Urteil des BGH vom 07.05.2009

Leitsatzentscheidung

BUNDESGERICHTSHOF
BESCHLUSS
IX ZB 133/07
vom
7. Mai 2009
in dem Insolvenzverfahren
Nachschlagewerk: ja
BGHZ: nein
BGHR: ja
InsO § 295 Abs. 1 Nr. 1, Abs. 2; § 296 Abs. 1; § 300 Abs. 2
Erkennt der Schuldner in der Wohlverhaltensphase, dass er mit der von ihm ausge-
übten selbständigen Tätigkeit nicht genug erwirtschaftet, um seine Gläubiger so zu
stellen, als gehe er einer vergleichbaren abhängigen Tätigkeit nach, braucht er seine
selbständige Tätigkeit nicht sofort aufzugeben; um den Vorwurf zu entkräften schuld-
haft die Befriedigung seiner Gläubiger beeinträchtigt zu haben, muss er sich dann
aber nachweisbar um eine angemessene abhängige Beschäftigung bemühen und
- sobald sich ihm eine entsprechende Gelegenheit bietet - diese wahrnehmen.
BGH, Beschluss vom 7. Mai 2009 - IX ZB 133/07 - LG Münster
AG
Münster
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Der IX. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat durch den Vorsitzenden Richter
Dr. Ganter, die Richter Raebel und Prof. Dr. Kayser, die Richterin Lohmann und
den Richter Dr. Pape
am 7. Mai 2009
beschlossen:
Die Rechtsbeschwerde gegen den Beschluss der 5. Zivilkammer
des Landgerichts Münster vom 21. Juni 2007 wird auf Kosten des
Gläubigers als unzulässig verworfen.
Der Gegenstandswert des Rechtsbeschwerdeverfahrens wird auf
5.000 € festgesetzt.
Gründe:
I.
In dem auf Antrag des Schuldners eröffneten Insolvenzverfahren kündig-
te das Insolvenzgericht mit Beschluss vom 15. Dezember 2000 an, dass der
Schuldner Restschuldbefreiung erlange, wenn er für die Zeit von fünf Jahren ab
Aufhebung des Insolvenzverfahrens den Obliegenheiten des § 295 InsO nach-
komme. Das Insolvenzverfahren wurde am 1. Februar 2001 aufgehoben.
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Der Schuldner ist als Bauingenieur selbständig tätig. Während der Wohl-
verhaltensphase hätte er unter Berücksichtigung seiner Unterhaltsverpflichtun-
gen einen fiktiven pfändbaren Betrag von 26.788,40 € an den Treuhänder ab-
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führen müssen. Tatsächlich hat er Zahlungen in Höhe von 9.136,60 € erbracht.
Mit Beschluss vom 28. Dezember 2006 hat das Insolvenzgericht ihm unter Zu-
rückweisung eines Versagungsantrags des Gläubigers die Restschuldbefreiung
nach § 300 InsO erteilt. Die sofortige Beschwerde des Gläubigers ist erfolglos
geblieben. Mit seiner Rechtsbeschwerde verfolgt er seinen Versagungsantrag
weiter.
II.
Die gemäß §§ 7, 6 Abs. 1, § 300 Abs. 3 Satz 2 InsO, § 574 Abs. 1 Satz 1
Nr. 1 ZPO statthafte Rechtsbeschwerde ist unzulässig. Die Sache weist keine
Rechtsfragen von grundsätzlicher Bedeutung auf. Eine Entscheidung des
Rechtsbeschwerdegerichts zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung
oder zur Fortbildung des Rechts ist nicht erforderlich.
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1. Der Bundesgerichtshof hat bereits entschieden, dass § 295 Abs. 2
InsO die vom Schuldner abzuführenden Beträge vom tatsächlichen wirtschaftli-
chen Erfolg seiner selbständigen Tätigkeit ablöst. Zu berechnen ist das anzu-
nehmende fiktive Nettoeinkommen aus einem angemessenen Dienstverhältnis.
Angemessen ist nur eine dem Schuldner mögliche abhängige Tätigkeit. (BGH,
Beschl. v. 5. April 2006 - IX ZB 50/05, NZI 2006, 413, 414 Rn. 13). Im vorlie-
genden Fall scheidet eine Versagung der Restschuldbefreiung aus, weil die
Tatsacheninstanzen festgestellt haben, dass der Schuldner aufgrund seines
Alters und der problematischen Verhältnisse am Arbeitsmarkt nicht die Möglich-
keit gehabt hätte, in ein angemessenes abhängiges Beschäftigungsverhältnis
zu wechseln, bei dem er ein höheres pfändbares Einkommen hätte erzielen
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können. Die dagegen gerichteten Angriffe der Rechtsbeschwerde lassen keinen
Zulässigkeitsgrund erkennen.
2. Allgemein besteht Veranlassung zu folgenden Hinweisen: Der Gläubi-
ger, der einen Antrag stellt, dem Schuldner die Restschuldbefreiung zu versa-
gen, genügt im Fall des § 295 Abs. 2 InsO seiner Pflicht zur Glaubhaftmachung
der Obliegenheitspflichtverletzung und der Beeinträchtigung der Befriedigung
der Insolvenzgläubiger (§ 300 Abs. 2, § 296 Abs. 1 InsO), wenn er darlegt, dass
der Schuldner an den Treuhänder nicht den Betrag abgeführt hat, den er bei
Ausübung einer vergleichbaren abhängigen Tätigkeit - etwa nach BAT - hätte
abführen müssen. Der Schuldner muss sich dann von dem Vorwurf entlasten,
seine Obliegenheitspflichten schuldhaft verletzt zu haben (§ 296 Abs. 1 Satz 1
letzter Halbs. InsO). Erkennt der Schuldner in der Wohlverhaltensphase, dass
er mit der von ihm ausgeübten selbständigen Tätigkeit nicht genug erwirtschaf-
tet, um seine Gläubiger so zu stellen, als übe er eine entsprechende abhängige
Tätigkeit aus, braucht er seine selbständige Tätigkeit zunächst nicht auf-
zugeben. Er muss sich dann aber - ebenso wie ein beschäftigungsloser
Schuldner - gemäß § 295 Abs. 1 Nr. 1 InsO nachweisbar um eine angemesse-
ne Erwerbstätigkeit bemühen, um den Verschuldensvorwurf zu entkräften (AG
München ZVI 2005, 384, 385; Grote ZInsO 2004, 1105, 1107 f; Uhlenbruck/
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Vallender, InsO 12. Aufl. § 295 Rn. 73; vgl. ferner AG Neu-Ulm ZVI 2004, 131,
132; FK-InsO/Ahrens, 5. Aufl. § 295 Rn. 64; HmbKomm-InsO/Streck, 2. Aufl.,
§ 295 Rn. 26; HK-InsO/Landfermann, 5. Aufl. § 295 Rn. 12).
Ganter Raebel Kayser
Lohmann Pape
Vorinstanzen:
AG Münster, Entscheidung vom 28.12.2006 - 77 K 7/99 -
LG Münster, Entscheidung vom 21.06.2007 - 5 T 26/07 -