Urteil des BGH vom 14.08.2002
BGH (antragsteller, beschwerde, hauptsache, zpo, zulassung, antrag, erklärung, interesse, bremen, zweck)
BUNDESGERICHTSHOF
BESCHLUSS
AnwZ (B) 66/02
vom
29. September 2003
in dem Verfahren
Nachschlagewerk:
ja
BGHZ:
nein
BGHR:
ja
BRAO § 42
In Zulassungssachen ist eine sofortige Beschwerde gegen eine nachteilige
Entscheidung des Anwaltsgerichtshofs unzulässig, wenn sie allein im Ko-
steninteresse zu dem Zweck eingelegt worden ist, im Hinblick auf ein vor
Einlegung des Rechtsmittels eingetretenes Ereignis die Erledigterklärung
der Hauptsache durch das Beschwerdegericht herbeizuführen.
BGH, Beschluß vom 29. September 2003 - AnwZ (B) 66/02 - AGH Bremen
wegen Zulassung als Rechtsanwalt beim Oberlandesgericht
hier: Erledigung der Hauptsache
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Der Bundesgerichtshof, Senat für Anwaltssachen, hat durch die Vorsitzende
Richterin Dr. Deppert, den Richter Schlick, die Richterin Dr. Otten und
den Richter Dr. Frellesen sowie die Rechtsanwälte Dr. Schott, Dr. Frey und
Dr. Wosgien am 29. September 2003
beschlossen:
Die sofortige Beschwerde des Antragstellers gegen den Beschluß
des 2. Senats des Anwaltsgerichtshofs der Freien Hansestadt
Bremen vom 14. August 2002 wird als unzulässig verworfen.
Der Antragsteller hat die Kosten des Beschwerdeverfahrens zu
tragen und der Antragsgegnerin die ihr im Beschwerdeverfahren
entstandenen notwendigen außergerichtlichen Auslagen zu er-
statten.
Der Gegenstandswert des Beschwerdeverfahrens wird auf 500
festgesetzt.
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Gründe
I.
Der Antragsteller ist seit 1988 als Rechtsanwalt bei dem Amtsgericht
H. und bei dem Landgericht B. zugelassen. Im Dezember 2001/Ja-
nuar 2002 beantragte der Antragsteller bei der jeweils zuständigen Stelle, ihn
zugleich als Rechtsanwalt beim Oberlandesgericht H. , beim ...
Oberlandesgericht in B. , beim Oberlandesgericht O. und beim ...
Oberlandesgericht in J. zuzulassen. Mit Bescheid vom 23. Januar
2002 wies die Antragsgegnerin den Antrag, den Antragsteller beim ...
Oberlandesgericht in B. als Rechtsanwalt zuzulassen, mit der Be-
gründung zurück, nach § 226 Abs. 2 BRAO könne der Antragsteller nur bei
dem Oberlandesgericht H. als dem dem Landgericht B. übergeord-
neten Gericht, nicht aber bei anderen Oberlandesgerichten zugelassen wer-
den.
Den Antrag auf gerichtliche Entscheidung hat der Anwaltsgerichtshof mit
Beschluß vom 14. August 2002 zurückgewiesen. Dagegen wendet sich der
Antragsteller mit seiner durch Schriftsatz vom 19. August 2002 eingelegten und
am nächsten Tag beim Anwaltsgerichtshof eingegangenen sofortigen Be-
schwerde. Er beantragt, im Hinblick auf die am 1. August 2002 in Kraft getrete-
ne Änderung des § 78 Abs. 1 ZPO durch das OLG-Vertretungsänderungsge-
setz vom 23. Juli 2002 (BGBl. I S. 2850) das Verfahren für erledigt zu erklären
und der Antragsgegnerin die Kosten aufzuerlegen.
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II.
Die sofortige Beschwerde ist als unzulässig zu verwerfen, weil § 42
BRAO dem Antragsteller nicht die Möglichkeit eröffnet, eine ihm nachteilige
Zulassungsentscheidung des Anwaltsgerichtshofs allein im Kosteninteresse
zum Zweck der Erklärung der Erledigung der Hauptsache in der höheren In-
stanz anzufechten.
