Urteil des BGH vom 21.01.2014
BGH: ware, lieferung, markt, kartellrecht, kommission, unternehmen, anbieter, einkauf, geschäftssitz, verordnung
BUNDESGERICHTSHOF
BESCHLUSS
KVR 38/13
Verkündet am:
21. Januar 2014
Bürk
Amtsinspektorin
als Urkundsbeamtin
der Geschäftsstelle
in dem Kartellverwaltungsverfahren
Nachschlagewerk:
ja
BGHZ:
nein
BGHR:
ja
Viskosefasern
GWB § 35 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 aF
Umsätze aus Warenlieferungen, die absprachegemäß direkt an einen Standort
im Inland erfolgen, sind als Inlandsumsätze zu qualifizieren. Das gilt auch dann,
wenn die Entscheidung über den Lieferauftrag von einer im Ausland ansässigen
Einkaufsorganisation eines multinationalen Unternehmens getroffen wird.
BGH, Beschluss vom 21. Januar 2014 - KVR 38/13 - OLG Düsseldorf
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Der Kartellsenat des Bundesgerichtshofs hat auf die mündliche Verhand-
lung vom 21. Januar 2014 durch den Vorsitzenden Richter Prof. Dr. Meier-Beck
und die Richter Prof. Dr. Strohn, Dr. Kirchhoff, Dr. Bacher und Dr. Deichfuß
beschlossen:
Die  Rechtsbeschwerden  der  Betroffenen  zu  1  und  2  gegen  den
Beschluss des 1. Kartellsenats des Oberlandesgerichts Düsseldorf
vom 15. Mai 2013 werden zurückgewiesen.
Die  Betroffenen  zu 1  und  2  haben  die  Kosten  des  Rechtsbe-
schwerdeverfahrens  einschließlich  der  zur  zweckentsprechenden
Erledigung  der  Angelegenheit  notwendigen  Auslagen  des  Bun-
deskartellamts zu tragen.
Der  Wert  des  Rechtsbeschwerdeverfahrens  wird  auf  10  Mio.
€
festgesetzt.
Gründe:
I.  Die  Betroffene  zu  1  gehört  zum  Konzern  der  B  &  C  Industrieholding
GmbH,  deren  Anteile  von  der  B  &  C  Privatstiftung  gehalten  werden.  Sie  ist
weltweit  in  der  Herstellung  und  dem  Vertrieb  von  Fasermaterial  aus  Zellulose
(Viskose)  tätig.  Die  Betroffene  zu  1  produziert  solche  Fasern  für  den  textilen
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Bereich, fertigt und vertreibt aber auch Viskosematerial, das für die Herstellung
von Tampons Verwendung findet.
Die  Betroffene  zu  2  beschäftigt  sich  ebenfalls  mit  der  Herstellung  und
dem Vertrieb von Fasermaterial auf Zellulosebasis. Auch zu ihrer Produktpalet-
te  gehört  Viskosematerial,  das  für  die  Herstellung  von  Tampons  geeignet  ist.
Sämtliche Anteile an der Betroffenen zu 2 hält die Kelheim Fibres GmbH. Deren
Obergesellschaft ist  die  EQUI  Fibres  Beteiligungsgesellschaft  mbH, an der die
Betroffene zu 1 mit 45% beteiligt ist.
Die Betroffene zu 1 beabsichtigt, von der Kelheim Fibres GmbH 90% der
Anteile an der Betroffenen zu 2 zu erwerben.
Die Betroffenen haben mit Schreiben vom 24. Mai 2012 den beabsichtig-
ten Anteilserwerb angemeldet und sich auf den Standpunkt gestellt, das Vorha-
ben betreffe nur einen Bagatellmarkt.
