Urteil des BGH vom 19.01.2001
Leitsatzentscheidung
BUNDESGERICHTSHOF
IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
V ZR 217/00
Verkündet am:
19. Januar 2001
K a n i k ,
Justizamtsinspektorin
als Urkundsbeamtin
der Geschäftsstelle
in dem Rechtsstreit
Nachschlagewerk:
ja
BGHZ:
nein
BGHR:
ja
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ErbbauVO § 9 a
Ist nach dem Erbbaurechtsvertrag eine Anpassung des Erbbauzinses an die Ände-
rung der wirtschaftlichen Verhältnisse durch einen Schiedsgutachter nur insoweit
zulässig, als sie unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalles nicht unbil-
lig ist, darf im Falle der Bestellung des Erbbaurechts zur Errichtung eines Miethau-
ses im sozialen Wohnungsbau bei der Anpassung nicht unberücksichtigt bleiben,
daß die erzielbaren Mieten auf Dauer hinter der Kostenmiete zurückbleiben.
BGH, Urt. v. 19. Januar 2001 - V ZR 217/00 - Kammergericht
LG Berlin
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Der V. Zivilsenat des Bundesgerichtshofes hat auf die mündliche Verhandlung
vom 19. Januar 2001 durch den Vorsitzenden Richter Dr. Wenzel und die
Richter Schneider, Prof. Dr. Krüger, Dr. Klein und Dr. Gaier
für Recht erkannt:
Auf die Rechtsmittel der Klägerin werden das Urteil des
24. Zivilsenats des Kammergerichts in Berlin vom 10. April
2000 aufgehoben und das Urteil der Zivilkammer 13 des
Landgerichts Berlin vom 12. April 1999 geändert:
Es wird festgestellt, daß bei der Bestimmung des Erbbau-
zinses für die Erbbaurechte an den Grundstücken O.
Weg und H. Straße ab dem 1. April
1997 und für das Grundstück S. Straße
ab dem 8. Juli 1998 ein eventuelles Unterschreiten der
Mieterträge gegenüber der Kostenmiete zu berücksichtigen
ist.
Der Beklagte trägt die Kosten des Rechtsstreits.
Von Rechts wegen
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Tatbestand:
Durch Verträge vom 6. März 1992 und 7. Oktober 1992 bestellte das
beklagte Land B. (im folgenden: Beklagter) der klagenden Wohnungsbau-
genossenschaft ein Erbbaurecht an seinen Grundstücken O. Weg ,
H. Straße und S. Straße . Die Klägerin
übernahm in den Verträgen die Verpflichtung, die Grundstücke unverzüglich
nach genehmigten Plänen im Rahmen des öffentlich geförderten Wohnungs-
baus mit Mietwohnhäusern zu bebauen. Der Erbbauzins wurde auf der Grund-
lage von 4,5 % des Grundstückswertes mit 60.915,60 DM bzw. 43.325,85 DM
jährlich vereinbart. Zu seiner Änderung heißt es in den Verträgen:
"Der Erbbauzins ist auf Verlangen eines Vertragspartners angemessen
zu erhöhen oder zu senken
1. bei einer Änderung der allgemeinen wirtschaftlichen Verhält-
nisse ...
2. ....
Eine Änderung des Erbbauzinses kann nur verlangt werden, soweit dies
unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalles nicht unbillig ist."
Für den Fall, daß die Parteien sich über die Änderung des Erbbauzin-
ses nicht einigen, sehen die Erbbaurechtsverträge die Entscheidung durch ei-
nen Gutachterausschuß als Schiedsgutachter vor.
Die Klägerin errichtete die Häuser. Von 1992 bis 1996 stieg der Mittel-
wert aus dem Preisindex für einen Vier-Personen-Arbeitnehmerhaushalt mit
mittlerem Einkommen, aus den Bruttowochenverdiensten der Arbeiter in der
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Industrie und aus den Bruttomonatslöhnen der Angestellten in Industrie und
Handel um mehr als 12,1 %. Im Hinblick hierauf verlangte der Beklagte mit
Schreiben vom 27. Februar 1997 die Zustimmung der Klägerin zur Erhöhung
des Erbbauzinses für die Grundstücke O. Weg und H.
