Urteil des BGH vom 08.11.2007

Leitsatzentscheidung

BUNDESGERICHTSHOF
IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
III ZR 54/07
Verkündet
am:
8. November 2007
K i e f e r
Justizangestellter
als
Urkundsbeamter
der
Geschäftsstelle
in dem Rechtsstreit
Nachschlagewerk: ja
BGHZ: ja
BGHR: ja
GOÄ § 5 Abs. 2 Satz 4
Es stellt keinen Fehlgebrauch des Ermessens dar, wenn der Arzt persönlich-
ärztliche und medizinisch-technische Leistungen durchschnittlicher Schwierig-
keit mit dem jeweiligen Höchstsatz der Regelspanne, also dem 2,3fachen bzw.
dem 1,8fachen des Gebührensatzes, abrechnet.
BGH, Urteil vom 8. November 2007 - III ZR 54/07 - LG Hamburg
AG
Hamburg
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Der III. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat im schriftlichen Verfahren auf-
grund der bis zum 2. Oktober 2007 eingereichten Schriftsätze durch den Vor-
sitzenden Richter Schlick, die Richter Dr. Wurm, Dörr, Wöstmann und die
Richterin Harsdorf-Gebhardt
für Recht erkannt:
Auf die Rechtsmittel des Klägers werden das Urteil des Landge-
richts Hamburg, Zivilkammer 18, vom 7. Februar 2007 im Kosten-
punkt und insoweit aufgehoben, als zu seinem Nachteil erkannt
worden ist, und das Urteil des Amtsgerichts Hamburg vom 5. Ok-
tober 2005 weiter abgeändert.
Der Beklagte wird verurteilt, an den Kläger insgesamt 2.083,29 €
nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszins-
satz seit dem 31. Dezember 2002 zu zahlen.
Die Revision des Beklagten gegen das genannte Urteil wird zu-
rückgewiesen.
Der Beklagte hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.
Von Rechts wegen
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Tatbestand
Der Beklagte befand sich vom 3. Februar bis 3. März 2000 in ambulanter
privatärztlicher Behandlung des Klägers, eines Augenarztes. Dieser rechnete
seine Leistungen, darunter eine Operation des linken Auges wegen Grauen
Stars, am 28. April 2000 mit insgesamt 4.074,56 DM ab. Abgesehen von vier
näher begründeten Gebührenpositionen, die mit dem Faktor 3,5 abgerechnet
worden sind, und drei Zuschlägen, die nur mit dem Einfachen des Gebühren-
satzes berechnungsfähig sind, enthält die Rechnung für die persönlich-ärzt-
lichen Leistungen ausschließlich den Faktor 2,3 und für die medizinisch-techni-
schen Leistungen den Faktor 1,8.
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Nach erfolgloser Mahnung zum 27. Dezember 2002 ist der volle noch
offene Rechnungsbetrag von umgerechnet 2.083,29 € nebst Zinsen Gegen-
stand der Klage. Das Amtsgericht hat durch unechtes Versäumnisurteil die Kla-
ge als unzulässig abgewiesen, weil die schematische Abrechnung des Schwel-
lenwerts die Klagbarkeitsvoraussetzung des § 12 Abs. 1 GOÄ nicht erfülle. Auf
die Berufung hat das Landgericht der Klage in Höhe von 1.957,84 € nebst Zin-
sen entsprochen und sie im Übrigen abgewiesen. Dabei hat es anstelle der ab-
gerechneten Schwellenwerte von 2,3 und 1,8 eine Abrechnung mit den Fakto-
ren 1,8 und 1,6 für gerechtfertigt gehalten. Mit ihren vom Berufungsgericht zu-
gelassenen Revisionen erstreben der Beklagte die vollständige Abweisung der
Klage und der Kläger die Zuerkennung des vom Berufungsgericht abgewiese-
nen Betrags.
