Urteil des BGH vom 09.10.2008
Leitsatzentscheidung
BUNDESGERICHTSHOF
BESCHLUSS
IX ZB 129/07
vom
9. Oktober 2008
in dem Verfahren
Nachschlagewerk: ja
BGHZ: nein
BGHR: ja
InsO §§ 209, 210; ZPO § 104 Abs. 2
Macht der Insolvenzverwalter nach Anzeige der Masseunzulänglichkeit
glaubhaft, dass eine danach entstandene, als Neumasseverbindlichkeit ein-
zustufende Kostenerstattungsforderung aus der Masse nicht befriedigt wer-
den kann, darf gegen ihn ein Kostenfestsetzungsbeschluss nicht ergehen.
BGH, Beschluss vom 9. Oktober 2008 - IX ZB 129/07 - KG Berlin
LG
Berlin
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Der IX. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat durch den Vorsitzenden Richter
Dr. Ganter, die Richter Prof. Dr. Kayser, Prof. Dr. Gehrlein, Dr. Fischer und
Grupp
am 9. Oktober 2008
beschlossen:
Auf die Rechtsbeschwerde des Klägers werden der Beschluss des
1. Zivilsenats des Kammergerichts vom 15. Mai 2007 und der Kos-
tenfestsetzungsbeschluss des Landgerichts Berlin vom 15. August
2006 aufgehoben. Die Kostenfestsetzungsanträge der Beklagten
werden abgelehnt.
Die Kosten der Rechtsmittelverfahren haben die Beklagten zu tra-
gen.
Der Gegenstandswert wird auf 15.000 € festgesetzt.
Gründe:
I.
Einer von S. W. (fortan: Schuldnerin) gegen die Beklagten er-
hobenen Zahlungsklage über 1.048.873,21 DM gab das Landgericht mit Urteil
vom 18. Juni 2001 in Höhe von 21.543,47 DM statt. Im Anschluss an die von ihr
eingelegte Berufung wurde am 11. März 2002 über das Vermögen der Schuld-
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nerin das Insolvenzverfahren eröffnet und der Kläger zum Verwalter bestellt.
Das durch die Insolvenzeröffnung unterbrochene Verfahren nahm der Kläger,
der am 14. April 2003 gegenüber dem Insolvenzgericht Masseunzulänglichkeit
angezeigt hatte, durch Schriftsatz vom 27. August 2003 auf. Durch Verzichtsur-
teil vom 1. Juni 2006 wurde die Klage insgesamt abgewiesen; zugleich wurden
dem Kläger "die Kosten des Rechtsstreits - beider Instanzen -" auferlegt.
Das Landgericht hat die von dem Kläger an die Beklagten zu erstatten-
den Kosten auf insgesamt 20.497,96 € festgesetzt. Nach Einlegung der soforti-
gen Beschwerde hat der Kläger am 3. Januar 2007 bei dem Insolvenzgericht
erneut Masseunzulänglichkeit angezeigt. Die Beklagten haben hilfsweise die
Feststellung der Kostenerstattungspflicht des Klägers beantragt. Das Kammer-
gericht hat die sofortige Beschwerde zurückgewiesen und die Rechtsbeschwer-
de zugelassen. Mit seinem Rechtsmittel verfolgt der Kläger sein Begehren, den
Kostenfestsetzungsantrag zurückzuweisen, weiter.
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II.
Die gemäß § 574 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2, Abs. 3 Satz 2 ZPO statthafte und
zulässige Rechtsbeschwerde ist begründet.
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1. Das Kammergericht hat gemeint, nach dem Inhalt der in dem Ver-
zichtsurteil getroffenen Kostengrundentscheidung sei eine Differenzierung zwi-
schen den vor Insolvenzeröffnung und den nach der Aufnahme des Verfahrens
entstandenen Kosten nicht vorzunehmen. Demgemäß habe der Kläger nach
Aufnahme des Verfahrens die gesamten Kosten des Rechtsstreits zu tragen.
