Urteil des BGH vom 29.11.2007

Leitsatzentscheidung

BUNDESGERICHTSHOF
IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
IX ZR 10/08
Verkündet
am:
12. März 2009
Preuß
Justizangestellte
als
Urkundsbeamtin
der
Geschäftsstelle
in dem Rechtsstreit
Nachschlagewerk: ja
BGHZ: nein
BGHR: ja
RVG § 17 Nr. 4 Buchstabe b); RVG VV Nr. 2300 (Nr. 2400 alt)
Die außergerichtliche Tätigkeit eines Rechtsanwalts vor einem Verfahren des
einstweiligen Rechtsschutzes und diejenige vor dem nachfolgenden Hauptsa-
cheverfahren stellen regelmäßig verschiedene Angelegenheiten dar, deren
Wahrnehmung jeweils eine Geschäftsgebühr auslöst.
BGH, Urteil vom 12. März 2009 - IX ZR 10/08 - LG Berlin
AG Berlin-Mitte
- 2 -
Der IX. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat auf die mündliche Verhandlung
vom 12. März 2009 durch die Richter Prof. Dr. Kayser, Raebel, die Richterin
Lohmann, die Richter Dr. Pape und Grupp
für Recht erkannt:
Die Revision gegen das Urteil der Zivilkammer 51 des Landge-
richts Berlin vom 29. November 2007 wird auf Kosten des Klägers
zurückgewiesen.
Von Rechts wegen
Tatbestand:
Der Kläger beauftragte den Beklagten im April 2005 mit seiner anwaltli-
chen Vertretung in einer markenrechtlichen Angelegenheit gegen einen Wett-
bewerber. Der Beklagte mahnte den Wettbewerber ab und handelte einen Ver-
gleich aus. Es stellte sich jedoch heraus, dass der Wettbewerber in der dabei
angegebenen Rechtsform einer GmbH nicht existierte. Der Beklagte erwirkte
daraufhin im Auftrag des Klägers eine einstweilige Verfügung gegen den Wett-
bewerber persönlich. Danach beauftragte der Kläger den Beklagten mit der
Durchführung des Hauptsacheverfahrens. Zunächst sollte der Beklagte vom
Wettbewerber die Abgabe einer Abschlusserklärung verlangen. Noch vor Ab-
sendung der vom Beklagten entworfenen Abschlusserklärung kündigte der Klä-
ger das Mandat.
1
- 3 -
Der Beklagte rechnete seine Tätigkeit gegenüber dem Kläger in vier
Rechnungen ab. Für den Entwurf des Abschlussschreibens beanspruchte er
eine gesonderte Vergütung neben dem Honorar für seine gerichtliche und au-
ßergerichtliche Tätigkeit bezüglich der einstweiligen Verfügung. Er berechnete
insoweit eine 1,3-fache Geschäftsgebühr nach Nr. 2400 VV RVG (jetzt Nr. 2300
VV RVG) aus einem Gegenstandswert von 167.000 € zuzüglich einer Ausla-
genpauschale von 20 € und 16 % Umsatzsteuer, zusammen 2.529,50 €. Nach-
dem der Beklagte bereits Vorschüsse und Leistungen des Gegners sowie der
Rechtsschutzversicherung vereinnahmt hatte, welche das ihm unstreitig zuste-
hende Honorar überstiegen, hat ihn der Kläger auf Rückzahlung von 1.559,55 €
nebst Zinsen in Anspruch genommen. Der Rechnung für das Abschlussschrei-
ben hat er erstinstanzlich entgegengehalten, dass nur eine 0,8-fache Ge-
schäftsgebühr aus einem Wert von 150.000 € gerechtfertigt sei.
2
Das Amtsgericht hat dem Beklagten für die Fertigung des Abschluss-
schreibens eine 1,3-fache Geschäftsgebühr aus 155.000 € zugebilligt und der
Klage nur in Höhe von 10,10 € stattgegeben. Mit seiner Berufung hat der Kläger
unter Erweiterung der Klage die Rückzahlung des gesamten vom Amtsgericht
für das Abschlussschreiben zugebilligten Betrags von 2.413,38 € begehrt. An-
ders als in erster Instanz hat er nun die Honorarforderung für das Abschluss-
schreiben für insgesamt unberechtigt gehalten.