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Entscheidungsgründe
Die Revision des Beklagten ist insoweit unzulässig, als sie sich auf gel-
tend gemachte Auslagen und Gebührenpositionen bezieht, die mit dem Einfa-
chen und mit dem Dreieinhalbfachen des Gebührensatzes abgerechnet worden
sind. Zwar hat das Berufungsgericht im Tenor seines Urteils die Revision zuge-
lassen, ohne dort ausdrücklich eine Einschränkung der Zulassung zu vermer-
ken. Aus der Begründung seines Urteils folgt jedoch, dass es eine Überprüfung
nur insoweit für erforderlich gehalten hat, als es um den "Mittelwert" für eine
vom Arzt als "durchschnittlich" angesehene Leistung geht, und um damit im Zu-
sammenhang stehende Fragen der Darlegungs- und Beweislast. Diese Be-
schränkung der Zulassungsentscheidung ist beachtlich, weil sie sich auf eine
genau abgrenzbare Anzahl von Gebührenpositionen bezieht, die auch Gegen-
stand eines Teilurteils sein könnten und auf die der Revisionskläger selbst sein
Rechtsmittel beschränken könnte (vgl. Senatsurteil vom 9. März 2000 - III ZR
356/98 - NJW 2000, 1794, 1796; insoweit in BGHZ 144, 59 nicht abgedruckt).
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Im Übrigen ist die Revision des Beklagten unbegründet, während die Re-
vision des Klägers Erfolg hat.
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I.
Das Berufungsgericht ist unter Bezugnahme auf das Senatsurteil BGHZ
170, 252 der Auffassung, dass die Rechnung des Klägers den Anforderungen
des § 12 Abs. 1 GOÄ genüge. Die Fälligkeit der Rechnung setze nicht voraus,
dass sie die Ausübung des Ermessens des Arztes bei Liquidationen bis zum
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jeweiligen Schwellenwert von 2,3 für persönlich-ärztliche Leistungen und von
1,8 für medizinisch-technische Leistungen erkennen lasse.
In der Sache sei zu beachten, dass nach § 5 Abs. 2 Satz 4 GOÄ in der
Regel nur ein Wert zwischen dem Einfachen und dem 2,3fachen des Gebüh-
rensatzes anzusetzen sei und dass diese Regelspanne im Normalfall einfache
bis schwierige Behandlungsfälle abdecke. Eine Überschreitung der Regelspan-
ne sei nur ausnahmsweise möglich, wenn Besonderheiten abweichend von der
großen Mehrzahl der Behandlungsfälle vorlägen. Der Kläger habe zu einem
Großteil der berechneten Leistungen Angaben zur Dauer der jeweiligen Tätig-
keit gemacht, einzelne Leistungen unter Berücksichtigung der Person des Be-
klagten bewertet und einzelne Leistungen als durchschnittlich oder mittelschwer
eingestuft. Hierfür könne er bei den persönlich-ärztlichen Leistungen das
1,8fache und für medizinisch-technische Leistungen das 1,6fache des Gebüh-
rensatzes berechnen. Eine weitere Beweisaufnahme sei nicht erforderlich, weil
der Beklagte sich nicht hinreichend gegen die Berechtigung der vom Kläger in
Anspruch genommenen Positionen gewandt habe.
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II.
Diese Beurteilung hält der rechtlichen Überprüfung nicht in allen Punkten
stand.
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1.
Zutreffend geht das Berufungsgericht davon aus, dass der Kläger dem
Beklagten eine Rechnung gestellt hat, die die formellen Voraussetzungen in
§ 12 Abs. 2 bis 4 GOÄ erfüllt, und dass damit sein Vergütungsanspruch fällig
geworden ist. Wie der Senat mit Urteil vom 21. Dezember 2006 (III ZR 117/06
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- BGHZ 170, 252, 258 Rn. 14) entschieden hat, setzt die Fälligkeit der Forde-
rung nicht voraus, dass die Rechnung - in den jeweils fraglichen Punkten - mit
dem materiellen Gebührenrecht übereinstimmt.
2.
Da der Beklagte nicht bestritten hat, dass der Kläger die in Rechnung
gestellten Leistungen erbracht hat, ist seine Rechtsverteidigung insoweit von
vornherein unbegründet, als sie sich gegen die Berechnung des Einfachen des
Gebührensatzes wendet. Die Revision des Beklagten zeigt nicht auf, weshalb
dem Kläger überhaupt kein Vergütungsanspruch zustehen soll.
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3.
