Urteil des BGH vom 22.07.2010
Leitsatzentscheidung
BUNDESGERICHTSHOF
BESCHLUSS
VII ZR 117/08
vom
22. Juli 2010
in dem Rechtsstreit
Nachschlagewerk: ja
BGHZ: nein
BGHR: ja
GG Art. 103 Abs. 1
a) Lässt die Begründung der angefochtenen Entscheidung nur den Schluss zu, dass
die Entscheidung des Gerichts auf einer allenfalls den äußeren Wortlaut, nicht
aber den Sinn des Parteivortrags erfassenden Wahrnehmung beruht, kann darin
ein Verstoß gegen den Anspruch der betroffenen Partei auf Gewährung rechtli-
chen Gehörs liegen (Anschluss an BGH, Beschluss vom 9. Februar 2009
- II ZR 77/08, BauR 2009, 1003).
BGB §§ 293, 641 Abs. 3 a.F.
b) Ein Verzug mit der Annahme einer Beseitigung von Mängeln der Werkleistung ist
nicht schon deshalb ausgeschlossen, weil der Auftraggeber irrtümlich der Auffas-
sung ist, die von ihm zurückgewiesene Nachbesserung führe nicht zu einer man-
gelfreien Leistung.
BGH, Beschluss vom 22. Juli 2010 - VII ZR 117/08 - OLG Koblenz
LG
Mainz
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Der VII. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat am 22. Juli 2010 durch den Vor-
sitzenden Richter Prof. Dr. Kniffka und die Richter Bauner, Dr. Eick, Halfmeier
und Leupertz
beschlossen:
Der Beschwerde der Klägerin gegen die Nichtzulassung der Revi-
sion wird teilweise stattgegeben.
Das Urteil des 2. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Koblenz vom
24. April 2008 wird gemäß § 544 Abs. 7 ZPO im Kostenpunkt und
insoweit aufgehoben, als dem Beklagten wegen der Mängel der
Schrägdachverglasung ein über 15.000 DM hinausgehendes Zu-
rückbehaltungsrecht in Höhe von weiteren 168.726,32
€
(330.000 DM = 345.000 DM - 15.000 DM) zuerkannt worden ist.
Die Sache wird im Umfang der Aufhebung zur neuen Verhandlung
und Entscheidung, auch über die Kosten des Nichtzulassungsbe-
schwerdeverfahrens, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.
Die weitergehende Beschwerde der Klägerin und die Beschwerde
des Beklagten gegen die Nichtzulassung der Revision werden zu-
rückgewiesen.
Gegenstandswert:
- 303.731,92 €
(NZB der Klägerin: 98.479,06 € +
NZB des Beklagten: 205.252,86 €)
- stattgebender Teil (einfache Mängel-
beseitigungskosten): 56.242,11 €
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Gründe:
I.
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Die Klägerin verlangt von dem Beklagten restlichen Werklohn aus zwei
Nachtragsrechnungen.
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Die Klägerin errichtete 1987 auf dem Grundstück des Beklagten ein Ver-
waltungsgebäude mit Produktionshalle. Für die Bauausführung war ein Pau-
schalpreis in Höhe von 3.660.000 DM netto vereinbart. Die Arbeiten wurden
1988 unter Vorbehalt verschiedener Mängelrügen abgenommen.
Bereits vor Baubeginn im Jahre 1987 stand fest, dass Nachträge zum
Pauschalvertrag erforderlich werden würden, über die die Parteien verhandel-
ten.
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Auf eine korrigierte Nachtragsrechnung vom 13. Juni 1988 mit den Posi-
tionen N
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N
24 über 792.366,58
DM zahlte der Beklagte insgesamt
442.000 DM, die Zahlung des weiteren Betrages von 350.366,58 DM lehnte er
ab. Mit einer weiteren Nachtragsrechnung vom 24. November 1989 stellte die
Klägerin für das Glasdach des Verwaltungsgebäudes dem Beklagten
75.798,41 DM in Rechnung. Der Beklagte lehnte die Zahlung ab. Er ist der An-
sicht, auf der Grundlage des Pauschalpreisvertrages bestehe kein weiterer An-
spruch auf Mehrvergütung aus den Nachtragsrechungen. Zudem beruft er sich
auf Mängel, bezüglich derer er ein Zurückbehaltungsrecht geltend macht. Wei-
ter rechnet er mit Kosten der Ersatzvornahme für nicht erbrachte Leistungen
und mit einer Vertragsstrafe hilfsweise auf.
