Urteil des BGH vom 13.06.2002
Leitsatzentscheidung
BUNDESGERICHTSHOF
IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
IX ZR 398/00
Verkündet am:
13. Juni 2002
Preuß
Justizangestellte
als Urkundsbeamtin
der Geschäftsstelle
in dem Rechtsstreit
Nachschlagewerk:
ja
BGHZ:
nein
BGB § 777 Abs. 1
Zur rechtzeitigen Inanspruchnahme des Bürgen aus einer befristeten Aus-
fallbürgschaft.
BGH, Urteil vom 13. Juni 2002 - IX ZR 398/00 - OLG Köln
LG Bonn
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Der IX. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat auf die mündliche Verhandlung
vom 13. Juni 2002 durch den Vorsitzenden Richter Dr. Kreft und die Richter
Dr. Fischer, Dr. Ganter, Raebel und Kayser
für Recht erkannt:
Auf die Revision der Klägerin wird das Urteil des 13. Zivilsenats
des Oberlandesgerichts Köln vom 27. September 2000 aufgeho-
ben.
Die Sache wird zur anderweiten Verhandlung und Entscheidung
- auch über die Kosten des Revisionsverfahrens - an das Beru-
fungsgericht zurückverwiesen.
Von Rechts wegen
Tatbestand:
Die Klägerin nimmt die Beklagte aus einer befristeten Ausfallbürgschaft
in Anspruch.
Die Beklagte übernahm am 21. Dezember 1995 im Rahmen des soge-
nannten DtA-Bürgschaftsprogramms eine Ausfallbürgschaft über einen Höchst-
betrag von 1,2 Mio. DM für einen der G. GmbH (im folgenden:
Hauptschuldnerin) von der Klägerin zum Zwecke der Betriebsmittelfinanzierung
gewährten und ursprünglich bis zum 31. Dezember 1996 befristeten Kontokor-
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rentkredit über 1,5 Mio. DM. Die Bürgschaft war, der Laufzeit des der Haupt-
schuldnerin gewährten Kredits entsprechend, befristet. Hierzu heißt es in der
Bürgschaftserklärung:
"Die Bürgschaft erlischt mit Rückgabe dieser Erklärung, späte-
stens aber am 31.12.1996, wenn wir nicht bis zu diesem Tage
daraus in Anspruch genommen worden sind."
Als weitere Sicherheiten für den der Hauptschuldnerin von der Klägerin
gewährten Kredit dienten selbstschuldnerische Bürgschaften der beiden Ge-
sellschafter der Hauptschuldnerin sowie eine globale Sicherungsabtretung.
Mit Schreiben vom 18. Dezember 1996 verlängerte die Beklagte ihre
Bürgschaft wie folgt:
"Die Laufzeit dieser Bürgschaft, die ursprünglich bis zum 31.12.96
befristet war, verlängern wir um ein weiteres Jahr bis zum
31.12.97. Alle anderen mit Ihnen getroffenen Vereinbarungen be-
halten unverändert Gültigkeit."
Dementsprechend verlängerte die Klägerin auch die Laufzeit ihres Kre-
dits bis zum 31. Dezember 1997.
Wegen wirtschaftlicher Schwierigkeiten der Hauptschuldnerin kündigte
die Klägerin mit Schreiben vom 16. Oktober 1997 den Kredit und stellte den in
Höhe von 1.585.383,84 DM ermittelten Saldo zur sofortigen Rückzahlung fällig.
Mit Schreiben vom 20. November 1997 informierte die Klägerin die Beklagte
unter Beifügung des Kündigungsschreibens über die hierfür maßgeblichen
Gründe.
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Mit Schreiben vom 9. März 1998 forderte die Beklagte die Klägerin zur
Rückgabe der Bürgschaftsurkunde auf, weil die Klägerin innerhalb der Befri-
stung sie nicht als Bürgin in Anspruch genommen habe. Daraufhin hat die Klä-
gerin Klage auf Zahlung eines Teilbetrages in Höhe von 100.000 DM erhoben.
Das Landgericht hat der Klage im wesentlichen stattgegeben; das Be-
rufungsgericht hat sie abgewiesen. Mit ihrer Revision begehrt die Klägerin die
Wiederherstellung des erstinstanzlichen Urteils.
Entscheidungsgründe:
Die Revision führt zur Aufhebung und Zurückverweisung.
I.
Das Berufungsgericht hat seine Entscheidung wie folgt begründet:
Die Bürgschaft sei erloschen. Sie sei (nach entsprechender Verlänge-
rung durch das Schreiben vom 18. Dezember 1996) als eine bis zum 31. De-
zember 1997 befristete Zeitbürgschaft auszulegen. Ihr Inhalt unterscheide sich
nur insoweit von der gesetzlichen Regelung des § 777 Abs. 1 BGB, als die In-
anspruchnahme des Bürgen - abweichend von Abs. 1 Satz 2 dieser Vorschrift -
bis zu dem angegebenen Endtermin habe erklärt werden müssen, um das Er-
löschen der Bürgschaftsverpflichtung zu verhindern. Dies habe die Klägerin
versäumt; ihr Schreiben vom 20. November 1997 könne - entgegen der Auffas-
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sung des Landgerichts - nicht als konkludente Inanspruchnahme der Beklagten
verstanden werden. Die Wahrung der Frist sei der Klägerin möglich gewesen,
auch wenn es sich um eine Ausfallbürgschaft gehandelt habe; denn zur Inan-
spruchnahme habe es nicht der Bezifferung des eingetretenen Verlusts bedurft.