Was die Frage der Honorierung der persönlich-ärztlichen und der medi-
zinisch-technischen Leistungen angeht, gilt folgendes:
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a) Allgemein bemisst sich die Höhe der einzelnen Gebühr für persönlich-
ärztliche Leistungen nach dem Einfachen bis Dreieinhalbfachen des Gebühren-
satzes (§ 5 Abs. 1 Satz 1 GOÄ). Für medizinisch-technische Leistungen gilt
nach § 5 Abs. 3 GOÄ ein Gebührenrahmen zwischen dem Einfachen und dem
Zweieinhalbfachen des Gebührensatzes. Innerhalb des Gebührenrahmens hat
der Arzt die Gebühren unter Berücksichtigung der Schwierigkeit und des Zeit-
aufwandes der einzelnen Leistungen sowie der Umstände bei der Ausführung
nach billigem Ermessen zu bestimmen (§ 5 Abs. 2 Satz 1 GOÄ). Dabei handelt
es sich um eine Sonderregelung zu § 315 BGB, bei der dem Arzt die für die
Ausübung des Ermessens maßgebenden Gesichtspunkte vorgegeben sind.
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Wäre die Regelung der Gebührenordnung auf diese Ermessensgesichts-
punkte und den Rahmen beschränkt, müsste man ohne weiteres davon aus-
gehen, dass bei einer zutreffenden Zuordnung der Behandlungsfälle nach
Schwierigkeit und Zeitaufwand, die häufig in einer Wechselbeziehung zueinan-
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der stehen, durchschnittlich schwierige Leistungen mit einem Mittelwert inner-
halb des Rahmens zu entgelten wären. Auch wenn die Gebührenordnung kein
genaueres Raster vorgibt, verstünde es sich von selbst, dass einfache ärztliche
Leistungen mit dem Einfachen und schwierigste mit dem Dreieinhalbfachen zu
entgelten wären. Für durchschnittliche Leistungen, die in etwa gleich weit von
den beiden Extrempositionen entfernt wären, ergäbe sich mit einer gewissen
Bandbreite nach oben oder unten der Mittelwert, der für persönlich-ärztliche
Leistungen - aufgerundet - beim 2,3fachen liegt.
b) Indes hat sich der Verordnungsgeber nicht auf die vorstehend be-
schriebene Regelung beschränkt, sondern - unter einer weitergehenden Redu-
zierung des Ermessensspielraums - in § 5 Abs. 2 Satz 4 GOÄ bestimmt, dass
"in der Regel" eine Gebühr nur "zwischen" dem Einfachen und dem 2,3fachen
des Gebührensatzes bemessen werden darf. In der Begründung heißt es hier-
zu, die Ausübung des Ermessens bei Anwendung der Spannenregelung vom
Ein- bis Dreieinhalbfachen des Gebührensatzes werde dadurch eingeschränkt,
dass "bei mittlerer Schwierigkeit und durchschnittlichem Zeitaufwand" eine Ge-
bühr innerhalb der Spanne vom 1- bis 2,3fachen des Gebührensatzes zu be-
messen sei (Regelspanne). Die Überschreitung des 2,3fachen des Gebühren-
satzes sei nur zulässig, wenn Besonderheiten der in § 5 Abs. 2 Satz 1 GOÄ
genannten Kriterien sich im Einzelfall von üblicherweise vorliegenden Umstän-
den unterschieden und ihnen nicht bereits in der Leistungsbeschreibung des
Gebührenverzeichnisses Rechnung getragen worden sei (BR-Drucks. 295/82
S. 14; ähnlich BR-Drucks. 276/87 S. 69 f zu § 5 GOZ).
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aa) Geht man allein vom Wortlaut des § 5 Abs. 2 Satz 4 Halbs. 1 GOÄ
aus, der im Regelfall eine Honorierung zwischen dem 1- und dem 2,3fachen
verlangt, wird man eher nicht annehmen können, die durchschnittlich schwieri-
ge Leistung sei generell nach dem 2,3fachen des Gebührensatzes zu liquidie-
ren (a.A. OLG Koblenz NJW 1988, 2309, das die Wendung "in der Regel" für
missverständlich hält; Hoffmann, GOÄ, 3. Aufl. Stand Juli 1999, § 5 Rn. 5
S. 12). Dagegen spricht zum einen, dass es der Regelung nicht bedurft hätte,
wenn durchschnittlich schwierige Leistungen generell mit dem Mittelwert hätten
honoriert werden sollen. Denn dieses Ergebnis hätte sich (siehe oben a) bereits
aus der proportionalen Verteilung unterschiedlich schwieriger Fälle über die ge-
samte Spanne vom Einfachen bis zum Dreieinhalbfachen ergeben. Zum ande-
ren wird die Gewichtung dadurch verschoben, dass die Honorierung zwischen
dem Einfachen und dem 2,3fachen zur Regel gemacht und eine Honorierung
darüber hinaus nur im Ausnahmefall erlaubt wird (in diesem Sinn auch
Lang/Schäfer/Stiel/Vogt, Der GOÄ-Kommentar, 1996, § 5 Rn. 28). Wie die Aus-
nahmefälle beschaffen sein müssen und ob es Vorstellungen darüber gibt, ob
man mit Ausnahmefällen in einer Größenordnung von 20, 10 oder 5 v.H. zu
rechnen hat, bleibt allerdings unklar. Dies beruht vor allem darauf, worauf die
Revision des Klägers zu Recht hinweist, dass die Ausnahmefälle durch "Be-
sonderheiten" gekennzeichnet sein sollen, die nach denselben Merkmalen wie
die Regelfälle zu bestimmen sind.
