Urteil des BGH vom 02.09.2013

BGH: ermächtigung, vertretung, aufgabenbereich, fristbeginn, fristeinhaltung, form, rücknahme, pflichtverteidiger

BUNDESGERICHTSHOF
BESCHLUSS
1 StR 369/13
vom
2. September 2013
in dem Sicherungsverfahren
gegen
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Der 1. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat am 2. September 2013 gemäß
§ 346 Abs. 2, § 349 Abs. 1 StPO beschlossen:
1. Der Beschluss des Landgerichts Deggendorf vom 19. April
2013 wird aufgehoben.
2. Die Revision der Beschuldigten gegen das Urteil des Landge-
richts Deggendorf vom 31. Januar 2013 wird als unzulässig
verworfen.
3. Die Beschwerdeführerin hat die Kosten des Rechtsmittels zu
tragen.
Gründe:
I.
Das in ihrer Abwesenheit verkündete Urteil vom 31. Januar 2013 wurde
der Beschuldigten am 22. Februar 2013 zugestellt. Ihre Revision ging fristge-
recht am 27. Februar 2013 ein. Mit Schriftsatz vom 18. März 2013 nahm der
Pflichtverteidiger die Revision zurück.
Das Landgericht forderte den Verteidiger auf, die gemäß § 302 Abs. 2
StPO erforderliche ausdrückliche Ermächtigung zur Revisionsrücknahme vorzu-
legen. Dieser übersandte ein Schreiben des Betreuers der Beschuldigten, in
dem um Rücknahme der Revision gebeten wird.
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Nach dem Betreuerausweis vom 20. Oktober 2011 (Blatt 17 der Sachak-
ten) vertritt der Betreuer die Betroffene im Rahmen seines Aufgabenkreises
gerichtlich und außergerichtlich. Der Aufgabenbereich umfasst insbesondere
die Aufenthaltsbestimmung, Gesundheitsfürsorge, Vermögensvorsorge, Vertre-
tung gegenüber Behörden und Wohnungsangelegenheiten.
Durch Beschluss vom 19. April 2013 hat das Landgericht gemäß § 346
Abs. 1 StPO die Revision als unzulässig verworfen, da eine wirksame Revisi-
onsrücknahme nicht vorliege und die Revisionsanträge und ihre Begründung
nicht in der Frist des § 345 Abs. 1 StPO angebracht worden seien.
Dieser Beschluss wurde am 26. April 2013 dem Verteidiger zugestellt.
Am 30. April 2013 legte der Verteidiger gegen diesen Beschluss "Beschwerde"
ein. Mit weiterem Schriftsatz stellte er klar, dass damit eine Entscheidung des
Revisionsgerichts (§ 346 Abs. 2 Satz 1 StPO) begehrt wird.
II.
Der als Antrag auf Entscheidung des Revisionsgerichts (§ 346 Abs. 2
StPO) zu wertende Schriftsatz vom 30. April 2013 hat im Ergebnis keinen Er-
folg. Zwar ist der Beschluss des Landgerichts vom 19. April 2013 aufzuheben;
doch war die Revision vom Senat als unzulässig zu verwerfen (§ 349 Abs. 1
StPO).
1. Der zulässige Antrag auf Entscheidung des Revisionsgerichts führt zur
Aufhebung des Beschlusses, mit dem das Landgericht die Revision als unzu-
lässig verworfen hat. Für diese Entscheidung war das Landgericht nicht zustän-
dig.
Seine Befugnis zur Verwerfung der Revision ist auf diejenigen Fälle be-
schränkt, in denen der Beschwerdeführer die für die Einlegung und Begründung
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des Rechtsmittels vorgeschriebenen Formen und Fristen nicht gewahrt hat
(§ 346 Abs. 1 StPO). Kann sich die Unzulässigkeit der Revision aus einem an-
deren Grund ergeben, so hat allein das Revisionsgericht zu entscheiden, das
sich nach § 349 Abs. 1 StPO umfassend mit dem Gesamtkomplex der Zuläs-
sigkeit befassen muss. Dies gilt auch dann, wenn ein solcher Grund mit Män-
geln der Form- und Fristeinhaltung zusammentrifft (vgl. u.a. BGH, Beschlüsse
vom 19. Februar 2008 - 3 StR 23/08, vom 17. Juli 2007 - 1 StR 271/07, vom
5. Oktober 2006 - 4 StR 375/06, vom 8. November 2000 - 2 StR 426/00 jeweils
mwN).
Da im vorliegenden Fall auch die vorgreifliche Frage der Wirksamkeit der
Rechtsmittelrücknahme zu prüfen war, obliegt die Entscheidung über die Zuläs-
sigkeit des Rechtsmittels dem Revisionsgericht (vgl. auch Meyer-Goßner,
StPO, 56. Aufl., Rn. 2 zu § 346 StPO).
2.
Die
Rechtsmittelrücknahme
war
nicht
wirksam,
da
der
(Pflicht-)Verteidiger nicht gemäß § 302 Abs. 2 StPO zur Zurücknahme aus-
drücklich ermächtigt war. Die Zustimmung des Betreuers stellt hier keine aus-
drückliche Ermächtigung dar; denn sein Aufgabenbereich umfasst nicht auch
die Vertretung in Strafsachen (vgl. u.a. Radtke in Radtke/Hohmann, StPO,
Rn. 4 zu § 298 StPO; Meyer-Goßner, aaO, Rn. 3 zu § 302 i.V.m. Rn. 1 zu
§ 298; vgl. auch OLG Hamm, NStZ 2008, 119).
Die Beschuldigte selbst hat keine Ermächtigung zur Revisionsrücknahme
erteilt.
3. Die Revision ist vom Senat als unzulässig zu verwerfen, weil sie nicht
fristgerecht begründet worden ist (§ 349 Abs. 1 StPO). Die für den Fristbeginn
maßgebliche Urteilszustellung (§ 345 Abs. 1 Satz 2 StPO) ist am 22. Februar
2013 erfolgt.
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Innerhalb der Monatsfrist des § 345 Abs. 1 Satz 1 StPO ist eine Revisi-
onsbegründung nicht abgegeben worden.
Rothfuß
Graf
Jäger
Radtke
Mosbacher
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