Urteil des BGH vom 07.02.2013

Leitsatzentscheidung

BUNDESGERICHTSHOF
IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
IX ZR 218/11
Verkündet am:
7. Februar 2013
Preuß
Justizangestellte
als Urkundsbeamtin
der Geschäftsstelle
in dem Rechtsstreit
Nachschlagewerk:
ja
BGHZ:
ja
BGHR:
ja
InsO §§ 47, 95 Abs. 1 Satz 3, § 103
Lehnt der Verwalter im Insolvenzverfahren über das Vermögen des Grundstücks-
käufers die Erfüllung des Kaufvertrages ab und sondert der Verkäufer das Grund-
stück aus, hat der Verwalter Anspruch auf Rückzahlung der vom Schuldner vor der
Eröffnung geleisteten Anzahlung auf den Kaufpreis abzüglich des Nichterfüllungs-
schadens des Verkäufers.
BGH, Urteil vom 7. Februar 2013 - IX ZR 218/11 - OLG Frankfurt/Main
LG Hanau
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Der IX. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat auf die mündliche Verhandlung
vom 7. Februar 2013 durch den Vorsitzenden Richter Prof. Dr. Kayser, die
Richter Prof. Dr. Gehrlein, Vill, die Richterin Lohmann und den Richter
Dr. Fischer
für Recht erkannt:
Auf die Revision der Beklagten wird das Urteil des 8. Zivilsenats
des Oberlandesgerichts Frankfurt am Main vom 21. Oktober 2011
im Kostenpunkt sowie insoweit aufgehoben, als die Beklagte zur
Zahlung von 83.
360 € nebst Zinsen verurteilt worden ist.
Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zur neuen Verhandlung
und Entscheidung, auch über die Kosten des Revisionsverfahrens,
an das Berufungsgericht zurückverwiesen.
Von Rechts wegen
Tatbestand:
Der Kläger ist Verwalter in dem Insolvenzverfahren über das Vermögen
der
G.
mbH
(fortan: Schuldnerin). Die Schuldnerin kaufte mit notariellem Vertrag vom
17. Januar 2006 von der Beklagten ein Grundstück zu einem Preis von
103.360
€. Zu ihren Gunsten wurde eine Auflassungsvormerkung in das
Grundbuch eingetragen. Am 7. August 2006 zahlte die Schuldnerin einen Be-
trag von 83.360 € an die Beklagte. Sie bebaute das Grundstück.
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Am 17. März 2008 wurde das Insolvenzverfahren über das Vermögen
der Schuldnerin eröffnet und der Kläger zum Insolvenzverwalter bestimmt. Am
20. August 2008 erklärte der Kläger die Ablehnung der Erfüllung des Kaufver-
trages. Die Beklagte verkaufte das zwischenzeitlich geteilte Grundstück ander-
weitig. Gegen Zahlung
von insgesamt 24.650 € bewilligte der Kläger die Lö-
schung der Auflassungsvormerkungen.
Der Kläger verlangt Rückzahlung der von der Schuldnerin angezahlten
83.360 € sowie Ersatz der durch die Bebauung bewirkten Werterhöhung des
Grundstücks abzüglich bereits erhaltener Zahlungen. Das Landgericht hat die
Klage abgewiesen. Das Berufungsgericht hat die Beklagte, die sich auf Scha-
densersatzansprüche beruft, antragsgemäß verurteilt. Wegen des Betrages von
83.360 € nebst Zinsen hat der Senat die Revision der Beklagten zugelassen.
Die Beklagte will insoweit die Zurückweisung der Berufung des Klägers errei-
chen.
Entscheidungsgründe:
Die Revision führt zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und zur Zu-
rückverweisung der Sache an das Berufungsgericht.
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I.
Das Berufungsgericht hat - soweit nach der Teilzulassung noch von Inte-
resse - ausgeführt: Nach Ablehnung der Erfüllung des beiderseits nicht voll-
ständig erfüllten Grundstückskaufvertrages könne der klagende Insolvenzver-
walter den von der Schuldnerin teilweise gezahlten Kaufpreis zurückverlangen,
weil sein Interesse an der noch ausstehenden Leistung der Beklagten entfallen
sei. Soweit der Beklagten ein Anspruch auf Schadensersatz wegen Nichterfül-
lung zustehe, stelle dieser kein Gegenrecht dar, sondern sei zur Tabelle anzu-
melden.
