Urteil des BGH vom 08.11.2012
BGH: bisherige nutzung, grundeigentum, belastung, wertminderung, ersatzvornahme, fluchtweg, treppenhaus, grunddienstbarkeit, stadt, einbau
BUNDESGERICHTSHOF
BESCHLUSS
V ZR 64/12
vom
8. November 2012
in dem Rechtsstreit
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Der V. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat am 8. November 2012 durch die
Vorsitzende Richterin Dr. Stresemann und die Richter Dr. Lemke,
Prof. Dr. Schmidt-Räntsch, Dr. Czub und Dr. Kazele
beschlossen:
Die Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision in dem
Urteil der 16. Zivilkammer des Landgerichts Hannover vom
17. Februar 2012 wird auf Kosten des Beklagten als unzulässig
verworfen.
Der Gegenstandswert des Beschwerdeverfahrens beträgt 4.000
€.
Gründe:
I.
Zugunsten der im Eigentum des Klägers stehenden Flurstücke 625 und
626 ist das Flurstück 630, dessen Eigentümer der Beklagte ist, mit einer
Grunddienstbarkeit zur "Benutzung von Treppenhaus und Hauseingang als
Fluchtweg" belastet. Der Fluchtweg auf dem Flurstück 630 kann ohne Betreten
des Flurstücks 627, das ebenfalls im Eigentum des Beklagten steht, nicht er-
reicht werden. Das Betreten des Flurstücks 627 ist dem Kläger nicht mehr mög-
lich, nachdem der Beklagte auf diesem eine Leichtbauwand errichtet hat.
Der Kläger hat von dem Beklagten unter anderem die Erstellung eines
von dem Flurstück 626 über das Flurstück 627 führenden Fluchtwegs im ersten
Obergeschoss des Hauses zu dem Treppenhaus sowie die Duldung der Benut-
zung dieses Fluchtwegs durch den jeweiligen Eigentümer des Flurstücks 626
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und die Bewilligung der Erstreckung der bestehenden Dienstbarkeiten auf das
Flurstück 627 verlangt. Das Amtsgericht hat die Klage abgewiesen. Das Land-
gericht hat den Beklagten unter Zurückweisung der weitergehenden Berufung
verurteilt, es zu unterlassen, den Zugang von den Flurstücken 625 und 626 hin
zum Flurstück 630 zu behindern. Die Revision gegen sein Urteil hat das Land-
gericht nicht zugelassen. Dagegen richtet sich die Beschwerde des Beklagten.
II.
Das Rechtsmittel ist unzulässig, weil der Wert der mit der Revision gel-
tend zu machenden Beschwer 20.000
€ nicht übersteigt (§ 26 Nr. 8 EGZPO).
1. Der Wert der Beschwer im Rechtsmittelverfahren bestimmt sich auch
bei Rechtsstreitigkeiten, die eine Grunddienstbarkeit betreffen, nur nach dem
Interesse des Rechtsmittelklägers an der Abänderung des Berufungsurteils
(Senat, Beschluss vom 30. Januar 1957 - V ZR 263/56, BGHZ 23, 205, 206;
Beschluss vom 29. Januar 2009 - V ZR 152/08, Grundeigentum 2009, 514,
515). Die von dem Berufungsgericht ausgesprochene Unterlassungsverpflich-
tung hat zunächst die Beseitigung der gegenwärtig bestehenden Behinderung
des Zugangs zu dem Flurstück 627 zum Inhalt. Sie erfordert - zumindest teil-
weise - das Entfernen der Leichtbauwand. Daher ist die Beschwer zum einen
nach den Kosten einer Ersatzvornahme des Abrisses zu bemessen, die dem
Beklagten bei seinem Unterliegen drohen (Senat, Urteil vom 10. Dezember
1993 - V ZR 168/92, BGHZ 124, 313, 319; Beschluss vom 29. Januar 2009
- V ZR 152/08, Grundeigentum 2009, 514, 515). Zum anderen ist die Wertmin-
derung zu berücksichtigen, die das Flurstück 627 erleidet, wenn es bei der Ver-
urteilung bliebe (vgl. Senat, Beschluss vom 30. Januar 1957 - V ZR 263/56,
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BGHZ 23, 205, 206; Beschluss vom 26. März 2009 - V ZR 209/08, Grundeigen-
tum 2009, 715). Beide Werte sind zusammenzurechnen.
