Urteil des BGH vom 14.06.1990

Leitsatzentscheidung

BUNDESGERICHTSHOF
IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
V ZR 104/03
Verkündet am:
19. März 2004
K a n i k,
Justizamtsinspektorin
als Urkundsbeamtin
der Geschäftsstelle
in dem Rechtsstreit
Nachschlagewerk:
ja
BGHZ:
ja
BGHR:
ja
ZPO (2002) §§ 264 Nr. 2 und 3; 529 Abs. 1 Nr. 1; 531 Abs. 2 Satz 1; 533
a) Das Berufungsgericht hat seiner Verhandlung und Entscheidung außer den von dem erstinstanzlichen
Gericht als wahr oder unwahr festgestellten Tatsachen solche Tatsachen zugrunde zu legen, die auch
das erstinstanzliche Gericht seiner Entscheidung ohne Prüfung der Wahrheit zugrunde gelegt hat, weil
sie offenkundig oder gerichtsbekannt, ausdrücklich zugestanden oder unstreitig waren, oder weil sie sich
aus gesetzlichen Vermutungen oder Beweis- und Auslegungsregeln ergeben haben.
b) Konkrete Anhaltpunkte, die Zweifel an der Richtigkeit und Vollständigkeit der Feststellungen des erstin-
stanzlichen Gerichts begründen, können sich auch aus neuen Angriffs- und Verteidigungsmitteln erge-
ben, wenn diese in der Berufungsinstanz zu berücksichtigen sind (Ergänzung zu Senat, Urt. v. 12. März
2004, V ZR 257/03).
c) § 531 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 ZPO gestattet neues, d.h. in erster Instanz noch nicht geltend gemachtes
Vorbringen zu tatsächlichen oder rechtlichen Gesichtspunkten, die von dem Standpunkt des Berufungs-
gerichts aus betrachtet entscheidungserheblich sind, von dem erstinstanzlichen Gericht jedoch erkenn-
bar übersehen oder für unerheblich gehalten wurden und aus einem von diesem mit zu verantwortenden
Grund in erster Instanz nicht geltend gemacht worden sind (im Anschluß an BGH, Urt. v. 19. Februar
2004, III ZR 147/03).
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d) § 531 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 ZPO betrifft insbesondere den Fall, daß nach § 139 ZPO gebotene Hinweise
des erstinstanzlichen Gerichts unterblieben sind, die zu entsprechendem Vorbringen in erster Instanz An-
laß gegeben hätten (im Anschluß an BGH, Urt. v. 19. Februar 2004, III ZR 147/03).
e) § 531 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 ZPO schließt die Berücksichtigung solcher tatsächlichen Umstände, die in
erster Instanz nicht vorgebracht wurden, obwohl sie und ihre Bedeutung für den Ausgang des Rechts-
streits der Partei bis zum Schluß der mündlichen Verhandlung vor dem erstinstanzlichen Gericht bekannt
waren oder hätten bekannt sein müssen, in der Berufungsinstanz aus.
f) Änderungen des Klageantrags nach § 264 Nr. 2 und 3 ZPO sind auch in der Berufungsinstanz nicht als
Klageänderung anzusehen; § 533 ZPO findet auf sie keine Anwendung.
g) Das Berufungsgericht darf seiner rechtlichen Beurteilung eines nach § 264 Nr. 2 und 3 ZPO geänderten
Klageantrags nicht nur die von dem erstinstanzlichen Gericht zu dem ursprünglichen Klageantrag fest-
gestellten Tatsachen zugrunde legen, sondern auf den gesamten erstinstanzlichen Prozeßstoff zurück-
greifen; kommt es dabei aus der allein maßgeblichen Sicht des Berufungsgerichts auf Tatsachen an, die
in dem erstinstanzlichen Urteil trotz entsprechenden Parteivortrags nicht festgestellt worden sind, beste-
hen Zweifel im Sinne des § 529 Abs. 1 Nr. 1 ZPO, die das Berufungsgericht zu eigenen Feststellungen
berechtigt und verpflichtet.
BGH, Urt. v. 19. März 2004 - V ZR 104/03 - OLG Brandenburg
LG Potsdam
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Der V. Zivilsenat des Bundesgerichtshofes hat auf die mündliche Verhandlung
vom 19. März 2004 durch den Vizepräsidenten des Bundesgerichtshofes
Dr. Wenzel und die Richter Tropf, Dr. Lemke, Dr. Gaier und Dr. Schmidt-
Räntsch
für Recht erkannt:
Auf die Revision des Klägers wird das Urteil des 5. Zivilsenats
des Brandenburgischen Oberlandesgerichts vom 13. März
2003 aufgehoben.
Die Sache wird zur neuen Verhandlung und Entscheidung,
auch über die Kosten des Revisionsverfahrens, an das Beru-
fungsgericht zurückverwiesen.
Von Rechts wegen
Tatbestand:
Mit Vertrag vom 14. Juni 1990 gestattete die Gemeinde G. G.
dem Kläger die Nutzung eines in ihrem Besitz befindlichen Hotelgrundstücks,
das im Jahr 1950 in Volkseigentum übergeführt und der Gemeinde im Jahr
1989 von dem damaligen Rechtsträger, dem Amt für nationale Sicherheit, über-
lassen worden war. Mit notariellem Vertrag vom 24. September 1990 verkaufte
die Gemeinde das Grundstück an den Kläger. Zu dessen Eintragung in das
Grundbuch kam es in der Folgezeit nicht.
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Bis zum Jahr 1994 ließen der Kläger und die von ihm gegründete
„S. und K. GmbH“ Renovierungsarbeiten an dem Hotelgrundstück
durchführen, die nach Art und Umfang zwischen den Parteien streitig sind.
