Urteil des BGH vom 12.11.2007
BGH (stgb, zeitpunkt, stpo, schuss, anordnung, sicherungsverwahrung, raub, freiheitsstrafe, unterbringung, versuch)
BUNDESGERICHTSHOF
BESCHLUSS
2 StR 237/08
vom
5. September 2008
in der Strafsache
gegen
1.
2.
wegen versuchten schweren Raubes u. a.
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Der 2. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat auf Antrag des Generalbundes-
anwalts und nach Anhörung der Beschwerdeführer am 5. September 2008 ge-
mäß § 349 Abs. 1, § 349 Abs. 2 und 4 StPO beschlossen:
1. Auf die Revision des Angeklagten N. wird das Urteil des
Landgerichts Gera vom 12. November 2007, soweit es ihn be-
trifft, mit den zugehörigen Feststellungen aufgehoben und die
Sache an eine andere Strafkammer des Landgerichts zu neuer
Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des
Rechtsmittels, zurückverwiesen.
2. Die Revision des Angeklagten S. gegen das Urteil des
Landgerichts Gera vom 12. November 2007 wird als unbegrün-
det verworfen, da die Nachprüfung des Urteils aufgrund der Re-
visionsrechtfertigung keinen Rechtsfehler zum Nachteil des An-
geklagten ergeben hat. Der Angeklagte S. hat die Kosten
seines Rechtsmittels und die dem Nebenkläger hierdurch ent-
standenen notwendigen Auslagen zu tragen.
3. Die Revisionen des Nebenklägers gegen das Urteil des Landge-
richts Gera vom 12. November 2007 werden verworfen. Der
Nebenkläger hat die Kosten seiner Rechtsmittel sowie die den
Angeklagten hierdurch entstandenen notwendigen Auslagen zu
tragen.
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Gründe:
1
Das Landgericht hat den Angeklagten N. wegen versuchten schwe-
ren Raubes in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung zu einer Freiheits-
strafe von neun Jahren verurteilt, die Unterbringung des Angeklagten in einer
Entziehungsanstalt angeordnet und die Entscheidung über die Anordnung der
Sicherungsverwahrung vorbehalten. Den Angeklagten S. hat das Landge-
richt wegen Beihilfe zum versuchten Raub in Tateinheit mit Beihilfe zur Körper-
verletzung zu einer Freiheitsstrafe von einem Jahr sechs Monaten verurteilt und
die Vollstreckung der Freiheitsstrafe zur Bewährung ausgesetzt.
1. Die Revision des Angeklagten N. führt zur Aufhebung des ange-
fochtenen Urteils, soweit es ihn betrifft. Die Prüfung und Ablehnung eines straf-
befreienden Rücktritts vom versuchten schweren Raub hält hinsichtlich dieses
Angeklagten rechtlicher Überprüfung nicht Stand.
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a) Nach den Feststellungen beabsichtigte der gesondert Verfolgte
D. , den Geschädigten zu überfallen, um ihm eine "Abreibung" zu erteilen
und ihm die mitgeführten Wocheneinnahmen seines Weihnachtsmarktstands
wegzunehmen. Der Angeklagte N. erklärte sich auf Fragen D. s
bereit mitzuwirken. Vor der Tat übergab D. dem Angeklagten einen mit
vier Schuss scharfer Kleinkalibermunition geladenen Revolver "zur Sicherheit,
für den Notfall". Der Angeklagte S. hatte hiervon sowie von der Mitwirkung
des Angeklagten N. keine Kenntnis. Er erklärte sich bereit, D. über
eine günstige Gelegenheit zum Überfall auf den Geschädigten, seinen Arbeit-
geber, zu unterrichten, und tat dies am Tattag auch vereinbarungsgemäß.
