Urteil des BGH vom 09.01.2002

Leitsatzentscheidung

BUNDESGERICHTSHOF
IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
XII ZR 58/00
Verkündet am:
9. Januar 2002
Breskic,
Justizangestellte
als Urkundsbeamtin
der Geschäftsstelle
in der Familiensache
Nachschlagewerk: ja
BGHZ: ja
BGB §§ 1316 Abs. 1 Nr. 1, 1306
Zur Antragsberechtigung der dritten Person nach § 1316 Abs. 1 Nr. 1 i.V. mit § 1306
BGB.
BGH, Urteil vom 9. Januar 2002 - XII ZR 58/00 - OLG Oldenburg
AG Jever
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Der XII. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat auf die mündliche Verhandlung
vom 9. Januar 2001 durch die Vorsitzende Richterin Dr. Hahne und die Richter
Weber-Monecke, Prof. Dr. Wagenitz, Dr. Ahlt und Dr. Vézina
für Recht erkannt:
Auf die Rechtsmittel der Antragsgegner werden das Urteil des
14. Zivilsenats - 5. Senat für Familiensachen - des Oberlandesge-
richts Oldenburg vom 13. Januar 2000 und das Urteil des Amtsge-
richts - Familiengericht - Jever vom 11. August 1999 aufgehoben.
Der Antrag wird zurückgewiesen.
Die Kosten des Verfahrens hat der Antragsteller zu tragen.
Von Rechts wegen
Tatbestand:
Der Antragsteller begehrt die Aufhebung der von den Antragsgegnern
geschlossenen Ehe.
Der Antragsteller und die Antragsgegnerin zu 1 sind russische Staats-
angehörige. Ihre 1984 im heutigen Rußland geschlossene Ehe wurde auf An-
trag der Antragsgegnerin zu 1 am 20. Juli 1995 vom Bezirksvolksgericht O.
von Moskau in Abwesenheit des Antragstellers geschieden. Das hierge-
gen gerichtete Rechtsmittel des Antragstellers wurde am 6. September 1995
vom Gerichtskollegium des Moskauer Stadtgerichtshofs zurückgewiesen; die
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Scheidung wurde standesamtlich eingetragen. Am 24. November 1995 schlos-
sen die Antragsgegnerin zu 1 und der deutsche Antragsgegner zu 2 vor dem
Standesamt S. die Ehe.
1996 hob das Präsidium des Moskauer Stadtgerichtshofs das Urteil des
Bezirksvolksgerichts O. auf und verwies die Sache zur erneuten Ver-
handlung an das Bezirksvolksgericht B. von Moskau zurück.
Durch Entscheidung des Bezirksvolksgerichts B. von Mos-
kau vom 12. November 1996 wurde die Ehe des Antragstellers mit der An-
tragsgegnerin zu 1 erneut geschieden. Das hiergegen eingelegte Rechtsmittel
des Antragstellers wurde vom Gerichtskollegium für Zivilsachen des Moskauer
Stadtgerichtshofs mit Entscheidung vom 24. Dezember 1996 zurückgewiesen.
Die standesamtliche Eintragung über die frühere, vom Bezirksvolksge-
richt O. von Moskau am 20. Juli 1995 ausgesprochene und vom Ge-
richtskollegium des Moskauer Stadtgerichtshofs am 6. September 1995 bestä-
tigte Scheidung der Ehe des Antragstellers mit der Antragsgegnerin zu 1 wurde
vom Bezirksvolksgericht B. von Moskau mit Entscheidung vom
17. März 1997 für unwirksam erklärt.
Das Familiengericht hat die Ehe der Antragsgegner aufgehoben, weil die
Antragsgegnerin zu 1 im Zeitpunkt ihrer Eheschließung mit dem Antragsgegner
zu 2 noch mit dem Antragsteller verheiratet war. Das Oberlandesgericht hat die
Berufung der Antragsgegner zurückgewiesen. Hiergegen richtet sich die zuge-
lassene Revision, mit der die Antragsgegner die Zurückweisung des Antrags
auf Aufhebung ihrer Ehe weiterverfolgen.
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Entscheidungsgründe:
Das Rechtsmittel hat Erfolg.
1. Die Frage, ob eine Ehe fehlerhaft geschlossen worden ist und welche
Rechtsfolgen sich an den Fehler knüpfen, beurteilt sich, wie auch das Ober-
landesgericht zu Recht annimmt, für jeden der Ehegatten nach seinem Hei-
matrecht (Art. 13 Abs. 1 EGBGB).