Die Kostenerstattungsforderung sei insgesamt als Neumasseverbindlichkeit im
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Sinne des § 209 Nr. 2 InsO anzusehen. Zeige der Insolvenzverwalter die Mas-
seunzulänglichkeit an, so sei, wenn er die Unzulänglichkeit darlege und erfor-
derlichenfalls beweise, wegen Wegfalls des Rechtsschutzinteresses bei fortbe-
stehendem Feststellungsinteresse nur noch die Feststellung einer Zahlungsver-
pflichtung möglich. Eine vorrangige Befriedigung der Beklagten im Vergleich zu
anderen Neumassegläubigern sei hier jedoch unabhängig von der Frage, ob
der Kläger die Masseunzulänglichkeit glaubhaft gemacht habe, nicht zu be-
fürchten, weil die Beklagten die einzigen Neumassegläubiger seien. Soweit
durch eine Titulierung die Gefahr bestehe, dass die Beklagten in die zur vorran-
gigen Deckung der Verfahrenskosten benötigte Masse vollstreckten, handele es
sich um einen materiell-rechtlichen Einwand, der jedenfalls dann, wenn seine
Voraussetzungen und Auswirkungen streitig seien, nicht berücksichtigt werde.
2. Diese Ausführungen halten bereits, soweit das Beschwerdegericht von
einem Rechtsschutzinteresse der Beklagten für den Erlass eines Kostenfest-
setzungsbeschlusses ausgegangen ist, rechtlicher Prüfung nicht stand. Infolge
der von dem Kläger glaubhaft gemachten Masseunzulänglichkeit kommt es auf
die von dem Kammergericht aufgeworfene Frage, ob trotz einheitlicher Kosten-
entscheidung die vor der Insolvenzeröffnung angefallenen Prozesskosten ge-
gen den Insolvenzverwalter festgesetzt werden können (vgl. BGH, Beschl. v.
28. September 2006 - IX ZB 312/04, ZIP 2006, 2132, 2133 f Rn. 10 ff), nicht an.
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a) Eine obsiegende Partei hat als Altmassegläubiger (§ 55 Abs. 1 Nr. 1,
§ 209 Abs. 1 Nr. 3 InsO) wegen des in § 210 InsO angeordneten Vollstre-
ckungsverbots kein Rechtsschutzbedürfnis für den Erlass eines Kostenfestset-
zungsbeschlusses (§ 104 ZPO) gegen den im Rechtsstreit unterlegenen Insol-
venzverwalter. Altmassegläubiger ist eine Partei, deren Erstattungsanspruch
durch Klageerhebung vor Anzeige der Masseunzulänglichkeit begründet wurde
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(BGH, Beschl. v. 17. März 2005 - IX ZB 247/03, ZIP 2005, 817, 818). Wird eine
Klage hingegen erst nach Anzeige der Masseunzulänglichkeit rechtshängig,
handelt es sich bei dem Kostenerstattungsanspruch der gegen den Insolvenz-
verwalter obsiegenden Partei um eine Neumasseverbindlichkeit (§ 209 Abs. 1
Nr. 2 InsO), weil der Anspruch erst nach der Anzeige entstanden ist. Auch ei-
nem Neumassegläubiger, für den das Vollstreckungsverbot des § 210 InsO
nicht unmittelbar gilt (vgl. BGHZ 167, 178, 186 ff Rn. 20 ff), fehlt das Rechts-
schutzinteresse für den Erlass eines Kostenfestsetzungsbeschlusses, sofern
der Insolvenzverwalter die Masseunzulänglichkeit glaubhaft macht. Da der Ein-
wand nicht die verbindliche Wirkung einer Anzeige hat (§ 208 InsO), obliegen
dem Insolvenzverwalter in einem Urteilsverfahren die Darlegung und der volle
Nachweis der Masseunzulänglichkeit. Handelt es sich - wie hier - um ein Kos-
tenfestsetzungsverfahren, hat der Insolvenzverwalter die Masseunzulänglichkeit
gemäß § 104 Abs. 2 ZPO glaubhaft zu machen (BGH, Beschl. v. 22. September
2005 - IX ZB 91/05, ZIP 2005, 1983, 1984; v. 27. September 2007 - IX ZB
172/05, ZIP 2007, 2140, 2141 Rn. 6 f). Die Kosten des Insolvenzverfahrens ge-
nießen - was das Beschwerdegericht verkannt hat - gemäß § 209 Abs. 1 Nr. 1
InsO absoluten Vorrang auch gegenüber Neumasseverbindlichkeiten (BGHZ
167, 178, 187 Rn. 22).