II.
Diese Ausführungen halten einer rechtlichen Überprüfung nicht stand.
1. Im Ergebnis zutreffend hat das Berufungsgericht einen Anspruch des
Klägers auf Rückzahlung des vor der Eröffnung teilweise entrichteten Kaufprei-
ses dem Grunde nach bejaht.
a) Die Abwicklung des Kaufvertrages richtet sich nach § 103 InsO. Im
Zeitpunkt der Eröffnung des Insolvenzverfahrens war der Grundstückskaufver-
trag von keiner Vertragspartei vollständig erfüllt worden. Weder hatte die
Schuldnerin den Kaufpreis vollständig gezahlt (§ 433 Abs. 2 BGB), noch hatte
die Beklagte der Schuldnerin das Eigentum an dem verkauften Grundstück ver-
schafft (§ 433 Abs. 1 Satz 1 BGB). In einem solchen Fall steht dem Insolvenz-
verwalter das in § 103 InsO geregelte Wahlrecht zu. Er kann anstelle des
Schuldners den Vertrag erfüllen und die Erfüllung vom anderen Teil verlangen
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(§ 103 Abs. 1 InsO), oder er kann die Erfüllung des Vertrages ablehnen (§ 103
Abs. 2 Satz 1 InsO). Lehnt der Verwalter - wie hier - die Erfüllung ab, bleibt der
Vertrag in der Lage bestehen, in welcher er sich bei der Eröffnung des Insol-
venzverfahrens befand (BGH, Urteil vom 25. April 2002 - IX ZR 313/99, BGHZ
150, 353, 359; MünchKomm-InsO/Kreft, 2. Aufl., § 103 Rn. 15). Der Vertrags-
partner des Schuldners kann einen Anspruch auf Schadensersatz wegen
Nichterfüllung als Insolvenzforderung zur Tabelle anmelden (§ 103 Abs. 2 Satz
1 InsO). Sieht er hiervon ab, bleibt ihm der - während der Dauer des Insolvenz-
verfahrens nicht durchsetzbare - Erfüllungsanspruch erhalten; er kann ihn nach
Aufhebung des Insolvenzverfahrens als solchen gegen den Schuldner geltend
machen.
b) Weder die Eröffnung des Insolvenzverfahrens noch die Erfüllungsab-
lehnung des Verwalters lösen danach in aller Regel einen Anspruch auf Rück-
zahlung der vom Schuldner vor der Eröffnung erbrachten Teilleistungen aus
(BGH, Urteil vom 27. Mai 2003 - IX ZR 51/02, BGHZ 155, 87, 96). Ein Rückzah-
lungsanspruch unter dem Gesichtspunkt der ungerechtfertigten Bereicherung
kommt bereits deshalb nicht in Betracht, weil der Vertrag mit der Ablehnung der
Erfüllung in der Lage vom Zeitpunkt der Verfahrenseröffnung bestehen bleibt
(BGH, Urteil vom 19. April 2007 - IX ZR 199/03, NZI 2007, 404 Rn. 15). Ob der
Kläger, wie das Berufungsgericht gemeint hat, die Anzahlung wegen fehlenden
Interesses an der noch ausstehenden Leistung der Beklagten zurückverlangen
kann, ist ebenfalls zweifelhaft. Einen Rückzahlungsanspruch wegen Wegfalls
des Interesses des Verwalters an der Durchführung des beiderseits nicht voll-
ständig erfüllten Vertrages hat der Senat lediglich im Sonderfall der beiderseits
teilbaren Leistungen der Vertragsparteien erwogen, um dem Verwalter die Er-
füllungsablehnung auch des insolvenzrechtlich grundsätzlich selbständig zu
behandelnden vollständig erfüllten Vertragsteils zu ermöglichen (vgl. BGH, Ur-
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teil vom 27. Mai 2003, aaO S. 96 f; vom 26. Oktober 2000 - IX ZR 227/99, NZI
2001, 85 ff zur Rechtslage nach der KO; MünchKomm-InsO/Brandes, 2. Aufl.,
§ 95 Rn. 14; MünchKomm-InsO/Kreft, aaO, § 103 Rn. 34 mit Fn. 105; Jaeger/
Henckel,
KO,
9.