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Am Tattag überfielen N. und D. den Geschädigten, als die-
ser mit seinem Transporter zu seinem Haus zurückkehrte. Zunächst schlugen
beide Täter auf den Geschädigten ein, bis dieser zu Boden fiel. Als der Ange-
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klagte N. von dem Geschädigten abließ, um das Kraftfahrzeug nach Geld
zu durchsuchen, gelang es dem Geschädigten, den von D. verwendeten
Gummiknüppel zu ergreifen und festzuhalten. D. rief daraufhin N.
zu Hilfe. Dieser zog nunmehr, noch bevor er nach dem Geld gesucht hatte,
(erstmals) den Revolver und gab aus einer Entfernung von maximal einem Me-
ter mit bedingtem Tötungsvorsatz einen gezielten Schuss auf den Geschädig-
ten ab, "damit er und D. von dem Geschädigten wegkommen könnten"
(UA S. 17). Das Projektil traf den Geschädigten am Oberkörper und drang bis
zu dessen Herzbeutel vor. Nach dem Schuss rief D. : "Es reicht"; beide
Täter flüchteten daraufhin. Der Geschädigte, der zu diesem Zeitpunkt nicht be-
merkt hatte, dass er von dem Schuss getroffen und lebensgefährlich verletzt
war, verfolgte die Angreifer noch bis zur Straße.
b) Das Landgericht hat die Verurteilung auf die Erwägung gestützt, der
Angeklagte N. sei zwar gem. § 24 Abs. 1 Satz 1 StGB wirksam vom (un-
beendeten) Versuch des Tötungsdelikts zurückgetreten, nicht aber von dem
Versuch des schweren Raubes, denn er habe erkannt, dass er und D.
den Widerstand des Geschädigten nicht mehr hätten überwinden können, ohne
ihn zu töten. Dies hätten sie jedoch zur Erlangung des Geldes nicht tun wollen.
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Die dem zugrunde liegende Feststellung des Landgerichts, der Ange-
klagte N. habe den Geschädigten nicht zur Ermöglichung der Wegnahme
des Geldes töten wollen, beruht nicht auf einer widerspruchsfrei festgestellten
Tatsachengrundlage. Es ist nicht ersichtlich, auf welche Umstände das Landge-
richt seine Überzeugung gründet, der Angeklagte habe nicht wegen des Geldes
töten wollen. Der Hinweis der Kammer, dies stehe "aufgrund des objektiven
Tatgeschehens" (UA S. 37) fest, findet in den Feststellungen keine Stütze und
versteht sich angesichts des Umstands, dass der Angeklagte, unmittelbar bevor
er und D. die Flucht ergriffen, mit bedingtem Tötungsvorsatz auf den
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Geschädigten geschossen hat, auch nicht von selbst. Es ist nicht erkennbar,
warum der Angeklagte zwar zu einer Tötung des Geschädigten bereit gewesen
sein sollte, um von diesem "wegzukommen", nicht aber, um die Wegnahme des
Geldes zu ermöglichen.
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Wäre der Angeklagte ursprünglich im Grundsatz bereit gewesen, den
Geschädigten "notfalls" auch deshalb zu töten, um an das Bargeld zu gelangen,
käme ein Rücktritt vom unbeendeten Versuch des schweren Raubes in Be-
tracht. In diesem Fall wäre zu klären, ob der Angeklagte freiwillig von der weite-
ren Tatausführung Abstand genommen hat. Der Erwägung, gegen die Freiwil-
ligkeit spreche der Umstand, dass der Angeklagte nach seiner Vorstellung den
Raub nur noch durch Tötung des Geschädigten hätte vollenden können, diese
Änderung des Tatplans jedoch nicht wollte, steht die Feststellung entgegen,
dass der Angeklagte unmittelbar zuvor mit Tötungsvorsatz auf den Geschädig-
ten geschossen hatte. Das Erreichen eines außertatbestandlichen Ziels (hier:
"Abreibung"), das sich in dem Ruf D. s: "Es reicht!" ausgedrückt haben
könnte, würde einem strafbefreienden Rücktritt nicht von vornherein entgegen
stehen (vgl. BGHSt 39, 221, 230 ff.). Um insoweit tragfähige Feststellungen zu
ermöglichen, hebt der Senat das Urteil, soweit es den Angeklagten N.
betrifft, mit den zugehörigen Feststellungen insgesamt auf.
