Urteil des BGH vom 27.11.2003

Leitsatzentscheidung

BUNDESGERICHTSHOF
IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
III ZR 355/03
Verkündet am:
22. Juli 2004
F r e i t a g
Justizamtsinspektor
als Urkundsbeamter
der Geschäftsstelle
in dem Rechtsstreit
Nachschlagewerk:
ja
BGHZ:
nein
BGHR:
ja
BPflV § 22 Abs. 2 Satz 1 Halbsatz 2
Zur Pflicht des Krankenhauses, den Patienten vor Abschluß einer Wahllei-
stungsvereinbarung über die Entgelte und den Inhalt der wahlärztlichen Lei-
stungen zu unterrichten (Fortführung der Senatsurteile vom 27. November
2003 - III ZR 37/03, für BGHZ 157, 87 vorgesehen = NJW 2004, 684 und vom
8. Januar 2004 - III ZR 375/02 = NJW 2004, 686).
BGH, Urteil vom 22. Juli 2004 - III ZR 355/03 - LG Berlin
AG Neukölln
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Der III. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat auf die mündliche Verhandlung
vom 22. Juli 2004 durch den Vorsitzenden Richter Schlick und die Richter
Dr. Wurm, Streck, Dörr und Galke
für Recht erkannt:
Die Revision der Streithelferin des Klägers gegen das Urteil der
Zivilkammer 6 des Landgerichts Berlin (Charlottenburg) vom
30. Oktober 2003 wird zurückgewiesen.
Die Streithelferin hat die Kosten des Revisionsrechtszuges zu tra-
gen.
Von Rechts wegen
Tatbestand
Der Kläger ist Chefarzt der Hals-, Nasen- und Ohren-Abteilung einer
Klinik in Berlin, deren Träger die Streithelferin ist. Der Beklagte befand sich
dort wegen einer Trommelfellperforation vom 18. Juli bis zum 2. August 2002 in
stationärer Behandlung und wurde vom Kläger zweimal operiert. In der vom
Beklagten und vom aufnehmenden Krankenhausmitarbeiter unterzeichneten
schriftlichen Wahlleistungsvereinbarung vom 18. Juli 2002 ist außer dem Käst-
chen "Unterbringung in einem 1-Bett-Zimmer" das weitere Kästchen "Geson-
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dert berechenbare ärztliche Leistungen (Wahlarztleistungen)" angekreuzt. Im
weiteren Text des Schriftstücks heißt es, soweit hier von Interesse, wie folgt:
"Die Wahlleistungen werden gesondert berechnet.
Die Vereinbarung über gesondert berechenbare Leistungen
(Wahlarztleistungen) erstreckt sich auf alle an der Behandlung
des Patienten beteiligten Ärzte des Krankenhauses, soweit diese
zur gesonderten Berechnung ihrer Leistungen berechtigt sind,
einschließlich der von diesen Ärzten veranlaßten Leistungen von
Ärzten und ärztlich geleiteten Einrichtungen außerhalb des Kran-
kenhauses.
Die gesondert berechenbaren ärztlichen Leistungen werden von
den in der Anlage zum Pflegekostentarif aufgeführten liquidati-
onsberechtigten Ärzten persönlich oder unter der Aufsicht des lei-
tenden Arztes nach fachlicher Leistung von einem nachgeordne-
ten Arzt in der Abteilung erbracht; im Verhinderungsfalle über-
nimmt die Aufgaben des leitenden Arztes sein ständiger Vertreter.
Die Berechnung der wahlärztlichen Leistungen erfolgt nach der
Gebührenordnung für Ärzte/Zahnärzte (GOÄ/GOZ) in der jeweils
gültigen Fassung. Die liquidationsberechtigten Ärzte können zum
Zwecke der Rechnungserstellung und -bearbeitung eine privat-
ärztliche Verrechnungsstelle beauftragen oder die Abrechnung
dem Krankenhaus überlassen.
Erhöht oder vermindert sich während des Behandlungszeitraums
der Pflegekostentarif und hat dies Auswirkungen auf die verein-
barten Wahlleistungsentgelte, so gelten die sich daraus ergeben-
den Entgelte von dem Zeitpunkt an als vereinbart, in dem sie in
Kraft treten (§ 21 BPflV) …"
Die auf Zahlung von 1.369,33 € gerichtete Honorarklage des Klägers ist
von den Vorinstanzen mit der Begründung abgewiesen worden, die Wahllei-
stungsvereinbarung sei nicht formwirksam zustande gekommen. Hiergegen
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richtet sich die vom Berufungsgericht zugelassene Revision des Krankenhaus-
trägers, dem der Kläger den Streit verkündet hat und der ihm beigetreten ist.
