Urteil des BGH vom 23.04.2010

Leitsatzentscheidung

BUNDESGERICHTSHOF
IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
LwZR 20/09
Verkündet
am:
23. April 2010
Lesniak
Justizangestellte
als
Urkundsbeamtin
der
Geschäftsstelle
in dem Rechtsstreit
Nachschlagewerk: ja
BGHZ: nein
BGHR: ja
BGB §§ 314 Abs. 3, 594e
Die Erklärung der außerordentlichen Kündigung eines Landpachtverhältnisses muss
innerhalb einer angemessenen Frist nach dem Eintritt des Kündigungsgrundes und
dessen Kenntnis bei dem Kündigungsberechtigten dem anderen Teil zugehen.
BGH, Urteil vom 23. April 2010 - LwZR 20/09 - OLG Jena
AG
Gera
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Der Bundesgerichtshof, Senat für Landwirtschaftssachen, hat am 23. April
2010 durch den Vorsitzenden Richter Prof.
Dr.
Krüger, die Richter
Dr. Lemke und Dr. Czub sowie die ehrenamtlichen Richter Gose und
Kröger
für Recht erkannt:
Die Revision gegen das Urteil des Senats für Landwirtschaftssa-
chen des Thüringer Oberlandesgerichts in Jena vom 7. September
2009 wird auf Kosten der Beklagten zurückgewiesen.
Von Rechts wegen
Tatbestand:
Mit schriftlichem Vertrag vom 29. Januar 2002 verpachtete die Beklagte
der Klägerin diverse landwirtschaftlich genutzte Grundstücke für eine jeweils bis
zum 31. Januar zu zahlende Jahrespacht von 5.283,10 €. In § 3 Abs. 1 der zu
den Gerichtsakten eingereichten Vertragsurkunde ist handschriftlich eine
Pachtdauer vom 1. November 2001 bis zum 30. Oktober 2014 eingetragen. Die
Beklagte behauptet jedoch, in der von ihr unterzeichneten Urkunde sei eine
Pachtdauer nur bis zum 31. Oktober 2004 eingetragen gewesen.
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Die Klägerin hat zunächst die Feststellung beantragt, dass zwischen ihr
und der Beklagten ein wirksamer Pachtvertrag mit einer Dauer bis zum
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31. Oktober 2014 abgeschlossen worden ist. Im Laufe des Rechtsstreits hat die
Klägerin mit Anwaltsschreiben vom 23. Dezember 2003 von dem ihr in § 3
Abs. 4 des Vertrags eingeräumten Recht Gebrauch gemacht, das Pachtverhält-
nis um sechs Jahre zu verlängern. Sie hat sodann beantragt festzustellen, dass
zwischen ihr und der Beklagten ein wirksamer Pachtvertrag bis zum
31. Oktober 2020 zustande gekommen ist; überdies hat sie die Verurteilung der
Beklagten zur Zahlung von 5.305,61 € nebst Zinsen verlangt. Die Beklagte hat
mit Anwaltsschreiben vom 3. November 2005 das Pachtverhältnis wegen Nicht-
zahlung der am 31. Januar 2005 fällig gewesenen Pacht fristlos gekündigt.
Das Amtsgericht - Landwirtschaftsgericht - hat der Klage stattgegeben.
Die Berufung der Beklagten ist erfolglos geblieben. Mit der von dem Berufungs-
gericht zugelassenen Revision will die Beklagte die Abweisung der Klage errei-
chen.
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Entscheidungsgründe:
I.
Nach Ansicht des Berufungsgerichts ist zwischen den Parteien zunächst
ein Landpachtvertrag mit einer Laufzeit bis zum 31. Oktober 2014 zustande ge-
kommen, der sich nach der Ausübung der Option durch die Klägerin bis zum
31. Oktober 2020 verlängert hat. Die Beklagte habe erstinstanzlich nicht bestrit-
ten, die Unterschrift auf dem sich bei den Akten befindenden Original der Ver-
tragsurkunde geleistet zu haben, sondern vielmehr behauptet, das bei Unter-
zeichnung eingetragene Ende des Pachtvertrags im Jahr 2004 sei nachträglich
ohne ihr Wissen in 2014 geändert worden. Dies habe sie jedoch nicht beweisen
können. Falls der Vortrag in der Berufungsinstanz dahin zu verstehen sei, dass
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die Beklagte nunmehr die Echtheit der Unterschrift auf der Vertragsurkunde
bestreite, sei er nach § 531 Abs. 2 ZPO nicht zuzulassen. Die außerordentliche
Kündigung der Beklagten vom 9. November 2005 habe das Pachtverhältnis
nicht beendet, weil sie nicht innerhalb einer angemessenen Frist nach Kenntnis
des Kündigungsgrundes ausgesprochen worden sei.