Seit 1992 verlangte die Beklagte unter Hinweis auf ihren Eigentumser-
werb nach Art. 21, 22 des Einigungsvertrags die Herausgabe des Grundstücks.
Dem kam der Kläger im Februar 1995 im Hinblick auf ein von der Beklagten
erwirktes Räumungsurteil nach.
Wegen der von dem Kläger mit 338.600 DM bezifferten renovierungsbe-
dingten Aufwendungen erließ das Amtsgericht Potsdam am 11. März 1996
einen Vollstreckungsbescheid gegen die Beklagte. Diese legte hiergegen am
19. März 1996 Einspruch ein. Im Juni 1997 trat die „S. und K.
GmbH“ sämtliche Ansprüche gegen die Beklagte an den Kläger ab.
Erstinstanzlich hat der damalige Prozeßbevollmächtigte des Klägers vor-
getragen, der Kläger habe am 30. März 1997 sämtliche Forderungen aus der
Klage an ihn abgetreten. Gleichwohl hat das Landgericht über die von dem
Kläger behaupteten Renovierungsarbeiten, die hierdurch bedingte Wertsteige-
rung des Grundstücks und – wegen einer von der Beklagten erklärten Hilfsauf-
rechnung – über die Höhe des monatlichen Nutzungsentgelts Beweis erhoben
durch Vernehmung von Zeugen und Einholung von Sachverständigengutach-
ten. Mit Schreiben vom 19. Juni 2001 hat die Sparkasse Mittleres Erzgebirge
eine mit „Abtretungserklärung“ überschriebene schriftliche Vereinbarung zwi-
schen dem Kläger und dem Prozeßbevollmächtigten vom 30. März 1997 mit
der Bitte um rechtliche Prüfung zu den Gerichtsakten gereicht. Hiervon sind die
Prozeßbeteiligten nicht unterrichtet worden. Ausweislich der Sitzungsnieder-
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schrift vom 5. April 2002 hat das Landgericht „mit Rücksicht auf die Zitatstelle
in Thomas/Putzo, § 265 Rdn. 13, die verlesen wurde, auf eine etwaige Not-
wendigkeit der Umstellung des Klageantrages mit Rücksicht auf die Abtretung
der Ansprüche des Klägers an Rechtsanwalt H. hingewiesen. Daraufhin hat
der Prozeßbevollmächtigte des Klägers erklärt, das Gericht möge über diese
Frage entscheiden. Das Landgericht hat sodann den Vollstreckungsbescheid
aufgehoben und die Klage abgewiesen, weil der Kläger wegen der erfolgten
Abtretung nicht mehr aktivlegitimiert sei.
Mit seiner Berufung hat der Kläger beantragt, unter Abänderung des
landgerichtlichen Urteils den Vollstreckungsbescheid aufrechtzuerhalten, hilfs-
weise mit der Maßgabe, daß Zahlung an Rechtsanwalt H. zu leisten ist. Zur
Begründung hat er unter anderem ausgeführt, die Abtretungserklärung vom
30. März 1997 beziehe sich nicht auf die streitgegenständliche Forderung,
sondern auf die Summe, welche die Beklagte nach einer etwaigen Verurteilung
an den Kläger zahlen werde. Hierüber habe bei Abschluß der Vereinbarung
Einvernehmen zwischen den Beteiligten bestanden. Das Oberlandesgericht hat
die Berufung zurückgewiesen.
Hiergegen richtet sich die von dem Senat zugelassene Revision des
Klägers, mit der er die im Berufungsverfahren gestellten Anträge weiterverfolgt.
Die Beklagte beantragt die Zurückweisung des Rechtsmittels.
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Entscheidungsgründe:
I.
Das Berufungsgericht meint, der Kläger sei wegen der von dem Landge-
richt festgestellten Abtretung nicht mehr Inhaber eines eventuellen Verwen-
dungsersatzanspruchs gegen die Beklagte. Zweifel an der Richtigkeit oder
Vollständigkeit der von dem Landgericht getroffenen Feststellungen, die eine
erneute Feststellung gebieten könnten, bestünden nicht. Die erstmals in der
Berufungsinstanz aufgestellten Behauptungen des Klägers zu dem Inhalt der
am 30. März 1997 geschlossenen Abtretungsvereinbarung seien nicht zu be-
rücksichtigen. Der in der Berufungsinstanz hilfsweise gestellte Antrag auf Zah-
lung an den Abtretungsempfänger sei unzulässig, weil das Landgericht keine
Feststellungen zu den Voraussetzungen des geltend gemachten Verwen-
dungsersatzanspruchs getroffen habe.
Das hält einer revisionsrechtlichen Prüfung nicht in allen Punkten stand.
II.
Zu Recht hat das Berufungsgericht allerdings angenommen, daß die
Klage mit dem Hauptantrag unbegründet ist (1.). Soweit es die Zulässigkeit des
Hilfsantrags verneint hat, kann ihm dagegen nicht gefolgt werden (2.).
1. Mit seinem Hauptantrag macht der Kläger einen eigenen Verwen-
dungsersatzanspruch gegen die Beklagte geltend. Insoweit kann dahinstehen,
ob und inwieweit die Voraussetzungen der §§ 994, 996 BGB erfüllt sind; der
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Anspruch scheitert nämlich bereits an der fehlenden Sachlegitimation des
Klägers. Das Landgericht hat in seinem Urteil festgestellt, daß der Kläger den
Klageanspruch nach Eintritt der Rechtshängigkeit an seinen erstinstanzlichen
Prozeßbevollmächtigten abgetreten hat (a). An diese Feststellung war das
Berufungsgericht nach der gemäß § 26 Nr. 5 EGZPO anwendbaren Vorschrift
des § 529 Abs. 1 Nr. 1 ZPO in der Fassung des Zivilprozeßreformgesetzes
vom 27. Juli 2001 gebunden, weil keine Anhaltspunkte für Zweifel an ihrer
Richtigkeit oder Vollständigkeit bestanden (b). Auf der Grundlage dieser ge-
mäß § 559 Abs. 2 ZPO auch in der Revisionsinstanz verbindlichen Feststellung
ist es dem Kläger verwehrt, Leistung an sich selbst zu verlangen (c).
a) Nach § 529 Abs. 1 Nr. 1 Halbs. 1 ZPO hat das Berufungsgericht sei-
ner Verhandlung und Entscheidung die von dem Eingangsgericht festgestellten
Tatsachen zugrunde zu legen.
aa) Die damit angeordnete Bindungswirkung der erstinstanzlichen Fest-
stellungen (vgl. Begründung des Regierungsentwurfs des ZPO-RG, BT-Drs.