2. Das danach für die Antragsgegnerin zu 1 maßgebende russische
Recht verbietet nach den Feststellungen des Oberlandesgerichts zwar die
Eheschließung, wenn ein Partner der zu schließenden Ehe noch durch eine
frühere Ehe gebunden ist. Eine gleichwohl geschlossene Ehe könne jedoch als
von dem Zeitpunkt an gültig festgestellt werden, in dem der die Eheschließung
hindernde Umstand fortgefallen ist. Diese Voraussetzung hat das Oberlandes-
gericht bejaht und gefolgert, daß die Ehe der Antragsgegner nach russischem
Recht nicht mehr für ungültig erklärt werden kann, nachdem die Ehe des An-
tragstellers mit der Antragsgegnerin zu 1 durch die Entscheidung des Bezirks-
volksgerichts B. von Moskau vom 12. November 1996 geschieden
und das hiergegen gerichtete Rechtsmittel des Antragstellers vom Gerichts-
kollegium für Zivilsachen des Moskauer Stadtgerichtshofs mit Entscheidung
vom 24. Dezember 1996 zurückgewiesen worden ist. Die Revision nimmt dies
als ihr günstig hin.
3. Hinsichtlich des Antragsgegners zu 2 geht das Berufungsgericht da-
von aus, daß dessen Ehe mit der Antragsgegnerin zu 1 nach dem insoweit
maßgebenden deutschen Recht gegen das zweiseitig wirkende Verbot der
Doppelehe verstößt, deshalb nach den zur Zeit der Eheschließung geltenden
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§§ 20, 23 EheG hätte für nichtig erklärt werden können und nunmehr - gemäß
dem nach Art. 226 Abs. 1, 3 EGBGB anwendbaren § 1314 Abs. 1 i.V. mit
§ 1306 BGB - auf den Antrag des Antragstellers hin aufzuheben ist. Diese
Ausführungen halten einer rechtlichen Überprüfung nicht stand.
a) Richtig ist der Ausgangspunkt des Oberlandesgerichts. Danach be-
stimmt sich die Vorfrage, ob die Antragsgegnerin zu 1 im Zeitpunkt ihrer Ehe-
schließung mit dem Antragsgegner zu 2 bereits von dem Antragsteller wirksam
geschieden und der Antragsgegner zu 2 deshalb aus der Sicht des deutschen
Rechts an einer Eheschließung mit der Antragsgegnerin zu 1 nicht gehindert
war, gemäß Art. 17 Abs. 1 Satz 1 EGBGB nach russischem Recht.
b) Die Revision rügt im wesentlichen eine fehlerhafte Ermittlung des rus-
sischen Rechts (§ 293 ZPO): Nach dem für den vorliegenden Fall maßgeben-
den Art. 40 des Ehe- und Familiengesetzbuchs der Russischen Sowjetrepublik
(EFGB von 1969; hier anwendbar gemäß Art. 169 Punkt 1 des Familiengesetz-
buchs der Russischen Föderation von 1995) wirke die Eintragung der Ehe-
scheidung im Zivilstandsregister konstitutiv. Außerdem kenne das russische
Zivilverfahrensrecht einen zweizügigen ordentlichen Verfahrensaufbau, wobei
den Parteien gegen die erstinstanzliche Entscheidung der Bezirksvolksgerichte
die Kassationsbeschwerde als ordentliches Rechtsmittel mit Devolutiv- und
Suspensiveffekt offenstehe. Im Gegensatz dazu stelle das sogenannte Auf-
sichtsverfahren der Staatsanwaltschaft nach (sowjet-) russischer Tradition ein
außerordentliches Rechtsmittel dar, das gegen rechtskräftige Entscheidungen
eingelegt werde und nicht nur der Beseitigung eines Präjudizes diene, sondern
auch Rechtswirkungen inter partes entfalte und damit rechtskräftige Entschei-
dungen beseitige. Für den vorliegenden Fall sei deshalb davon auszugehen,
daß die Ehe des Antragstellers mit der Antragsgegnerin zu 1 durch die Ent-
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scheidung des Bezirksvolksgerichts O. von Moskau vom 20. Juli 1995
und die am 3. August 1995 erfolgte Registrierung dieser Entscheidung rechts-
kräftig geschieden worden sei.
