Urteil des BGH vom 18.08.2009

BGH (strafkammer, staatsanwaltschaft, schwester, beurteilung, zweifel, zimmer, trunkenheit, stand, bewertung, zeitpunkt)

BUNDESGERICHTSHOF
IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
1 StR 155/09
vom
18. August 2009
in der Strafsache
gegen
wegen Diebstahls u.a.
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Der 1. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat in der Sitzung vom
18. August 2009, an der teilgenommen haben:
Vorsitzender Richter am Bundesgerichtshof
Nack
und die Richter am Bundesgerichtshof
Dr. Kolz,
Hebenstreit,
die Richterin am Bundesgerichtshof
Elf,
der Richter am Bundesgerichtshof
Dr. Graf,
Staatsanwältin
als Vertreterin der Bundesanwaltschaft,
Rechtsanwalt
als Verteidiger,
Rechtsanwältin
als Vertreterin der Nebenklägerin,
Justizangestellte
als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle,
für Recht erkannt:
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1. Die Revisionen der Staatsanwaltschaft und der Nebenklägerin
gegen das Urteil des Landgerichts Regensburg vom 17. No-
vember 2008 werden verworfen.
2. Die Kosten der Revision der Staatsanwaltschaft sowie die dem
Angeklagten dadurch und durch die Revision der Nebenklägerin
entstandenen notwendigen Auslagen werden der Staatskasse
auferlegt.
Die Nebenklägerin trägt die Kosten ihres Rechtsmittels.
Die
im
Revisionsverfahren entstandenen gerichtlichen Auslagen
tragen die Staatskasse und die Nebenklägerin je zur Hälfte.
Von Rechts wegen
Gründe:
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Diebstahls in fünf Fällen
sowie wegen Beleidigung zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von elf Monaten und
zwei Wochen verurteilt und von dem Vorwurf der Vergewaltigung der Neben-
klägerin aus tatsächlichen Gründen freigesprochen. Gegen den Teilfreispruch
richten sich die Revision der Staatsanwaltschaft, die die Beweiswürdigung der
Strafkammer beanstandet, und die auf eine Verfahrensrüge gestützte Revision
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der Nebenklägerin. Beide - vom Generalbundesanwalt vertretenen - Rechtsmit-
tel bleiben ohne Erfolg.
1. Nach den Feststellungen des Landgerichts begaben sich nach dem
Aufenthalt in einer Gaststätte der Angeklagte, sein Bekannter M. so-
wie die stark alkoholisierte 14-jährige Nebenklägerin und deren Schwester zum
Schlafen in das von den beiden Männern bewohnte Zimmer. Der Angeklagte
und die Nebenklägerin einerseits sowie M. und die Schwester der
Nebenklägerin andererseits legten sich bekleidet in jeweils eines der beiden
dort befindlichen Betten und schliefen zu unterschiedlichen Zeitpunkten ein.
M. und die Schwester der Nebenklägerin führten zuvor einvernehm-
lich den Geschlechtsverkehr durch.
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Den Angaben der Nebenklägerin, der Angeklagte habe seinerseits mit ihr
unter Anwendung von Gewalt den Geschlechtsverkehr vollzogen, ist das Land-
gericht nicht gefolgt. Es hat sich nicht davon zu überzeugen vermocht, dass
überhaupt sexuelle Handlungen zwischen dem - bestreitenden - Angeklagten
und der Nebenklägerin stattfanden. Den Angaben der Nebenklägerin fehlten zu
den näheren Umständen der behaupteten Tat die Konstanz, die Aussagegene-
se ergebe Rechtfertigungstendenzen. Die Nebenklägerin habe sich an jenem
Abend erstmals in einer hochgradigen Trunkenheit befunden, die illusionäre
Gedächtnisstörungen möglich erscheinen ließe. Nach den Angaben der Neben-
klägerin zu erwartende Spermaspuren oder DNA-Spuren an den Scheiden- und
Penisabstrichen seien nicht gefunden worden.
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2. Der Freispruch hält rechtlicher Nachprüfung stand.
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a) Revision der Nebenklägerin
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Die Rüge, die Strafkammer habe rechtsfehlerhaft den Hilfsbeweisantrag
auf Einholung eines aussagepsychologischen Sachverständigengutachtens ab-
gelehnt, ist nicht begründet. Die Strafkammer hat den Antrag mit der hier noch
tragfähigen Begründung, selbst über die erforderliche Sachkunde zur Beurtei-
lung der Zuverlässigkeit der Angaben der zum Zeitpunkt der Hauptverhandlung
15 Jahre alten Zeugin zu verfügen, abgelehnt.
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Die Beurteilung der Glaubhaftigkeit von Zeugenaussagen ist Aufgabe
des Tatgerichts. Es ist regelmäßig davon auszugehen, dass Berufsrichter über
diejenige Sachkunde bei der Anwendung aussagepsychologischer Glaubwür-
digkeitskriterien verfügen, die für die Beurteilung von Aussagen auch bei
schwieriger Beweislage erforderlich ist, und dass sie diese Sachkunde den be-
teiligten Laienrichtern vermitteln können. Dies gilt bei jugendlichen Zeugen erst
recht, wenn die Berufsrichter - wie hier - zugleich Mitglieder der Jugendschutz-
kammer sind und über spezielle Sachkunde in der Bewertung der Glaubwürdig-
keit von jugendlichen Zeugen verfügen (vgl. UA S. 54).
