Urteil des BGH vom 14.06.1990
Leitsatzentscheidung
BUNDESGERICHTSHOF
IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
V ZR 104/03
Verkündet am:
19. März 2004
K a n i k,
Justizamtsinspektorin
als Urkundsbeamtin
der Geschäftsstelle
in dem Rechtsstreit
Nachschlagewerk:
ja
BGHZ:
ja
BGHR:
ja
ZPO (2002) §§ 264 Nr. 2 und 3; 529 Abs. 1 Nr. 1; 531 Abs. 2 Satz 1; 533
a)  Das  Berufungsgericht  hat  seiner  Verhandlung  und  Entscheidung  außer  den  von  dem  erstinstanzlichen
Gericht  als  wahr  oder  unwahr  festgestellten  Tatsachen  solche  Tatsachen  zugrunde  zu  legen,  die  auch
das  erstinstanzliche  Gericht  seiner  Entscheidung  ohne  Prüfung  der  Wahrheit  zugrunde  gelegt  hat,  weil
sie offenkundig oder gerichtsbekannt, ausdrücklich zugestanden oder unstreitig waren, oder weil sie sich
aus gesetzlichen Vermutungen oder Beweis- und Auslegungsregeln ergeben haben.
b)  Konkrete  Anhaltpunkte,  die  Zweifel  an  der  Richtigkeit  und  Vollständigkeit der Feststellungen des erstin-
stanzlichen  Gerichts  begründen,  können  sich  auch  aus  neuen  Angriffs-  und  Verteidigungsmitteln  erge-
ben, wenn diese in der Berufungsinstanz zu berücksichtigen sind (Ergänzung zu Senat, Urt. v. 12. März
2004, V ZR 257/03).
c)  § 531 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 ZPO gestattet neues, d.h. in erster Instanz noch nicht geltend gemachtes
Vorbringen zu tatsächlichen oder rechtlichen Gesichtspunkten, die von dem Standpunkt des Berufungs-
gerichts aus betrachtet entscheidungserheblich sind, von dem erstinstanzlichen Gericht jedoch erkenn-
bar übersehen oder für unerheblich gehalten wurden und aus einem von diesem mit zu verantwortenden
Grund in erster Instanz nicht geltend gemacht worden sind (im Anschluß an BGH, Urt. v. 19. Februar
2004, III ZR 147/03).
- 2 -
d)  § 531 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 ZPO betrifft insbesondere den Fall, daß nach § 139 ZPO gebotene Hinweise
des erstinstanzlichen Gerichts unterblieben sind, die zu entsprechendem Vorbringen in erster Instanz An-
laß gegeben hätten (im Anschluß an BGH, Urt. v. 19. Februar 2004, III ZR 147/03).
e)  § 531  Abs. 2  Satz 1  Nr. 3  ZPO  schließt  die  Berücksichtigung  solcher  tatsächlichen  Umstände,  die  in
erster  Instanz  nicht  vorgebracht  wurden,  obwohl  sie  und  ihre  Bedeutung  für  den  Ausgang  des  Rechts-
streits der Partei bis zum Schluß der mündlichen Verhandlung vor dem erstinstanzlichen Gericht bekannt
waren oder hätten bekannt sein müssen, in der Berufungsinstanz aus.
f)  Änderungen des Klageantrags nach § 264 Nr. 2 und 3 ZPO sind auch in der Berufungsinstanz nicht als
Klageänderung anzusehen; § 533 ZPO findet auf sie keine Anwendung.
g)  Das Berufungsgericht darf seiner rechtlichen Beurteilung eines nach § 264 Nr. 2 und 3 ZPO geänderten
Klageantrags  nicht  nur  die  von  dem  erstinstanzlichen  Gericht  zu  dem  ursprünglichen  Klageantrag  fest-
gestellten  Tatsachen  zugrunde  legen,  sondern  auf  den  gesamten  erstinstanzlichen  Prozeßstoff  zurück-
greifen; kommt es dabei aus der allein maßgeblichen Sicht des Berufungsgerichts auf Tatsachen an, die
in dem erstinstanzlichen Urteil trotz entsprechenden Parteivortrags nicht festgestellt worden sind, beste-
hen  Zweifel  im  Sinne  des § 529 Abs. 1 Nr. 1 ZPO, die das Berufungsgericht zu eigenen Feststellungen
berechtigt und verpflichtet.