14/4722, S. 100) erstreckt sich auch auf sogenannte Rechtstatsachen. Den
tatsächlichen Umständen (§ 138 Abs. 1 ZPO) stehen nämlich Tatsachen in
ihrer juristischen Einkleidung gleich, wenn dies durch einen einfachen Rechts-
begriff geschieht, der jedem Teilnehmer des Rechtsverkehrs geläufig ist (Se-
nat, BGHZ 135, 92, 95; Senat, Urt. v. 2. Juni 1995, V ZR 304/93, WM 1995,
1589, 1590; Zöller/Greger, ZPO, 24. Aufl., § 138 Rdn. 2). Hierher gehört der
den Abschluß eines Abtretungsvertrags gemäß § 398 BGB umschreibende
Begriff der Abtretung jedenfalls dann, wenn er, wie hier, von einem Rechtsan-
walt verwendet wird (Senat, Urt. v. 2. Februar 1990, V ZR 245/88, BGHR ZPO
§ 288 Abs. 1 Rechtsbegriff 3).
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bb) Festgestellt sind nicht nur solche Tatsachen, hinsichtlich derer das
erstinstanzliche Gericht aufgrund einer freien Beweiswürdigung gemäß § 286
Abs. 1 ZPO die Entscheidung getroffen hat, daß sie wahr oder nicht wahr sind.
Eine derartige Beschränkung des tatsächlichen Prüfungsumfangs des Beru-
fungsgerichts wäre nicht sachgerecht, weil das erstinstanzliche Urteil regelmä-
ßig auch auf nicht beweisbedürftigen, insbesondere unstreitigen Tatsachen
beruht. Das Berufungsgericht hat seiner Verhandlung und Entscheidung des-
halb auch solche Tatsachen zugrunde zu legen, die auch das erstinstanzliche
Gericht seiner Entscheidung ohne Prüfung der Wahrheit zugrunde gelegt hat,
sei es, weil sie offenkundig oder gerichtsbekannt (§ 291 ZPO), ausdrücklich
zugestanden (§ 288 ZPO) oder – wie die von dem Kläger behauptete Abtre-
tung - unstreitig (§ 138 Abs. 3 ZPO) waren, oder weil sie sich aus gesetzlichen
Vermutungen oder Beweis- und Auslegungsregeln ergeben haben (Münch-
Komm-ZPO/Rimmelspacher, 2. Aufl., Aktualisierungsband, § 529 Rdn. 5). Dies
entspricht dem allgemeinen Verständnis des in § 559 Abs. 2 ZPO verwendeten
Begriffs der von dem Revisionsgericht zugrunde zu legenden Feststellungen
(vgl. MünchKomm-ZPO/Wenzel, aaO, § 559 Rdn. 8; Musielak/Ball, aaO, § 559
Rdn. 20; Zöller/Gummer, aaO, § 559 Rdn. 11; für § 561 Abs. 2 ZPO a.F.:
Stein/Jonas/Grunsky, ZPO, 21. Aufl., § 561 Rdn. 31), die wegen der in § 540
Abs. 1 Nr. 1 ZPO vorgesehenen Bezugnahme in dem Berufungsurteil auch die
von dem erstinstanzlichen Gericht fehlerfrei getroffenen Tatsachenfeststellun-
gen umfassen.
b) Konkrete Anhaltspunkte für Zweifel an der von dem Landgericht fest-
gestellten Abtretung des Klageanspruchs, die gemäß § 529 Abs. 1 Nr. 1
Halbs. 2 ZPO erneute Feststellungen des Berufungsgerichts zu diesem Punkt
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erforderlich gemacht hätten, lagen entgegen der Auffassung der Revision nicht
vor.
aa) Anhaltspunkte für Zweifel an der Richtigkeit oder Vollständigkeit der
entscheidungserheblichen Feststellungen können sich aus Verfahrensfehlern
ergeben, die dem erstinstanzlichen Gericht bei der Feststellung des Sachver-
halts unterlaufen sind (BT-Drs. 14/4722, S. 100; Rimmelspacher, NJW 2002,
1897, 1901; Stackmann, NJW 2003, 169, 171). Dies gilt insbesondere dann,
wenn es Beweise fehlerhaft erhoben oder gewürdigt (Senat, Urt. v. 12. März
2004, V ZR 257/03, zur Veröffentlichung in BGHZ bestimmt, Umdruck S. 6)
oder wenn es Tatsachenvortrag der Parteien übergangen oder von den Partei-
en nicht vorgetragene Tatsachen verwertet hat (Musielak/Ball, aaO, § 529
Rdn. 5). Einen derartigen Verfahrensfehler stellt es nicht dar, daß das Landge-
richt den Inhalt der schriftlichen Abtretungserklärung vom 30. März 1997 unbe-
rücksichtigt gelassen und seine Entscheidung allein auf die mit Schriftsatz des
Klägers vom 21. Januar 1998 behauptete Abtretung gestützt hat. Da die von
der Sparkasse Mittleres Erzgebirge zu den Gerichtsakten gereichte Vertrags-
urkunde erstinstanzlich von keiner der Parteien in Bezug genommen worden
war, handelte es sich nicht um Parteivortrag, den das Landgericht seiner Ent-
scheidung hätte zugrunde legen dürfen. Hieraus folgt zugleich, daß die mit der
Berufung erhobene Rüge, das erstinstanzliche Urteil beruhe auf der von den
Parteien nicht vorgetragenen Abtretungserklärung, sachlich unzutreffend ist.