Den Betrag von 5.305,61 € müsse die Beklagte der Klägerin aus dem
Gesichtspunkt der ungerechtfertigten Bereicherung zurückzahlen. Rechtsgrund
der von der Klägerin geleisteten Zahlung sei ein am 26. Juni 2006 abgeschlos-
sener Prozessvergleich, der durch den Widerruf der Beklagten weggefallen sei.
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II.
Das hält der rechtlichen Nachprüfung stand.
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1. Das Berufungsgericht hat zu Recht festgestellt, dass zwischen den
Parteien ein bis zum 31. Oktober 2020 andauerndes Landpachtverhältnis be-
steht.
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a) Ohne Erfolg rügt die Beklagte, das Berufungsgericht habe den Kern
ihres Vortrags missachtet und rechtsfehlerhaft festgestellt, sie habe erstinstanz-
lich nicht bestritten, die Unterschrift auf dem sich bei den Akten befindenden
Original der Vertragsurkunde geleistet zu haben.
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aa) Bei dieser Feststellung handelt es sich um aus dem Berufungsurteil
ersichtliches Parteivorbringen im Sinne von § 559 Abs. 1 ZPO, also um dessen
tatbestandliche Darstellung in den Urteilsgründen (vgl. § 540 Abs. 1 Nr. 1 ZPO).
Es erbringt nach § 314 ZPO den Beweis für das mündliche Parteivorbringen in
der Berufungsinstanz. Eine etwaige Unrichtigkeit solcher tatbestandlicher Dar-
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stellungen in dem Berufungsurteil kann nur in dem Berichtigungsverfahren nach
§ 320 ZPO behoben werden; mit einer Verfahrensrüge nach § 551 Abs. 3
Satz 1 Nr. 2 ZPO kann die Berichtigung nicht nachgeholt werden (siehe nur
BGH, Urt. v. 8. Januar 2007, II ZR 334/04, NJW-RR 2007, 1434, 1435 m.w.N.).
bb) Da die Beklagte keine Tatbestandsberichtigung beantragt hat, ist das
Revisionsgericht an die tatbestandlichen Feststellungen in dem Berufungsurteil
gebunden (§§ 314, 559 ZPO) und muss sie seiner Beurteilung zugrunde legen
(BGH, Urt. v. 8. Januar 2007, II ZR 334/94, aaO; MünchKomm-ZPO/Wenzel,
3. Aufl., § 559 Rdn. 4). Deshalb ist es rechtlich nicht zu beanstanden, dass das
Berufungsgericht der Beklagten die Beweislast für die behauptete nachträgliche
Änderung der Laufzeit des Pachtvertrags auferlegt und den Beweis als nicht
geführt angesehen hat.
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b) Ebenfalls zu Recht hat das Berufungsgericht die außerordentliche
Kündigung der Beklagten vom 3. November 2005 als unwirksam angesehen.
Die Beklagte war nicht mehr zur Kündigung berechtigt, weil sie sie nicht inner-
halb einer angemessenen Frist nach Kenntnis von dem Kündigungsgrund aus-
gesprochen hat.
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aa) Nach §§ 594e Abs. 1 und Abs. 2 Satz 1, 543 BGB war die Beklagte
ab Anfang Mai 2005 zur außerordentlichen fristlosen Kündigung des Pachtver-
hältnisses berechtigt; denn die Klägerin befand sich mit der Zahlung der am
31. Januar 2005 fällig gewesenen Pacht länger als drei Monate in Verzug. Das
wusste die Beklagte. Gleichwohl hat sie die Kündigung erst am 3. November
2005 ausgesprochen. Das war verspätet.