Mit  Beschluss  vom  22.  November  2012  hat  das  Bundeskartellamt  den
Zusammenschluss untersagt. Zur Begründung  hat es ausgeführt, es sei zu er-
warten, dass der Zusammenschluss eine marktbeherrschende Stellung der Be-
troffenen  auf  dem  mindestens  europaweiten  Markt  für  Tamponfasermaterial
begründe bzw. verstärke. Sehe man als sachlich relevanten Markt den Markt für
Tamponfasermaterial aus Viskose an, führe der beabsichtigte Anteilserwerb zu
einem Monopol. Beziehe man Fasern aus Baumwolle ein, werde jedenfalls die
marktbeherrschende  Stellung  der  Betroffenen  zu  2  verstärkt.  Der  Zusammen-
schluss  sei  kontrollpflichtig,  weil  die  beteiligten  Unternehmen  die  Umsatz-
schwellen nach § 35 Abs. 1 und 2 GWB aF überschritten. Für die Anwendung
der Bagatellmarktklausel (§ 35 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 GWB aF) seien nicht ledig-
lich die Umsätze mit Tamponfasermaterial in Höhe von etwa 9,6 Mio.
€ zu be-
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rücksichtigen,  die  die  Betroffenen  mit  Kunden  erzielten,  die  ihren  Sitz  in
Deutschland  haben  und  bei  denen  Liefer-  und  Rechnungsadresse  überein-
stimmten. Vielmehr seien auch die Umsätze von rund 10 Mio.
€ einzubeziehen,
die  die  Betroffenen  im  Jahr  2011  mit  Johnson  &  Johnson  aus  Lieferung  von
Tamponfasermaterial  an  deren  Produktionsstätte  in  Wuppertal  erzielt  haben.
Dem  stehe  nicht  entgegen,  dass  der  Einkauf  dieser  Ware  durch  die  für  den
zentralen Einkauf von Johnson & Johnson zuständige Cilag GmbH International
mit Sitz in der Schweiz erfolge. Maßgeblich sei, dass die Ware vereinbarungs-
gemäß im Wege des Streckengeschäfts direkt nach Wuppertal geliefert werde.
Daher  seien  die  entsprechenden  Umsätze  als  inländische  Umsätze  zu  qualifi-
zieren. Dies entspreche dem Verständnis der Regelung in Art. 5 Abs. 1 Unter-
abs.  2  FKVO  durch  die  Kommission  gemäß  ihrer  Konsolidierten  Mitteilung  zu
Zuständigkeitsfragen gemäß der Verordnung (EG) Nr. 139/2004 des Rates über
die  Kontrolle  von  Unternehmenszusammenschlüssen  (ABl.  C 43  vom
21. Februar 2009).
Die  Beschwerde  der  Betroffenen  gegen  diesen  Beschluss  ist  erfolglos
geblieben.  Hiergegen  richtet  sich  die  vom  Beschwerdegericht  zugelassene
Rechtsbeschwerde.
II.  Das  Beschwerdegericht  (OLG  Düsseldorf,  WuW/E  DE-R  3934  =
NZKart  2013,  299)  hat  die  Anwendbarkeit  der  Bagatellmarktklausel  verneint.
