Urteil des BGH vom 21.01.2010

Leitsatzentscheidung

BUNDESGERICHTSHOF
BESCHLUSS
IX ZB 197/06
vom
21. Januar 2010
in dem Insolvenzverfahren
Nachschlagewerk: ja
BGHZ: nein
BGHR: ja
InsVV § 1 Abs. 2 Nr. 3
Die Berechnungsgrundlage für die Vergütung des Insolvenzverwalters umfasst den
vollen Wert von Forderungen der Masse, wenn ihnen lediglich nicht aufrechenbare
Gegenforderungen von Insolvenzgläubigern gegenüberstehen.
BGH, Beschluss vom 21. Januar 2010 - IX ZB 197/06 - LG Köln
AG
Köln
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Der IX. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat durch den Vorsitzenden Richter
Dr. Ganter, die Richter Raebel und Vill, die Richterin Lohmann und den Richter
Dr. Pape
am 21. Januar 2010
beschlossen:
Die Rechtsbeschwerde gegen den Beschluss der 1. Zivilkammer
des Landgerichts Köln vom 28. September 2006 wird auf Kosten
der Schuldnerin als unzulässig verworfen.
Der Gegenstandswert der Rechtsbeschwerde wird auf
2.328.360,47 € festgesetzt.
Gründe:
I.
Am 14. Februar 2003 wurde über das Vermögen der Rechtsbeschwerde-
führerin (im Folgenden: auch Schuldnerin) das Insolvenzverfahren eröffnet und
der Rechtsbeschwerdegegner zum Verwalter ernannt. Dieser war als Person
zuvor bereits zum vorläufigen Insolvenzverwalter, zuletzt mit Verfügungsbefug-
nis über das Vermögen der Schuldnerin, bestellt. In den beiden Monaten vor
der Verfahrenseröffnung verwerteten Gläubiger ihnen verpfändete Anteile, wel-
che die Schuldnerin an den Gesellschaften der -Gruppe hielt, durch notarielle
Versteigerung. Von dem Insolvenzverwalter einer Gesellschafterin der Schuld-
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nerin wurde die Wirksamkeit der damit verbundenen Verfügungen bestritten,
namentlich weil gegen die pfandhaftgesicherten Darlehensverbindlichkeiten der
Schuldnerin der Einwand des Eigenkapitalersatzes zu erheben sei.
In einer notariellen Vereinbarung vom 10. März 2005 zwischen den an
diesen Vorgängen beteiligten Gesellschaften und Personen erkannte auch der
Rechtsbeschwerdegegner die Rechtmäßigkeit und Wirksamkeit der Versteige-
rung ausdrücklich an (§ 5 des sogenannten settlement agreement). Als Gegen-
leistung für dieses Anerkenntnis ließ sich der Rechtsbeschwerdegegner für die
Insolvenzmasse der Schuldnerin durch weitere notarielle Vereinbarung vom
selben Tage (compensation agreement) von der wirtschaftlich an dem settle-
ment agreement interessierten Insolvenzgläubigerin K. Ltd. zwei
Inhaberschuldverschreibungen im Gesamtbetrag von 50 Mio. € gewähren. Das
Verteilungsguthaben der K. Ltd. und einer weiteren Insolvenz-
gläubigerin aus dem Schlussverzeichnis der Schuldnerinsolvenz, welche in das
compensation agreement einbezogen wurde, sollte der Rechtsbeschwerdegeg-
ner durch Übertragung der genannten Inhaberschuldverschreibungen erfüllen.
Auf diesem Wege gelang es dem Rechtsbeschwerdegegner, die nach Beendi-
gung des Insolvenzverfahrens verbleibenden Verbindlichkeiten der Schuldnerin
um den Nennbetrag dieser Schuldverschreibungen zu verringern.
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Zur Grundlage der im vorliegenden Verfahren streitigen Festsetzung der
Verwaltervergütung machte der Rechtsbeschwerdegegner außer den vorhan-
denen Barmitteln auch die Nennbeträge der genannten Inhaberschuldver-
schreibungen. Das Amtsgericht hat die Vergütung des Rechtsbeschwerdegeg-
ners antragsgemäß auf 2.414.180,91 € nebst pauschalierten Auslagen von
7.000 € und zu erstattender Umsatzsteuer von 387.388,95 €, zusammen auf
2.808.569,86 € festgesetzt.