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bb) Dieser unscharfen Abgrenzung von Regel- und Ausnahmefällen in
der Verordnung entspricht es, dass Rechtsprechung und Schrifttum den an sich
gleitenden Übergang zu den Fällen, in denen eine Überschreitung des Schwel-
lenwerts in Betracht kommt, durch (vorwiegend) sprachliche Mittel zu akzentuie-
ren versuchen. So soll die Regelspanne für die große Mehrzahl der Behand-
lungsfälle gelten und den Durchschnittsfall mit Abweichungen nach oben und
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unten, also auch schwierigere und zeitaufwändigere Behandlungen, erfassen
(vgl. AG Essen NJW 1988, 1525, 1526; zu Fällen, in denen ein Faktor über dem
Schwellenwert verlangt wurde, BVerwGE 95, 117, 122 f; VG Frankfurt MedR
1994, 116, 117; VG Regensburg, Urteil vom 11. August 1999 - RO 1 K 99.25 -
juris Rn. 25; VG Düsseldorf, Urteil vom 26. Februar 2002 - 26 K 2998/00 - juris
Rn. 19; VG Stuttgart, Teilurteil vom 10. Mai 2002 - 17 K 4991/01 - juris Rn. 26,
Haberstroh, VersR 2000, 538, 540; Brück, Kommentar zur GOÄ, 3. Aufl. Stand
1. Juli 1999, § 5 Rn. 1 Anm. 1.2; Miebach, NJW 2001, 3386, 3387, und in: U-
leer/Miebach/Patt, Abrechnung von Arzt- und Krankenhausleistungen, 3. Aufl.
2006, § 5 GOÄ Rn. 39). Dementsprechend soll durch den Regelhöchstsatz von
2,3 ein bereits über dem Durchschnitt liegender Schwierigkeitsgrad oder ein
über dem Durchschnitt liegender Zeitaufwand entgolten werden (vgl. OLG Köln
MedR 1997, 273, 274; offen gelassen von OLG Düsseldorf, NJW-RR 2003,
746, 747).
Demgegenüber soll eine Liquidation oberhalb des Schwellenwerts von
2,3 nur bei "außergewöhnlichen" Besonderheiten in Betracht kommen, die jen-
seits dessen liegen, was ein Arzt normalerweise zu leisten hat (vgl. AG Essen
aaO; VG Frankfurt aaO S. 117 f; Miebach, in: Uleer/Miebach/Patt, § 5 GOÄ
Rn. 48).
