-
setzgeber obliegt es nicht, jedwede Missbrauchsmöglichkeit zu vermeiden. Der
zahlungswillige Unterhaltspflichtige kann deshalb nicht etwa verlangen, dass
auch dem zahlungsunwilligen Schuldner die Möglichkeit entzogen wird, den
Unterhaltsberechtigten auf Grundsicherungsleistungen zu verweisen.
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5. Danach ist die Revision zurückzuweisen, soweit sie die Zeit vor dem
3. November 2003 betrifft. Für die Zeit nach dem 3. November 2003 kann das
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angefochtene Urteil dagegen keinen Bestand haben. Die Sache ist insoweit an
das Berufungsgericht zurückzuverweisen, das festzustellen haben wird, in wel-
chem Umfang der Beklagten Grundsicherungsleistungen gewährt worden sind.
Hahne Weber-Monecke Wagenitz
Fuchs
Bundesrichterin Dr. Vézina ist urlaubsbedingt
verhindert zu unterschreiben.
Hahne
Vorinstanzen:
AG Erlangen, Entscheidung vom 24.06.2003 - 1 F 408/03 -
OLG Nürnberg, Entscheidung vom 21.04.2004 - 11 UF 2470/03 -