3
Die Berufung ist ohne Erfolg geblieben. Das Berufungsgericht hat die
Revision zugelassen, weil die Fortbildung des Rechts und die Sicherung einer
einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Revisionsgerichts zu der
Frage erforderten, ob nach Abmahnung und Durchführung eines Verfahrens
nach §§ 935 ff ZPO das Bestreiten des nachfolgenden, gegebenenfalls eine
Klageerhebung vorbereitenden Geschäfts, insbesondere das Fertigen eines
4
- 4 -
Abschlussschreibens, eine gesonderte Angelegenheit i.S.v. § 17 RVG darstell-
ten.
Entscheidungsgründe:
Die Revision hat keinen Erfolg.
5
I.
Das Berufungsgericht hat die Zulassung der Revision wirksam auf die
Entscheidung über den Grund der Honorarforderung des Beklagten für die Fer-
tigung des Abschlussschreibens beschränkt. Die Beschränkung erfolgte zwar
nicht im Tenor der Entscheidung. Sie ergibt sich aber eindeutig aus den Ent-
scheidungsgründen. Die Formulierung der für die Zulassung maßgeblichen
Rechtsfrage am Ende der Entscheidung lässt klar erkennen, dass das Beru-
fungsgericht damit nicht nur eine Begründung für die Zulassung nennen, son-
dern auch die Zulassung der Revision auf den eindeutig abgrenzbaren, selb-
ständigen Teil des Streitgegenstands beschränken wollte, der durch die ge-
nannte Rechtsfrage betroffen ist (BGHZ 153, 358, 361; BGH, Beschl. v. 29. Ja-
nuar 2004 - V ZR 244/03, NJW-RR 2004, 1365, 1366; Urt. v. 3. März 2005 - IX
ZR 45/04, NJW-RR 2005, 715, 716). Die Zulassung der Revision kann auch auf
einen Teil des Streitstoffs beschränkt werden, über den durch Teil- oder Grund-
urteil hätte entschieden werden können. Eine Beschränkung ist daher auf den
Anspruchsgrund zulässig, wenn - wie hier - die Entscheidung über den Grund
des Anspruchs keine Auswirkung auf die Höhe des Anspruchs haben kann
6
- 5 -
(BGH, Urt. v. 30. Juni 1982 - VIII ZR 259/81, NJW 1982, 2380 f; v. 13. Juli 2004
- VI ZR 273/03, NJW 2004, 3176, 3177).
II.
Das Berufungsurteil hält rechtlicher Nachprüfung im Umfang der Revisi-
onszulassung stand. Mit Recht hat das Berufungsgericht einen gesonderten
Honoraranspruch des Beklagten für die Anfertigung des Abschlussschreibens
bejaht.
7
1. Der Bundesgerichtshof hat nach Erlass des Berufungsurteils entschie-
den, dass die Anfertigung eines Abschlussschreibens hinsichtlich der Anwalts-
gebühren nicht mehr zum vorangegangenen Eilverfahren gehört, sondern zur
angedrohten Hauptsacheklage, und sich deshalb als eine neue, selbständig zu
honorierende Angelegenheit im Sinne des § 17 RVG darstellt. Fordert der
Rechtsanwalt im Auftrag seines Mandanten nach Erwirkung einer auf eine Un-
terlassung gerichteten einstweiligen Verfügung den Anspruchsgegner dazu auf,
auf einen Widerspruch hiergegen und auf die Stellung eines Antrags nach
§ 926 ZPO zu verzichten, will er auf diese Weise die Klaglosstellung seines Auf-
traggebers und damit ein Ergebnis erzielen, wie es nur mit dem Hauptsache-
prozess erreicht werden kann. Daher gehört die von ihm entfaltete weitere Tä-
tigkeit sachlich zum Hauptsacheprozess und damit zu einer nach § 17 Nr. 4
Buchstabe b RVG vom Verfahren über den Antrag auf Erlass einer einstweili-
gen Verfügung verschiedenen Angelegenheit. Sie wird durch die in jenem Ver-
fahren verdiente Geschäftsgebühr nicht nach § 15 Abs. 1 RVG abgegolten,
sondern begründet einen neuen Gebührentatbestand (BGH, Urt. v. 4. März
8
- 6 -
2008 - VI ZR 176/07, NJW 2008, 1744, Rn. 7 f, im Anschluss an BGH, Urt. v.
