Urteil des BGH vom 16.04.2008
Leitsatzentscheidung
BUNDESGERICHTSHOF
BESCHLUSS
XII ZB 214/04
vom
16. April 2008
in der Familiensache
Nachschlagewerk: ja
BGHZ: nein
BGHR: ja
ZPO § 91 Abs. 2 Satz 1 Halbs. 2
Die durch die Terminswahrnehmung anfallenden Reisekosten eines am Wohn-
oder Geschäftssitz der auswärtigen Partei ansässigen Prozessbevollmächtigten
sind regelmäßig nach § 91 Abs. 2 Satz 1 Halbs. 2 ZPO als zur zweckentspre-
chenden Rechtsverfolgung notwendig anzusehen und damit erstattungsfähig.
Dieser Grundsatz gilt selbst dann, wenn der sachbearbeitende Rechtsanwalt
einer überörtlichen Anwaltssozietät angehört, die auch am Sitz des Prozessge-
richts mit dort postulationsfähigen Rechtsanwälten vertreten ist.
BGH, Beschluss vom 16. April 2008 - XII ZB 214/04 - Kammergericht Berlin
AG
Tempelhof-Kreuzberg
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Der XII. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat am 16. April 2008 durch die
Vorsitzende Richterin Dr. Hahne und die Richter Sprick, Weber-Monecke,
Prof. Dr. Wagenitz und Dose
beschlossen:
Auf die Rechtsbeschwerde der Klägerin wird der Beschluss des
19. Zivilsenats - Senat für Familiensachen - des Kammerge-
richts in Berlin vom 5. August 2004 aufgehoben.
Die Sache wird zur erneuten Behandlung und Entscheidung,
auch über die Kosten des Rechtsbeschwerdeverfahrens, an das
Kammergericht in Berlin zurückverwiesen.
Beschwerdewert: bis 600 €
Gründe:
I.
Die in Bonn wohnende Klägerin nahm den Beklagten vor dem Amtsge-
richt - Familiengericht - Tempelhof-Kreuzberg und dem Kammergericht auf Zah-
lung von Ehegattenunterhalt in Anspruch. Das Verfahren endete in zweiter In-
stanz mit einem Urteil, das die Kosten des Rechtsstreits der Klägerin zu 44 %
und dem Beklagten zu 56 % auferlegte. Mit ihrer rechtlichen Vertretung hatte
die Klägerin in beiden Instanzen eine überörtliche Anwaltssozietät mit Kanzleien
u.a. in Bonn und Berlin beauftragt. Sachbearbeiter war ein dem Bonner Büro
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der Sozietät zugehöriger Rechtsanwalt; die in Berlin residierenden Sozien wa-
ren sämtlich bei dem Landgericht Berlin und dem Kammergericht zugelassen.
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Im Kostenfestsetzungsverfahren hat die Klägerin u.a. Kosten in Höhe
von 995,89 € geltend gemacht, die durch die Anreise ihres Bonner Prozessbe-
vollmächtigten zu zwei Verhandlungsterminen bei dem Amtsgericht - Familien-
gericht - und einem Termin bei dem Kammergericht entstanden seien (Reise-
kosten und Abwesenheitsgeld). Die Rechtspflegerin des Amtsgerichts hat diese
Kosten, soweit sie nicht im einstweiligen Anordnungsverfahren angefallen sind,
berücksichtigt und den der Klägerin insgesamt zu erstattenden Betrag auf
967,75 € zzgl. Zinsen festgesetzt. Auf die sofortige Beschwerde des Beklagten
hat das Kammergericht eine Einbeziehung der Reisekosten in den Kostenaus-
gleich abgelehnt und den Kostenfestsetzungsbeschluss dahin abgeändert, dass
der Klägerin insgesamt nur 461,46 € zu erstatten sind.
Mit ihrer zugelassenen Rechtsbeschwerde begehrt die Klägerin die Wie-
derherstellung des Kostenfestsetzungsbeschlusses des Amtsgerichts.
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II.
Die gemäß § 574 Abs. 1 Nr. 2 ZPO statthafte und auch sonst zulässige
Rechtsbeschwerde ist begründet. Sie führt zur Aufhebung des angefochtenen
Beschlusses und zur Zurückverweisung der Sache an das Beschwerdegericht.