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Das Berufungsgericht hat den Beklagten zur Zahlung von 173.777,49 €
(339.879,82 DM) Zug um Zug gegen Nachbesserung festgestellter Mängel ver-
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urteilt und die Revision nicht zugelassen. Hiergegen wenden sich beide Partei-
en mit ihren Beschwerden.
II.
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1. Das Berufungsgericht führt unter anderem aus, das Landgericht habe
zutreffend festgestellt, dass das Glasdach und der Glasanbau im Treppenhaus-
bereich mangelhaft seien, und daher zu Recht ein Zurückbehaltungsrecht des
Beklagten angenommen. Dieses bestehe nach wie vor. Aus der vorgelegten
Korrespondenz ergebe sich, dass eine endgültige Ablehnung des Nachbesse-
rungsangebots durch den Beklagten nicht festgestellt werden könne. Der Be-
klagte habe eine Nachbesserung begehrt, die die nach seiner Auffassung un-
taugliche Konstruktion beseitige, indem die vorhandene Pultdachkonstruktion in
ein Satteldach geändert werden sollte. Darauf habe der Beklagte zwar keinen
Anspruch, weil eine Sanierung auch ohne Änderung der Baugeometrie möglich
sei. Dies habe sich aber erst auf Grund der Begutachtung durch den Sachver-
ständigen ergeben. Bei dieser Sachlage sei kein Raum für die Feststellung des
Annahmeverzuges des Beklagten. Er könne daher der Klägerin deren Nach-
besserungsverpflichtung weiterhin im Wege des Zurückbehaltungsrechts ent-
gegenhalten. Dies gelte auch im Hinblick darauf, dass sich der Nachbesse-
rungsaufwand in Folge der langen Verfahrensdauer, die der Beklagte nicht zu
vertreten habe, von 15.000 DM auf 115.000 DM verteuert habe. Das aus den
Mängeln der Schrägdachverglasung resultierende Zurückbehaltungsrecht des
Beklagten belaufe sich auf den dreifachen Betrag der voraussichtlichen Sanie-
rungskosten, mithin 345.000 DM.
2. Das Berufungsurteil beruht, wie die Klägerin zu Recht rügt, auf einer
Verletzung ihres Anspruchs auf rechtliches Gehör, Art. 103 Abs. 1 GG, soweit
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das Berufungsgericht dem Beklagten wegen der Mängel der Schrägdachver-
glasung ein über 15.000 DM hinausgehendes Leistungsverweigerungsrecht in
Höhe von weiteren 168.726,32 € (330.000 DM = 345.000 DM - 15.000 DM) zu-
erkannt hat.
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a) Lässt die Begründung der angefochtenen Entscheidung nur den
Schluss zu, dass die Entscheidung des Gerichts auf einer allenfalls den äuße-
ren Wortlaut, nicht aber den Sinn des Parteivortrags erfassenden Wahrneh-
mung beruht, kann darin ein Verstoß gegen den Anspruch der betroffenen Par-
tei auf Gewährung rechtlichen Gehörs liegen (BGH, Beschluss vom
9. Februar 2009 - II ZR 77/08, BauR 2009, 1003).
b) So liegt der Fall hier. Das Berufungsgericht hat einen Annahmeverzug
des Beklagten verneint, weil er die Nachbesserung nicht endgültig abgelehnt
habe. Seine Ausführungen beschäftigen sich nur damit, dass eine endgültige
Ablehnung der Nachbesserung nicht vorliege. Allein daraus schließt das Beru-
fungsgericht auf einen fehlenden Annahmeverzug. Die Klägerin hat im Schrift-
satz vom 15. November 2004 zwar auch auf eine endgültige Ablehnung der
Nachbesserung hingewiesen. Der Kern ihres Vortrags bestand aber darin, un-
abhängig von dieser Frage den Verzug der Annahme der Nachbesserung zu
begründen. Die Klägerin hat dazu umfangreich und unter Bezug auf das
Schreiben des damaligen Beklagtenvertreters vom 28. September 1992 vorge-
tragen, dass sie die geschuldete Leistung frühzeitig und mehrfach angeboten
und der Beklagte die verschiedenen Angebote mit unterschiedlichen Begrün-
dungen zurückgewiesen habe. Mit diesem Vortrag hat sich das Berufungsge-
richt nicht befasst. Die entsprechenden Darlegungen der Klägerin waren von
zentraler Bedeutung für den Rechtsstreit. Das Berufungsgericht hätte den Vor-
trag seinem Sinn entsprechend zur Kenntnis nehmen und sich damit auseinan-
dersetzen müssen.
