Urteil des BGH vom 18.10.2010

BGH (antragsteller, wiederherstellung der aufschiebenden wirkung, zulassung, widerruf, vermögensverfall, rechtsanwaltschaft, abteilung, erlass, antrag, grund)

BUNDESGERICHTSHOF
BESCHLUSS
AnwZ (B) 47/10
vom
18. Oktober 2010
in dem Verfahren
wegen Widerrufs der Zulassung zur Rechtsanwaltschaft
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Der Bundesgerichtshof, Senat für Anwaltssachen, hat durch den Präsidenten
des Bundesgerichtshofs Prof. Dr. Tolksdorf, die Richter Dr. Schmidt-Räntsch
und Dr. Schäfer sowie die Rechtsanwälte Prof. Dr. Stüer und Prof. Dr. Quaas
nach mündlicher Verhandlung
am 18. Oktober 2010
beschlossen:
Die sofortige Beschwerde des Antragstellers gegen den Beschluss
des I. Senats des Anwaltsgerichtshofs Berlin vom 24. Februar
2010 wird zurückgewiesen.
Der Antragsteller hat die Kosten des Beschwerdeverfahrens zu
tragen und der Antragsgegnerin die ihr im Beschwerdeverfahren
entstandenen notwendigen außergerichtlichen Auslagen zu erstat-
ten.
Der Geschäftswert für das Beschwerdeverfahren wird auf
50.000 € festgesetzt.
Gründe:
I.
Der Antragsteller ist seit dem 5. November 1974 im Bezirk der Antrags-
gegnerin als Rechtsanwalt zugelassen. Am 10. Dezember 2008 beschloss die
zuständige Abteilung des Vorstands der Antragsgegnerin, die Zulassung des
Antragstellers wegen Vermögensverfalls zu widerrufen. Hierüber erteilte die
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Abteilungsvorsitzende dem Antragsteller am 29. Dezember 2008 einen ent-
sprechenden Bescheid. Seinen Antrag auf gerichtliche Entscheidung gegen
diesen Bescheid hat der Anwaltsgerichtshof zurückgewiesen. Dagegen wendet
sich der Antragsteller mit der sofortigen Beschwerde.
II.
Das nach § 215 Abs. 3 BRAO i.V.m. § 42 Abs. 1 Nr. 2, Abs. 4 BRAO a.F.
zulässige Rechtsmittel bleibt ohne Erfolg.
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1. Der angefochtene Beschluss ist dem Antragsteller wirksam zugestellt
worden. Anders als der Antragsteller meint, war ihm nach § 215 Abs. 3 BRAO
i.V.m. § 40 Abs. 4 BRAO a.F., § 16 Abs. 2 FGG a.F. und §§ 315 Abs. 3, 317
Abs. 4 ZPO analog eine durch den Urkundsbeamten der Geschäftsstelle unter-
schriebene und mit dem Dienstsiegel versehene Ausfertigung des Beschlusses
zuzustellen. Das ist, wie die zurückgesandte Ausfertigung belegt, geschehen.
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2. Der Anwaltsgerichtshof war auch nicht verpflichtet, sich zunächst mit
dem parallelen Antrag des Antragstellers auf Wiederherstellung der aufschie-
benden Wirkung des für sofort vollziehbar erklärten Widerrufsbescheids nach
§ 215 Abs. 3 i.V.m. § 16 Abs. 6 Satz 5 BRAO a.F. (dazu Senat, Beschluss vom
3. August 2010 - AnwZ (B) 100/09, juris) zu befassen. Er durfte auch unmittel-
bar in eine Überprüfung des Widerrufsbescheids selbst eintreten und über des-
sen Rechtmäßigkeit entscheiden.
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3. Der Widerrufsbescheid ist (formell und materiell) rechtmäßig und ver-
letzt den Antragsteller nicht in seinen Rechten.
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a) Die Einwände des Antragstellers gegen die formelle Rechtmäßigkeit
des Widerrufsbescheids sind unbegründet.
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aa) Die Antragsgegnerin ist, was dem Antragsteller entgangen ist, nach
§ 16 Abs. 1 Satz 1 BRAO a.F. für den Erlass des Widerrufsbescheids zustän-
dig.