Sie wird von der Revision auch nicht aufrecht erhalten.
bb) Zweifelhaft können die Feststellungen des erstinstanzlichen Gerichts
auch durch neue Angriffs- und Verteidigungsmittel werden, soweit sie in der
Berufungsinstanz gemäß § 529 Abs. 1 Nr. 2 in Verbindung mit § 531 Abs. 2
ZPO zu berücksichtigen sind, weil ihre Geltendmachung in erster Instanz we-
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gen eines von dem Gericht zu vertretenden Umstands (§ 531 Abs. 2 Satz 1
Nr. 1 und 2 ZPO) oder sonst ohne Verschulden der Partei (§ 531 Abs. 2 Satz 1
Nr. 3 ZPO) unterblieben ist (BT-Drs. 14/4722, S. 101; Musielak/Ball, aaO,
§ 529 Rdn. 19; Rimmelspacher, NJW 2002, 1897, 1901; Schnauder, JuS 2002,
162; Crückeberg, MDR 2003, 10). Diese Voraussetzungen sind im Hinblick auf
den von dem Kläger erstmals in der Berufungsinstanz vorgetragenen Inhalt der
schriftlichen Abtretungserklärung vom 30. März 1997 ebensowenig erfüllt wie
im Hinblick auf die von ihm im Widerspruch zu seinem erstinstanzlichen Vor-
bringen aufgestellte Behauptung, eine Abtretung der Klageforderung hätten die
Beteiligten nicht gewollt.
(1) § 531 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 ZPO gestattet neues, d. h. in erster Instanz
noch nicht geltend gemachtes (Grunsky, NJW 2002, 800; Rimmelspacher,
NJW 2002, 1897, 1903) Vorbringen zu tatsächlichen oder rechtlichen Ge-
sichtspunkten, die von dem Standpunkt des Berufungsgerichts aus betrachtet
entscheidungserheblich sind, von dem Eingangsgericht jedoch erkennbar über-
sehen oder für unerheblich gehalten wurden (BT-Drs. 14/4722, S. 101; Münch-
Komm-ZPO/Rimmelspacher, aaO, § 531 Rdn. 20; Musielak/Ball, aaO, § 531
Rdn. 17) und aus einem von diesem mit zu verantwortenden Grund in erster
Instanz nicht geltend gemacht worden ist (BGH, Urt. v. 19. Februar 2004, III ZR
147/03, Umdruck S. 8). Dieser Fall liegt hier nicht vor, weil das Berufungsge-
richt seine Entscheidung über den ursprünglichen (Haupt-)Antrag ebenso wie
das Landgericht auf die von dem Kläger in erster Instanz behauptete Abtretung
der Klageforderung gestützt hat. Neues Vorbringen zu diesem bereits dem
erstinstanzlichen Urteil zugrunde liegenden Gesichtspunkt war dem Kläger
daher verwehrt.
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(2) § 531 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 ZPO betrifft insbesondere den Fall, daß
nach § 139 ZPO gebotene Hinweise des Eingangsgerichts unterblieben sind,
die zu entsprechendem Vorbringen in erster Instanz Anlaß gegeben hätten
(BT-Drs. 14/4722, S. 101; MünchKomm-ZPO/Rimmelspacher, aaO, § 531
Rdn. 23; Musielak/Ball, aaO, § 531 Rdn. 18). Entgegen der Auffassung der
Revision hat das Landgericht die ihm obliegende Hinweispflicht jedoch nicht
verletzt. Zwar konnte der Kläger aus dem Umstand, daß das Landgericht trotz
der bereits vorgetragenen Abtretung Beweis zu den Voraussetzungen des
geltend gemachten Verwendungsersatzanspruchs erhoben hat, schließen, daß
es auf diesen Gesichtspunkt für die gerichtliche Entscheidung nicht ankommen
werde. Er hatte daher zunächst keinen konkreten Anlaß, zu der Frage der
Abtretung weiter vorzutragen oder sein Vorbringen in dem Sinn richtig zu stel-
len, daß tatsächlich keine Abtretung vereinbart worden sei. Dies änderte sich
jedoch, nachdem das Landgericht auf die Bedeutung der Abtretung für die
Fassung des Klageantrags hingewiesen hatte. Im Hinblick auf die in der münd-
lichen Verhandlung verlesene Kommentarstelle mußte dem anwaltlich vertrete-
nen Kläger bewußt gewesen sein, daß seine auf Zahlung an sich selbst gerich-
tete Klage wegen der von ihm vorgetragenen Abtretung des Klageanspruchs
keinen Erfolg haben konnte, wenn das Landgericht mit der ganz überwiegen-
den Auffassung in Rechtsprechung und Literatur eine Umstellung des Klagean-
trags auf Zahlung an den Abtretungsempfänger für erforderlich hielt. Selbst
wenn der Kläger, wie von der Revision behauptet, davon ausgegangen sein
sollte, das Landgericht habe in dieser Frage noch keine abschließende Positi-
on eingenommen, hätte er jedenfalls mit der Möglichkeit einer Klageabweisung
rechnen müssen. Damit wäre es aus Sicht des Klägers nicht nur geboten ge-
wesen, den Klageantrag – wie in der Berufungsinstanz geschehen – zumindest
hilfsweise auf Zahlung an den Abtretungsempfänger umzustellen. Darüber
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hinaus hätte auch Anlaß bestanden, im Rahmen des ursprünglichen Klagean-
trags zu der Frage der Abtretung ergänzend Stellung zu nehmen. Daß dies
dem Kläger in erster Instanz, sei es auch nach Einräumung einer von ihm zu
beantragenden Schriftsatzfrist (vgl. BGH, Urt. v. 25. Juni 2002, X ZR 83/00,
NJW 2002, 3317, 3320), nicht möglich gewesen wäre, wird von der Revision
nicht geltend gemacht und ist auch sonst nicht ersichtlich. Von sich aus mußte
das Landgericht jedenfalls nicht auf einen weiteren Sachvortrag des Klägers
hinwirken, da dessen Prozeßbevollmächtigter ausdrücklich um eine gerichtli-
che Entscheidung gebeten hatte und keinerlei Anhaltspunkte für die Annahme
bestanden, sein Vortrag zu der erfolgten Abtretung könne ergänzungs- oder
korrekturbedürftig sein.
