Urteil des BGH vom 09.02.2010
BGH (stgb, erpressung, anordnung, unterbringung, krankenhaus, schwere, schuldfähigkeit, störung, alkohol, bedrohung)
BUNDESGERICHTSHOF
BESCHLUSS
3 StR 11/10
vom
9. Februar 2010
in der Strafsache
gegen
wegen versuchter schwerer räuberischer Erpressung u. a.
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Der 3. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat nach Anhörung des Beschwerde-
führers und des Generalbundesanwalts - zu 1. b) und 3. auf dessen Antrag - am
9. Februar 2010 gemäß § 349 Abs. 2 und 4 StPO einstimmig beschlossen:
1. Auf die Revision der Angeklagten wird das Urteil des Landge-
richts Stade vom 21. September 2009 aufgehoben
a) im Fall II. 2. b) der Urteilsgründe mit den Feststellungen zur
Beschaffenheit der bei der Tat verwendeten Schreckschuss-
waffe; im Übrigen bleiben die Feststellungen zum objektiven
und subjektiven Tatgeschehen aufrechterhalten,
b) im Maßregelausspruch mit den zugehörigen Feststellungen.
2. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhand-
lung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmit-
tels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückver-
wiesen.
3. Die weitergehende Revision wird verworfen.
Gründe:
Das Landgericht hat die Angeklagte wegen gefährlicher Körperverletzung
in Tateinheit mit Bedrohung sowie wegen versuchter "schwerer räuberischer
Erpressung" zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von vier Jahren und sechs Monaten
verurteilt und ihre Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus ange-
ordnet. Gegen dieses Urteil richtet sich die Revision der Angeklagten, mit der
sie die Verletzung formellen und materiellen Rechts beanstandet. Das Rechts-
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mittel hat auf die Sachrüge den aus der Beschlussformel ersichtlichen Teiler-
folg. Im Übrigen ist es aus den Gründen der Antragsschrift des Generalbundes-
anwalts unbegründet im Sinne des § 349 Abs. 2 StPO.
1. Die Verurteilung im Fall II. 2. b) der Urteilsgründe wegen versuchter
- richtigerweise: "besonders" - schwerer räuberischer Erpressung gemäß § 250
Abs. 2 Nr. 1 StGB hält rechtlicher Nachprüfung nicht stand (vgl. zur Tenorierung
BGH NStZ-RR 2009, 377).
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Das Landgericht hat es rechtsfehlerhaft unterlassen, nähere Feststellun-
gen zur Beschaffenheit der von der Angeklagten bei Bedrohung des Erpres-
sungsopfers eingesetzten geladenen Schreckschusswaffe zu treffen. Die Vor-
aussetzungen des Qualifikationstatbestands des § 250 Abs. 2 Nr. 1 StGB sind
deshalb nicht belegt. Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs
unterfällt eine geladene Schreckschusspistole nur dann dem Waffenbegriff des
§ 250 StGB, wenn feststeht, dass beim Abfeuern der Waffe der Explosions-
druck nach vorne aus dem Lauf austritt und deshalb die Waffe nach ihrer Be-
schaffenheit geeignet ist, erhebliche Verletzungen hervorzurufen (BGHSt 48,
197, 201 f.; BGH NStZ-RR 2004, 169). Dies ergeben die Urteilsgründe nicht.
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Dieser Rechtsfehler wirkt sich auf den Schuldspruch aus, da infolge der
lückenhaften Feststellungen zur Tatwaffe nicht erkennbar ist, ob die Angeklagte
lediglich den Qualifikationstatbestand des § 250 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. b StGB
verwirklicht, mithin eine (versuchte) schwere räuberische Erpressung begangen
hat, oder eine (versuchte) besonders schwere räuberische Erpressung im Sinne
des § 250 Abs. 2 Nr. 1 StGB. Das Urteil ist deshalb, soweit es den Fall II. 2 b)
betrifft, aufzuheben. Von der Aufhebung werden jedoch lediglich die Feststel-
lungen zur Beschaffenheit der Tatwaffe erfasst; hingegen können im Übrigen
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die Feststellungen zum objektiven und subjektiven Tatgeschehen bestehen
bleiben, da sie von dem Rechtsfehler nicht betroffen sind.
2. Darüber hinaus begegnet der Maßregelausspruch durchgreifenden
rechtlichen Bedenken. Der Generalbundesanwalt hat hierzu Folgendes ausge-
führt:
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"Keinen Bestand kann ... die Anordnung der Unterbringung der Ange-
klagten in einem psychiatrischen Krankenhaus nach § 63 StGB haben.
Diese setzt voraus, dass der Ausschluss oder die erhebliche Vermin-
derung der Schuldfähigkeit auf einem länger dauernden psychischen
Defekt des Täters beruht. Hat letztlich, wie vorliegend, der Genuss von
Alkohol die Schuldfähigkeit bei der Begehung der Tat erheblich ver-
mindert, so ist für die Unterbringung in einem psychiatrischen Kran-
kenhaus grundsätzlich nur Raum, wenn der Täter an einer krankhaften
Alkoholsucht leidet oder in krankhafter Weise alkoholüberempfindlich
ist (st. Rspr. BGHSt 34, 313 ff.; 44, 369, 373; BGH NStZ-RR 2007,
138). Diese Voraussetzungen hat das Landgericht jedoch nicht fest-
gestellt; vielmehr ist der gehörte psychiatrische Sachverständige ledig-
lich zur Diagnose einer polyvalenten Abhängigkeit mit den Hauptdro-
gen Alkohol, Kokain, Heroin, Cannabinoiden gelangt (UA S. 12, 13).
Allerdings kann auch bei einer fehlenden krankhaften Sucht die An-
ordnung einer Maßregel nach § 63 StGB getroffen werden, wenn in-
folge einer dauerhaften und behandlungsbedürftigen psychischen Stö-
rung eine verhältnismäßig geringe Alkoholmenge zur Beeinträchtigung
der Steuerungsfähigkeit führt oder wenn im Zusammenwirken der
psychischen Störung und einer aktuellen Alkoholisierung als Auslöser
des nach § 21 StGB relevanten Zustandes schon geringfügige, alltäg-
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liche Ereignisse in Betracht kommen (BGHSt 44, 369, 374 ff.; Fischer
StGB 57. Auflage § 63 Rdn. 9a m.w.N.).
Auch diese Voraussetzungen ergeben sich jedoch nicht aus den Ur-
teilsgründen. Vielmehr hat die Strafkammer, dem Sachverständigen
folgend, lediglich festgestellt, 'dass die Angeklagte aufgrund der Intel-
ligenzminderung und der besonders ausgeprägten emotionalen und
sozialen Unreife in erheblicher Weise irritierbar sei, so dass sie unter
ungünstigen Rahmenbedingungen die Verhaltenssteuerung im Rah-
men der bestehenden Gesetze und Normen kaum noch aufrechterhal-
ten kann (UA S. 14, 15)', wobei aufgrund der bei beiden Taten vor-
handenen zusätzlichen mittelgradigen Alkoholisierung die Steuerungs-
fähigkeit nur noch eingeschränkt vorhanden gewesen sei (UA S. 15).
Dies genügt, wie dargelegt, für die Anordnung der Unterbringung in
einem psychiatrischen Krankenhaus nicht. Feststellungen, die eine
Anordnung nach § 63 StGB rechtfertigen, erscheinen in einer neuen
Hauptverhandlung vorliegend nicht ausgeschlossen."
Dem schließt sich der Senat an.
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Becker von Lienen Sost-Scheible
Hubert Mayer