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bb) Die außerordentliche fristlose Kündigung eines Dauerschuldverhält-
nisses aus wichtigem Grund muss innerhalb einer angemessenen Zeit seit
Kenntnis von dem Kündigungsgrund erklärt werden. Das hat seinen Grund zum
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einen darin, dass der eine Teil in angemessener Zeit Klarheit darüber erhalten
soll, ob von der Kündigungsmöglichkeit Gebrauch gemacht wird; zum anderen
gibt der Kündigungsberechtigte mit dem längeren Abwarten zu erkennen, dass
für ihn die Fortsetzung des Vertragsverhältnisses trotz des Vorliegens eines
Grundes zur fristlosen Kündigung nicht unzumutbar ist. Diese Erwägungen lie-
gen der Vorschrift des § 314 Abs. 3 BGB, die seit dem 1. Januar 2002 gilt,
zugrunde (Entw. SchuldRModG BT-Drucks. 14/6040 S. 178). Sie galten auch
für die frühere Rechtslage, bei der es - mit Ausnahme u.a. der Vorschrift des
§ 626 Abs. 2 BGB - an einer gesetzlichen Festlegung der Frist für die Erklärung
der außerordentlichen Kündigung aus wichtigem Grund fehlte (siehe nur
BGHZ 133, 331, 335; BGH, Urt. v. 1. Juni 1951, V ZR 86/50, NJW 1951, 836;
Urt. v. 15. Februar 1967, VIII ZR 222/64, WM 1967, 515, 517). Landpachtver-
hältnisse waren davon nicht ausgenommen (OLG Hamm AgrarR 1984, 277,
278; Lange/Wulff/Lüdtke-Handjery, Landpachtrecht, 4.
Aufl., §
594e BGB
Rdn. 42).
cc) Deshalb muss die Erklärung der außerordentlichen Kündigung eines
Landpachtverhältnisses (§ 594e BGB) innerhalb einer angemessenen Frist
nach dem Eintritt des Kündigungsgrundes und dessen Kenntnis bei dem Kündi-
gungsberechtigten dem anderen Teil zugehen. Ob man dieses Erfordernis auf
die Regelung in § 314 Abs. 3 BGB (Staudinger/v. Jeinsen, BGB [2005], § 594e
Rdn. 30) oder auf die für die frühere Rechtslage geltenden allgemeinen Grund-
sätze stützt (Fassbender/Hötzel/Lukanow, Landpachtrecht, 3. Aufl., § 594e
BGB Rdn. 28), ist ohne Belang. Entscheidend ist vielmehr, dass der Pächter
landwirtschaftlich genutzter Grundstücke wegen deren notwendiger Bearbei-
tung zu bestimmten Zeiten, die naturgemäß von der Nutzungsart vorgegeben
sind, so früh wie möglich wissen muss, ob der Verpächter von seinem Recht
zur fristlosen Kündigung Gebrauch macht; zudem weiß der Verpächter, dass
der Pächter auf dieses frühzeitige Wissen angewiesen ist, sich mit der Bewirt-
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schaftung der Flächen auf sein - des Verpächters - Verhalten einstellt und beim
Ausbleiben der Kündigungserklärung über einen längeren Zeitraum von dem
Fortbestand des Pachtverhältnisses ausgeht.
dd) Nach alledem ist es rechtlich nicht zu beanstanden, dass das Beru-
fungsgericht die angemessene Frist, die sich unter Berücksichtigung ihres
Zwecks, der Bedeutung des Kündigungsgrundes, der Auswirkungen für die Be-
teiligten und des Umfangs der erforderlichen Ermittlungen bestimmt (vgl.
MünchKomm-BGB/Gaier, 5. Aufl., § 314 Rdn. 20), mit drei Monaten ab der
Kenntnis der Beklagten von dem Kündigungsgrund angenommen hat.
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c) Ohne Erfolg macht die Beklagte in Anlehnung an die Rechtsprechung
des Bundesgerichtshofs, dass die in §
626 Abs.
2 BGB festgelegte
Zwei-Wochen-Frist für den Ausspruch der fristlosen Kündigung eines Dienst-
verhältnisses aus wichtigem Grund bei einem pflichtwidrigen Dauerverhalten
nicht vor dessen Beendigung beginnt (Urt. v. 20. Juni 2005, II ZR 18/03,
NJW 2005, 3069, 3070), die Wirksamkeit der Kündigung vom 3. November
2005 geltend. Dies verkennt, dass es sich bei dem für die außerordentliche
Kündigung maßgebenden Grund, der Nichtzahlung der am 31. Januar 2005
fällig gewesenen Jahrespacht, um einen einmaligen Pflichtverstoß und nicht um
ein pflichtwidriges Dauerverhalten gehandelt hat. Wollte man das anders, näm-
lich so wie die Beklagte sehen, hätte das den Ausschluss der Möglichkeit zur
fristlosen Kündigung des Pachtverhältnisses wegen Zahlungsrückstands zur
Folge. Denn auf der einen Seite muss der Kündigungsgrund, also der Zah-
lungsrückstand, im Zeitpunkt des Zugangs der Kündigungserklärung vorliegen;
auf der anderen Seite soll die Frist zur Abgabe der Kündigungserklärung nicht
vor der Beendigung des Zahlungsrückstands erfolgen. Das schließt sich gegen-
seitig aus.