c) Es kann dahinstehen, ob diese Ausführungen der Revision zum russi-
schen Recht zutreffen (vgl. Piekenbrock IPRax 2001, 119, der - ebenso wie
auch die Revision - die Anwendbarkeit des russischen EFGB von 1969 aus
Art. 169. Abs. 1, nicht aus der spezielleren Norm des Art. 169 Abs. 3 des russi-
schen FGB von 1995 herleitet) und revisionsrechtlich beachtlich sind (vgl. dazu
etwa BGHZ 118, 151, 162 f.). Auch wenn, wie das Oberlandesgericht meint, die
Ehe des Antragstellers mit der Antragsgegnerin zu 1 im Zeitpunkt der neuen
Eheschließung der Antragsgegnerin zu 1 nach russischem Recht noch nicht
rechtskräftig geschieden war, der Antragsgegner zu 2 deshalb aus der Sicht
des für ihn maßgebenden deutschen Rechts an der Eingehung einer Ehe mit
der Antragsgegnerin zu 1 gehindert war und die gleichwohl geschlossene Ehe
der Antragsgegner deshalb an sich nach deutschem Recht aufhebbar wäre, ist
der Antragsteller dennoch nicht befugt, die Aufhebung der von seiner früheren
Ehefrau eingegangenen neuen Ehe zu begehren. Auch bei Vorliegen eines
Aufhebungsgrundes kann sich ein Aufhebungsantrag im Einzelfall als unzuläs-
sige Rechtsausübung darstellen. Das ist hier der Fall.
aa) Dabei schließt, wie das Berufungsgericht zu Recht erkennt, der Um-
stand, daß der Antragsteller aufgrund der zwischenzeitlichen Scheidung seiner
Ehe mit der Antragsgegnerin zu 1 nicht mehr deren Ehegatte ist, für sich ge-
nommen die Antragsbefugnis des Antragstellers nicht grundsätzlich aus. Schon
unter der Geltung des Ehegesetzes war anerkannt, daß die Befugnis zur Klage
auf Nichtigerklärung einer bigamischen Ehe zwar ausdrücklich nur dem "Ehe-
gatten" der vorangehenden Ehe zustand, diesem aber nicht deshalb verloren
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ging, weil seine Ehe inzwischen aufgelöst war (Senatsurteil vom 18. Juni 1986
- IVb ZR 41/85 - FamRZ 1986, 879, 880). Der Gesetzgeber des Eheschlie-
ßungsrechtsgesetzes hat diesen Gedanken verdeutlicht: Gehen zwei Personen
miteinander die Ehe ein, obwohl zwischen einer dieser beiden Personen und
einer dritten Person bereits eine Ehe besteht, so kann "die dritte Person" auf
Aufhebung der späteren Ehe antragen (§ 1316 Abs. 1 Nr. 1 Satz 1 BGB); auf
die Frage, ob die frühere Ehe noch besteht und die "dritte Person" folglich noch
Ehegatte eines Partners der späteren Ehe ist, kommt es für die Antragsbefug-
nis also schon nach dem Gesetzeswortlaut nicht an (vgl. auch
MünchKomm/Gindullis BGB 4. Aufl., § 1316 Rdn. 2).
bb) Richtig ist auch die Erkenntnis des Berufungsgerichts, daß das Ge-
setz das Recht des Ehegatten der Vorehe, die Aufhebung der von seinem
Ehegatten eingegangenen bigamischen Ehe zu beantragen, grundsätzlich
nicht an ein im Einzelfall darzulegendes besonderes Rechtsschutzinteresse
knüpft. § 1316 BGB entspricht insoweit dem früheren § 24 EheG, der ein sol-
ches schützenswertes Interesse des Ehegatten der ersten Ehe an der Beseiti-
gung der bigamischen Ehe generalisierend unterstellte. Dies erschien unter
dem früheren Recht, das eine Nichtigerklärung der bigamischen Ehe erlaubte,
selbstverständlich: Mit der Nichtigerklärung wurde die bigamische Ehe rückwir-
kend beseitigt; dadurch wurde die ausschließliche Geltung der ersten Ehe wie-
derhergestellt, der Grundsatz der Einehe durchgesetzt und der vorrangig der
ersten Ehe zukommende Schutz des Art. 6 GG verwirklicht (Senatsurteil vom
18. Juni 1986 aaO und vom 17. Januar 2001 - XII ZR 266/98 - FamRZ 2001,
685, 686).