Aufl.,
§
17
Rn.
82;
zweifelnd
Uhlenbruck/
Wegener, InsO, 13. Aufl., § 103 Rn. 186). Der Grundstückskaufvertrag vom
17. Januar 2006 hatte jedoch keine teilbaren Leistungen in diesem Sinne zum
Gegenstand. Das verkaufte Grundstück ist zwar später geteilt und die Teil-
grundstücke sind einzeln weiterverkauft worden. Die Anzahlung von 83.360 €
lässt sich jedoch nicht einem der später entstandenen Teilgrundstücke zuord-
nen; sie bezog sich auf das Grundstück insgesamt, für das ein einheitlicher
Kaufpreis vereinbart worden war.
c) Der Kläger kann jedoch deshalb dem Grunde nach die Rückzahlung
des angezahlten Kaufpreises verlangen, weil die Beklagte ihrerseits den Kauf-
gegenstand nach § 47 InsO ausgesondert hat. Im Zeitpunkt der Eröffnung des
Insolvenzverfahrens war die Beklagte Eigentümerin der durch die Teilung des
verkauften Grundstücks entstandenen Teilgrundstücke (fortan nur: Grundstück).
Bis zur Eröffnung des Insolvenzverfahrens stand dem Herausgabeanspruch der
Beklagten aus § 985 BGB der Anspruch auf Übereignung gemäß § 433 Abs. 1
BGB entgegen (§ 986 Abs. 1 Satz 1 BGB; vgl. BGH, Urteil vom 2. März 1984
änderte daran zunächst nichts. Nach gefestigter Rechtsprechung des Bundes-
gerichtshofs führt die Eröffnung des Insolvenzverfahrens nicht zu einem Erlö-
schen der beiderseitigen Ansprüche aus einem beiderseits nicht vollständig er-
füllten gegenseitigen Vertrag. Die Ansprüche beider Vertragsparteien auf Leis-
tung und Gegenleistung bleiben vielmehr bestehen. Sie verlieren lediglich vor-
läufig, nämlich bis zu einem Erfüllungsverlangen des Verwalters, ihre Durch-
setzbarkeit (BGH, Urteil vom 25. April 2002 - IX ZR 313/99, BGHZ 150, 353,
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359; vom 27. Mai 2003 - IX ZR 51/02, BGHZ 155, 87, 96; vom 17. November
2005 - IX ZR 162/04, NJW 2006, 915 Rn. 22; vom 1. März 2007 - IX ZR 81/05,
NZI 2007, 335 Rn. 11). Lehnt der Verwalter die Erfüllung des Vertrages ab,
kann der Eigentümer aussondern (BGH, Urteil vom 19. Dezember 2007 - XII ZR
61/05, NJW-RR 2008, 818 Rn. 43; Jaeger/Henckel, InsO, § 47 Rn. 46; Münch-
Komm-InsO/Ganter, aaO, § 47 Rn. 72; MünchKomm-InsO/Kreft, aaO, § 103
Rn. 33; MünchKomm-InsO/Huber, aaO, § 103 Rn. 177; Uhlenbruck/Wegener,
aaO, § 103 Rn. 183 f; Häsemeyer, Insolvenzrecht, 4. Aufl., Rn. 20.31; vgl. auch
BGH, Urteil vom 1. März 2007 - IX ZR 81/05, NZI 2007, 335 Rn. 12). Von die-
sem Recht hat die Beklagte Gebrauch gemacht. Sie hat die Löschung der zu-
gunsten der Schuldnerin eingetragenen Vormerkung verlangt und das Grund-
stück anderweitig veräußert.
d) Sondert der Verkäufer in der Insolvenz des Käufers die Kaufsache
aufgrund des bei ihm verbliebenen Eigentums aus, kann der Verwalter seiner-
seits die Rückgewähr der bereits erbrachten Teilleistungen des Schuldners ver-
langen (MünchKomm-InsO/Ganter, aaO, § 47 Rn. 72; Huber, NZI 2004, 57, 62).