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bb) Der Bescheid ist dem Antragsteller, wie in entsprechender Anwen-
dung von § 41 VwVfG (heute: nach § 32 BRAO i.V.m. § 41 VwVfG) geboten,
schriftlich bekannt gemacht worden. Zu seiner ordnungsgemäßen Bekanntma-
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musste er, anders als der Antragsteller offenbar meint, nicht von allen
Mitgliedern der für die Entscheidung über den Widerruf zuständigen Abteilung
des Vorstands der Antragsgegnerin unterzeichnet sein. Diese haben zwar mit
dem Beschluss der Abteilung vom 10. Dezember 2008 an der internen Willens-
bildung der Abteilung mitgewirkt. Der dem betroffenen
Rechtsanwalt auf Grund
des Beschlusses zu erteilende Widerrufsbescheid ist Teil von dessen Ausfüh-
rung, die nach § 77 Abs. 2 und 5 i.V.m. § 80 Abs. 1 und Abs. 2 Satz 2 BRAO
der Abteilungsvorsitzenden obliegt, die den Bescheid deshalb zu Recht und
wirksam allein unterzeichnet hat.
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b) Auch in der Sache ist der Bescheid nicht zu beanstanden.
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aa) Nach § 14 Abs. 2 Nr. 7 BRAO ist die Zulassung zur Rechtsanwalt-
schaft zu widerrufen, wenn der Rechtsanwalt in Vermögensverfall geraten ist,
es sei denn, dass dadurch die Interessen der Rechtsuchenden nicht gefährdet
sind. Ein Vermögensverfall ist gegeben, wenn der Rechtsanwalt in ungeordne-
te, schlechte finanzielle Verhältnisse geraten ist, die er in absehbarer Zeit nicht
ordnen kann, und außer Stande ist, seinen Verpflichtungen
nachzukommen.
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Beweisanzeichen hierfür sind insbesondere die Erwirkung von Schuldtiteln und
Vollstreckungsmaßnahmen gegen ihn (st. Rspr.; vgl. Senat, Beschluss vom
25. März 1991 - AnwZ (B) 73/90, BRAK-Mitt. 1991, 102; Beschluss vom
21. November 1994 - AnwZ (B) 40/94, BRAK-Mitt. 1995, 126; Beschluss vom
26. November 2002 - AnwZ (B) 18/01, NJW 2003, 577).
bb) Diese Voraussetzungen lagen bei Erlass des Widerrufsbescheids
vor.
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(1) Zu diesem Zeitpunkt wurden gegen den Antragsteller folgende
Zwangsvollstreckungsverfahren betrieben:
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1. Be. Wasserbetriebe wegen
7.774,14 €,
2. Be. Bank wegen
11.778,30 €,
3.
B.
AG
wegen
440.000,00
€,
4. L. wegen
941.867,88 €,
5. H. wegen
382,73 €,
6. R. M. wegen
26.300,00 €,
7.
Justizkasse
wegen
16.000,00
€,
8. Vermieter Be. Straße wegen
17.000,00 €.
Außerdem erhob eine Firma G. eine Forderung von
9.336,14 € gegen ihn. Zur Erfüllung dieser Verbindlichkeiten aus seinen laufen-
den Einkünften war der Antragsteller nicht in der Lage. Er hatte allerdings gel-
tend gemacht, er habe verwertbares Vermögen (Geldanlage, Lebensversiche-
rungen), das er zur Tilgung eines Teils seiner Verbindlichkeiten einsetzen wolle.
Die Forderungen der B. AG seien durch ein Grundstück gesichert. Bei der
L. bemühe er sich um eine Regelung. Bei Erlass des Wi-
derrufsbescheids war dem Antragsteller aber weder eine Rückführung seiner
Schulden gelungen, noch hatte er mit den Gläubigern B. und L.
eine Regelung erreicht, die ihn wieder in die Lage versetzt hätte,
geordnet zu wirtschaften. Seine Vermögensverhältnisse waren deshalb nicht
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mehr geordnet. Das zeigt sich auch darin, dass er das Mandatsverhältnis zu
seiner Mandantin M. nutzte, um sich von ihr Darlehen gewähren zu lassen.
Es war nicht zu erkennen, ob und wie es dem Antragsteller gelingen könnte,
seine Vermögensverhältnisse wieder nachhaltig zu ordnen.
(2) Wie der Bestimmung des § 14 Abs. 2 Nr. 7 BRAO zu entnehmen ist,
geht der Gesetzgeber davon aus, dass die Interessen der Rechtsuchenden ge-
fährdet sind, wenn sich der Rechtsanwalt in Vermögensverfall befindet (Senat,
Beschluss vom 31. März 2008 - AnwZ (B) 33/07, juris). Das ist in der Regel
auch der Fall, insbesondere im Hinblick auf den Umgang des Rechtsanwalts mit
Fremdgeldern und den darauf möglichen Zugriff von Gläubigern (Senat, Be-
schluss vom 18. Oktober 2004 - AnwZ (B) 43/03, NJW 2005, 511). Anhalts-
punkte dafür, dass das hier bei Erlass des Widerrufsbescheids ausnahmsweise
nicht zutraf, sind nicht ersichtlich.