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cc) Ungeachtet dieser weitgehend einheitlichen Stellungnahmen in
Rechtsprechung und Schrifttum, die aber in der Abgrenzung von Leistungen,
die oberhalb des Schwellenwerts abgerechnet werden dürfen, mit Unsicherhei-
ten verbunden sind, hat sich die Praxis der Abrechnungen ärztlicher Gebühren
offenbar in anderer Weise entwickelt. Nach einer Statistik des Verbandes der
privaten Krankenversicherung auf der Basis von 27.695 Rechnungen im Jahr
1990 (vgl. die Wiedergabe bei Brück aaO Rn. 4 Abb. 5) wurden im ambulanten
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Bereich 87,1 v.H. der ärztlichen Leistungen mit dem 2,3fachen, 7,9 v.H. zwi-
schen dem Einfachen und dem 2,2fachen und 5 v.H. zwischen dem 2,4fachen
und dem Dreieinhalbfachen abgerechnet. Zahlen aus dem Jahr 1999 ergeben
einen noch höheren Anteil von Abrechnungen nach dem Schwellenwert
(93,46 v.H.) und einen verschwindend geringen Anteil von nur 1,98 v.H. von
Abrechnungen oberhalb des Schwellenwerts (vgl. Miebach NJW 2001, 3386
Fn. 3). Dabei ist die Annahme nicht von der Hand zu weisen, dass die Abrech-
nung nach dem 2,3fachen vielfach schematisch vorgenommen wird und damit
sowohl Abrechnungen unter als auch - offensichtlich aus Gründen einer leichte-
ren Durchsetzung - über diesem Wert verdrängt (vgl. auch den Erfahrungsbe-
richt der Bundesregierung vom 27. Dezember 1985 zur Gebührenordnung für
Ärzte vom 12. November 1982, BR-Drucks. 625/85 S. 17 ff). Diese Entwicklung
wird dadurch begünstigt, dass der Arzt durch seine Ermessensausübung den
"ersten Zugriff" hat und der Verordnungsgeber davon abgesehen hat, dem Arzt
für Liquidationen bis zum Höchstsatz der Regelspanne eine Begründung seiner
Einordnung abzuverlangen. Darüber hinaus wären vor diesem Hintergrund die
Arbeit der Abrechnungsstellen, vor allem der privaten Krankenversicherer und
der Beihilfestellen, und deren Verlässlichkeit für die Betroffenen erheblich er-
schwert, wenn sie im Einzelnen zu prüfen hätten, ob die Leistungen des Arztes
auch mit einem unter dem 2,3fachen liegenden Faktor des Gebührensatzes
ausreichend entgolten wären.
dd) Der Senat vermag aus diesen Gründen keinen Ermessensfehl-
gebrauch darin zu sehen, wenn persönlich-ärztliche Leistungen, die sich in ei-
nem Bereich durchschnittlicher Schwierigkeit befinden, zum Schwellenwert ab-
gerechnet werden (ähnlich OLG Koblenz NJW 1988, 2309; vgl. auch Senatsur-
teil BGHZ 151, 102, 115, das von einer solchen Praxis - ohne Stellung hierzu zu
nehmen - ausgeht). Dem scheint zwar der Wortlaut des § 5 Abs. 2 Satz 4 GOÄ
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entgegenzustehen. Ohne eine nähere Begründungspflicht im Bereich der Re-
gelspanne ist es jedoch nicht praktikabel und vom Verordnungsgeber offenbar
nicht gewollt, den für eine durchschnittliche Leistung angemessenen Faktor zu
ermitteln oder anderweitig festzulegen. Soweit in einzelnen Entscheidungen
(vgl. etwa AG Essen NJW 1988, 1525 f) und in der Literatur (Dedié NJW 1985,
689, 690; Miebach, NJW 2001, 3386, 3387 f, und in: Uleer/Miebach/Patt, aaO
§ 5 Rn. 40) die Auffassung vertreten wird, eine durchschnittlich schwierige Leis-
tung müsse mit dem Mittelwert der Regelspanne, also mit dem 1,65fachen bei
persönlich-ärztlichen Leistungen und mit dem 1,4fachen bei medizinisch-techni-
schen Leistungen oder - wie das Berufungsgericht - mit einem auf das 1,8fache
bzw. 1,6fache angehobenen Wert abgerechnet werden, vermag der Senat dem
nicht zu folgen. Der Verordnungsgeber hat einen solchen Mittelwert nicht vor-
gesehen, und er würde die entsprechende ärztliche Tätigkeit im Ansatz auch
nicht angemessen entgelten, weil aus dem gesamten Fallspektrum ohne hinrei-
chenden Grund die Fälle ausgenommen werden, in denen der Schwellenwert
überschritten werden darf (vgl. auch Haberstroh, VersR 2000, 538, 540). Es tritt
hinzu, dass dem Verordnungsgeber die Abrechnungspraxis seit vielen Jahren
bekannt ist (vgl. den bereits angeführten Erfahrungsbericht der Bundesregie-
rung vom 27. Dezember 1985 zur Gebührenordnung für Ärzte vom 12. Novem-
ber 1982 aaO) und er davon abgesehen hat, den Bereich der Regelspanne
deutlicher abzugrenzen. Er hat sich zwar gegen eine schematische Anwendung
der Schwellenwerte ausgesprochen, was auch in der Begründung zur Gebüh-
renordnung für Zahnärzte deutlich geworden ist (BR-Drucks. 276/87 S. 69 f)
und aus der Sicht des Senats vor allem eine Aufforderung an den Arzt darstellt,
in einfachen Fällen nur das Einfache des Gebührensatzes zu berechnen. Er hat
es aber offenbar hingenommen, dass persönlich-ärztliche Leistungen durch-
schnittlicher Schwierigkeit zum Schwellenwert abgerechnet werden, und dem-
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entsprechend nach § 12 Abs. 3 GOÄ eine Begründung des Arztes nur für erfor-
derlich gehalten, wenn der Schwellenwert überschritten wird.