1.
Nach der bei Stellung des Antrags auf Zulassung als Rechtsanwalt
bei dem ... Oberlandesgericht in B. geltenden Rechtslage konnte
nach § 78 Abs. 1 ZPO in der Fassung des Gesetzes zur Änderung des Geset-
zes zur Neuordnung des Berufsrechts der Rechtsanwälte und der Patentan-
wälte vom 17. Dezember 1999 (BGBl. I S. 2448) jeder Rechtsanwalt vor allen
Landgerichten auftreten; jedoch war bei den Gerichten des höheren Rechtszu-
ges nur ein beim Prozeßgericht zugelassener Rechtsanwalt postulationsfähig.
Die Anträge des Antragstellers, ihn nicht nur beim Oberlandesgericht
H. , sondern auch bei drei weiteren Oberlandesgerichten - unter anderem
dem ... Oberlandesgericht B. - als Rechtsanwalt zuzulassen,
zielten darauf ab, die bei wortlautgetreuer Anwendung des § 78 Abs. 1 ZPO
a.F. in Verbindung mit § 226 Abs. 2 BRAO bestehenden Einschränkungen der
anwaltlichen Berufsausübungsfreiheit zu beseitigen und ihm die Möglichkeit zu
eröffnen, bei mehreren Oberlandesgerichten anwaltlich tätig werden zu kön-
nen.
Durch das insoweit am 1. August 2002 in Kraft getretene OLG-Vertre-
tungsänderungsgesetz ist auch bei den Oberlandesgerichten das Erfordernis
der Lokalisation bei dem jeweiligen Gericht für die Postulationsfähigkeit besei-
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tigt worden. Seitdem können sich die Prozeßparteien bei den Oberlandesge-
richten durch jeden Rechtsanwalt vertreten lassen, der bei irgendeinem Ober-
landesgericht zugelassen ist.
Durch diese Gesetzesänderung ist vor der Einlegung der sofortigen Be-
schwerde durch den Antragsteller und noch vor der Entscheidung des An-
waltsgerichtshofs das Bedürfnis dafür entfallen, sich den allgemeinen Zugang
zur anwaltlichen Tätigkeit bei den Oberlandesgerichten durch "Mehrfachzulas-
sungen" zu verschaffen. Dementsprechend verfolgt der Antragsteller mit seiner
sofortigen Beschwerde den Antrag auf Zulassung als Rechtsanwalt beim ...
Oberlandesgericht in B. nicht mehr weiter.
2.
a) Nach § 42 BRAO steht dem Rechtsanwalt gegen die Entscheidung
des Anwaltsgerichtshofs die sofortige Beschwerde nur in den in Absatz 1 Nr. 1
bis 5 angeführten Fällen zu. Danach ist sie weder gegen die Feststellung der
Erledigung der Hauptsache noch gegen die Kostenentscheidung oder die
Festsetzung des Geschäftswerts gegeben (vgl. Senatsbeschlüsse vom 19. No-
vember 2001 - AnwZ (B) 71/00 - und vom 3. März 1997 - AnwZ (B) 57/96 -
BRAK-Mitt. 1997, 128 m.Nachw.).
Eine Ausnahme hiervon ist für den Fall zu machen, daß der Anwaltsge-
richtshof die Hauptsache für erledigt erklärt und über die Kosten entschieden
hat, obwohl der Antragsteller seinen Sachantrag aufrechterhalten hat, da hier
der Antrag auf gerichtliche Entscheidung der Sache nach als unzulässig ange-
sehen und damit im Sinne des § 42 Abs. 1 BRAO zurückgewiesen worden ist
(Senatsbeschluß vom 13. Januar 2003 - AnwZ (B) 59/01 - AnwBl. 2003, 367
m. Nachw.). Darum geht es hier nicht.
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b) § 42 Abs. 1 BRAO setzt danach grundsätzlich voraus, daß der An-
tragsteller mit der sofortigen Beschwerde sein vom Anwaltsgerichtshof zurück-
gewiesenes Hauptsachebegehren - hier: Zulassung bei einem Gericht nach
Nummer 4 dieser Bestimmung - weiterverfolgt.
