Urteil des BGH vom 09.04.2014

BGH: mitteilungspflicht, anschluss, besitz, einheit, beschränkung, öffentlichkeit, begriff, drogenkonsum, verhaftung, initiative

BUNDESGERICHTSHOF
BESCHLUSS
1 S t R 6 1 2 / 1 3
vom
9. April 2014
in der Strafsache
gegen
wegen bewaffneten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht
geringer Menge u.a.
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Der 1. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat am 9. April 2014 gemäß § 349
Abs. 4 StPO beschlossen:
Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landge-
richts München I vom 24. Juli 2013 mit den Feststellungen auf-
gehoben, soweit es ihn betrifft.
Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung
und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an
eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
Gründe:
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen zweier tatmehrheitlicher
Fälle des unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer
Menge, jeweils in Tateinheit mit Besitz von Betäubungsmitteln in nicht geringer
Menge, in Tatmehrheit mit bewaffnetem Handeltreiben mit Betäubungsmitteln
in nicht geringer Menge in Tateinheit mit unerlaubtem Besitz von Betäubungs-
mitteln in nicht geringer Menge schuldig gesprochen. Es hat ihn hierfür unter
Einbeziehung einer Freiheitsstrafe von sechs Monaten zu einer Gesamtfrei-
heitsstrafe von sechs Jahren und elf Monaten verurteilt. Zudem hat es gegen
den Angeklagten Wertersatzverfall in Höhe von 4.500 Euro angeordnet. Die
gegen diese Verurteilung gerichtete Revision des Angeklagten hat mit einer
Verfahrensrüge Erfolg.
1. Die Revision macht zu Recht geltend, § 243 Abs. 4 Satz 2 StPO sei
verletzt worden.
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a) Dem liegt folgendes Verfahrensgeschehen zugrunde:
Nach Verlesung der Anklageschrift und Feststellung der Haftdaten wurde
die Hauptverhandlung für etwa vier Stunden unterbrochen. Bei Fortsetzung der
Hauptverhandlung gab die Vorsitzende bekannt, dass zwischen Gericht,
Staatsanwaltschaft und allen Verteidigern des Angeklagten und der Mitange-
klagten in der Verhandlungspause Gespräche über die Möglichkeit einer Ver-
ständigung stattgefunden hätten. Hinsichtlich des Angeklagten sei eine Ver-
ständigung nicht zustande gekommen. Das Gericht unterbreitete sodann in der
Hauptverhandlung für den Angeklagten einen Verständigungsvorschlag mit ei-
nem für die Gesamtfreiheitsstrafe in Aussicht gestellten Strafrahmen mit einer
Untergrenze von sechs Jahren und sechs Monaten und einer Obergrenze von
sieben Jahren bei Teileinstellung des Verfahrens gemäß § 154 StPO. Dieser
Vorschlag wurde von der Verteidigung des Angeklagten und der Staatsanwalt-
schaft nicht akzeptiert.
Nach einer erneuten Unterbrechung der Hauptverhandlung gab die Vor-
sitzende bekannt, dass zwischen Gericht, Staatsanwaltschaft und Verteidigern
weitere Gespräche „über eine einvernehmliche Verfahrensbeendigung“ stattge-
funden hätten. Abschließende Äußerungen hierzu seien aber insbesondere von
Seiten der Staatsanwaltschaft nicht möglich, da Überprüfungen der Beweismit-
tel noch stattfinden müssten. Im Hinblick auf diese noch laufenden Gespräche
hätten die Verteidiger für ihre Mandanten erklärt, dass derzeit keine Einlassun-
gen erfolgen sollten. Das Gericht werde versuchen, mit Staatsanwaltschaft und
Verteidigern den weiteren Verfahrensablauf telefonisch zu klären und davon die
jeweiligen Ladungen von Zeugen abhängig zu machen.
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Im darauf folgenden Fortsetzungstermin gab die Vorsitzende bekannt,
dass zwischen Gericht, Staatsanwaltschaft und Verteidigung in der Zwischen-
zeit über den vom Gericht am ersten Hauptverhandlungstag gemachten Ver-
ständigungsvorschlag weitere Gespräche stattgefunden hätten. Im Hinblick hie-
rauf unterbreitete das Gericht betreffend den Angeklagten einen neuen Ver-
ständigungsvorschlag, in dem es ihm für den Fall eines näher beschriebenen
Teilgeständnisses wiederum eine Strafuntergrenze von sechs Jahren und
sechs Monaten und eine Strafobergrenze von sieben Jahren in Aussicht stellte.