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Der Revision ist zwar einzuräumen, dass die erhebliche Alkoholisierung
der Nebenklägerin zum Zeitpunkt der dem Angeklagten zur Last gelegten Tat
sowie psychische Auffälligkeiten der Nebenklägerin die Beweiswürdigung als
durchaus problematisch erscheinen ließen. Die Strafkammer hat sich dieser
Problematik jedoch gestellt, wobei sie sich dort, wo es erforderlich erschien,
ergänzend auf sachverständigen Rat gestützt hat. Zu den mit der Trunkenheit
der Nebenklägerin einhergehenden Symptomen und sich daraus ergebenden
Folgen hat sie den Sachverständigen Dr. L. , Facharzt für Neurologie, Psy-
chiatrie und Psychotherapie, sowie zur Aussagetüchtigkeit der Nebenklägerin
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die diese behandelnde Ärztin der Kinder- und Jugendpsychiatrie angehört. Un-
ter diesen Umständen gingen die Anforderungen an die Beweiswürdigung noch
nicht über das Maß hinaus, das vom Tatrichter regelmäßig verlangt wird. Die-
sen Anforderungen ist die Strafkammer auch - wie ihre ausführlichen Erwägun-
gen zu den hier gegebenen Besonderheiten der Glaubwürdigkeitsprüfung bele-
gen - noch gerecht geworden.
b) Revision der Staatsanwaltschaft
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Die Freisprechung des Angeklagten hält auch sachlich-rechtlicher Nach-
prüfung stand.
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Die Würdigung der Beweise hat das Gesetz dem Tatrichter übertragen
(§ 261 StPO). Das Revisionsgericht hat sie regelmäßig hinzunehmen. Es ist
ihm verwehrt, sie durch eine eigene zu ersetzen oder sie nur deshalb zu bean-
standen, weil aus seiner Sicht eine andere Bewertung der Beweise näher gele-
gen hätte. Kann der Tatrichter vorhandene Zweifel nicht überwinden, so kann
das Revisionsgericht eine solche Entscheidung nur im Hinblick auf Rechtsfehler
überprüfen (st. Rspr.; vgl. etwa BGH NJW 2008, 1543).
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Einen derartigen durchgreifenden Rechtsfehler weist das angefochtene
Urteil nicht auf. Das Landgericht hat eine eingehende Prüfung der den Ange-
klagten belastenden und entlastenden Indizien vorgenommen und diese aus-
drücklich - wenn auch knapp - in ihrer Gesamtheit gewürdigt (UA S. 38, 53).
Dass es sich im Ergebnis nicht von der Zuverlässigkeit der belastenden Anga-
ben der Nebenklägerin zu überzeugen und Zweifel an der Täterschaft des An-
geklagten nicht zu überwinden vermocht hat, ist deshalb aus Rechtsgründen
nicht zu beanstanden.
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Die Verdachtsmomente gegen den Angeklagten gründeten sich maßgeb-
lich auf die Aussage der Nebenklägerin. Das Landgericht hat deshalb zu Recht
diese Aussage und ihre Entwicklung im Laufe des Verfahrens zentral in den
Blick genommen und festgestellt, dass sie zu Einzelheiten des inkriminierten
Geschehens gewechselt hat, und zwar in der Weise, dass die Nebenklägerin
zunehmend einem Erwartungsdruck nachgegeben zu haben schien. Es hat zu
berücksichtigen gehabt, dass sich die Nebenklägerin in dem behaupteten Tat-
zeitraum zum ersten Mal in einem derart starken Rauschzustand befand, dass
sie nicht mehr in der Lage war, die Treppen zu dem Zimmer des Angeklagten
hochzugehen, und selbst von Erinnerungslücken berichtete. Es hat zutreffend
auf das Fehlen verschiedener objektiver Spuren für das Stattfinden sexueller
Handlungen verwiesen, ferner darauf, dass der als glaubwürdig eingestufte Mit-
bewohner M. in dem benachbarten Bett von dem behaupteten Ge-
schehen nichts bemerkt hat.
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Diesen Umständen hat das Landgericht Beweisanzeichen gegenüberge-
stellt, die für die Glaubhaftigkeit der Angaben der Nebenklägerin sprechen
könnten. Hierbei sind weder revisionsrechtlich relevante Lücken oder Wider-
sprüche erkennbar noch hat das Landgericht dem Angeklagten nachteilig er-
scheinende Indizien in ihrem Beweiswert rechtsfehlerhaft falsch bewertet. So
hat die Strafkammer in Rechnung gestellt, dass es durchaus Anzeichen dafür
gibt, dass die Nebenklägerin zum Kerngeschehen nicht bewusst unwahr ausge-
sagt hat. Sie hat auch gesehen, dass die ungewöhnliche Lage des bei der Un-
tersuchung der Nebenklägerin aufgefundenen Tampons die Richtigkeit der Dar-
stellung der Nebenklägerin bestätigen könnte, aber nachvollziehbar dargelegt,
dass es dafür ohne weiteres andere Erklärungen geben kann als ein Eindringen
des Angeklagten in die Scheide.
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Wenn die Kammer auf dieser Grundlage die Überzeugung von der Tä-
terschaft des Angeklagten nicht gewinnen konnte, spricht dies nicht für über-
triebene Anforderungen an die zu einer Verurteilung erforderliche Gewissheit.
Vielmehr ist auch insoweit den Anforderungen an die revisionsrechtliche Nach-
prüfbarkeit der Beweiswürdigung genügt.
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3. Da sowohl die Revision der Staatsanwaltschaft als auch die der Ne-
benklägerin erfolglos geblieben sind, hat die Nebenklägerin außer der Revisi-
onsgebühr auch die Hälfte der gerichtlichen Auslagen zu tragen. Die durch die
beiden Revisionen verursachten notwendigen Auslagen des Angeklagten hat
allein die Staatskasse zu tragen (vgl. BGH NStZ-RR 2006, 128 m.w.N.).
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Nack Kolz Hebenstreit
Elf Graf