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1. Das Kammergericht hat seine Entscheidung, die in NJW-RR 2005,
655 veröffentlicht ist, im Wesentlichen wie folgt begründet: Das Interesse der
Klägerin, einen an ihrem Wohnsitz ansässigen Anwalt mit ihrer Vertretung vor
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einem auswärtigen Gericht zu beauftragen, sei zwar grundsätzlich anzuerken-
nen. Vorliegend seien aber die Kosten, die durch die Anreise des in Bonn nie-
dergelassenen Prozessbevollmächtigten zu den Verhandlungsterminen in Ber-
lin entstanden seien, nicht zu einer zweckentsprechenden Rechtsverfolgung
notwendig gewesen und bei der Kostenfestsetzung deshalb nicht zu berück-
sichtigen. Mit ihrer rechtlichen Vertretung habe die Klägerin nämlich nicht nur
den nach außen auftretenden Rechtsanwalt mit Kanzleisitz in Bonn beauftragt.
Das Mandat sei vielmehr mit der gesamten Anwaltssozietät zustande gekom-
men, weshalb auch die in Berlin niedergelassenen Sozien zur Wahrnehmung
der Gerichtstermine befugt gewesen seien. Die Anreise des in Bonn ansässigen
(sachbearbeitenden) Rechtsanwalts sei mithin nicht erforderlich gewesen. Da-
bei könne auf die speziellen Fachkenntnisse eines einzelnen Anwalts nicht ab-
gestellt werden. Eine überörtliche Sozietät leite ihre Leistungsfähigkeit gerade
auch aus ihrer Größe her und hebe diese im öffentlichen Auftreten regelmäßig
hervor. An welchem Ort die Sozietät mit welchen fachlichen Kompetenzen prä-
sent sei, obliege zwar ihrer internen Entscheidung. Durch die kanzleiinterne
Organisation könne aber dem Mandanten, der die Sozietät mit der Gesamtheit
ihrer Fähigkeiten beauftragt habe, gebührenrechtlich kein Nachteil entstehen.
Diese Ausführungen halten rechtlicher Nachprüfung nicht stand.
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2. Das Beschwerdegericht geht allerdings zutreffend davon aus, dass es
sich in der Regel um notwendige Kosten einer zweckentsprechenden Rechts-
verfolgung oder -verteidigung i.S. von § 91 Abs. 2 Satz 1 Halbs. 2 ZPO handelt,
wenn eine vor einem auswärtigen Gericht klagende oder verklagte Partei einen
an ihrem Wohn- oder Geschäftssitz ansässigen Rechtsanwalt mit ihrer Vertre-
tung beauftragt. Denn eine Partei, die ihre Belange in angemessener Weise
wahrgenommen wissen will, wird in aller Regel einen Rechtsanwalt in ihrer Nä-
he aufsuchen, um dessen Rat in Anspruch zu nehmen und ihn gegebenenfalls
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mit der Prozessvertretung zu beauftragen. Sie wird dies wegen der räumlichen
Nähe und in der Annahme tun, dass zunächst ein persönliches mündliches Ge-
spräch erforderlich ist. Diese Erwartung ist berechtigt, denn für eine sachgemä-
ße gerichtliche oder außergerichtliche Beratung und Vertretung ist der Rechts-
anwalt zunächst auf die Tatsacheninformation der Partei angewiesen (st. Rspr.,
vgl. BGH Beschlüsse vom 13. Dezember 2007 - IX ZB 112/05 - WM 2008, 422;
vom 3. März 2005 - I ZB 24/04 - NJW-RR 2005, 922; vom 9. September 2004
- I ZB 5/04 - NJW-RR 2004, 1724; vom 17. Februar 2004 - XI ZB 37/03 -
BGH-Report 2004, 780; vom 18. Dezember 2003 - I ZB 18/03 - NJW-RR 2004,
856; vom 11. November 2003 - VI ZB 41/03 - NJW-RR 2004, 430 f.; vom 9. Ok-
tober 2003 - VII ZB 45/02 - BGH-Report 2004, 70, 71; vom 10. April 2003 - I ZB
36/02 - NJW 2003, 2027; vom 18. Februar 2003 - XI ZB 10/02 - JurBüro 2003,
427; vom 11. Februar 2003 - VIII ZB 92/02 - NJW 2003, 1534; vom 12. Dezem-
ber 2002 - I ZB 29/02 - NJW 2003, 901, 902 und vom 16. Oktober 2002
- VIII ZB 30/02 - NJW 2003, 898, 900).