Der Vertreter der Staatsanwaltschaft verlangte ein weitergehendes Geständnis,
der Verteidiger des Angeklagten lehnte demgegenüber ein Geständnis hinsicht-
lich des Tatvorwurfs des bewaffneten Handeltreibens „definitiv“ ab. Die Vorsit-
zende stellte daraufhin fest, dass eine Verständigung nicht zustande gekom-
men sei.
In Anschluss hieran gab der Verteidiger des Angeklagten für diesen eine
Erklärung ab, die dieser als die seine anerkannte. Der Verteidiger erklärte hier-
zu, er gehe davon aus, dass es bei dem Verständigungsvorschlag des Gerichts
verbleibe. Im Hinblick auf die Erklärung des Angeklagten stellte die Strafkam-
mer das Verfahren auf Antrag der Staatsanwaltschaft hinsichtlich einiger Tat-
vorwürfe gemäß §§ 154, 154a StPO ein. Zudem gab die Vorsitzende bekannt,
„dass sich das Gericht im Hinblick auf die vom Angeklagten P. abgege-
bene Erklärung an den im Verständigungsvorschlag gemachten Strafrahmen
gebunden fühlt“.
b) Die Rüge des Angeklagten, es liege eine Verletzung der mit Verstän-
digungsgesprächen einhergehenden Mitteilungspflichten gemäß § 243 Abs. 4
Satz 2 StPO vor, ist zulässig und begründet.
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aa) Nach § 243 Abs. 4 Satz 1 StPO teilt der Vorsitzende nach Verlesung
des Anklagesatzes mit, ob Erörterungen nach den §§ 202a, 212 StPO stattge-
funden haben, wenn deren Gegenstand die Möglichkeit einer Verständigung
(§ 257c StPO) gewesen ist, und wenn ja, deren wesentlicher Inhalt. Diese Mit-
teilungspflicht greift bei sämtlichen Vorgesprächen ein, die auf eine Verständi-
gung abzielen (vgl. BGH, Urteil vom 13. Februar 2014 - 1 StR 423/13 mwN).
Sie ist gemäß § 243 Abs. 4 Satz 2 StPO weiter zu beachten, wenn Erörterun-
gen erst nach Beginn der Hauptverhandlung stattgefunden haben. Das Gesetz
will erreichen, dass derartige Erörterungen stets in der Hauptverhandlung zur
Sprache kommen und dies auch inhaltlich dokumentiert wird. Gespräche au-
ßerhalb der Hauptverhandlung dürfen kein informelles und unkontrollierbares
Verfahren eröffnen (vgl. BGH, Beschluss vom 3. Dezember 2013 - 2 StR
410/13 mwN). Die Bestimmung des § 243 Abs. 4 StPO verlangt deshalb, dass
in der Hauptverhandlung über den wesentlichen Inhalt erfolgter Erörterungen
zu informieren ist. Hierzu gehört auch dann, wenn keine Verständigung zustan-
de gekommen ist, jedenfalls der Verständigungsvorschlag und die zu diesem
abgegebenen Erklärungen der übrigen Verfahrensbeteiligten (vgl. BGH, Be-
schluss vom 23. Oktober 2013 - 5 StR 411/13).
bb) Gemessen hieran ist der Mitteilungspflicht des § 243 Abs. 4 Satz 2
StPO nicht in hinreichendem Umfang entsprochen worden. Die Vorsitzende hat
zwar über die Tatsache informiert, dass mehrfach außerhalb der Hauptver-
handlung im Ergebnis erfolglose Verständigungsgespräche stattgefunden ha-
ben. Dies genügte jedoch nicht, denn die Mitteilungspflicht erstreckt sich auch
darauf, welcher Verfahrensbeteiligte jeweils welchen Verständigungsvorschlag
gemacht hat. Da die Vorsitzende nicht mitgeteilt hat, von wem die ursprüngliche
Initiative zu Verständigungsgesprächen ausgegangen ist und welchen Inhalt die
in der Verhandlungspause erörterten Verständigungsvorschläge hatten, blieb
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letztlich offen, aus welchen Gründen es nicht zu einer Verständigung gekom-
men ist. Die Mitteilung des Inhalts dieser Verständigungsgespräche ist auch
nicht deshalb entbehrlich, weil das Gericht in der Hauptverhandlung weitere
Verständigungsvorschläge gemacht hat, denn diese Vorschläge können sich
aus den vorangegangenen Verständigungsgesprächen ergeben haben.