BGH, Urt. v. 19. März 2004 - V ZR 104/03 - OLG Brandenburg
LG Potsdam
- 3 -
Der V. Zivilsenat des Bundesgerichtshofes hat auf die mündliche Verhandlung
vom  19.  März  2004  durch  den  Vizepräsidenten  des  Bundesgerichtshofes
Dr. Wenzel  und  die  Richter  Tropf,  Dr. Lemke,  Dr. Gaier  und  Dr. Schmidt-
Räntsch
für Recht erkannt:
Auf die Revision des Klägers wird das Urteil des 5. Zivilsenats
des  Brandenburgischen  Oberlandesgerichts  vom  13. März
2003 aufgehoben.
Die  Sache  wird  zur  neuen  Verhandlung  und  Entscheidung,
auch  über  die  Kosten  des  Revisionsverfahrens,  an  das  Beru-
fungsgericht zurückverwiesen.
Von Rechts wegen
Tatbestand:
Mit Vertrag vom 14. Juni 1990 gestattete die Gemeinde G.        G.
dem  Kläger  die  Nutzung  eines  in  ihrem  Besitz  befindlichen  Hotelgrundstücks,
das  im  Jahr  1950  in  Volkseigentum  übergeführt  und  der  Gemeinde  im  Jahr
1989 von dem damaligen Rechtsträger, dem Amt für nationale Sicherheit, über-
lassen worden war. Mit notariellem Vertrag vom 24. September 1990 verkaufte
die  Gemeinde  das  Grundstück  an  den  Kläger.  Zu  dessen  Eintragung  in  das
Grundbuch kam es in der Folgezeit nicht.
- 4 -
Bis  zum  Jahr  1994  ließen  der  Kläger  und  die  von  ihm  gegründete
„S.           und K.            GmbH“ Renovierungsarbeiten an dem Hotelgrundstück
durchführen, die nach Art und Umfang zwischen den Parteien streitig sind.
Seit  1992  verlangte  die  Beklagte  unter  Hinweis  auf  ihren  Eigentumser-
werb nach Art. 21, 22 des Einigungsvertrags die Herausgabe des Grundstücks.
Dem  kam  der  Kläger  im  Februar  1995  im  Hinblick  auf  ein  von  der  Beklagten
erwirktes Räumungsurteil nach.
Wegen der von dem Kläger mit 338.600 DM bezifferten renovierungsbe-
dingten  Aufwendungen  erließ  das  Amtsgericht  Potsdam  am  11. März  1996
einen  Vollstreckungsbescheid  gegen  die  Beklagte.  Diese  legte  hiergegen  am
19.  März  1996  Einspruch  ein.  Im  Juni  1997  trat  die  „S.            und  K.
GmbH“ sämtliche Ansprüche gegen die Beklagte an den Kläger ab.
Erstinstanzlich hat der damalige Prozeßbevollmächtigte des Klägers vor-
getragen,  der  Kläger  habe  am  30. März  1997  sämtliche  Forderungen  aus  der
Klage  an  ihn  abgetreten.  Gleichwohl  hat  das  Landgericht  über  die  von  dem
Kläger behaupteten Renovierungsarbeiten, die hierdurch bedingte Wertsteige-
rung des Grundstücks und – wegen einer von der Beklagten erklärten Hilfsauf-
rechnung – über die Höhe des monatlichen Nutzungsentgelts Beweis erhoben
durch  Vernehmung  von  Zeugen  und  Einholung  von  Sachverständigengutach-
ten.  Mit  Schreiben  vom  19. Juni  2001  hat  die  Sparkasse  Mittleres  Erzgebirge
eine  mit  „Abtretungserklärung“  überschriebene  schriftliche  Vereinbarung  zwi-
schen  dem  Kläger  und  dem  Prozeßbevollmächtigten  vom  30.  März  1997  mit
der Bitte um rechtliche Prüfung zu den Gerichtsakten gereicht. Hiervon sind die
Prozeßbeteiligten  nicht  unterrichtet  worden.  Ausweislich  der  Sitzungsnieder-
- 5 -
schrift  vom  5. April  2002  hat das Landgericht „mit Rücksicht auf die Zitatstelle
in  Thomas/Putzo,  § 265  Rdn. 13,  die  verlesen  wurde,  auf  eine  etwaige  Not-
wendigkeit  der  Umstellung des Klageantrages mit Rücksicht auf die Abtretung
der Ansprüche des Klägers an Rechtsanwalt H.       hingewiesen. Daraufhin hat
der  Prozeßbevollmächtigte  des  Klägers  erklärt,  das  Gericht  möge  über  diese
Frage  entscheiden.  Das  Landgericht  hat  sodann  den  Vollstreckungsbescheid
aufgehoben  und  die  Klage  abgewiesen,  weil  der  Kläger  wegen  der  erfolgten
Abtretung nicht mehr aktivlegitimiert sei.
