Urteil des BGH vom 04.06.2002

BGH (anrechnung der untersuchungshaft, stgb, unterbringung, stpo, krankenhaus, zeitpunkt, hauptverhandlung, strafkammer, anordnung, erpressung)

BUNDESGERICHTSHOF
BESCHLUSS
3 StR 144/02
vom
4. Juni 2002
in der Strafsache
gegen
wegen schwerer räuberischer Erpressung u.a.
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Der 3. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat auf Antrag des Generalbun-
desanwalts und nach Anhörung des Beschwerdeführers am 4. Juni 2002 ge-
mäß § 349 Abs. 2 und 4 StPO einstimmig beschlossen:
1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landge-
richts Oldenburg vom 12. Dezember 2001 mit den zugehörigen
Feststellungen aufgehoben, soweit die Unterbringung des An-
geklagten in einer Entziehungsanstalt und in einem psychiatri-
schen Krankenhaus angeordnet worden ist.
Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhand-
lung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmit-
tels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückver-
wiesen.
2. Die weitergehende Revision wird verworfen.
Gründe:
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen schwerer räuberischer Er-
pressung und wegen schweren Raubes jeweils zu Einzelstrafen von vier Jah-
ren verurteilt und daraus eine Gesamtfreiheitsstrafe von fünf Jahren gebildet.
Außerdem hat es die Unterbringung des Angeklagten in einem psychiatrischen
Krankenhaus und einer Entziehungsanstalt angeordnet sowie bestimmt, daß
zunächst unter Anrechnung der Untersuchungshaft insgesamt 20 Monate der
Freiheitsstrafe und anschließend die Unterbringung in der Entziehungsanstalt
vollstreckt wird. Dagegen wendet sich die Revision des Angeklagten.
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Das Rechtsmittel hat Erfolg, soweit die Unterbringung des Angeklagten
in einer Entziehungsanstalt und in einem psychiatrischen Krankenhaus ange-
ordnet worden ist; im übrigen ist es unbegründet im Sinne des § 349 Abs. 2
StPO.
1. Der Beschwerdeführer beanstandet mit der auf § 265 Abs. 2 StPO ge-
stützten Verfahrensrüge zu Recht, daß er weder in der Anklageschrift noch in
dem Eröffnungsbeschluß auf die Möglichkeit seiner Unterbringung in einem
psychiatrischen Krankenhaus hingewiesen worden ist und auch in der Haupt-
verhandlung das Gericht einen solchen Hinweis nicht erteilt hat. Der Umstand,
daß in dem in der Hauptverhandlung mündlich erstatteten Gutachten des
Sachverständigen die Empfehlung ausgesprochen wurde, die Maßregel des
§ 64 StGB im Falle der Erfolglosigkeit in die des § 63 StGB umzuwandeln, des-
sen Voraussetzungen "zum derzeitigen Zeitpunkt allein deshalb nicht vorlägen,
weil die Unterbringung gemäß § 64 als ein weniger in die Freiheit einschnei-
dendes Mittel anzusehen sei", macht einen solchen gerichtlichen Hinweis nicht
entbehrlich (vgl. BGHR StPO § 265 II Hinweispflicht 6; BGH NStZ 1985, 325);
die Einführung nur durch eine Beweisperson reicht nicht aus (vgl. Engelhardt in
KK 4. Aufl. § 265 Rdn. 24 m. w. N.). Der Senat kann nicht ausschließen, daß
sich der Angeklagte bei prozeßordnungsmäßigem Verfahrensablauf anders
verteidigt und das Gericht diese Maßregel nicht angeordnet hätte. Er weist
darüber hinaus darauf hin, daß die Strafkammer im übrigen auch das Vorliegen
der Voraussetzungen des § 63 StGB nicht rechtsfehlerfrei begründet hat. Der
neue Tatrichter wird insoweit die Grundsätze zu beachten haben, wie sie der
Bundesgerichtshof in seinen Entscheidungen BGHSt 44, 338 ff. und 369 ff.
aufgestellt hat. Dabei wird auch zu berücksichtigen sein, daß maßgeblicher
Zeitpunkt für die Gefährlichkeitsprognose die Aburteilung ist (vgl. Trönd-
le/Fischer, StGB 50. Aufl. § 63 Rdn. 14).
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2. Auf die Sachrüge hin war auch die Anordnung der Unterbringung
nach § 64 StGB aufzuheben. Die Aussagen des Sachverständigengutachtens,
so wie sie in den Urteilsgründen wiedergegeben werden und wie sie sich das
Landgericht danach zu eigen gemacht hat, belegen bei dem hier vorliegenden
Zusammentreffen chronischen Rauschmittelmißbrauchs mit anderen psychi-
schen Defekten nicht zweifelsfrei die Voraussetzungen des § 64 Abs. 1 StGB;
sie entsprechen auch nicht den Anforderungen an die gemäß BVerfGE 91, 1 f.
näher darzulegende hinreichende konkrete Aussicht des Behandlungserfolges
(§ 64 Abs. 2 StGB).
Der neue Tatrichter wird Gelegenheit haben, die Anordnung von Maßre-
geln der Sicherung und Besserung insgesamt neu zu beurteilen und zu ent-
scheiden. Zur Frage eines möglichen Vorwegvollzuges weist der Senat darauf
hin, daß die im angefochtenen Urteil gegebene knappe Begründung den An-
forderungen an die Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs nicht gerecht wird
(vgl. dazu BGH bei Detter NStZ 2001, 473 m. w. N.; BGHR StGB § 67 II Vor-
wegvollzug, teilweiser 7, 9, 11, 12).
Tolksdorf Miebach Winkler
Pfister Becker