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d) Schließlich verhilft die Überlegung der Beklagten, ihre fortdauernde
Berufung auf die Kündigung im Laufe dieses Rechtsstreits sei als erneute Kün-
digung anzusehen, zu der sie wegen der am 31. Januar 2007 und 31. Januar
2008 zur Zahlung fällig gewesenen Pachten berechtigt gewesen und die in an-
gemessener Frist ausgesprochen worden sei, der Revision nicht zum Erfolg.
Das Berufungsgericht hat nicht festgestellt, dass sich die Klägerin mit diesen
Pachtzahlungen in Verzug befindet. Somit fehlt es an den Voraussetzungen für
das Recht der Beklagten zur außerordentlichen fristlosen Kündigung.
2. Gegen die Verurteilung der Beklagten zur Rückzahlung von 5.305,61 €
nebst Zinsen wendet sich die Revision ebenfalls ohne Erfolg. Mit dem Widerruf
des in der ersten Instanz abgeschlossenen Vergleichs, der Grundlage der Zah-
lung des genannten Betrags war, entfiel die Zahlungspflicht der Klägerin. Sie
hat somit ohne Rechtsgrund geleistet; die Beklagte ist nach § 812 Abs. 1 Satz 2
BGB zur Rückzahlung verpflichtet. Zwar hat sie in der mündlichen Verhandlung
vor dem Senat erstmals die Aufrechnung mit einem Anspruch auf Zahlung
rückständiger Pacht erklärt. Aber dieses Verteidigungsmittel ist nach §§ 296
Abs. 2, 555 ZPO zurückzuweisen. Die Beklagte hätte nämlich nach § 282
Abs. 1 ZPO die Aufrechnungserklärung bereits im ersten Rechtszug, jedenfalls
nach dem Widerruf des Vergleichs abgeben müssen, weil deren Relevanz für
den Rechtsstreit ihr bekannt war oder bei Anwendung der gebotenen Sorgfalt
hätte bekannt sein müssen und zu deren Geltendmachung sie dort imstande
war (vgl. BGH, Urt. v. 8. Juni 2004, VI ZR 199/03, NJW 2004, 2825, 2827). Da
in dem Berufungsurteil nicht festgestellt ist, dass die Klägerin rückständige
Pacht schuldet, müsste im Fall der Berücksichtigung der Aufrechnungserklä-
rung die Sache unter teilweiser Aufhebung des Berufungsurteils zur neuen Ver-
handlung und Entscheidung über den Zahlungsantrag an das Berufungsgericht
zurückverwiesen werden. Dadurch verzögerte sich die Erledigung des Rechts-
streits, weil die Revision ohne die jetzt erklärte Aufrechnung insgesamt unbe-
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gründet ist. Schließlich beruht die verspätete Abgabe der Aufrechnungserklä-
rung auf grober Nachlässigkeit. Der vorinstanzliche Prozessbevollmächtigte der
Beklagten hat die Prozessförderungspflicht in besonders hohem Maß vernach-
lässigt, denn er hat zwar auf einen Anspruch der Beklagten hingewiesen, aber
nicht die notwendige prozessrechtliche Konsequenz gezogen und damit dasje-
nige unterlassen, was jeder Partei nach dem Stand des Verfahrens als notwen-
dig hätte einleuchten müssen (BGH, Urt. v. 20. März 1997, VII ZR 205/96,
NJW 1997, 2244, 2245). Dieses Verschulden, das die jetzige Prozessbevoll-
mächtigte der Klägerin nicht ausräumen konnte, steht dem Verschulden der
Beklagten gleich (§ 85 Abs. 2 ZPO).
III.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 97 Abs. 1 ZPO.
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Krüger Lemke Czub
Vorinstanzen:
AG Gera, Entscheidung vom 29.09.2008 - XV Lw 3/03 -
OLG Jena, Entscheidung vom 07.09.2009 - Lw U 920/08 -