Eine Ausdehnung der Haftung eines Zeitbürgen unter Billigkeitsgesichtspunk-
ten komme nicht in Betracht.
II.
Diese Ausführungen halten einer rechtlichen Überprüfung nicht stand.
Das Berufungsgericht hat die Bürgschaft rechtsfehlerfrei als Zeitbürg-
schaft behandelt. Die Klägerin hat jedoch die in der Bürgschaftsurkunde vorge-
sehene Inanspruchnahme der Beklagten rechtzeitig erklärt. Dies folgt aus einer
interessengerechten Auslegung der Bürgschaftserklärung unter Berücksichti-
gung des § 777 Abs. 1 Satz 1 BGB.
1. Die Befristung einer Bürgschaft mit der Wirkung, daß sie erlischt,
wenn sie bis zu einem bestimmten Endtermin nicht geltend gemacht wird, ist
zwar möglich (vgl. BGHZ 91, 349, 351; 99, 288, 290; BGH, Urt. v. 21. Oktober
1981 - VIII ZR 212/80, NJW 1982, 172; v. 21. März 1989 - IX ZR 82/88, NJW
1989, 1856, 1857). Bei der Auslegung der vorliegenden Bürgschaftserklärung
muß jedoch berücksichtigt werden, daß die Beklagte nur für den Ausfall der
Klägerin haften sollte. Entgegen der Ansicht des Berufungsgerichts können die
von der Rechtsprechung zur selbstschuldnerischen Zeitbürgschaft nach § 777
Abs. 1 Satz 2 BGB entwickelten Grundsätze auf die von der Beklagten über-
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nommene befristete Ausfallbürgschaft nicht übertragen werden. Der Ausfall des
Gläubigers gehört hier zum anspruchsbegründenden Tatbestand
(MünchKomm-BGB/Habersack, 3. Aufl. § 765 Rdnr. 102). Der Ausfallbürge
kann erst in Anspruch genommen werden, wenn feststeht, daß die Inanspruch-
nahme des Hauptschuldners, gegebenenfalls auch die Verwertung anderer
Sicherheiten, keinen vollen Erfolg verspricht (BGH, Urt. v. 25. Juni 1992
- IX ZR 24/92, ZIP 1992, 1073, 1075; v. 19. März 1998 - IX ZR 120/97,
WM 1998, 976, 979; v. 10. Dezember 1998 - IX ZR 156/98, WM 1999, 173,
177). Im Allgemeinen ist eine Ausfallbürgschaft deshalb das Gegenteil der
selbstschuldnerischen Bürgschaft (BGH, Urt. v. 19. März 1998 - IX ZR 120/97,
aaO). Zeitbürgschaften, die zugleich Ausfallbürgschaften sind, fallen demge-
mäß regelmäßig nicht unter § 777 Abs. 1 Satz 2 BGB, sondern unter Satz 1
dieses Absatzes (Staudinger/
Horn, § 777 BGB Rn. 14; vgl. ferner Reichel JW 1931, 2228, 2229; ders. AcP
135 (1932), 336, 340). Wäre auf sie Satz 2 anzuwenden, würden sie häufig
ihren Zweck verfehlen, weil der Ausfall bis zum Ablauf der Zeitspanne, für wel-
che die Bürgschaft eingegangen wurde, nicht festgestellt werden kann. Wenn
- wie hier - die regelmäßige (nicht durch vorzeitige Kündigung herbeigeführte)
Fälligkeit der Hauptforderung und das zeitliche Ende der Bürgschaft zusam-
menfallen, wird es dem Gläubiger regelmäßig nicht möglich sein, den Bürgen in
Anspruch zu nehmen.
2. Die Auslegung des Berufungsgerichts verstößt, wie die Revision mit
Recht rügt, gegen den allgemein anerkannten Grundsatz einer nach beiden
Seiten hin interessengerechten Auslegung (vgl. BGH, Urt. v. 6. Mai 1997
- IX ZR 136/96, NJW 1997, 2233, 2234 m.w.N.).