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c) Der Verstoß gegen den Anspruch auf rechtliches Gehör ist entschei-
dungserheblich, soweit das Berufungsgericht ein über 15.000 DM hinausge-
hendes Leistungsverweigerungsrecht zuerkannt hat. Auf der Grundlage des
Vortrags der Klägerin befand sich der Beklagte im Verzug der Annahme der
Nachbesserung. Die Klägerin hat nach ihrem Vortrag die geschuldete Leistung
mehrfach in ausreichender Weise angeboten, der Beklagte hat die Nachbesse-
rung nicht zugelassen. Der Umstand, dass der Beklagte seinerzeit glaubte, die
angebotene Nachbesserung sei unzureichend, beseitigt nicht den Annahme-
verzug. Ob der Beklagte die rechtlichen und tatsächlichen Verhältnisse seines
Annahmeverzuges erkannt hat, ist unerheblich, da der Gläubigerverzug nach
§ 293 BGB ein Verschulden des Gläubigers nicht voraussetzt (BGH, Urteil vom
10. Mai 1988 - IX ZR 175/87, WM 1988, 1131). Er wird daher auch durch einen
Irrtum des Beklagten, der das Nachbesserungsangebot für nicht ordnungsge-
mäß hält und es daher zurückweist, nicht berührt (vgl. Palandt/Grüneberg,
BGB, 69. Aufl., § 293 BGB Rdn. 10). Das Risiko der Fehlbeurteilung trägt der
Gläubiger (OLG Hamm, BauR 1996, 123).
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Im Annahmeverzug kann der Beklagte in der Regel nicht ein Mehrfaches
an Mängelbeseitigungskosten zurückhalten, sondern nur den einfachen Betrag
(vgl. BGH, Beschluss vom 4. April 2002 - VII ZR 252/01, NZBau 2002, 383). Ob
insoweit auf die zum Zeitpunkt der Begründung des Annahmeverzuges erfor-
derlichen Mängelbeseitigungskosten von 15.000 DM oder die zwischenzeitlich
während des Annahmeverzuges auf 115.000 DM angestiegenen Kosten abzu-
stellen ist, bedarf erneuter Prüfung. Der Annahme des Berufungsgerichts, die
Erhöhung der Mängelbeseitigungskosten auf 115.000 DM falle im vollen Um-
fang der Klägerin zur Last, weil ein Annahmeverzug der Beklagten nicht vorlie-
ge, ist durch die Entscheidung des Senats der Boden entzogen.
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d) Soweit das Berufungsurteil damit auf einem Verstoß gegen Art. 103
Abs. 1 GG beruht, ist es gemäß § 544 Abs. 7 ZPO aufzuheben und die Sache
an das Berufungsgericht zurückzuverweisen.
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3. Von einer Begründung der Entscheidung über die Zurückweisung der
weitergehenden Nichtzulassungsbeschwerde der Klägerin sowie der Nichtzu-
lassungsbeschwerde des Beklagten wird abgesehen, weil sie nicht geeignet
wäre, zur Klärung der Voraussetzungen beizutragen, unter denen eine Revision
zuzulassen ist (§ 544 Abs. 4 Satz 2, 2. Halbsatz ZPO).
Kniffka
Bauner Eick
Halfmeier
Leupertz
Vorinstanzen:
LG Mainz, Entscheidung vom 07.08.1992 - 7 O 175/89 -
OLG Koblenz, Entscheidung vom 24.04.2008 - 2 U 1421/92 -