(3) Hat der Kläger damit diejenigen tatsächlichen Umstände, die nach
seiner Auffassung der Annahme einer Abtretung der Klageforderung entgegen-
stehen, in erster Instanz nicht vorgebracht, obwohl ihm diese Umstände und
deren Bedeutung für den Ausgang des Rechtsstreits bis zum Schluß der münd-
lichen Verhandlung vor dem Landgericht bekannt waren oder hätten bekannt
sein müssen, beruht die unterlassene Geltendmachung auf Nachlässigkeit; das
schließt eine Berücksichtigung dieser Umstände in der Berufungsinstanz ge-
mäß § 531 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 ZPO aus (vgl. BT-Drs. 14/4722, S. 101; Musie-
lak/Ball, aaO, § 531 Rdn. 19; Hannich/Meyer-Seitz, ZPO-Reform 2002, § 531
Rdn. 18 f.; Rimmelspacher, NJW 2002, 1897, 1904). Das Berufungsgericht
mußte deshalb der unter Beweis gestellten Behauptung des Klägers, er und
sein erstinstanzlicher Prozeßbevollmächtigter hätten keine Abtretung der Kla-
geforderung vereinbaren wollen, ebensowenig nachgehen wie der Frage, ob
die schriftliche Abtretungsvereinbarung vom 30. März 1997 nur die von dem
Kläger aufgrund eines obsiegenden Urteils erlangten Geldmittel erfaßt.
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c) Auf der Grundlage der von dem Landgericht fehlerfrei festgestellten
Abtretung hat das Berufungsgericht einen in der Person des Klägers beste-
henden Verwendungsersatzanspruch zu Recht verneint. Zwar hat die nach
Eintritt der Rechtshängigkeit erfolgte Abtretung des Klageanspruchs keinen
Einfluß auf dessen prozessuale Geltendmachung (§ 265 Abs. 2 Satz 1 ZPO).
Der Rechtsvorgänger behält daher weiter seine Prozeßführungsbefugnis und
darf den Rechtsstreit als Partei im eigenen Namen weiterführen (Prozeßstand-
schaft). Aufgrund der veränderten materiellen Rechtslage muß der Kläger je-
doch grundsätzlich Leistung an seinen Rechtsnachfolger verlangen. Weigert er
sich, wie hier, so muß die Klage wegen fehlender Aktivlegitimation abgewiesen
werden. Diese Grundsätze, die der ständigen Rechtsprechung des Bundesge-
richtshofes (BGHZ 26, 31, 37; BGH, Urt. v. 28. September 1982, VI ZR 221/80,
WM 1982, 1313; Urt. v. 12. März 1986, VIII ZR 64/85, NJW 1986, 3206, 3207;
Urt. v. 20. November 1996, XII ZR 70/95, NJW 1997, 735, 736) und der über-
wiegenden Auffassung in der Literatur (MünchKomm-ZPO/Lüke, 2. Aufl., § 265
Rdn. 83; Zöller/Greger, aaO, § 265 Rdn. 6a; Musielak/Foerste, aaO, § 265
Rdn. 10; Baumbach/Lauterbach/Hartmann, ZPO, 62. Aufl., § 265 Rdn. 17;
Thomas/Putzo/Reichold, ZPO, 25. Aufl., § 265 Rdn. 13; a.A. die sogenannte
Irrelevanztheorie: Rosenberg/Schwab/Gottwald, Zivilprozeßrecht, 15. Aufl.,
§ 102 IV 2, S. 585; Jauernig, Zivilprozeßrecht, 28. Aufl., § 87 III 3, S. 354) ent-
sprechen, stellt auch die Revision nicht in Frage.
Auch war der Kläger nicht etwa deshalb zur Einziehung der abgetrete-
nen Forderung im eigenen Namen befugt, weil ihm der Abtretungsempfänger
eine Einziehungsermächtigung erteilt hätte (vgl. BGHZ 26, 31, 37; BGH, Urt. v.
28. September 1982, aaO). Eine entsprechende Behauptung hat der Kläger in
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erster Instanz nicht aufgestellt. Sie läßt sich auch seinem Vorbringen in der
Berufungsinstanz, soweit es überhaupt zu berücksichtigen ist, nicht entneh-
men. Wäre die Klageforderung, wie nunmehr von dem Kläger vorgetragen,
nicht abgetreten worden, hätte keinerlei Anlaß zu der Erteilung einer Einzie-
hungsermächtigung bestanden.