Zur Begründung hat es ausgeführt:
Sinn und Zweck der Bagatellmarktklausel sei es,  Vorhaben von der Zu-
sammenschlusskontrolle  auszunehmen,  die  einen  im  Inland  unbedeutenden
Markt beträfen. Maßgebliches Kriterium hierfür sei allein der Inlandsumsatz. Die
genannte Norm stehe außerdem in Zusammenhang mit der Kollisionsnorm des
§  130  Abs.  2  GWB,  wonach  das  deutsche  Kartellrecht  auf  Wettbewerbsbe-
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schränkungen anzuwenden sei, die sich im Bundesgebiet auswirkten. Im Streit-
fall  sei  es  unter  beiden  Aspekten  geboten,  den  Inlandsumsatz  ohne  Rücksicht
auf den Ort des Vertragsschlusses oder den Geschäftssitz des Käufers anhand
aller  Warenmengen  zu  bestimmen,  die  auf  deutschem  Boden  abgesetzt  wer-
den.  Daher  seien  auch  die  Umsätze  der  Betroffenen  aus  Lieferungen  an  den
Produktionsstandort  von  Johnson  &  Johnson  in  Wuppertal  einzubeziehen.  Zu
berücksichtigen seien sämtliche Geschäfte, die einen genügenden wettbewerb-
lichen Bezug zum Inland aufwiesen.  Dazu gehörten alle Geschäftsabschlüsse,
die  eine  Lieferung  der  betreffenden  Ware  in  das  Bundesgebiet  zum  Gegen-
stand  hätten,  denn  solche  Lieferungen  deckten  den  inländischen  Bedarf  und
beeinflussten die Markt- und Wettbewerbsverhältnisse in Deutschland. Die An-
knüpfung an den Lieferort trage überdies dem Umstand Rechnung,  dass beim
Verkauf von Waren die Lieferung die charakteristische Vertragsleistung darstel-
le und der Wettbewerb der Anbieter gerade um eine Belieferung des betreffen-
den  Lieferorts  stattfinde.  Auf  die  Belegenheit  des  Vertragsorts  und  den  Ge-
schäftssitz  des  Käufers  komme  es  demgegenüber  auch  dann  nicht  an,  wenn
- wie hier - ein multinationales Unternehmen den Einkauf zentral organisiert ha-
be.
Das  Bundeskartellamt  habe  weiter  die  Untersagungsvoraussetzungen
des § 36 Abs. 1 GWB zutreffend bejaht.
III. Die Rechtsbeschwerde hat keinen Erfolg. Das Oberlandesgericht hat
die Beschwerde zu Recht zurückgewiesen.
1. Maßgeblich für die Beurteilung des Rechtsstreits ist das Gesetz gegen
Wettbewerbsbeschränkungen in der bis zum 29. Juni 2013 geltenden Fassung.
Die  Frage,  ob  das  Vorhaben  kontrollpflichtig  ist,  muss  nach  den  im  Verwal-
tungsverfahren zu prüfenden tatsächlichen und rechtlichen Verhältnissen beur-
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teilt  werden;  auf  Veränderungen  dieser  Verhältnisse,  die  sich  nachträglich  bis
zum  Zeitpunkt  der  mündlichen  Verhandlung vor  dem  Beschwerdegericht  erge-
ben, kommt es insoweit - trotz des Charakters der Untersagungsverfügung als
Verwaltungsakt  mit  Dauerwirkung  -  nicht  an  (BGH,  Beschluss  vom
21. Dezember 2004 - KVR 26/03, WuW/E DE-R 1419 - trans-o-flex).
2.  Das  Zusammenschlussvorhaben  ist  kontrollpflichtig.  Die  Vorausset-
zungen der Bagatellmarktklausel des § 35 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 GWB aF liegen
nicht  vor.  Nach  dieser  Regelung  finden  die  Vorschriften  über  die  Zusammen-
schlusskontrolle  keine  Anwendung,  wenn  ein  Markt  betroffen  ist,  auf  dem  seit
mindestens fünf Jahren Waren oder gewerbliche Leistungen angeboten werden
und auf dem im letzten Kalenderjahr weniger als 15
Mio. € umgesetzt wurden.
Diese  Umsatzschwelle  ist  entgegen  der  Auffassung  der  Rechtsbeschwerde
überschritten.