Entscheidungsgründe
Die Revision ist nicht begründet.
1.
Nach § 22 Abs. 2 Satz 1 der - vorliegend anwendbaren - Bundespflege-
satzverordnung (BPflV) vom 26. September 1994 (BGBl. I S. 2750) sind Wahl-
leistungen vor der Erbringung schriftlich zu vereinbaren; der Patient ist vor Ab-
schluß der Vereinbarung über die Entgelte der Wahlleistungen und deren In-
halt im einzelnen zu unterrichten. Nach der Rechtsprechung des Senats, von
der abzugehen kein Anlaß besteht, ist eine Wahlleistungsvereinbarung, die
ohne hinreichende vorherige Unterrichtung des Patienten abgeschlossen wor-
den ist, unwirksam (vgl. zuletzt Senatsurteile vom 27. November 2003 - III ZR
37/03, für BGHZ 157, 87 vorgesehen = NJW 2004, 684, und vom 8. Januar
2004 - III ZR 375/02 = NJW 2004, 686, jeweils m.w.N.). Beide Vorinstanzen
haben zu Recht angenommen, daß diese Wirksamkeitsvoraussetzung der Kla-
geforderung vorliegend nicht erfüllt ist.
2.
Der Senat hat inzwischen - nach Erlaß des hier in Rede stehenden Be-
rufungsurteils - die Anforderungen präzisiert, die an eine ausreichende Unter-
richtung zu stellen sind (Urteile vom 27. November 2003 und vom 8. Januar
2004 jeweils aaO; s. dazu auch die Besprechung von Kern, LMK 2004, 59).
Danach reicht es einerseits nicht aus, wenn der Patient lediglich darauf hinge-
wiesen wird, daß die Abrechnung des selbstliquidierenden Chefarztes nach der
Gebührenordnung für Ärzte erfolge; andererseits ist es nicht erforderlich, daß
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dem Patienten unter Hinweis auf die mutmaßlich in Ansatz zu bringenden
Nummern des Gebührenverzeichnisses der Gebührenordnung für Ärzte detail-
liert und auf den Einzelfall abgestellt die Höhe der voraussichtlich entstehen-
den Arztkosten - in Form eines im wesentlichen zutreffenden Kostenanschla-
ges - mitgeteilt wird. Der Senat hat vielmehr Kriterien aufgestellt, an denen sich
die Unterrichtung des Patienten zu orientieren hat. Ausreichend ist danach in
jedem Fall:
- eine kurze Charakterisierung des Inhalts wahlärztlicher Lei-
stungen, wobei zum Ausdruck kommt, daß hierdurch ohne
Rücksicht auf Art und Schwere der Erkrankung die persönliche
Behandlung durch die liquidationsberechtigten Ärzte sicherge-
stellt werden soll, verbunden mit dem Hinweis darauf, daß der
Patient auch ohne Abschluß einer Wahlleistungsvereinbarung
die medizinisch notwendige Versorgung durch hinreichend
qualifizierte Ärzte erhält;
- eine kurze Erläuterung der Preisermittlung für ärztliche Lei-
stungen nach der Gebührenordnung für Ärzte bzw. für Zahn-
ärzte (Leistungsbeschreibung anhand der Nummern des Ge-
bührenverzeichnisses; Bedeutung von Punktzahl und Punkt-
wert; Möglichkeit, den Gebührensatz je nach Schwierigkeit und
Zeitaufwand zu erhöhen); Hinweis auf Gebührenminderung
nach § 6a der Gebührenordnung für Ärzte (GOÄ);
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- ein Hinweis darauf, daß die Vereinbarung wahlärztlicher Lei-
stungen eine erhebliche finanzielle Mehrbelastung zur Folge
haben kann;
- ein Hinweis darauf, daß sich bei der Inanspruchnahme wahl-
ärztlicher Leistungen die Vereinbarung zwingend auf alle an
der Behandlung des Patienten beteiligten liquidationsberechtig-
ten Ärzte erstreckt (vgl. § 22 Abs. 3 Satz 1 BPflV);
- und ein Hinweis darauf, daß die Gebührenordnung für Ärz-
te/Gebührenordnung für Zahnärzte auf Wunsch eingesehen
werden kann; die ungefragte Vorlage dieser Gesetzestexte er-
scheint demgegenüber entbehrlich, da diesen für sich genom-
men kein besonderer Informationswert zukommt. Der durch-
schnittliche Wahlleistungspatient ist auch nicht annähernd in
der Lage, sich selbst anhand des Studiums dieser umfängli-
chen komplizierten Regelungswerke einen Überblick über die
Höhe der auf ihn zukommenden Arztkosten zu verschaffen.