Mit dem Eheschließungsrechtsgesetz hat sich diese Ausgangslage je-
doch verändert: an die Stelle der bisher möglichen Nichtigerklärung einer bi-
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gamischen Ehe ist die bloß ex nunc wirkende Aufhebung einer solchen Ehe
getreten (vgl. Senatsurteil vom 17. Januar 2001 aaO). Dieses gewandelte
Rechtsverständnis hat zwar nicht dazu geführt, einem Ehegatten generell ein
schutzwürdiges Interesse an der Beseitigung der von seinem Ehegatten einge-
gangenen bigamischen Ehe abzusprechen. Auch mit der nur ex nunc wirken-
den Aufhebung der bigamischen Ehe wird nämlich das Spannungsverhältnis
zwischen der bigamischen Ehe und der vorrangig den Schutz des Art. 6 GG
genießenden Erstehe aufgehoben und dem Grundsatz der Einehe Geltung
verschafft. Dies gilt uneingeschränkt aber nur noch dann, wenn die erste Ehe
im Zeitpunkt der Aufhebung der bigamischen Ehe noch besteht; denn nur in
diesem Falle wird mit der begehrten Aufhebung verhindert, daß die bigamische
Ehe neben der Erstehe fortbesteht und die Rechte des Ehegatten aus der Er-
stehe schmälert. Ist die erste Ehe dagegen im Zeitpunkt der Entscheidung über
die Aufhebung der bigamischen Ehe bereits aufgelöst, kann ein in die Zukunft
weisendes Ziel nicht mehr erreicht werden. Auch an der für die Vergangenheit
bestehenden Konkurrenz zur Erstehe vermag die nur noch ex nunc wirkende
Aufhebung der bigamischen Ehe nichts mehr zu ändern; dem vom früheren
Recht anerkannten Interesse des Ehegatten der ersten Ehe an der verbindli-
chen Feststellung, daß die während seiner Ehe geschlossene Zweitehe nichtig
ist und seine eigene Ehe damit die allein gültige Ehe war (Senatsurteil vom
18. Juni 1986 aaO), bietet das neue Recht nicht länger Raum.
Die nur in die Zukunft reichende Wirkung der Aufhebung hindert zwar
nicht generell die Möglichkeit, eine bigamische Ehe auch dann noch aufzuhe-
ben, wenn die Erstehe bereits aufgelöst ist. Ein Aufhebungsantrag des Ehe-
gatten der Erstehe kann sich in solchem Falle aber nicht allein auf das - in er-
ster Linie von der zuständigen Verwaltungsbehörde unter Abwägung der in
§ 1316 Abs. 3 BGB genannten Belange zu wahrende - öffentliche Interesse an
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der Sanktionierung von Verstößen gegen das Verbot der Mehrehe stützen. Er
setzt vielmehr die Geltendmachung eigener Belange des früheren Ehegatten
voraus, die sein objektives Interesse an der Aufhebung der bigamischen Ehe
begründen und sich auch gegenüber Belangen der Ehegatten der bigamischen
Ehe und etwaiger aus ihr hervorgegangener Kinder als schutzwürdig erweisen.
Daran fehlt es im vorliegenden Fall. Der Antragsteller, der sich offenbar vehe-
ment gegen die Scheidung seiner Ehe mit der Antragsgegnerin zu 1 zur Wehr
gesetzt hat, hat keine eigenen objektiven Interessen vorgetragen, die auch
noch nach der von ihm letztlich erfolglos bekämpften Scheidung seiner eigenen
Ehe nunmehr eine Aufhebung der Ehe der Antragsgegner erfordern. Vermö-
gensrechtliche, insbesondere renten- und versorgungsrechtliche Rechtsver-
hältnisse, deren verbindliche Klärung sogar im öffentlichen Interesse liegt und
die Beseitigung einer bigamischen Ehe auch nach Scheidung der Erstehe
rechtfertigen kann (Senatsurteil vom 17. Januar 2001 aaO S. 686 f.), sind unter
den Beteiligten nicht im Streit und würden durch eine Aufhebung der bigami-
schen Ehe - soweit ersichtlich - auch nicht berührt. Die Wahrung der staatli-
chen Ordnung und ihrer Eheverbote begründet, wie ausgeführt, für sich ge-
nommen ein eigenes Aufhebungsinteresse des Antragstellers nicht.
4. Das Berufungsurteil kann danach keinen Bestand haben. Der Senat
ist in der Lage, selbst abschließend zu entscheiden (§ 565 Abs. 3 ZPO), da
weitere tatsächliche Feststellungen weder zu erwarten noch erforderlich sind.
Da sich der Antrag auf Aufhebung der Ehe der Antragsgegner als unzulässige
Rechtsausübung darstellt und deshalb unzulässig ist, waren sowohl das Beru-
fungsurteil wie auch das die Eheaufhebung aussprechende Urteil des Famili-
engerichts aufzuheben und der Antrag auf Eheaufhebung zurückzuweisen.
Hahne
Weber-Monecke
Wagenitz
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Ahlt
Vézina