b) Der Kläger hat im Streitfall bereits am 14. April 2003 gegenüber dem
Insolvenzgericht die Masseunzulänglichkeit angezeigt. Die erneute Anzeige der
Masseunzulänglichkeit am 3. Januar 2007 begründet kein Vollstreckungsverbot
aus § 210 InsO, weil Neumasseverbindlichkeiten nicht allein durch eine spätere
Anzeige zu Altmasseverbindlichkeiten zurückgestuft werden dürfen (BGHZ 154,
358, 368; 167, 178, 184 Rn. 15 f; MünchKomm-InsO/Hefermehl, 2. Aufl. § 208
Rn. 60).
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c) Da die sonach maßgebliche Anzeige der Masseunzulänglichkeit vom
14. April 2003 erfolgte, bevor der Kläger den Rechtsstreit durch den Schriftsatz
vom 27. August 2003 aufgenommen hat, bildet die Kostenforderung der Beklag-
ten eine Neumasseverbindlichkeit (§ 209 Abs. 1 Nr. 2 InsO). Denn der Grund
für den Kostenerstattungsanspruch wurde nach der Anzeige der Masseunzu-
länglichkeit gelegt. In diesem Fall fehlt gleichwohl ein Rechtsschutzinteresse für
den Erlass eines Kostenfestsetzungsbeschlusses, wenn die Masseunzu-
länglichkeit glaubhaft gemacht worden ist. Dies ist dem Kläger gelungen.
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aa) Der Kläger hat im Einzelnen dargelegt, dass sich die auf einem Giro-
konto und auf einem Festgeldkonto angelegten Geldmittel der Masse auf insge-
samt 11.181,59 € belaufen und sich dieser Bestand nach Abzug der Verfah-
renskosten über 8.471,63 €, die entgegen der Auffassung des Beschwerde-
gerichts absoluten Vorrang auch vor Neumasseverbindlichkeiten genießen
(BGHZ 167, aaO S. 186 Rn. 18), auf 2.709,96 € vermindern wird. Mit Rücksicht
auf die Neumasseverbindlichkeit aus dem Kostenfestsetzungsbeschluss über
20.497,96 € ergibt sich folglich eine Unterdeckung von 17.788 €. Das Vorbrin-
gen zum Massebestand hat der Kläger durch Vorlage von aktuellen Kontoaus-
zügen und die Verfahrenskosten durch Vorlage einer Verwalterrechnung sowie
die Berechnung der Gerichtskosten belegt.
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bb) Der Sachvortrag des Klägers ist schlüssig und findet in den zwecks
Glaubhaftmachung (§ 294 ZPO) vorgelegten Unterlagen volle Bestätigung.
Demgemäß ist von einer - durch das pauschale Bestreiten des Beklagten nicht
in Frage gestellten - hinreichenden Glaubhaftmachung auszugehen. Dies hat
das Kammergericht verkannt, das - in sich widersprüchlich - einerseits die Fra-
ge einer Glaubhaftmachung offen gelassen hat, andererseits aber ohne jede
Begründung von einer fehlenden Glaubhaftmachung ausgegangen ist. Infolge
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der Glaubhaftmachung der Masseunzulänglichkeit kann der Kläger nicht auf
den Rechtsbehelf einer Vollstreckungsabwehrklage (§ 767 ZPO) verwiesen
werden (vgl. BGH, Beschl. v. 27. September 2007 aaO Rn. 9).
d) Ein Feststellungsausspruch scheidet zugunsten der Beklagten man-
gels eines Feststellungsinteresses aus. Denn der Kläger hat entgegen der Auf-
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fassung des Beschwerdegerichts abgesehen vom Einwand der Masseunzu-
länglichkeit gegen den Kostenfestsetzungsantrag weder sachliche noch rechne-
rische Einwände erhoben.
Ganter
Kayser
Gehrlein
Fischer
Grupp
Vorinstanzen:
LG Berlin, Entscheidung vom 15.08.2006 - 11 O 316/98 -
KG Berlin, Entscheidung vom 15.05.2007 - 1 W 361/06 -