Eine Ausnahme von diesem Grundsatz kann eingreifen, wenn schon im
Zeitpunkt der Beauftragung des Rechtsanwalts feststeht, dass ein eingehendes
Mandantengespräch für die Prozessführung nicht erforderlich sein wird (BGH
Beschlüsse vom 18. Dezember 2003 - I ZB 18/03 - NJW-RR 2004, 856 f. und
vom 16. Oktober 2002 - VIII ZB 30/02 - NJW 2003, 898, 901). Dies kommt u.a.
in Betracht, wenn die Partei als gewerbliches Unternehmen über eine eigene,
die Sache bearbeitende Rechtsabteilung verfügt (BGH Beschluss vom 10. April
2003 - I ZB 36/02 - NJW 2003, 2027, 2028) bzw. mit Hilfe eines ihrer fach-
kundigen Mitarbeiter einen am Ort des Prozessgerichts ansässigen Rechtsan-
walt zwecks Klageerhebung sachgerecht informieren kann (BGH Beschluss
vom 13. Dezember 2007 - IX ZB 112/05 - WM 2008, 422 f.) oder wenn bei ei-
nem in tatsächlicher Hinsicht überschaubaren Streit um eine Geldforderung die
Gegenseite versichert hat, nicht leistungsfähig zu sein und gegenüber einer
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Klage keine Einwendungen zu erheben (BGH Beschlüsse vom 16. Oktober
2002 - VIII ZB 30/02 - NJW 2003, 898, 901 und vom 14. September 2004
- VI ZB 37/04 - NJW-RR 2005, 707, 708). Entsprechende Umstände sind hier
nicht ersichtlich.
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3. Entgegen der Ansicht des Beschwerdegerichts steht vorliegend der
Berücksichtigung der Reisekosten des in Bonn ansässigen Prozessbevollmäch-
tigten der Klägerin im Kostenfestsetzungsverfahren nicht entgegen, dass die
Verhandlungstermine in Berlin auch ein am Ort des Prozessgerichts niederge-
lassener Anwalt der mandatierten überörtlichen Sozietät hätte wahrnehmen
können.
a) Ein Rechtsanwalt, der einer Anwaltssozietät angehört, nimmt ein ihm
angetragenes Mandat zur Prozessführung in der Regel im Namen der Sozietät
an; er will nicht nur sich persönlich, sondern auch die mit ihm zur gemeinsamen
Berufsausübung verbundenen Kollegen verpflichten (vgl. BGHZ 124, 47, 49 =
NJW 1994, 257; BGH Urteil vom 19. Januar 1995 - III ZR 107/94 - NJW 1995,
1841). Da die Mitglieder einer Rechtsanwaltssozietät regelmäßig eine Gesell-
schaft bürgerlichen Rechts bilden (BGH Urteil vom 20. Juni 1996 - IX ZR
248/95 - NJW 1996, 2859), kommt der Anwaltsvertrag unter Zugrundelegung
der Rechtsprechung des II. Zivilsenats zur Rechtsfähigkeit der Gesellschaft bür-
gerlichen Rechts (vgl. BGHZ 146, 341, 343 ff.) mit der Sozietät als solcher zu-
stande. Die der Sozietät angehörigen Rechtsanwälte haften dann grundsätzlich
entsprechend § 128 Satz 1 HGB akzessorisch für die Erfüllung der aus dem
Vertrag erwachsenden anwaltlichen Pflichten (vgl. BGHZ 157, 361, 364;
MünchKomm/Heermann BGB 4. Aufl. § 675 Rdn. 36).