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Hiergegen hat sich die fristgerecht erhobene sofortige Beschwerde der
Schuldnerin gewendet, mit der sie erstrebt hat, die Beträge der Inhaberschuld-
verschreibungen bei der Berechnungsgrundlage der Verwaltervergütung außer
Betracht zu lassen und diese dementsprechend einschließlich Auslagen und
Umsatzsteuer auf 480.209,39 € herabzusetzen. Die Beschwerde ist ohne Erfolg
geblieben. Mit ihrer Rechtsbeschwerde verfolgt die Schuldnerin ihren Herabset-
zungsantrag weiter.
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II.
Das Landgericht hat angenommen, dass die von der K.
Ltd. begebenen Inhaberschuldverschreibungen realisierbare Werte verkörper-
ten, so dass sie vom Amtsgericht zu Recht in die Berechnungsgrundlage der
Verwaltervergütung einbezogen worden seien. Dazu legt die nach den §§ 7, 6,
64 Abs. 3 InsO, § 574 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 ZPO statthafte Rechtsbeschwerde
keine erheblichen Zulässigkeitsgründe (§ 574 Abs. 2 ZPO) dar.
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1. Ohne Bedeutung ist die Auffassung des Rechtsbeschwerdegegners
aus den Vorinstanzen, die Schuldnerin könne mangels Beanstandung der
Schlussrechnung im Schlusstermin gegen die dort festgestellte Insolvenzmasse
als Berechnungsgrundlage der Verwaltervergütung keine Einwendungen mehr
erheben. Auf diesem Gesichtspunkt ist die angefochtene Beschwerdeentschei-
dung nicht gestützt.
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2. Die von der Rechtsbeschwerde formulierten allgemeinen Fragen an-
geblicher Rechtsfortbildung bedürfen anlässlich der streitigen Vergütungsfest-
setzung keiner Antwort. Im Ergebnis nicht anders liegt dies bei der zur Begrün-
detheit des Rechtsmittels erhobenen Rüge, das Beschwerdegericht habe § 1
Abs. 2 Nr. 3 InsVV verletzt. Hier behauptet die Rechtsbeschwerde zwar nicht
ausdrücklich, dass die Beschwerdeentscheidung unausgesprochen auf dem
Obersatz beruhe, Forderung und Gegenforderung müssten sich aufrechenbar
gegenüberstehen, um lediglich mit dem Verrechnungsüberschuss zugunsten
der Masse in die Berechnungsgrundlage der Verwaltervergütung einbezogen zu
werden. Sie stellt diese im Schrifttum einhellig bejahte Auslegung (vgl. etwa
Haarmeyer/Wutzke/Förster, InsVV 4. Aufl. § 1 Rn. 79; Keller, Vergütung und
Kosten im Insolvenzverfahren 2. Aufl. Rn. 168; Graeber, Vergütung im Insol-
venzverfahren von A-Z Rn. 59; MünchKomm-InsO/Nowak, 2. Aufl. InsVV § 1
Rn. 16; HmbKomm-InsO/Büttner, 3. Aufl. InsVV § 1 Rn. 16; FK-InsO/Lorenz,
5. Aufl. InsVV § 1 Rn. 23; Eickman/Prasser in Kübler/Prütting/Bork, InsO InsVV
§ 1 Rn. 43; Hess, Insolvenzrecht InsVV § 1 Rn. 36; Nerlich/Römermann/
Madert, InsO InsVV § 1 Rn. 8), zu welcher der Bundesgerichtshof bisher noch
nicht Stellung genommen hat, jedoch ausdrücklich zur Überprüfung und beruft
sich damit auf die Grundsätzlichkeit der vom Beschwerdegericht stillschweigend
zugrunde gelegten Rechtsauslegung. Insoweit ist die angeblich grundsätzliche
Rechtsfrage von der Rechtsbeschwerdebegründung wohl noch hinreichend be-
zeichnet. Es fehlen indes die gleichfalls notwendigen Ausführungen dazu, in-
wieweit der genannte Rechtsgrundsatz umstritten oder seine Berechtigung ob-
jektiv zweifelhaft ist. Ohne derartige Ausführungen ist die Grundsatzbedeutung
der Rechtssache jedenfalls nicht hinreichend dargelegt.