Dies gilt freilich nicht ausnahmslos. Auch wenn die Bundesrechtsan-
waltsordnung kein der Fortsetzungsfeststellungsklage des § 113 Abs. 1 Satz 4
VwGO entsprechendes Feststellungsbegehren vorsieht und deshalb nach der
ständigen Rechtsprechung des Senats ein Feststellungsbegehren regelmäßig
unzulässig ist, kann es im Einzelfall statthaft sein, vom Anfechtungs- bzw. Ver-
pflichtungsantrag zum Feststellungsbegehren überzugehen. Das setzt aber
voraus, daß der Antragsteller andernfalls ohne effektiven Rechtsschutz (Art. 14
Abs. 4 GG) bliebe, obwohl er in seinen Rechten beeinträchtigt ist, und die be-
gehrte Feststellung eine Rechtsfrage klären hilft, die sich der Justizverwaltung
und dem Antragsteller bei künftigen Gelegenheiten ebenso stellen wird (vgl.
Senatsbeschlüsse BGHZ 137, 200, 201 f und vom 13. Januar 2003 aaO
m.w.N.).
Ein derartig "qualifiziertes" Feststellungsinteresse des Antragstellers an
der Klärung der Rechtmäßigkeit der angegriffenen Verfügung vom 23. Januar
2002 der Antragsgegnerin ist nicht dargetan und angesichts der dem Anliegen
des Antragstellers voll entsprechenden Änderung des § 78 Abs. 1 ZPO durch
das OLG-Vertretungsänderungsgesetz auch fernliegend.
3.
Erschöpft sich - wie hier - das Interesse des Beschwerdeführers an der
Erklärung der Erledigung der Hauptsache durch die höhere Instanz darin, die
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sich aus der angefochtenen Entscheidung ergebenden nachteiligen Kostenfol-
gen zu beseitigen, so ist dieses Interesse nach dem Regelungskonzept des
§ 42 BRAO nicht hinreichend schutzwürdig, um die Anrufung des Bundesge-
richtshofs zu rechtfertigen. § 42 BRAO soll, wie sich aus den obigen Ausfüh-
rungen ergibt, nur in den Fällen, in denen die Entscheidung des Anwaltsge-
richtshofs für die berufliche Existenz des Rechtsanwalts von weittragender Be-
deutung ist, dem Antragsteller ohne weiteres - also insbesondere ohne aus-
drückliche Zulassung des Rechtsmittels durch den Anwaltsgerichtshof (vgl.
§ 223 Abs. 3 BRAO) - die Möglichkeit eröffnen, die Überprüfung der materiellen
Richtigkeit dieser Entscheidung durch den Bundesgerichtshof herbeizuführen.
Die Rechtslage ist insoweit im anwaltsgerichtlichen Verfahren eine andere als
im allgemeinen Zivilprozeß (vgl. dazu Zöller/Vollkommer, ZPO, 23. Aufl., § 91a
Rn. 38 unter Hinweis auf BGH, Urteile vom 7. November 1974 - III ZR 115/72 -
NJW 1975, 539, 540 und vom 29. April 1992 - XII ZR 221/90 - NJW-RR 1992,
1032, 1033).
3.
Es versteht sich, daß auch im anwaltsgerichtlichen Verfahren die Zuläs-
sigkeit des Rechtsmittels nicht in Frage gestellt wird, wenn die Erledigung der
Hauptsache - wie regelmäßig - erst nach der Einlegung der sofortigen Be-
schwerde eintritt (vgl. BGHZ 50, 197, 199).
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4.
Der Senat kann ohne mündliche Verhandlung entscheiden, da die Betei-
ligten ausdrücklich auf sie verzichtet haben (§ 42 Abs. 6 Satz 1 i.V.m. § 40
Abs. 2 Satz 2 BRAO), und das Rechtsmittel darüber hinaus als unzulässig ver-
worfen worden ist (BGHZ 44, 25).
Deppert
Schlick
Otten
Frellesen
Schott
Frey
Wosgien