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Für die akzessorische Verpflichtung aller Sozien macht es dabei keinen
Unterschied, ob es sich um eine örtliche oder um eine überörtliche Anwaltsso-
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zietät i.S. von § 59 a BRAO handelt. Zum einen kann es für die Verpflichtung
der rechtsfähigen Gesellschaft bürgerlichen Rechts nicht darauf ankommen, wo
sich die einzelnen Gesellschafter örtlich niedergelassen haben; zum anderen
will der Rechtsuchende in aller Regel gerade auch die Vorteile für sich in An-
spruch nehmen, die sich aus der gesamten Größe der Kanzlei und der überre-
gionalen Zusammenarbeit von spezialisierten Sozietätsmitgliedern ergeben
(vgl. Feuerich/Weyland BRAO 6. Aufl. § 59 a Rdn. 12). Ist einer (überörtlichen)
Anwaltssozietät das Mandat zur Führung eines Rechtsstreits erteilt, schulden
grundsätzlich alle anwaltlichen Mitglieder der Sozietät die Erfüllung der An-
waltspflichten (a.A. OLG Düsseldorf NJW-RR 1995, 376). Nur bei Vorliegen
besonderer Umstände ist von der Begründung eines auf die Sozien einer be-
stimmten Niederlassung beschränkten Mandats oder von einem Einzelmandat
auszugehen (vgl. BGHZ 124, 47, 49; 56, 355, 361).
b) Es kann hier dahinstehen, ob mit der Verpflichtung aller Rechtsanwäl-
te einer überörtlichen Sozietät aus dem Anwaltsvertrag stets eine nach außen
gerichtete Prozessvollmacht für jeden Sozius einhergeht (verneinend KG NJW
1994, 3111 f.). Es greift bereits zu kurz, die Erstattung der mit der Termins-
wahrnehmung verbundenen Reisekosten des am Wohnsitz der Klägerin ansäs-
sigen Prozessbevollmächtigten allein mit dem Hinweis auf das formale, mit den
am Gerichtsort niedergelassenen Sozien bestehende Mandatsverhältnis abzu-
lehnen (so aber mit dem Beschwerdegericht die wohl h.M., vgl. OLG Hamburg
OLGR 2003, 152; OLG Bamberg OLGR 2005, 127 f.; OLG Brandenburg MDR
2007, 245; OLG Nürnberg MDR 2007, 56 f.; OLG Köln OLG-Report 2007, 66 f.;
OLG München FamRZ 2002, 1129; Zöller/Herget ZPO 26. Aufl. § 91 Rdn. 13
Stichwort: Reisekosten des Anwalts; Thomas/Putzo/Hüßtege ZPO 28. Aufl.
§ 91 Rdn. 42 a; Musielak/Wolst ZPO 5. Aufl. § 91 Rdn. 19). Zwar hatten diese
die Möglichkeit, die Verhandlungstermine in Berlin kostengünstiger wahrzu-
nehmen. Die Beurteilung der Frage, ob aufgewendete Prozesskosten zur
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zweckentsprechenden Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung notwendig im
Sinne des § 91 Abs. 2 Satz 1 Halbs. 2 ZPO waren, hat sich jedoch nicht nur an
der formalen Verpflichtung der Sozien aus dem Anwaltsvertrag auszurichten.
Es ist vielmehr auch zu berücksichtigen, ob eine verständige und wirtschaftlich
vernünftige Partei die die Kosten auslösende Maßnahme im Zeitpunkt ihrer
Veranlassung als sachdienlich ansehen durfte. Dabei darf die Partei ihr berech-
tigtes Interesse verfolgen und die zur Wahrnehmung ihrer Belange erforderli-
chen Schritte ergreifen. Sie ist lediglich gehalten, unter mehreren gleichartigen
Maßnahmen die kostengünstigere auszuwählen (vgl. BGH Beschlüsse vom
13. September 2005 - X ZB 30/04 - NJW-RR 2005, 1662; vom 11. November
2003 - VI ZB 41/03 - NJW-RR 2004, 430 und vom 16. Oktober 2002 - VIII ZB
30/02 - NJW 2003, 898, 900).
Mit Rücksicht darauf kann eine auswärtige Partei nicht darauf verwiesen
werden, ihre Vertretung im Termin zur Kostenersparnis einem am Sitz des Pro-
zessgerichts ansässigen Anwalt der mandatierten überörtlichen Sozietät zu
überlassen.
