Urteil des BGH vom 05.10.2010

BGH (stgb, wohnung, zustand, strafkammer, sicherungsverwahrung, nötigung, stpo, urlaub, unterhalt, gebrauch)

BUNDESGERICHTSHOF
BESCHLUSS
3 StR 274/10
vom
5. Oktober 2010
in der Strafsache
gegen
wegen besonders schwerer sexueller Nötigung u.a.
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Der 3. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat nach Anhörung des Beschwerde-
führers und des Generalbundesanwalts - zu 2. auf dessen Antrag - am
5. Oktober 2010 gemäß § 349 Abs. 2 und 4 StPO einstimmig beschlossen:
1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landge-
richts Krefeld vom 19. Februar 2010 im Maßregelausspruch
mit den zugehörigen Feststellungen aufgehoben.
Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhand-
lung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmit-
tels und die den Nebenklägerinnen dadurch entstandenen
notwendigen Auslagen, an eine andere Strafkammer des
Landgerichts zurückverwiesen.
2. Die weitergehende Revision wird verworfen.
Gründe:
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen besonders schwerer sexu-
eller Nötigung, schweren sexuellen Missbrauchs widerstandsunfähiger Perso-
nen sowie sexuellen Missbrauchs widerstandsunfähiger Personen in vier Fällen,
davon in drei Fällen in Tateinheit mit Diebstahl, zu einer Gesamtfreiheitsstrafe
von sieben Jahren und sechs Monaten verurteilt; zugleich hat es die Unterbrin-
gung des Angeklagten in der Sicherungsverwahrung angeordnet. Die wirksam
auf den Schuldspruch in den Fällen 1, 3, 4 und 5 der Urteilsgründe sowie den
gesamten Rechtsfolgenausspruch beschränkte Revision des Angeklagten hat
bezüglich des Maßregelausspruchs Erfolg; im Übrigen ist sie unbegründet im
Sinne des § 349 Abs. 2 StPO.
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Nach den Feststellungen drang der nur geringfügig wegen eines
Straßenverkehrsdelikts vorbestrafte Angeklagte jeweils in die Wohnung ihm
fremder Frauen ein, um diese im Schlaf sexuell zu missbrauchen. In einem Fall
führte er einen Finger in die Scheide des schlafenden Opfers ein, ansonsten
berührte er die Geschädigten an deren Vagina oder Brüsten. Im letzten Fall
versuchte er, mit der erwachten Frau den Oralverkehr auszuüben, ließ aber von
ihr ab, nachdem sie sich seinem Ansinnen widersetzt und er mit seinem Penis
ihre Wange berührt hatte. Teilweise entwendete der Angeklagte in der Woh-
nung vorgefundene Geldbeträge.
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Die Nachprüfung des Schuld- und Strafausspruchs hat keinen durchgrei-
fenden Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten ergeben. Die auf § 66
Abs. 2 StGB gestützte Anordnung der Sicherungsverwahrung kann hingegen
nicht bestehen bleiben. Zwar liegen die formellen Voraussetzungen der Norm
vor; das Landgericht hat jedoch einen Hang des Angeklagten zur Begehung
erheblicher Straftaten im Sinne von § 66 Abs. 1 Nr. 3 StGB nicht tragfähig be-
gründet. Damit entfällt auch die Grundlage für die anzustellende Prognose, ob
der Angeklagte infolge seines Hanges für die Allgemeinheit gefährlich ist.