a)  Das  Zusammenschlussvorhaben  betrifft  den  räumlich  (mindestens)
europaweit abzugrenzenden Markt für Fasern, die für die Herstellung von Tam-
pons eingesetzt werden. Zur Anwendung der Bagatellmarktklausel ist in sachli-
cher Hinsicht auf diesen Markt abzustellen, räumlich dagegen nur auf das Ge-
biet der Bundesrepublik Deutschland. Die Klausel soll verhindern, dass ein Zu-
sammenschluss  untersagt  werden  muss,  obwohl  seine  Auswirkungen  in
Deutschland  nur  marginal  sind.  Für  die  Anwendung  der  Bagatellmarktklausel
kommt  es  daher,  wovon  das  Beschwerdegericht  zutreffend  ausgegangen  ist,
allein  auf  die  im  Inland  erzielten  Umsätze  an  (BGH,  Beschluss  vom  25.  Sep-
tember 2007 - KVR 19/07, BGHZ 174, 12 - Sulzer/Kelmix). Ob der Markt sach-
lich  auf  Viskosefasern  begrenzt  ist  oder  auch  Baumwollfasern  umfasst,  bedarf
keiner Klärung, weil der im Inland erzielte Umsatz auch auf dem Markt für Tam-
ponfasermaterial aus Viskose über 15 Mio.
€ liegt.
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b) Die  zur Anwendung von § 35 Abs.  2 Satz 1 Nr.  2 GWB aF  - ebenso
wie  für  diejenige  von  Art.  5  Abs.  1  Unterabs.  2  FKVO  -  erforderliche  Marktab-
grenzung setzt eine geographische Zuordnung von Umsätzen voraus.
Ausgangspunkt der Marktabgrenzung ist nach ständiger Rechtsprechung
des  Bundesgerichtshofs  das  Bedarfsmarktkonzept  (BGH,  Beschluss  vom
6. Dezember  2011  -  KVR  95/10,  BGHZ  192,  18  Rn.  27  -  Total/OMV).  Für  die
Bestimmung  des  relevanten  Marktes  kommt  es  danach darauf  an,  welche  Un-
ternehmen in der Lage sind, die Nachfrage zu befriedigen, also die Waren dort-
hin zu liefern oder die Dienstleistungen dort zu erbringen, wo sie benötigt wer-
den.  Die  hierzu  entwickelten  Kriterien  sind  auch  für  die  geographische  Zuord-
nung von Umsätzen aus Geschäften über die Lieferung von Waren von Bedeu-
tung.  Auch hierfür kommt  es grundsätzlich  auf den Ort an,  an dem  der Bedarf
besteht  und  auf  den  sich  deshalb  die  Nachfrage  bezieht.  Fallen  der  Kunden-
standort und der Lieferort als Ort der charakteristischen Leistung auseinander,
ist danach der Ort der Lieferung ausschlaggebend.
aa)  Schließt  ein  im  Ausland  ansässiges  Unternehmen  mit  einem  im  In-
land  ansässigen  Abnehmer  einen  Vertrag  über  die  Lieferung  von  Waren  und
liefert  es  die  Waren  nach  Deutschland,  handelt  es  sich  um  inländischen  Um-
satz.  In  einem  solchen  Fall  steht  außer  Zweifel,  dass  sich  der  Lieferant  im  In-
land dem Wettbewerb stellen muss. Die Betroffenen stellen daher - zu Recht -
nicht in Frage, dass die Umsätze von knapp 10
Mio. €, die sie mit Kunden erzie-
len, die ihren Sitz in Deutschland haben und denen die Ware in das Bundesge-
biet  zu  liefern  ist,  im  Inland  angefallen  sind,  auch  soweit  es  sich  um  Umsätze
der in Österreich ansässigen Betroffenen zu 1 handelt.
bb) Um inländischen Umsatz handelt es sich jedoch auch dann, wenn die
Einkaufsorganisation eines multinationalen Unternehmens im Ausland ansässig
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ist, die von ihr georderte Ware aber nicht an deren Sitz verbracht und anschlie-
ßend  vom  Käufer  verteilt,  sondern  vereinbarungsgemäß  direkt  an  den  deut-
schen Standort geliefert wird. Auch in diesem Fall ist für die geographische Zu-
ordnung  des  Umsatzes  maßgeblich,  wo  der  Bedarf  besteht,  der  durch  die  zu
liefernde Ware gedeckt  werden soll.  Der Umsatz ist  daher nicht dem Land zu-
zuordnen,  in  dem  die  Einkaufsorganisation  ihren  Sitz  hat,  sondern  dem  Land,
für das die Waren bestimmt sind.