c) Für die neue Hauptverhandlung weist der Senat vorsorglich darauf hin,
dass ein ggf. nach § 67 Abs. 2 Satz 2 StGB anzuordnender Vorwegvollzug bei
einer Unterbringung des Angeklagten in einer Entziehungsanstalt nach § 67
Abs. 2 Satz 3, Abs. 5 Satz 1 StGB nach dem Halbstrafenzeitpunkt zu bemessen
wäre. Der Halbstrafenzeitpunkt ist auch dann maßgeblich, wenn eine Entlas-
sung des Angeklagten zu diesem Zeitpunkt nicht zu erwarten ist (vgl. BGH
NStZ 2008, 212; NStZ-RR 2007, 372; 2008, 142; 2008, 182; Fischer StGB
55. Aufl. § 67 Rdn. 11).
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d) Soweit erneut eine Anordnung des Vorbehalts der Sicherungsverwah-
rung in Betracht kommt, wird das Landgericht zu beachten haben, dass für die
Beurteilung der Gefährlichkeit des Angeklagten der Zeitpunkt der Aburteilung
maßgeblich ist (vgl. BGH NStZ 2006, 278, 279; 2007, 401; s. auch NStZ-RR
2004, 202, 203; Fischer aaO § 66 Rdn. 36 m.w.N.). Es begegnet durchgreifen-
den rechtlichen Bedenken, auf den Zeitpunkt nach Beendigung der Unterbrin-
gung des Angeklagten in einer Entziehungsanstalt abzustellen, wie es das
Landgericht in dem angefochtenen Urteil getan hat. Soweit das Landgericht die
Anordnung des Vorbehalts der Sicherungsverwahrung darauf gestützt hat, es
könne "nicht ausgeschlossen werden", dass die Gefährlichkeit des Angeklagten
zu einem späteren Zeitpunkt nicht mehr bestehen werde, hat es daher einen
unzutreffenden Maßstab angelegt. Die Anwendungsvoraussetzungen des
§ 66 a Abs. 1 StGB waren, wie die Revision zutreffend rügt, auf der Grundlage
dieser Feststellungen nicht gegeben. Der neue Tatrichter wird anhand eines
rechtlich zutreffenden Maßstabs zu prüfen haben, ob die von § 66 a Abs. 1
StGB vorausgesetzte Unsicherheit über die Gefährlichkeit zum gegenwärtigen
Zeitpunkt besteht. Einer Anwendung von § 66 StGB stünde § 358 Abs. 2 Satz 1
StPO entgegen.
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2. Die Revision des Angeklagten S. ist aus den vom Generalbun-
desanwalt in seiner Zuschrift an den Senat dargelegten Gründen im Sinne von
§ 349 Abs. 2 StPO offensichtlich unbegründet.
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3. Die auf die allgemeine Sachrüge gestützte Revision des Nebenklägers
zum Nachteil des Angeklagten S. lässt nicht erkennen, ob mit dem
Rechtsmittel ein nach § 400 Abs. 1 StPO zulässiges Ziel verfolgt wird, und ist
deshalb unzulässig (st. Rspr.; BGHR StPO § 400 Abs. 1 Zulässigkeit 2, 5, 6, 10;
Senat, Beschluss vom 15. Februar 2008 - 2 StR 598/07). Ein Ausnahmefall, bei
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dem auf eine Klarstellung verzichtet werden kann (vgl. BGHR StPO § 400
Abs. 1 Zulässigkeit 3; § 401 Abs. 1 Satz 1 Zulässigkeit 2), liegt nicht vor.
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Die zum Nachteil des Angeklagten N. eingelegte Revision des Ne-
benklägers ist aus den vom Generalbundesanwalt in seiner Zuschrift an den
Senat dargelegten Gründen unbegründet.
VRinBGH Dr. Rissing-van Saan Rothfuß Fischer
ist wegen Urlaubs an der Unter-
schriftsleistung gehindert.
Fischer
Roggenbuck RiBGH Cierniak ist
wegen Urlaubs an der
Unterschriftsleistung
gehindert.
Fischer