2. Zu Unrecht hat das Berufungsgericht jedoch angenommen, der erst-
mals in zweiter Instanz gestellte Hilfsantrag, mit dem der Kläger einen Verwen-
dungsersatzanspruch seines erstinstanzlichen Prozeßbevollmächtigten geltend
macht, sei unzulässig, weil er entgegen § 533 Nr. 2 ZPO nicht auf Tatsachen
gestützt werden könne, die der Verhandlung und Entscheidung über die Beru-
fung ohnehin nach § 529 ZPO zugrunde zu legen waren. Eine mit der Berufung
vorgenommene Umstellung des Klageantrags auf Leistung an den Abtretungs-
empfänger stellt nämlich unabhängig davon, ob sie unbedingt erfolgt oder, wie
hier, von dem Mißerfolg des auf Leistung an den Kläger selbst gerichteten
Hauptantrags abhängig ist, keine § 533 ZPO unterfallende Klageänderung dar.
a) § 533 ZPO knüpft in seinem Einleitungssatz an den allgemeinen Be-
griff der Klageänderung im Sinne von § 263 ZPO an (Zöller/Gummer/Heßler,
aaO, § 533 Rdn. 3). Danach ist eine objektive Klageänderung gegeben, wenn
sich der Streitgegenstand verändert, insbesondere, wenn bei gleich bleiben-
dem oder geändertem Klagegrund ein anderer Klageantrag gestellt wird (Zöl-
ler/Greger, aaO, § 263 Rdn. 2; Thomas/Putzo/Reichold, aaO, § 263 Rdn. 1 f.).
Wie eine Klageänderung zu behandeln ist der Fall einer nachträglichen (Even-
tual-)Klagenhäufung, auf den § 263 ZPO entsprechend anwendbar ist (BGH,
Urt. v. 29. April 1981, VIII ZR 157/80, WM 1981, 423, 427; Urt. v. 10. Januar
1985, III ZR 93/83, NJW 1985, 1841, 1842; Urt. v. 26. Mai 1986, II ZR 237/85,
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NJW-RR 1987, 58; MünchKomm-ZPO/Lüke, aaO, § 263 Rdn. 21; Zöl-
ler/Greger, aaO, § 263 Rdn. 2; Baumbach/Lauterbach/Hartmann, aaO, § 263
Rdn. 4) und der deshalb auch von § 533 ZPO erfaßt wird (MünchKomm-
ZPO/Rimmelspacher, aaO, § 533 Rdn. 10; Musielak/Ball, aaO, § 533 Rdn. 6).
b) Handelt es sich allerdings um eine Antragsänderung, die, wie die Um-
stellung des Klageantrags auf Leistung an den Abtretungsempfänger, den
Bestimmungen des § 264 Nr. 2 oder 3 ZPO unterfällt (für eine Anwendung von
§ 264 Nr. 2 ZPO: BGH, Urt. v. 3. Juni 1987, IVb ZR 68/86, FamRZ 1987, 926,
928; Urt. v. 21. Dezember 1989, VII ZR 84/89, NJW-RR 1990, 505; Musie-
lak/Foerste, aaO, § 265 Rdn. 10; Zöller/Greger, aaO, § 264 Rdn. 3b; für eine
Anwendung von § 264 Nr. 3 ZPO: Stein/Jonas/Schumann, aaO, § 265 Rdn. 42;
MünchKomm-ZPO/Lüke, aaO, § 265 Rdn. 87; Rosenberg/Schwab/Gottwald,
aaO, § 101 I 3), ist sie kraft ausdrücklicher gesetzlicher Anordnung nicht als
eine Klageänderung anzusehen. Auf eine solche Modifizierung des Klagean-
trags finden daher diejenigen Vorschriften, die die Zulässigkeit einer Klageän-
derung regeln, keine Anwendung (MünchKomm-ZPO/Lüke, aaO, § 264 Rdn.
4). Dies gilt nicht nur für § 263 ZPO (Stein/Jonas/Schumann, aaO, § 264 Rdn.
1; MünchKomm-ZPO/Lüke, aaO, § 264 Rdn. 4), sondern auch für § 533 ZPO
(a.A. Zöller/Gummer/Heßler, aaO, § 533 Rdn. 3, die jedenfalls § 533 Nr. 2 ZPO
anwenden wollen), weil § 264 ZPO gemäß § 525 Satz 1 ZPO auch auf das
Berufungsverfahren anzuwenden ist.
c) Die unbeschränkte Zulässigkeit einer Modifizierung des Klageantrags
gem. § 264 Nr. 2 oder 3 ZPO auch in der Berufungsinstanz entspricht dem
Zweck der Vorschrift, der die prozeßökonomische und endgültige Erledigung
des Streitstoffs zwischen den Parteien fördern soll (MünchKomm-ZPO/Lüke,
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aaO, § 264 Rdn. 1). Kann das Berufungsgericht auf der Grundlage des bereits
in erster Instanz angefallenen Prozeßstoffs eine abschließende Entscheidung
über den modifizierten Klageantrag treffen, widerspräche es den Grundsätzen
der Prozeßwirtschaftlichkeit, würde man die Parteien, gestützt auf § 533 ZPO,
auf einen neuen Rechtsstreit verweisen, in dem das erstinstanzliche Verfahren
wiederholt werden müßte und das Berufungsgericht erneut mit der Sache be-
faßt werden könnte. Nach früherem Recht (§ 523 ZPO a. F. in Verbindung mit
§ 264 ZPO) war eine derart unökonomische Verfahrensgestaltung ausge-
schlossen, weil § 264 ZPO in der Berufungsinstanz Anwendung fand (BGHZ
85, 140, 143; BGH, Urt. v. 21. Dezember 1989, VII ZR 84/89, NJW-RR 1990,
505; MünchKomm-ZPO/Lüke, aaO, § 264 Rdn. 5) und in den von der Vorschrift
geregelten Fällen eine Antragsänderung unabhängig von dem Vorliegen weite-
rer Voraussetzungen ermöglichte. Für das reformierte Berufungsverfahren
etwas anderes anzunehmen, hätte im Vergleich zu dem früheren Recht eine
verstärkte Belastung der Gerichte und eine verzögerte Erledigung der Streitsa-
chen zur Folge. Damit würde das Ziel der Zivilprozeßreform, die Effizienz in-
nerhalb der Ziviljustiz zu steigern (BT-Drs. 14/4722, S. 1), offensichtlich ver-
fehlt.