2. Entgegen der Ansicht des Berufungsgerichts ist der Anspruch des
Verwalters auf Rückzahlung der Kaufpreisanzahlung jedoch mit dem Anspruch
des Verkäufers wegen Nichterfüllung des Kaufvertrages aus § 103 Abs. 2
Satz 1 InsO zu verrechnen (vgl. BGH, Urteil vom 5. Mai 1977 - VII ZR 85/76,
BGHZ 68, 379, 382; vom 26. Oktober 2000 - IX ZR 227/99, NZI 2001, 85, 86;
MünchKomm-InsO/Kreft, aaO, § 103 Rn. 35; Jaeger/Henckel, KO, 9. Aufl., § 17
Rn. 81; Gottwald/Huber, Insolvenzrechts-Handbuch, 4. Aufl., § 36 Rn. 21;
Häsemeyer, aaO, Rn. 20.25; G. Fischer, NZI 2001, 281, 283; Huber, NZI 2004,
57, 62; Tintelnot, KTS 2004, 339, 344; Piegsa, RNotZ 2010, 433, 439; aA
MünchKomm-InsO/Ganter, aaO, § 47 Rn. 72). Ob die Voraussetzungen des
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§ 95 Abs. 1 Satz 3 InsO erfüllt sind oder nicht, ist nicht von Belang (Münch-
Komm-InsO/Kreft, aaO, § 103 Rn. 35). Gegenseitige Ansprüche aus dem näm-
lichen Vertragsverhältnis bedürfen keiner Aufrechnung; sie sind Rechnungspos-
ten bei der Ermittlung des Ersatzanspruchs (so im Ergebnis - mit unterschiedli-
cher rechtlicher Begründung - BGH, Urteil vom 5. Mai 1977 - VII ZR 85/76,
BGHZ 68, 379, 380; MünchKomm-InsO/Brandes, aaO, § 95 Rn. 17; Lüke in
Kübler/Prütting/Bork, InsO 2002, § 95 Rn. 29; vgl. auch Jaeger/Windel, InsO,
§ 95 Rn. 28, 26). Dieser aus der synallagmatischen Verbundenheit der Ansprü-
che (§§ 320 ff BGB) folgende Grundsatz gilt - vom hier nicht einschlägigen
Sonderfall der Teilbarkeit der beiderseitigen Leistungen mit der möglichen Fol-
ge einer Vertragsspaltung einmal abgesehen - auch nach der Erfüllungsableh-
nung fort (vgl. BGH, Urteil vom 19. April 2007 - IX ZR 199/03, NZI 2007, 404
Rn. 15; aA wohl HmbKomm-InsO/Jacoby, 4. Aufl., § 95 Rn. 17). Der Kläger
kann den Kaufpreis daher nur insoweit zurückverlangen, als dieser den Nichter-
füllungsschaden der Beklagten übersteigt.
III.
Das angefochtene Urteil kann folglich keinen Bestand haben. Es ist auf-
zuheben (§ 562 Abs. 1 ZPO), die Sache ist zur neuen Verhandlung und Ent-
scheidung an das Berufungsgericht zurückzuverweisen (§ 563 Abs. 1 Satz 1
ZPO). Dieses wird zu prüfen haben, ob und in welcher Höhe dem Kläger unter
Berücksichtigung der synallagmatischen Gegenansprüche der Beklagten ein
Anspruch auf Rückzahlung der Kaufpreisanzahlung zusteht. Darlegungs- und
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beweispflichtig für die Voraussetzungen eines Anspruchs aus § 103 Abs. 2
Satz 1 InsO ist die Beklagte.
Kayser
Gehrlein
Vill
Lohmann
Fischer
Vorinstanzen:
LG Hanau, Entscheidung vom 20.04.2011 - 1 O 1029/09 -
OLG Frankfurt/Main, Entscheidung vom 21.10.2011 - 8 U 97/11 -