Diese  Zuordnung  ist  sachgerecht,  weil  die  für  den  Wettbewerb  erhebli-
chen Umstände durch die Verhältnisse am Ort der Lieferung bestimmt werden.
Weiß  der  Anbieter,  dass  die  Ware  für  den  deutschen  Standort  bestimmt  und
von ihm dorthin zu liefern ist, muss er bereits bei der Erarbeitung seines Ange-
bots  die  Besonderheiten  beachten,  die  sich  aus  dem  Sitz  des  Empfängers  im
Inland  ergeben.  Sein  Angebot  wird  nur  dann  berücksichtigt  werden,  wenn  es
den  Wettbewerbsbedingungen  des  deutschen  Standorts,  insbesondere  dem
dortigen Preisniveau und den für den Transport nach Deutschland anfallenden
Kosten, Rechnung trägt. So wird es etwa für seine Kalkulation eine Rolle spie-
len, ob es einen Wettbewerber gibt, der nahe am Standort des Kunden produ-
ziert und daher niedrigere Transportkosten hat. Je nach Art der Ware muss er
überdies  darauf  achten,  dass  diese  den  gesetzlichen  Regelungen  am  Bestim-
mungsort,  etwa  hinsichtlich  Verpackung,  Einfuhrbegrenzungen,  Informations-
pflichten,  Produktsicherheit  und  dergleichen  mehr  entspricht.  Die  genannten
Faktoren  haben,  je  nach  der  Art  der Ware  in  unterschiedlichem  Ausmaß,  Ein-
fluss auf die Kosten und sind damit für die wettbewerbliche Situation des Anbie-
tenden von Bedeutung. Entsprechend wirkt sich, wenn sich ein im Ausland an-
sässiger  Anbieter  mit  seinem  Angebot  durchsetzt,  die  Lieferung  der  Ware  an
den deutschen Standort auf die wettbewerbliche Situation im Inland aus.
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Danach  sind  Umsätze  aus  Warenlieferungen,  die  absprachegemäß  di-
rekt  an  einen  Standort  im  Inland  erfolgen,  ungeachtet  dessen,  dass  die  Ent-
scheidung über das Angebot im Ausland, am Sitz des Zentraleinkaufs, getroffen
wird, als Inlandsumsätze zu qualifizieren. Entgegen der Auffassung der Rechts-
beschwerde sind mithin auch die weiteren Umsätze in Höhe von rund 10 Mio.
€,
die  die  Betroffenen  im  Jahr  2011  aus  Lieferungen  von  Viskosefasern  für  die
Herstellung von Tampons an den in Wuppertal gelegenen Produktionsstandort
von Johnson & Johnson erzielt haben, zu berücksichtigen.