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Hätte die Klägerin die Beklagte - entsprechend der Auffassung des Be-
rufungsgerichts - bis spätestens 31. Dezember 1997 in Anspruch nehmen müs-
sen, wobei nur eine nähere Bezifferung hätte vorbehalten werden dürfen, hätte
weder die Klägerin ihr wirtschaftliches Ziel der Kreditsicherung noch die Be-
klagte ihr damit korrespondierendes Ziel der Wirtschaftsförderung durch Absi-
cherung des von der Klägerin gewährten Kredits erreichen können. Denn bis
zum 31. Dezember 1997 konnte die Klägerin den Bürgschaftsanspruch noch
nicht geltend machen. Nach dem eigenen Vorbringen der Beklagten stand En-
de 1997 weder fest, daß die Hauptschuldnerin leistungsunfähig ist, noch daß
die anderweitigen Sicherheiten wertlos sind. Bei seinem Hinweis darauf, daß
der Zeitbürge auch eine unbezifferte Inanspruchnahme gegen sich gelten las-
sen muß, hat das Berufungsgericht übersehen, daß im Falle einer Ausfallbürg-
schaft selbst eine unbezifferte Inanspruchnahme dem Grunde nach einen
Ausfall voraussetzt.
Da das Erlöschen - wie ausgeführt - nicht an das Unterbleiben einer "In-
anspruchnahme" im Rechtssinne anknüpfen kann, muß dieses Merkmal un-
technisch, nämlich dahin ausgelegt werden, daß die Bürgschaftsverpflichtung
am 31. Dezember 1997 erlöschen sollte, falls die Klägerin bis dahin nicht eine
krisenhafte Situation, welche die spätere Inanspruchnahme der Beklagten als
Bürgin naheliegend erscheinen ließ, angezeigt hatte. Mehr war der Klägerin bis
zu dem angegebenen Stichtag nicht möglich, und den Interessen der Beklag-
ten, sich auf eine Inanspruchnahme einstellen zu können, war dadurch genügt.
3. Das Schreiben der Klägerin vom 20. November 1997 erfüllt diese
Anforderungen. Darin hat sie der Beklagten folgendes mitgeteilt:
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"Das in der Anlage beigefügte Kündigungsschreiben übersenden
wir mit der Bitte um Kenntnisnahme.
Die Geschäftsverbindung mußte gekündigt werden, da trotz sehr
langen Zuwartens und mehrerer Versuche, den Geschäftsbetrieb
auf eine gesunde Grundlage zu stellen, scheiterten. Die Produkti-
on ist vollständig zum Erliegen gekommen, sodaß die Mitarbeiter
nicht mehr beschäftigt werden konnten. Rohstoffe werden nicht
mehr geliefert, da keine liquiden Mittel mehr zur Verfügung ste-
hen. Der Kreditrahmen in unserem Hause war bekanntlich schon
seit geraumer Zeit ausgeschöpft.
Der Gesamtvollstreckungsverwalter hat die Überlassungsverträge
gekündigt und betreibt die Herausgabe der Gegenstände. Das
Unternehmen hat damit keine Produktionsstätte mehr. Einen Kon-
kursantrag haben die Firmeninhaber bisher nicht gestellt.
Über den Fortgang der Angelegenheit halten wir Sie informiert."
Der Beklagten mußte danach klar sein, daß der Kredit notleidend ge-
worden war und daß sie - vorbehaltlich der Feststellung eines Ausfalls - als
Bürgin würde leisten müssen.
III.
Das angefochtene Urteil ist somit aufzuheben (§ 564 Abs. 1 ZPO a.F.).
Die Sache ist an das Berufungsgericht zurückzuverweisen, weil sie noch nicht
entscheidungsreif ist (§ 565 Abs. 1 Satz 1 ZPO a.F.).
Daß die Bürgschaft - wie ausgeführt - nicht mit Ablauf des 31. Dezember
1997 erloschen ist, besagt nicht, daß sie auch heute noch besteht. Das Schrei-
ben vom 20. November 1997 hat - seiner Natur als Zwischenbescheid entspre-
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chend - die Rechte der Klägerin nur vorläufig gewahrt. In der Folgezeit konnte
die Beklagte gemäß § 777 Abs. 1 Satz 1 BGB frei werden, nämlich dann, wenn
die Klägerin nicht die Einziehung der gesicherten Forderung unverzüglich nach
Maßgabe des § 772 BGB betrieb, das Verfahren ohne wesentliche Verzöge-
rung fortsetzte und unverzüglich nach seiner Beendigung der Beklagten an-
zeigte, daß sie nunmehr wegen des Ausfalls in Anspruch genommen werde. Zu
alldem hat die Klägerin - die insoweit die Darlegungs- und Beweislast trägt (vgl.
Staudinger/Horn, § 777 BGB Rdnr. 22) - bisher nichts vorgetragen. Das wird
von der Revisionserwiderung mit Recht beanstandet. Den fehlenden Vortrag
nachzuholen, muß der Klägerin noch Gelegenheit gegeben werden, weil sie in
erster Instanz obsiegt hat und in zweiter Instanz mit ihrer Klage aus anderen
Gründen abgewiesen worden ist. Auf die Ergänzungsbedürftigkeit ihres Vor-
bringens ist die Klägerin nicht hingewiesen worden.
Kreft
Fischer
Ganter
Raebel
Kayser