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aa) Der Bundesgerichtshof hat bereits im Zusammenhang mit der grund-
sätzlichen Anerkennung der Erstattungsfähigkeit von Terminsreisekosten des
am Wohn- oder Geschäftssitz der Partei niedergelassenen Rechtsanwalts be-
tont, dass der Mandant ein Interesse daran hat, von einem Rechtsanwalt seines
Vertrauens auch vor auswärtigen Zivilgerichten vertreten zu werden (vgl. BGH
Beschlüsse vom 11. März 2004 - VII ZB 27/03 - FamRZ 2004, 939 f. und vom
16. Oktober 2002 - VIII ZB 30/02 - NJW 2003, 898, 901). Denn bei der Ent-
scheidung über die Kosten des am Gerichtsort nicht ansässigen Prozessbe-
vollmächtigten muss dem Bedarf an persönlichem Kontakt und dem Vertrau-
ensverhältnis zwischen der Partei und dem von ihr ausgewählten Rechtsanwalt
Rechnung getragen werden, zumal einem Zivilprozess in vielen Fällen eine
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vorgerichtliche Auseinandersetzung vorausgeht (vgl. BGH Beschluss vom
11. März 2004 - VII ZB 27/03 - FamRZ 2004, 939 f.). Dieser Gesichtspunkt war
ein entscheidender Grund für die Änderung des Lokalisationsprinzips in § 78
ZPO (vgl. BT-Drucks. 12/4993, S. 43, 53). Auch das Bundesverfassungsgericht
hat im Streit um die Singular- oder Simultanzulassung von Rechtsanwälten das
besondere Vertrauensverhältnis zwischen Anwalt und Mandant, das auf Akten-
kenntnis im konkreten Fall oder auch auf langjähriger Beratung und erfolgrei-
cher Zusammenarbeit gründen könne, als einen rechtlich anzuerkennenden
Vorteil aus der Sicht des Mandanten gewürdigt (BVerfGE 103, 1, 16).
bb) Ein solches Vertrauensverhältnis bestand zwischen der Klägerin und
den am Prozessgericht in Berlin niedergelassenen Rechtsanwälten der manda-
tierten überörtlichen Sozietät nicht.
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Wenn eine Partei eine an ihrem Wohnsitz ansässige überörtliche Sozie-
tät mit ihrer anwaltlichen Vertretung beauftragt, wird das Mandat regelmäßig ein
am Wohnsitz der Partei niedergelassener Sozius bearbeiten. Auch hier wird für
die Partei trotz der überregionalen Ausrichtung der Kanzlei die räumliche Nähe
im Vordergrund stehen. Zwischen dem sachbearbeitenden Anwalt und der Par-
tei besteht infolge von persönlichen Beratungsgesprächen, der außergerichtli-
chen bzw. gerichtlichen Wahrnehmung des Mandats und der damit verbunde-
nen besonderen Akten- und Sachkenntnis des Anwalts ein besonderes Ver-
trauensverhältnis.
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Dieses Verhältnis ist mit demjenigen zu den am Sitz des Prozessgerichts
niedergelassenen Sozien - mit denen ein formales Mandatsverhältnis, aber kein
persönliches Vertrauensverhältnis besteht - nicht vergleichbar. Zwar will sich
der Rechtsuchende mit der Mandatierung einer überörtlichen Sozietät gerade
die Vorteile zu Nutze machen, die ihm eine solche Sozietät bietet. Ihm wird aber
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bekannt sein, dass innerhalb der Sozietät grundsätzlich nur einer der Anwälte
allein oder zumindest federführend eine Sache bearbeitet. Ein Mandant wird
darauf sogar Wert legen, weil er nicht alle Anwälte, sondern nur einen aufsu-
chen und informieren will, den er persönlich kennt, der ihn vor Gericht vertritt
und mit dem er seine Angelegenheiten besprechen kann. Auf das, was das Ver-
trauensverhältnis zwischen Mandant und Anwalt begründet und festigt, will er
bei der Beauftragung einer Sozietät gerade nicht verzichten. Vielmehr will er nur
insofern besser stehen, als er die Gewissheit hat, dass hinter „seinem“ Anwalt
die Sozietät mit ihren Vorteilen in Bezug auf Organisation und Arbeitsteilung
steht. Der Mandant weiß, dass bei Verhinderung „seines“ Anwalts stets für Ver-
tretung gesorgt ist. Wenn seine Sache von einem der Sozien bearbeitet wird,
der noch über keine große Erfahrung verfügt, rechnet er vielfach damit, dass
dieser erforderlichenfalls, insbesondere in Spezialfragen, bei den anderen So-
zietätsmitgliedern Rat einholen wird. Denn die gemeinsame Nutzung der Be-
rufserfahrung und die Pflege des Gedankenaustauschs gehört zum Zweck der
Sozietät (BGHZ 56, 355, 360).