Straße um 7,125 % und mit Schreiben vom 2. Juli 1998 für das Grundstück
S. Straße um 7,2 %. Die Klägerin verweigerte die Zustim-
mung, weil sie die aus der Erhöhung des Erbbauzinses folgende Erhöhung der
Kostenmiete an die Mieter der Wohnungen nicht weitergeben könne. Die Woh-
nungen stünden zum Teil leer und seien im Hinblick auf die rückläufigen Mie-
ten in B. nicht mehr kostendeckend zu vermieten. Der Beklagte leitete dar-
aufhin das in den Erbbaurechtsverträgen vereinbarte Schiedsgutachterverfah-
ren ein.
Die Klägerin hat beantragt festzustellen, daß bei der Bestimmung des
Erbbauzinses zu berücksichtigen sei, daß die Mieterträge die Kostenmiete
eventuell unterschritten.
Das Landgericht hat die Klage abgewiesen, die Berufung der Klägerin ist
erfolglos geblieben. Mit der zugelassenen Revision verfolgt die Klägerin ihren
Antrag weiter.
Entscheidungsgründe:
I.
Das Berufungsgericht meint, die beantragte Feststellung könne nicht
getroffen werden. Die in den Erbbaurechtsverträgen vereinbarte Erhöhungs-
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klausel sei dahin auszulegen, daß allein die Änderung der zur Grundlage des
Erhöhungsverlangens des Beklagten gemachten Faktoren, nämlich Lebenhal-
tungskosten und Einkommen, Berücksichtigung zu finden hätten. Ob die Miet-
erträge die Kostenmiete unterschritten, sei im Rahmen der Voraussetzungen
der Änderung des Erbbauzinses nicht zu prüfen, sondern begrenze dessen
Erhöhung.
II.
Die Revision hat Erfolg.
1. Die Klage ist zulässig. Die Klägerin verlangt, dem nach den Erbbau-
rechtsverträgen zur Anpassung des Erbbauzinses zuständigen Gutachteraus-
schuß ein Kriterium vorzugeben, das bei der Anpassung zu berücksichtigen ist,
andernfalls die Entscheidung des Ausschusses grob unbillig sei. Dies kann im
Wege der beantragten Feststellung geschehen (Senatsurt. v. 3. November
1995, V ZR 182/94, WM 1996, 408, 409).
2. Die Auslegung der von dem Beklagten zur Grundlage seiner Erhö-
hungsverlangen gemachten Klausel, der "Änderung der allgemeinen wirt-
schaftlichen Verhältnisse", durch das Berufungsgericht, entscheidend sei inso-
weit der Mittelwert aus dem Preisindex für einen Vier-Personen-
Arbeitnehmerhaushalt mit mittlerem Einkommen, den Bruttowochenverdiensten
der Arbeiter in der Industrie und den Bruttomonatseinkommen der Angestellten
in Industrie und Handel, ist revisionsrechtlich nicht zu beanstanden (vgl. Se-
natsurt. v. 26. Februar 1988, V ZR 155/86, WM 1988, 720, 721, und 24. April
1992, V ZR 52/91, WM 1992, 1321, 1322).
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3. Rechtsfehlerhaft hat das Berufungsgericht jedoch der Beschränkung
der nach den Erbbaurechtsverträgen möglichen Änderung des Erbbauzinses
durch die vereinbarte Billigkeitsregelung keine Bedeutung für die von der Klä-
gerin beantragte Feststellung beigemessen. Entgegen seiner Auffassung
kommt es nicht darauf an, ob die Billigkeitsprüfung Tatbestandsvoraussetzung
oder Schranke des Erhöhungsverlangens ist. Entscheidend ist, daß dem Gut-
achterausschuß vereinbarungsgemäß die Neubestimmung des Erbbauzinses
als Schiedsgutachter obliegt. Hierzu bedarf es nicht nur der Feststellung, daß
die allgemeinen wirtschaftlichen Verhältnisse seit Abschluß der Verträge oder
der letzten Neufestsetzung des Erbbauzinses eine Änderung erfahren haben.
Ist diese Voraussetzung gegeben, hat der Gutachterausschuß vielmehr den
Erbbauzins neu zu bestimmen. Hierbei ist zu prüfen, ob es "unter Berücksichti-
gung aller Umstände des Einzelfalles der Billigkeit entspricht", den Erbbauzins
wegen der Änderung der allgemeinen wirtschaftlichen Verhältnisse neu zu be-
stimmen, und in welchem Umfang die Anpassung der Änderung der allgemei-
nen wirtschaftlichen Verhältnisse entsprechen soll.