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Tatsächlich ist auch nicht zweifelhaft, dass § 1 Abs. 2 Nr. 3 InsVV nur
dann eingreift, wenn sich Forderung und Gegenforderung aufrechenbar oder
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sonst für den Insolvenzgläubiger verrechenbar gegenüberstehen. Nur dann
kann aus den gegenüberstehenden Forderungen ein Überschuss gezogen wer-
den. Und nur dann gewährt die Aufrechnungslage dem Insolvenzgläubiger eine
bevorzugte, einem Absonderungsrecht ähnliche Rechtsposition (vgl. BGH, Urt.
v. 9. Mai 1960 - II ZR 95/58, WM 1960, 720, 721 unter 3, b; v. 24. März 1994
- IX ZR 149/93, WM 1994, 1045, 1046 unter 1, c; v. 12. Juli 2007 - IX ZR
235/03, ZInsO 2007, 1107, 1109 unter II. 1. b, cc), die ebenso wie nach § 1
Abs. 2 Nr. 1 Satz 3 InsVV die Anwendung des Überschussprinzips bei der Be-
rechnungsgrundlage rechtfertigt. Im Beschwerdefall standen sich Forderung
und Gegenforderung nicht aufrechenbar gegenüber, weil die Insolvenzmasse
die in den Inhaberschuldverschreibungen verbrieften Forderungen erst nach
Eröffnung des Insolvenzverfahrens erworben hatte (siehe § 96 Abs. 1 Nr. 1
InsO).
3. Verfahrensgrundrechte der Rechtsbeschwerdeführerin sind in den Tat-
sacheninstanzen nicht verletzt worden. Auf Vorbringen zu hypothetischen Ent-
wicklungen, nach denen die Inhaberschuldverschreibungen nicht verpflichtend
geworden wären, brauchte das Beschwerdegericht mangels Entscheidungser-
heblichkeit nicht einzugehen.
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Die fehlende Erörterung eines Abschlages gemäß § 3 Abs. 2 Buchst. d)
InsVV durch das Beschwerdegericht lässt nicht darauf schließen, dass entspre-
chendes Vorbringen der Rechtsbeschwerdeführerin nicht zur Kenntnis genom-
men worden ist. Denn dieses Vorbringen war für den Abschlagstatbestand un-
erheblich. Es kommt nicht darauf an, ob die begebenen Inhaberschuldver-
schreibungen sich nur von Juni bis August 2005 in den Händen des Insolvenz-
verwalters befanden. Denn die Masse umfasste bis zum 10. März 2005 die
Rechtsposition, die der Insolvenzverwalter erst an diesem Tage durch § 5 des
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settlement agreements aufgegeben hat und die von der wirtschaftlich an der
Verwertung der Absonderungsrechte interessierten Insolvenzgläubigerin mit
dem Versprechen des compensation agreements vom gleichen Tage abgegol-
ten wurde. Dass die Mitwirkung an dem Zustandekommen dieser Vereinbarun-
gen an den Insolvenzverwalter geringe Anforderungen gestellt habe, hat die
Rechtsbeschwerdeführerin selbst nicht behauptet. Nach Aktenlage, auf die sich
das Beschwerdegericht bezogen hat, war das Gegenteil der Fall.
4. Von einer weiteren Begründung wird gemäß § 577 Abs. 6 Satz 3 ZPO
abgesehen.
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Vorsitzender Richter am
Bundesgerichtshof Dr. Ganter
ist infolge Erkrankung an der
Unterschriftsleistung gehindert.
Raebel Raebel Vill
Lohmann Pape
Vorinstanzen:
AG Köln, Entscheidung vom 15.08.2005 - 71 IN 453/02 -
LG Köln, Entscheidung vom 28.09.2006 - 1 T 474/05 -