3.
Die Anwendung dieser Kriterien auf den vorliegenden Fall ergibt, daß
hier eine ausreichende Unterrichtung des Beklagten nicht festgestellt werden
kann.
a) Allerdings ist der Revision zuzugeben, daß die Unterrichtung auch
mündlich erfolgen konnte. Der Senat hat es im Urteil vom 27. November 2003
(aaO S. 685) zwar für zweckmäßig erachtet, die Unterrichtung schriftlich nie-
derzulegen; zwingendes Wirksamkeitserfordernis ist dies indessen nicht (zur
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Zulässigkeit mündlicher Unterrichtung vgl. BGH, Urteil vom 9. November 1989
- IX ZR 289/87 = NJW 1990, 761, 766; Senatsurteil vom 19. Dezember 1995
- III ZR 233/94 = NJW 1996, 781, 782).
b) Zum Inhalt der dem Beklagten erteilten Unterrichtung hatten der Klä-
ger und seine Streithelferin in den Vorinstanzen vorgetragen, es sei allgemein
und so auch im Streitfall auf die Möglichkeit verwiesen worden, die GOÄ einzu-
sehen und sich erläutern zu lassen. Weiter würden die Grundstrukturen der
GOÄ erläutert und seien auch erläutert worden. Vor Abschluß der Vereinba-
rung werde auf die Auslage der GOÄ im jeweiligen Chefarzt-Sekretariat hinge-
wiesen; fachkundige Aufklärungen über Leistungen und Kosten erfolgten auf
Nachfrage, worauf der Patient zuvor hingewiesen werde.
c) Eine Unterrichtung dieses Inhalts ist schon deshalb unzulänglich, weil
sie die Beschaffung der notwendigen Informationen letztlich der Eigeninitiative
des Patienten überläßt, indem diesem lediglich das Angebot unterbreitet wird,
ihn "auf Nachfrage" fachkundig über Leistungen und Kosten aufzuklären. Damit
können sich weder der Kläger als selbstliquidierender Chefarzt noch die Streit-
helferin als Krankenhausträgerin (und somit als die Vertragspartnerin der Ver-
einbarung über die gesonderte Berechnung; § 22 Abs. 1 Satz 1 BPflV) ihrer
Eigenverantwortung dafür entziehen, den Patienten vor Abschluß der Verein-
barung über die Entgelte der Wahlleistungen und deren Inhalt im einzelnen zu
unterrichten. Bei der Erläuterung der "Grundstrukturen der GOÄ" bleibt
- worauf die Revisionserwiderung zu Recht hinweist - im Dunkeln, was die die
Aufklärung erteilende Person unter diesen "Grundstrukturen" verstanden hat.
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d) Auch die Verfahrensrüge der Revision geht fehl, der Kläger und seine
Streithelferin hätten auf entsprechenden richterlichen Hinweis in den Vorin-
stanzen ergänzend zum Inhalt der Unterrichtung vorgetragen. Eines solchen
Hinweises bedurfte es im Berufungsrechtszug schon deshalb nicht, weil späte-
stens durch das erstinstanzliche Urteil des Amtsgerichts klargestellt worden
war, daß die Wirksamkeit der Wahlleistungsvereinbarung für den vorliegenden
Rechtsstreit von zentraler Bedeutung war; daraus ergab sich die Notwendigkeit
vollständigen und präzisen Sachvortrags zum Inhalt der dem Beklagten tat-
sächlich zuteil gewordenen Aufklärung von selbst. Zum anderen geht auch aus
der Revisionsbegründung nicht mit hinreichender Deutlichkeit hervor, welche
Informationen dem Beklagten tatsächlich erteilt worden sind, so daß Feststel-
lungen darüber, ob den oben wiedergegebenen Anforderungen der Senats-
rechtsprechung Genüge getan ist, auch auf dieser Grundlage nicht getroffen
werden können.
4.
Da zwischen dem Streithelfer und dem Beklagten keine wirksame Ver-
einbarung über wahlärztliche Leistungen zustande gekommen ist, steht dem
Kläger kein Vergütungsanspruch aus § 612 Abs. 2 BGB für die im Zusammen-
hang mit der stationären Behandlung des Beklagten erbrachten ärztlichen Lei-
stungen zu; auch ein Bereicherungsanspruch nach § 812 Abs. 1 BGB besteht
nicht (Senatsurteil vom 24. November 2003 aaO S. 686; Senatsurteil BGHZ
138, 91, 99).
Schlick
Wurm
Streck
Dörr
Galke