2. Der Beklagte hat nicht - wie geboten (siehe nur Senat, Beschluss vom
25. Juli 2002 - V ZR 118/02, NJW 2002, 3180) - in hinreichendem Maß darge-
legt und glaubhaft gemacht, dass diese Werte zusammen 20.000
€ überschrei-
ten. Dem von ihm vorgelegten Gutachten eines Architektur- und Sachverstän-
digenbüros kann das Erreichen dieser Beschwer nicht entnommen werden.
Es führt zwar Kosten für entstehende Baumaßnahmen auf. Der entspre-
chende Aufwand, bezogen auf das Keller- und Erdgeschoss, ist aber schon
deshalb nicht zu berücksichtigen, weil nicht ersichtlich ist, dass die Leichtbau-
wand außer im Obergeschoss auch in den anderen Geschossen errichtet wor-
den ist. Ausweislich der erstinstanzlichen gestellten Klageanträge besteht die
Notwendigkeit eines Fluchtweges nur für das Obergeschoss, weil dieses an-
sonsten nur über einen Fahrstuhl zu erreichen ist. Aber auch die aus dem Gut-
achten ersichtlichen Kosten für bauliche Maßnahmen im Obergeschoss in Hö-
he von 4.756,64
€ sind nicht schlüssig dargelegt. Hier bleibt bereits offen, aus
welchen Gründen der Einbau einer Feuerschutztür in Höhe von 3.200
€ erfor-
derlich sein soll. Eine Begründung wird hierfür nicht gegeben. Im Fall einer Er-
satzvornahme ist zudem auf die anfallenden Kosten für die Beseitigung der
eingezogenen Leichtbauwand abzustellen. Zu der Höhe dieser Kosten ist dem
Gutachten nichts zu entnehmen.
Die durch die künftige Beeinträchtigung eintretende Wertminderung des
Flurstücks 627 ist ebenfalls nicht dargelegt. Eine Ermittlung des Wertes des
Flurstücks 627 mit der Belastung, das Betreten des Obergeschosses zum Zwe-
cke des Erreichens des Fluchtweges auf dem Flurstück 630 zu dulden, ist
ebenso wenig erfolgt wie die Ermittlung des Wertes ohne eine solche Belas-
tung. In dem vorgelegten Gutachten werden lediglich drohende Mietausfälle
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errechnet. Eine entsprechende Minderung des Ertragswertes des Flurstücks ist
damit schon deshalb nicht glaubhaft gemacht, weil die genannten Mieteinnah-
men nur auf den Angaben des Beklagten gegenüber dem Sachverständigen
beruhen. Zudem sind die für das Keller- und das Erdgeschoss angesetzten
Mietausfälle schon deshalb ohne Belang, weil, wie dargelegt, nicht davon aus-
gegangen werden kann, dass auch dort die bisherige Nutzung beeinträchtigt
wird. Aus diesem Grund geht auch der ohnehin nur pauschal gehaltene Hin-
weis des Beklagten fehl, auf ihn komme wegen der entfallenden Nutzung des
Erdgeschosses als PKW-Einstellplatz eine nach der Reichsgaragenverordnung
in Verbindung mit der Gebührenordnung der Stadt H. zu zahlende Ablöse-
summe in Höhe von 12.800
€ zu.
III.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 Abs. 1 ZPO. Bei der Festset-
zung des Gegenstandswerts ist der Senat - mangels anderer Anhaltspunkte -
von der Streitwertfestsetzung des Berufungsgerichts für den Klageantrag lfd.
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Nr. 1, der allein Gegenstand der Verurteilung des Beklagten und damit des Be-
schwerdeverfahrens ist, ausgegangen.
Stresemann
Lemke
Schmidt-Räntsch
Czub
Kazele
Vorinstanzen:
AG Hannover, Entscheidung vom 08.03.2011 - 417 C 9733/10 -
LG Hannover, Entscheidung vom 17.02.2012 - 16 S 17/11 -