4.
Gemessen an diesen Maßstäben erweist sich nur die Revision des Klä-
gers als begründet.
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a) Zunächst ist es - entgegen der Auffassung der Revision des Beklag-
ten - nicht zu beanstanden, dass das Berufungsgericht den Angaben des Klä-
gers, die sich auf nahezu alle Positionen seiner Gebührenrechnung bezogen,
entnommen hat, dass sich seine Tätigkeit - von der Schwierigkeit und dem Zeit-
aufwand - in einem durchschnittlichen Bereich bewegt hat und in der Person
des Beklagten keine Erschwernisse vorgelegen haben, die die Leistungen des
Klägers berührt hätten. Die Revision des Beklagten macht zwar geltend, bereits
in den Vorinstanzen sei bemängelt worden, dass der Kläger keine hinreichen-
den Anknüpfungstatsachen angegeben habe. Mit dieser Rüge überspannt der
Beklagte jedoch die berechtigten Erwartungen, die an die Pflichten des Arztes
zu stellen sind. Nach § 12 Abs. 3 GOÄ hat der Arzt, um die Fälligkeit seines
Vergütungsanspruchs herbeizuführen, nur bei einer Überschreitung des
Schwellenwerts dies verständlich und nachvollziehbar schriftlich zu begründen
und die Begründung auf Verlangen näher zu erläutern. Zwar stellt § 12 Abs. 1
GOÄ auf den ersten Blick lediglich eine Regelung dar, die die Fälligkeit des
Vergütungsanspruchs begründen soll. Dennoch liegt den besonderen Anforde-
rungen in § 12 Abs. 3 GOÄ die Vorstellung zugrunde, dem Zahlungspflichtigen
- und den Abrechnungsstellen - eine Nachprüfung zu ermöglichen und zu die-
sem Zweck die Abrechnungstransparenz und die Nachvollziehbarkeit zu ver-
bessern (vgl. Senatsurteil BGHZ 170, 252, 255 f Rn. 9 bis 10). Es ist offenbar,
dass es der Verordnungsgeber für entbehrlich angesehen hat, dem Arzt eine
entsprechende Begründung abzuverlangen, wenn er sich mit seiner Gebühren-
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forderung innerhalb der Regelspanne hält. Dies entlastet ihn zwar nicht davon,
bei einer Geltendmachung des Anspruchs im Prozess den Gebrauch seines
Ermessens darzulegen, wenn der Zahlungspflichtige die Angemessenheit der
Rechnung mit bestimmten Argumenten in Zweifel zieht, die zu einer Überprü-
fung Anlass bieten. Das darf aber nicht dazu führen, dass die Begründung der
Ermessensentscheidung für jede einzelne Leistungsposition einen Raum ein-
nimmt, hinter dem der Aufwand für die ärztliche Leistung in den Hintergrund
tritt. Erhebt eine Partei - wie hier - keine substanziierten Einwände gegen die
Bewertung der ärztlichen Leistung als durchschnittlich und ist sie in der mündli-
chen Verhandlung säumig, besteht für das Gericht kein Anlass, hinsichtlich des
ausgeübten Ermessens nähere Aufklärung zu verlangen.
b) Auf der Grundlage erbrachter ärztlicher Leistungen, die nach Schwie-
rigkeit und Zeitaufwand durchschnittlichen Verhältnissen entsprechen und nicht
durch Erschwernisse gekennzeichnet sind, die sich aus der Person des Beklag-
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ten ergaben, ist die Abrechnung des 2,3fachen für persönlich-ärztliche und des
1,8fachen für medizinisch-technische Leistungen nicht zu beanstanden.
Schlick
Wurm
Dörr
Wöstmann
Harsdorf-Gebhardt
Vorinstanzen:
AG Hamburg, Entscheidung vom 05.10.2005 - 6 C 375/04 -
LG Hamburg, Entscheidung vom 07.02.2007 - 318 S 145/05 -