Wenn aber unter den oben (Ziffer II. 2) dargestellten Voraussetzungen
das Interesse einer ihre Belange vernünftig und kostenbewusst wahrnehmen-
den Partei anzuerkennen ist, sich vor einem auswärtigen Gericht durch den an
ihrem Wohn- oder Geschäftssitz niedergelassenen Rechtsanwalt ihres Vertrau-
ens vertreten zu lassen, darf es kostenrechtlich keinen Unterschied machen, ob
dieser als Einzelanwalt tätig oder Mitglied einer überörtlichen, auch am Ort des
Prozessgerichts ansässigen Sozietät ist. Die durch die Terminswahrnehmung
anfallenden Reisekosten des am Wohn- und Geschäftsort der auswärtigen Par-
tei ansässigen Prozessbevollmächtigten sind vielmehr regelmäßig als zur
zweckentsprechenden Rechtsverfolgung notwendig im Sinne von § 91 Abs. 2
Satz 1 Halbs. 2 ZPO anzusehen, selbst wenn - wie im vorliegenden Fall - der
beauftragte Rechtsanwalt Mitglied einer überörtlichen Anwaltssozietät mit ei-
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nem Büro am Ort des Prozessgerichts ist, und deshalb auch die am Gerichtsort
residierenden Sozietätsmitglieder die Erfüllung der anwaltlichen Pflichten schul-
den (vgl. für die Erstattungsfähigkeit von Reisekosten nach Schließung des am
Gerichtsort bestehenden Büros einer überörtlichen Anwaltssozietät BGH Be-
schluss vom 18. Mai 2006 - I ZB 57/05 - BGH-Report 2006, 1067 f.).
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cc) Eine andere Beurteilung ergibt sich vorliegend nicht etwa deshalb,
weil ein Termin vor dem Amtsgericht tatsächlich von einem Anwalt des Berliner
Büros der von der Klägerin mandatierten Sozietät wahrgenommen wurde. Bei
der Prüfung der Notwendigkeit einer bestimmten Rechtsverfolgungs- oder
Rechtsverteidigungsmaßnahme ist vielmehr eine typisierende Betrachtungs-
weise geboten. Denn der Gerechtigkeitsgewinn, der bei einer übermäßig diffe-
renzierenden Betrachtung im Einzelfall zu erzielen ist, steht in keinem Verhält-
nis zu den sich einstellenden Nachteilen, wenn in nahezu jedem Einzelfall dar-
über gestritten werden könnte, ob die Kosten einer bestimmten Rechtsverfol-
gungs- oder Rechtsverteidigungsmaßnahme zu erstatten sind oder nicht (BGH
Beschlüsse vom 12. Dezember 2002 - I ZB 29/02 - NJW 2003, 901, 902 und
vom 13. September 2005 - X ZB 30/04 - NJW-RR 2005, 1622).
4. Das Beschwerdegericht hat - von seinem Standpunkt aus folgerichtig -
keine Feststellungen zur Höhe der dem Prozessbevollmächtigten der Klägerin
zur Wahrnehmung der Termine in Berlin entstandenen Reisekosten getroffen.
Im Rechtsbeschwerdeverfahren können diese Feststellungen nicht nachgeholt
werden (§ 577 Abs. 2 Satz 4 ZPO i.V.m. § 599 ZPO). Der angefochtene
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Beschluss ist deshalb aufzuheben und die Sache zur erneuten Entscheidung an
das Beschwerdegericht zurückzuverweisen.
Hahne
Sprick
Weber-Monecke
Wagenitz Dose
Vorinstanzen:
AG Berlin Tempelhof-Kreuzberg, Entscheidung vom 10.05.2004 - 157 b F 14185/99 -
KG Berlin, Entscheidung vom 05.08.2004 - 19 WF 166/04 -