d) § 533 ZPO steht einer Anwendung des § 264 ZPO auf das Beru-
fungsverfahren nicht entgegen (§ 525 Satz 1 Halbs. 2 ZPO).
aa) Mit den in § 533 Nr. 1 ZPO bestimmten Merkmalen der Einwilligung
des Gegners oder der Sachdienlichkeit wollte der Gesetzgeber die bereits
nach bisherigem Recht (§ 523 ZPO a. F. in Verbindung mit § 263 ZPO) gelten-
den Zulässigkeitsvoraussetzungen einer zweitinstanzlichen Klageänderung
übernehmen (BT-Drs. 14/4722, S. 102). Auf das Vorliegen dieser Vorausset-
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zungen kam es jedoch auch bislang nicht an, wenn es sich um eine Antragsän-
derung gemäß § 264 Nr. 2 oder 3 ZPO handelte (§ 523 ZPO a. F. in Verbin-
dung mit § 264 ZPO). Daß der Gesetzgeber hieran etwas ändern wollte, läßt
sich der Gesetzesbegründung nicht entnehmen. Die Annahme, derartige Modi-
fizierungen des Klageantrags sollten nach neuem Recht nur noch unter den in
§ 533 Nr. 1 ZPO geregelten Voraussetzungen zulässig sein, ist auch deshalb
fernliegend, weil diese Antragsänderungen in aller Regel als sachdienlich an-
zusehen sind (vgl. MünchKomm-ZPO/Lüke, aaO, § 264 Rdn. 2), § 533 Nr. 1
ZPO insoweit also ohnehin keine zulässigkeitsbeschränkende Wirkung haben
könnte.
bb) Sinn und Zweck des § 533 Nr. 2 ZPO gebieten es ebenfalls nicht,
Antragsänderungen gemäß § 264 Nr. 2 und 3 ZPO in der Berufungsinstanz als
Klageänderungen anzusehen.
(1) § 533 Nr. 2 ZPO bringt die geänderte Funktion des Berufungsverfah-
rens zum Ausdruck, die keine vollständige zweite Tatsacheninstanz mehr er-
öffnet, sondern in erster Linie der Fehlerkontrolle und Fehlerbeseitigung dient
(BT-Drs. 14/4722, S. 64, 102). Für diesen Berufungszweck ist es unerheblich,
ob das erstinstanzliche Gericht subjektiv fehlerhaft gehandelt und entschieden
hat, was nicht der Fall ist, wenn seine Entscheidung gemessen an dem in er-
ster Instanz gestellten Klageantrag - wie hier - zutreffend ist. Maßgeblich ist
vielmehr, ob das erstinstanzliche Urteil objektiv fehlerhaft ist, was nach der
Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt der Entscheidung des Berufungsgerichts zu
beurteilen ist (MünchKomm-ZPO/Rimmelspacher, aaO, § 513 Rdn. 7; Rim-
melspacher, NJW 2002, 1897). Damit kann sich die Korrekturbedürftigkeit des
mit der Berufung angefochtenen Urteils auch aus einer im Berufungsverfahren
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erfolgten Modifizierung des Klageantrags ergeben, wenn, wie im vorliegenden
Fall, mit der Umstellung des Klageantrags einer Veränderung der materiellen
Rechtslage Rechnung getragen wird, an deren sachgerechter Beurteilung das
erstinstanzliche Gericht wegen des in erster Instanz gestellten Klageantrags
gehindert war.
(2) Ausweislich der Gesetzesbegründung will § 533 Nr. 2 ZPO verhin-
dern, daß im Wege der Klageänderung unzulässiger neuer Tatsachenstoff in
das Berufungsverfahren eingeführt wird (BT-Drs. 14/4722, S. 102). In den Fäl-
len des § 264 Nr. 2 und 3 ZPO ist das aber schon deswegen nicht zu befürch-
ten, weil die Vorschrift insoweit voraussetzt, daß der - bereits in erster Instanz
dargelegte - Klagegrund unverändert bleibt. Sollen zu dessen Ergänzung neue
Tatsachen vorgetragen werden, ist dies nur in den durch § 531 Abs. 2 ZPO
gezogenen Grenzen zulässig. Damit ist sichergestellt, daß der von dem Beru-
fungsgericht zu beurteilende Prozeßstoff im wesentlichen mit demjenigen der
ersten Instanz übereinstimmt.
(3) Schließlich soll durch die Regelung des § 533 Nr. 2 ZPO vermieden
werden, daß das Berufungsgericht eine Klageänderung bei Vorliegen der in
§ 533 Nr. 1 ZPO bestimmten Voraussetzungen zwar zulassen müßte, an einer
der materiellen Rechtslage entsprechenden Entscheidung über die geänderte
Klage aber gehindert sein könnte, weil es gemäß § 529 Abs. 1 Nr. 1 ZPO sei-
ner Verhandlung und Entscheidung nur die von dem erstinstanzlichen Gericht
zu der ursprünglichen Klage festgestellten Tatsachen zugrunde legen darf (BT-
Drs. 14/4722, S. 102). Diese Gefahr, die den Gesetzgeber zu einer über die
frühere Rechtslage hinausgehenden Beschränkung der Zulässigkeit zweitin-
stanzlicher Klageänderungen bewogen hat, besteht bei einer Antragsänderung
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gemäß § 264 Nr. 2 und 3 ZPO nicht. Vielmehr kann das Berufungsgericht bei
der Beurteilung des modifizierten Klageantrags auf den gesamten in erster
Instanz angefallenen Prozeßstoff zurückgreifen.