Billigkeit ist die Gerechtigkeit des Einzelfalles. Zu ihrer Feststellung sind
die Interessen beider Vertragspartner unter Berücksichtigung der Umstände
des Einzelfalles im Rahmen der vereinbarten Regelung zu suchen, gegenein-
ander abzuwägen und zu werten (vgl. BGHZ 18, 149, 151 f; 41, 271, 280 ff).
Nur solche Umstände, die in der Risikosphäre allein einer der Vertragsparteien
angesiedelt sind, bleiben außer Betracht (Senat, BGHZ 73, 225, 228).
Grundsätzlich können die aus der Vermietung des von dem Erbbaube-
rechtigten errichteten Gebäudes erzielbaren Mieten bei der Neufestsetzung
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des Erbbauzinses aufgrund einer Änderung der allgemeinen wirtschaftlichen
Verhältnisse keine Berücksichtigung finden. Denn sie sind schon Bestandteil
der Lebenshaltungskosten. Hierdurch fließen sie in die Neufestsetzung des
Erbbauzinses aufgrund einer Änderung dieser Verhältnisse ein. Das Risiko
wirtschaftlicher Vermietung trägt grundsätzlich der Erbbauberechtigte.
Die Klägerin macht indessen zutreffend geltend, daß im vorliegenden
Fall jede Bestimmung des Erbbauzinses durch den Gutachterausschuß, bei der
die Lage auf dem Wohnungsmarkt in B. außer acht gelassen wird, eine
Neubestimmung offenbar unbillig sein läßt. Die Feststellung der Entwicklung
der Lebenshaltungskosten beruht auf dem Durchschnitt der zur Bestimmung
dieser Kosten berücksichtigten Faktoren in der Bundesrepublik Deutschland.
Einer unterschiedlichen Entwicklung einzelner Faktoren in einzelnen Gebieten
kommt dabei nur insoweit Bedeutung zu, als sich diese Faktoren in ihrer Ge-
samtheit auf den Durchschnittswert auswirken. Das kann zu erheblichen Ver-
zerrungen führen. Eine solche Verzerrung behauptet die Klägerin für B. .
Das hierin begründete Risiko hat die Klägerin aufgrund der Ausgestal-
tung der Erbbaurechtsverträge und dem Zweck ihres Abschlusses nicht allein
zu tragen. Die Erbbaurechtsverträge verpflichteten sie, die Erbbaugrundstücke
nach vorliegenden genehmigten Plänen im Rahmen des sozialen Wohnungs-
baus mit Mietwohnhäusern zu bebauen. Eine andersartige Nutzung der Ge-
bäude als durch Vermietung der geschaffenen Wohnungen ist der Klägerin
verwehrt. Trifft es zu, daß die richtig ermittelte Kostenmiete in B. nicht mehr
erzielt wird und eine Erhöhung des Erbbauzinses nicht durch eine Erhöhung
des Mietzinses an die Mieter weitergegeben werden kann, verwirklicht sich bei
einer Erhöhung des Erbbauzinses daher kein Risiko, das die Klägerin aufgrund
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einer von ihr getroffenen wirtschaftlichen Entscheidung allein zu tragen hat,
sondern eine Gefahr, die ihre Grundlage in dem Zweck der Belastung der
Grundstücke zugunsten der Klägerin und den hierzu zwischen den Parteien
getroffenen Regelungen findet. Hierdurch unterscheidet sich der vorliegende
Fall von der Situation, die dem Urteil des Senats vom 4. Mai 1990, V ZR 21/89,
WM 1990, 1395 ff zugrunde liegt.
Ist absehbar, daß eine Erhöhung des Erbbauzinses nicht an die Mieter
der Wohnungen weiter gegeben werden kann und dauerhaft zu Verlusten der
Klägerin führt, ist jede Bestimmung des Erbbauzinses, die das außer acht läßt,
offenbar unbillig im Sinne von § 319 Abs. 1 BGB. Das muß in die Abwägung
des Gutachterausschusses einfließen, ohne daß eine höhere Festssetzung des
Erbbauzinses hierdurch von vorneherein ausgeschlossen wird.
Wenzel
Schneider
Krüger
Klein
Gaier