c) Der Senat kann nicht ausschließen, dass das Urteil auf dem Verfah-
rensfehler beruht.
aa) Bei Verstößen gegen die Mitteilungspflichten aus § 243 Abs. 4 StPO
ist regelmäßig davon auszugehen, dass das Urteil auf dem Verstoß beruht; le-
diglich in Ausnahmefällen ist Abweichendes vertretbar (vgl. BGH, Urteil vom
13. Februar 2014 - 1 StR 423/13 mwN). Wie das Bundesverfassungsgericht in
seinem Urteil vom 19. März 2013 im Einzelnen dargelegt hat, hält der Gesetz-
geber eine Verständigung nur bei Wahrung der umfassenden Transparenz-
und Dokumentationspflichten für zulässig, weshalb das gesetzliche Regelungs-
konzept eine untrennbare Einheit aus Zulassung und Beschränkung von Ver-
ständigungen bei gleichzeitiger Einhegung durch die Mitteilungs-, Belehrungs-
und Dokumentationspflichten darstellt (BVerfG, Urteil vom 19. März 2013
- 2 BvR 2628/10, 2 BvR 2883/10 und 2 BvR 2155/11, Rn. 96, NJW 2013, 1058,
1066). Die Mitteilung des Inhalts sämtlicher auf eine Verständigung abzielender
Gespräche dient dabei nicht nur der notwendigen Information der Öffentlichkeit,
sondern auch der des Angeklagten, der - wie hier - bei derartigen Gesprächen
außerhalb der Hauptverhandlung in der Regel nicht anwesend ist. Für die Wil-
lensbildung im Rahmen einer Verständigung ist für den Angeklagten auch von
Bedeutung, dass er durch das Gericht umfassend über sämtliche vor und au-
ßerhalb der Hauptverhandlung mit den übrigen Verfahrensbeteiligten geführten
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Verständigungsgespräche informiert wird (BGH, Urteil vom 13. Februar 2014 -
1 StR 423/13 Rn. 16).
bb) Der Senat kann hier das Beruhen des Urteils auf dem Verstoß gegen
die Mitteilungspflichten aus § 243 Abs. 4 StPO auch nicht im Hinblick auf die
(im Hauptverhandlungsprotokoll vermerkte) Feststellung der Vorsitzenden, dass
keine Verständigung stattgefunden habe, ausschließen. Denn auch im Falle
einer im Ergebnis nicht zustande gekommenen Verständigung kann das Pro-
zessverhalten des Angeklagten durch die vorangegangenen Verständigungs-
gespräche beeinflusst worden sein. Solches liegt hier im Hinblick auf den weite-
ren Verfahrensgang nach den Verständigungsgesprächen sogar nahe. So hat
der Verteidiger des Angeklagten trotz gescheiterter Verständigung für diesen
eine Erklärung abgegeben, die er mit der geäußerten Erwartung verbunden hat,
dass es bei dem Verständigungsvorschlag des Gerichts verbleibe. Im Hinblick
auf diese als Teilgeständnis gewertete Erklärung beantragte der Sitzungs-
staatsanwalt eine Teileinstellung des Verfahrens. Im Anschluss an die Vor-
nahme der beantragten Verfahrensbeschränkung gab schließlich das Gericht
bekannt, es fühle sich im Hinblick auf die vom Angeklagten abgegebene Erklä-
rung an den im Verständigungsvorschlag gemachten Strafrahmen gebunden.
2. Ergänzend bemerkt der Senat: Sollte die neue Strafkammer wieder zu
der Feststellung gelangen, dass das Leben des Angeklagten vor seiner Verhaf-
tung in dieser Sache weitgehend durch seinen Drogenkonsum geprägt war und
dass er danach noch für die Dauer von drei bis vier Monaten unter Entzugser-
scheinungen litt, wird sie diese Umstände bei der Prüfung, ob bei dem Ange-
klagten ein Hang i.S.d. § 64 StGB, berauschende Mittel im Übermaß zu sich zu
nehmen, gegeben war, in den Blick zu nehmen haben (zum Begriff des Hangs
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i.S.v. § 64 StGB vgl. BGH, Urteil vom 11. März 2014 - 1 StR 655/13 Rn. 11
mwN).
Raum Jäger Cirener
Radtke Mosbacher