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cc) Die Voraussetzungen für den Widerruf der Zulassung sind auch nicht
nachträglich entfallen.
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(1) Im gerichtlichen Verfahren gegen Entscheidungen über den Widerruf
der Zulassung zur Rechtsanwaltschaft ist nach ständiger Rechtsprechung des
Senats zu berücksichtigen, ob der Grund für den Widerruf nachträglich entfallen
ist (Senat, Beschlüsse vom 12. November 1979 - AnwZ (B) 16/79, BGHZ 75,
356, 357 und vom 17. Mai 1982 - AnwZ (B) 5/82, BGHZ 84, 149, 150). Dem
liegt die Überlegung zugrunde, dass der Rechtsanwalt andernfalls nach Bestä-
tigung des Widerrufs sogleich wieder zur Rechtsanwaltschaft zugelassen wer-
den müsste. Erfolgt der Widerruf wegen Vermögensverfalls, besteht ein An-
spruch auf Wiederzulassung aber nur, wenn geordnete Verhältnisse zweifelsfrei
wiederhergestellt sind. Die Darlegungs- und Beweislast dafür, dass es ihm ge-
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lungen ist, den Vermögensverfall zu beseitigen, trifft den Rechtsanwalt (Senat,
Beschluss vom 10. Dezember 2007 - AnwZ (B) 1/07, BRAK-Mitt. 2008, 73 [Ls.]
= juris Rn. 8; Feuerich/Weyland, BRAO, 7. Aufl., § 14 Rn. 60). Deshalb kann ein
nachträglicher Wegfall des Vermögensverfalls auch bei der gerichtlichen Über-
prüfung des Widerrufs der Zulassung zur Rechtsanwaltschaft nur berücksichtigt
werden, wenn er zweifelsfrei nachgewiesen wird (Senat, Beschluss vom 27.
Mai 2010 - AnwZ (B) 95/08, juris).
(2) Diesen Nachweis hat der Antragsteller nicht geführt.
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(a) Er hat weder dargelegt noch belegt, dass er seine Schulden begli-
chen oder mit den Gläubigern Tilgungsvereinbarungen getroffen hätte. Seine
Vermögensverhältnisse haben sich vielmehr deutlich verschlechtert. Nach den
Angaben zu seinen wirtschaftlichen Verhältnissen, die er in einem Strafverfah-
ren wegen Beihilfe zum vorsätzlichen Betreiben unerlaubter Bankgeschäfte vor
dem Landgericht Be. nach dem in dieser Sache ergangene Urteil vom
24. Juni 2010 ( Wi Js ) gemacht hat, hat er als Rechts-
anwalt keine Einkünfte mehr. Er lebt vielmehr von einer Altersrente von 317 €
monatlich. Außerdem ist er jetzt mit mindestens einem Haftbefehl und der Ab-
gabe der eidesstattlichen Versicherung im Schuldnerverzeichnis eingetragen,
so dass Vermögensverfall bei ihm jetzt auch gesetzlich vermutet wird.
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(b) Der Antragsteller kann diese Vermutung zwar widerlegen. Dazu muss
der betroffene Rechtsanwalt aber seine Einkommens- und Vermögensverhält-
nisse umfassend darlegen (Senat, Beschlüsse vom 25. März 1991 - AnwZ (B)
80/90, NJW 1991, 2083, 2084; vom 29. September 2003
- AnwZ (B) 68/02, juris; vom 12. Januar 2004 - AnwZ (B) 26/03, juris; vom
31. März 2008 - AnwZ (B) 8/07, BRAK-Mitt. 2008, 221 [Ls]). Insbesondere muss
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er eine Aufstellung sämtlicher gegen ihn erhobenen Forderungen vorlegen und
im Einzelnen erläutern, ob diese Forderungen inzwischen erfüllt sind oder in
welcher Weise er sie zu erfüllen gedenkt. Der Antragsteller ist nach § 215 Abs.
3 BRAO i.V.m. § 36a Abs. 2 BRAO a.F. (heute § 32 BRAO i.V.m. § 26 VwVfG)
zu einer entsprechenden Mitwirkung im Verfahren verpflichtet. Das ist nicht an-
satzweise geschehen.
(c) Anhaltspunkte dafür, dass die Interessen der Rechtsuchenden nicht
mehr gefährdet wären, sind nicht ersichtlich.
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4. Der Senat konnte in Abwesenheit des Antragstellers entscheiden, da
er sein Fernbleiben in der mündlichen Verhandlung nicht ausreichend entschul-
digt hat.
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Tolksdorf
Schmidt-Räntsch
Schäfer
Stüer
Quaas
Vorinstanz:
AGH Berlin, Entscheidung vom 24.02.2010 - I AGH 3/09 -