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Das Merkmal "Hang" im Sinne des § 66 Abs. 1 Nr. 3 StGB verlangt einen
eingeschliffenen inneren Zustand des Täters, der ihn immer wieder neue Straf-
taten begehen lässt. Hangtäter ist derjenige, der dauerhaft zu Straftaten ent-
schlossen ist oder aufgrund einer fest eingewurzelten Neigung immer wieder
straffällig wird, wenn sich die Gelegenheit bietet, ebenso wie derjenige, der wil-
lensschwach ist und aus innerer Haltlosigkeit Tatanreizen nicht zu widerstehen
vermag. Der Hang als "eingeschliffenes Verhaltensmuster" bezeichnet einen
aufgrund umfassender Vergangenheitsbetrachtung festgestellten gegenwärti-
gen Zustand. Seine Feststellung obliegt - nach sachverständiger Beratung -
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unter sorgfältiger Gesamtwürdigung aller für die Beurteilung der Persönlichkeit
des Täters und seiner Taten maßgebenden Umstände dem Richter in eigener
Verantwortung. Diese ist mit besonderer Sorgfalt vorzunehmen, wenn bei Vor-
liegen der formellen Voraussetzungen nach § 66 Abs. 2 oder Abs. 3 Satz 2
StGB in Ermangelung von symptomatischen Vortaten und neuerlicher Delin-
quenz trotz vorheriger Strafverbüßung die Tatsachengrundlage besonders
schmal ist (BGH, Beschluss vom 30. März 2010 - 3 StR 69/10, NStZ-RR 2010,
203; Urteil vom 17. Dezember 2009 - 3 StR 399/09, Rn. 4; Urteil vom 14. Juli
1999 - 3 StR 209/99, BGHR StGB § 66 Abs. 3 Katalogtat 1).
Dem wird das angefochtene Urteil nicht gerecht. Es begründet den Hang
u.a. damit, der Angeklagte sei bei Begehung der Taten erst 28 bzw. 29 Jahre alt
gewesen, habe sein Leben erkennbar augenblicksbezogen gestaltet, was sich
daraus ergebe, dass er den Großteil seiner Einkünfte für den Unterhalt eines
Kraftfahrzeugs sowie für Betäubungsmittel aufgewendet und sich in den Näch-
ten herumgetrieben habe, so dass von einer ausgereiften Persönlichkeit keine
Rede sein könne. Damit stützt sich das Landgericht auf Kriterien, denen
- jedenfalls im vorliegenden Fall - für die Frage, ob der Angeklagte aufgrund
eines eingeschliffenen inneren Zustands immer wieder neue Straftaten begeht,
allenfalls eine geringe Aussagekraft zukommt; denn weder der Gebrauch des
PKW noch der Konsum der Betäubungsmittel stehen in einem näheren Zu-
sammenhang mit den begangenen Straftaten. Die Strafkammer lässt bei ihrer
Bewertung zudem außer Betracht, dass der Angeklagte nach den Feststellun-
gen durch den positiven Einfluss seiner langjährigen Freundin dazu motiviert
wurde, zukunftsgerichtet zu denken sowie sich beruflich neu zu orientieren, im
Jahre 2005 eine Ausbildung zum Bäcker abschloss und danach in diesem Beruf
arbeitete. Diese Gesichtspunkte wären in die Gesamtwürdigung ebenso einzu-
stellen gewesen wie der Umstand, dass der Angeklagte fast alle Taten in einem
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vergleichsweise kurzen Zeitraum von nur wenigen Wochen beging. Von Belang
könnte zudem sein, seit wann die Vorstellung sexueller Erlebnisse mit schlafen-
den Partnern zu den Bedürfnissen des Angeklagten zählte und er Computerda-
teien zum Thema "Sleep Sex" konsumierte; hierzu verhalten sich die Feststel-
lungen nicht.
Der Senat vermag nicht auszuschließen, dass das neue Tatgericht zu
Feststellungen gelangt, welche die Annahme des Hangs und der Gefährlichkeit
des Angeklagten tragen. Über den Maßregelausspruch muss deshalb nochmals
verhandelt und entschieden werden. Dabei wird sich empfehlen, einen anderen
Sachverständigen hinzuzuziehen.
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Becker
RiBGH von Lienen befindet sich
Sost-Scheible
im Urlaub und ist daher gehindert
zu unterschreiben.
Becker
Schäfer Mayer