(a) Wie der Senat bereits in seinem Urteil vom 12. März 2004 (V ZR
257/03) ausgeführt hat, gelangt mit einem zulässigen Rechtsmittel grundsätz-
lich der gesamte aus den Akten ersichtliche Prozeßstoff der ersten Instanz
ohne weiteres in die Berufungsinstanz (Umdruck S. 14). Im Gegensatz zum
Revisionsrecht (§ 559 Abs. 1 ZPO) enthalten die gesetzlichen Vorschriften
über das Berufungsverfahren keine das berücksichtigungsfähige Parteivorbrin-
gen beschränkende Bestimmung. Eine Verengung des zweitinstanzlichen Pro-
zeßstoffs auf das aus dem erstinstanzlichen Urteil ersichtliche Parteivorbringen
ergibt sich auch nicht aus § 314 ZPO, weil dem Urteilstatbestand im Hinblick
auf schriftsätzlich angekündigtes Parteivorbringen keine negative Beweiskraft
zukommt (Umdruck S. 17 f. m.w.N.). Unabhängig hiervon kann der Tatbestand
des erstinstanzlichen Urteils den der Beurteilung des Berufungsgerichts unter-
liegenden Prozeßstoff auch deshalb nicht begrenzen, weil das Berufungsver-
fahren nicht nur, wie das Revisionsverfahren, der Rechtsfehlerkontrolle, son-
dern gemäß § 513 Abs. 1 Alt. 2 ZPO auch der Kontrolle und Korrektur fehler-
hafter Tatsachenfeststellungen dient (BT-Drucks. 14/4722, S. 64; Han-
nich/Meyer-Seitz, aaO, § 513 Rdn. 1, 7, 12 f.). Dies setzt voraus, daß das Be-
rufungsgericht schriftsätzlich angekündigtes entscheidungserhebliches Partei-
vorbringen berücksichtigen darf, das von dem erstinstanzlichen Gericht für
unerheblich erachtet oder übersehen worden ist und das deshalb im Urteilstat-
bestand keine Erwähnung gefunden hat (Barth, NJW 2002, 1702, 1703). Die in
§ 513 Abs. 1 Alt. 2 ZPO zum Ausdruck kommende Funktion der Berufung wür-
de eine den berücksichtigungsfähigen Prozeßstoff begrenzende Wirkung des
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erstinstanzlichen Urteils also selbst dann ausschließen, wenn man im übrigen
mit der bisherigen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes (zuletzt BGH, Urt.
v. 16. Mai 1990, IV ZR 64/89, NJW-RR 1990, 1269) und des Bundesverwal-
tungsgerichts (Beschl. v. 13. April 1989, 1 B 21/89, juris) an der negativen
Beweiskraft des Urteilstatbestands ohne Einschränkungen festhielte. Die Be-
antwortung dieser Rechtsfrage ist deshalb für die Entscheidung des vorliegen-
den Rechtsstreits im Ergebnis ohne Bedeutung, so daß es weder einer Vorlage
an den Großen Senat für Zivilsachen (§ 132 GVG) noch an den Gemeinsamen
Senat der obersten Gerichtshöfe des Bundes (§ 2 RsprEinhG) bedarf (vgl.
BGH, Beschl. v. 15. Februar 2000, XI ZR 10/98, NJW 2000, 1185 zu § 132
GVG; GmS-OGB, BGHZ 88, 353, 357 zu § 2 RsprEinhG).
(b) Bei der Entscheidung über den modifizierten Klageantrag ist das Be-
rufungsgericht nicht gemäß § 529 Abs. 1 Nr. 1 Halbs. 1 ZPO an die von dem
erstinstanzlichen Gericht zu dem ursprünglichen Klageantrag getroffenen Fest-
stellungen gebunden. Kommt es aus der allein maßgeblichen Sicht des Beru-
fungsgerichts (Hannich/Meyer-Seitz, aaO, § 529 Rdn. 35; Ball, ZGS 2002, 146,
149) für die Beurteilung des modifizierten Klageantrags auf Tatsachen an, die
in dem erstinstanzlichen Urteil trotz entsprechenden Parteivortrags nicht fest-
gestellt worden sind, dann bestehen Zweifel an der Vollständigkeit der ent-
scheidungserheblichen Feststellungen, die das Berufungsgericht gemäß
§ 529 Abs. 1 Nr. 1 Halbs. 2 ZPO zu eigenen Feststellungen berechtigen und
verpflichten.
III.
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Nach alledem kann das angefochtene Urteil keinen Bestand haben
(§ 562 Abs. 1 ZPO). Die Sache ist nicht zur Entscheidung reif (§ 563 Abs. 3
ZPO), weil das Berufungsgericht keine Feststellungen dazu getroffen hat, ob
und inwieweit die Voraussetzungen eines von dem Kläger an seinen erstin-
stanzlichen Prozeßbevollmächtigten abgetretenen Verwendungsersatzan-
spruchs gemäß §§ 994, 996 BGB erfüllt sind und in welchem Umfang ein sol-
cher Anspruch gegebenenfalls durch die von der Beklagten erklärte Hilfsauf-
rechnung erloschen ist. Durch die Zurückverweisung der Sache (§ 563 Abs. 1
Satz 1 ZPO) erhält das Berufungsgericht Gelegenheit, die erforderlichen Fest-
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stellungen nachzuholen. Dabei kann es die Ergebnisse der in erster Instanz
durchgeführten Beweisaufnahme verwerten, soweit nicht deren Wiederholung
nach den von der Rechtsprechung zu §§ 398, 402 ZPO entwickelten Grundsät-
zen geboten ist (vgl. Senat, Urt. v. 12. März 2004, V ZR 257/03, Umdruck
S. 10 m.w.N.).
Wenzel Tropf Lemke
Gaier Schmidt-Räntsch