2. März 1973 - I ZR 5/72, NJW 1973, 901).
9
2. Dieser Auffassung schließt sich der Senat an. Sie lag schon dem Se-
natsurteil vom 8. Dezember 2005 (IX ZR 188/04, WM 2006, 1216) zugrunde.
Die Umstände des vorliegenden Falles rechtfertigen keine andere Beurteilung.
a) Entgegen der Ansicht der Revision, die sich auf eine Entscheidung
des Kammergerichts stützt (KGR Berlin 2006, 850, 853), handelte es sich bei
der außergerichtlichen Tätigkeit des Beklagten nicht deshalb um eine insge-
samt einheitliche Angelegenheit, weil sowohl die außergerichtliche Tätigkeit vor
der Erwirkung der einstweiligen Verfügung als auch die Fertigung des Ab-
schlussschreibens der Durchsetzung desselben Unterlassungsbegehrens dien-
ten. Der Kläger hatte den Beklagten nach den Feststellungen des Berufungsge-
richts zunächst mit der Erwirkung einer einstweiligen Verfügung beauftragt. Erst
nach deren Erlass erteilte er dem Beklagten den Auftrag zur Durchführung des
Hauptsacheverfahrens, wobei zunächst eine Abschlusserklärung gefertigt wer-
den sollte. Im Rahmen dieser beiden unterschiedlichen Aufträge wurde der Be-
klagte jeweils auch außergerichtlich tätig. Die außergerichtlichen Tätigkeiten
eines Rechtsanwalts können in einem solchen Fall nicht anders beurteilt wer-
den als seine gerichtlichen Tätigkeiten. Die Regelung in § 17 Nr. 4 Buchstabe b
RVG, nach der das Verfahren in der Hauptsache und ein Verfahren über einen
Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung verschiedene Angelegenheiten
sind, gilt deshalb hier für die Geschäftsgebühren in gleicher Weise wie für die
Verfahrensgebühren (vgl. BGH, Urt. v. 4. März 2008, aaO Rn. 6).
10
b) Die Zuordnung des Abschlussschreibens zum Hauptsacheverfahren
setzt auch nicht, wie die Revision meint, voraus, dass bereits ein Auftrag zur
11
- 7 -
Hauptsacheklage erteilt wurde. Es genügt, dass der Mandant dem Rechtsan-
walt einen über die Vertretung im einstweiligen Verfügungsverfahren hinausge-
henden Auftrag erteilt hat (BGH aaO Rn. 10). Beschränkt sich der Auftrag hin-
gegen auf das einstweilige Verfügungsverfahren, betrifft die Tätigkeit des An-
walts insgesamt nur eine einheitliche Angelegenheit im gebührenrechtlichen
Sinn. So liegt der Fall hier aber nicht. Der Kläger beauftragte den Beklagten
nach Erlass der einstweiligen Verfügung mit der Durchführung der Hauptsache.
III.
Der hilfsweise geführte Angriff der Revision gegen die Entscheidung zur
Höhe des Honoraranspruchs des Beklagten bleibt ohne Erfolg, weil das Beru-
12
- 8 -
fungsgericht die Zulassung der Revision - wie dargelegt - wirksam auf den
Grund des Anspruchs beschränkt hat.
Kayser Raebel Lohmann
Pape Grupp
Vorinstanzen:
AG Berlin-Mitte, Entscheidung vom 11.09.2006 - 8 C 97/06 -
LG Berlin, Entscheidung vom 29.11.2007 - 51 S 312/06 -