Dies deckt sich mit der Auffassung der Kommission zur Anwendung von
Art. 5 Abs. 1 Unterabs. 2 FKVO. In der Konsolidierten Mitteilung der Kommissi-
on zu Zuständigkeitsfragen gemäß der Verordnung (EG) Nr. 139/2004 des Ra-
tes  über  die  Kontrolle von  Unternehmenszusammenschlüssen  (ABl.  C  43  vom
21. Februar 2009) behandelt sie in  Randnummer 198 die besondere Situation,
die  entsteht,  wenn  ein  multinationales  Unternehmen  eine  gemeinschaftsweite
Einkaufsstrategie  verfolgt  und  seinen  gesamten  Bedarf  an  einer  Ware  von  ei-
nem Standort aus deckt. Wird die Ware von einer zentralen Einkaufsorganisati-
on  erworben  und  an  diese  geliefert,  um  anschließend  intern  an  verschiedene
Standorte  in  mehreren  Mitgliedstaaten  geliefert  zu  werden,  ist  dieser  Umsatz
nach  Auffassung  der  Kommission  nur  dem  Mitgliedstaat  zuzurechnen,  in  dem
sich  die  zentrale  Einkaufsorganisation  befindet.  Anders  verhalte  es  sich  aber
bei  direkten  Verbindungen  zwischen  dem  Verkäufer  und  den  verschiedenen
Tochtergesellschaften.  Werden  die  einzelnen  Aufträge  über  die  zentrale  Ein-
kaufsorganisation  erteilt,  die  Waren  aber  direkt  an  die  Tochtergesellschaften
geliefert,  sei  der  Umsatz  den  verschiedenen  Mitgliedstaaten  zuzurechnen,  in
denen  sich  die  Tochtergesellschaften  befinden.  Dies  gelte  unabhängig  davon,
wer  die  Rechnung  erhalte  und  die  Ware  bezahle.  Zur  Begründung  weist  die
Kommission  zutreffend  darauf  hin,  dass  in  diesem  Fall  ein Wettbewerb  mit  al-
ternativen Lieferanten um die Lieferung der Waren an die verschiedenen Toch-
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tergesellschaften stattfinde,  auch wenn der Vertrag zentral geschlossen werde
(wie  hier  Körber  in  Immenga/Mestmäcker,  Wettbewerbsrecht,  5.  Aufl.,  Art.  5
FKVO  Rn.  34;  Völcker  in  Frankfurter  Kommentar  Kartellrecht,  Art.  5  FKVO
Rn. 32;  Ablasser-Neuhuber  in  Loewenheim/Meessen/Riesenkampff,  Kartell-
recht,  2.  Aufl.,  Art.  5  FKVO  Rn.  9;  Schütz  in  Kölner  Kommentar  zum  Kartell-
recht,  Art.  5  FKVO  Rn.  12;  aA  Wessely  in  MünchKomm-KartR,  Art.  5  FKVO
Rn. 15;  Baron  in  Langen/Bunte,  Kartellrecht,  11.  Aufl.,  Art.  5  FKVO  Rn.  35;
Mäger, Europäisches Kartellrecht, 2. Aufl., S. 357).
cc) Die Rechtsbeschwerde hält der Auffassung des Beschwerdegerichts
entgegen,  sie  eröffne  den  Zusammenschlusswilligen  Manipulationsmöglichkei-
ten. Wäre stets der Ort der Lieferung maßgeblich, könne eine im Inland gelege-
ne  zentrale  Einkaufsorganisation  allein  durch  Bestimmung  des  Lieferortes  das
Ergebnis  der  Fusionskontrolle  beeinflussen,  indem  Umsatzvolumen  nach  Be-
darf verteilt werde. Nachdem es in aller Regel erheblich weniger Aufwand ver-
ursacht, eine zentrale Einkaufsorganisation zu verlagern als Produktionsstand-
orte,  an  denen  die  zu  liefernde  Ware  verarbeitet  wird,  greift  dieser  Einwand
nicht durch.
3.  Das  Beschwerdegericht  ist  mit  dem  Bundeskartellamt  davon  ausge-
gangen,  dass  das  Vorhaben  die  Zusammenschlusstatbestände  nach  § 37
Abs. 1 Nr. 2 und Nr. 3a GWB aF erfüllt und die Untersagungsvoraussetzungen
nach § 36 GWB aF vorliegen. Dies lässt keinen Rechtsfehler erkennen und wird
auch von der Rechtsbeschwerde nicht angegriffen.
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IV. Die Kostenentscheidung beruht auf § 78 Satz 2 GWB.
Meier-Beck
Strohn
Kirchhoff
Bacher
Deichfuß
Vorinstanz:
OLG Düsseldorf, Entscheidung vom 15.05.2013 - VI-Kart 10/12 (V) -
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