Mit  seiner  Berufung  hat  der  Kläger  beantragt,  unter  Abänderung  des
landgerichtlichen  Urteils  den  Vollstreckungsbescheid aufrechtzuerhalten, hilfs-
weise mit der Maßgabe, daß Zahlung an Rechtsanwalt H.       zu leisten ist. Zur
Begründung  hat  er  unter  anderem  ausgeführt,  die  Abtretungserklärung  vom
30. März  1997  beziehe  sich  nicht  auf  die  streitgegenständliche  Forderung,
sondern auf die Summe, welche die Beklagte nach einer etwaigen Verurteilung
an  den  Kläger  zahlen  werde.  Hierüber  habe  bei  Abschluß  der  Vereinbarung
Einvernehmen zwischen den Beteiligten bestanden. Das Oberlandesgericht hat
die Berufung zurückgewiesen.
Hiergegen  richtet  sich  die  von  dem  Senat  zugelassene  Revision  des
Klägers, mit der er die im Berufungsverfahren gestellten Anträge weiterverfolgt.
Die Beklagte beantragt die Zurückweisung des Rechtsmittels.
- 6 -
Entscheidungsgründe:
I.
Das Berufungsgericht meint, der Kläger sei wegen der von dem Landge-
richt  festgestellten  Abtretung  nicht  mehr  Inhaber  eines  eventuellen  Verwen-
dungsersatzanspruchs  gegen  die  Beklagte.  Zweifel  an  der  Richtigkeit  oder
Vollständigkeit  der  von  dem  Landgericht  getroffenen  Feststellungen,  die  eine
erneute  Feststellung  gebieten  könnten,  bestünden  nicht.  Die  erstmals  in  der
Berufungsinstanz  aufgestellten  Behauptungen  des  Klägers  zu  dem  Inhalt  der
am  30.  März  1997  geschlossenen  Abtretungsvereinbarung  seien  nicht  zu  be-
rücksichtigen. Der in der Berufungsinstanz hilfsweise gestellte Antrag auf Zah-
lung  an  den  Abtretungsempfänger  sei  unzulässig,  weil  das  Landgericht  keine
Feststellungen  zu  den  Voraussetzungen  des  geltend  gemachten  Verwen-
dungsersatzanspruchs getroffen habe.
Das hält einer revisionsrechtlichen Prüfung nicht in allen Punkten stand.
II.
Zu  Recht  hat  das  Berufungsgericht  allerdings  angenommen,  daß  die
Klage mit dem Hauptantrag unbegründet ist (1.). Soweit es die Zulässigkeit des
Hilfsantrags verneint hat, kann ihm dagegen nicht gefolgt werden (2.).
1.  Mit  seinem  Hauptantrag  macht  der  Kläger  einen  eigenen  Verwen-
dungsersatzanspruch gegen die Beklagte geltend. Insoweit kann dahinstehen,
ob  und  inwieweit  die  Voraussetzungen  der  §§  994,  996  BGB  erfüllt  sind;  der
- 7 -
Anspruch  scheitert  nämlich  bereits  an  der  fehlenden  Sachlegitimation  des
Klägers. Das Landgericht hat in seinem Urteil festgestellt, daß der Kläger den
Klageanspruch  nach  Eintritt  der  Rechtshängigkeit  an  seinen  erstinstanzlichen
Prozeßbevollmächtigten  abgetreten  hat  (a).  An  diese  Feststellung  war  das
Berufungsgericht  nach  der  gemäß  § 26  Nr. 5  EGZPO  anwendbaren  Vorschrift
des  § 529  Abs. 1  Nr. 1  ZPO  in  der  Fassung  des  Zivilprozeßreformgesetzes
vom  27. Juli  2001  gebunden,  weil  keine  Anhaltspunkte  für  Zweifel  an  ihrer
Richtigkeit  oder  Vollständigkeit  bestanden  (b).  Auf  der  Grundlage  dieser  ge-
mäß § 559 Abs. 2 ZPO auch in der Revisionsinstanz verbindlichen Feststellung
ist es dem Kläger verwehrt, Leistung an sich selbst zu verlangen (c).
a)  Nach  § 529  Abs. 1 Nr. 1 Halbs. 1 ZPO hat das Berufungsgericht sei-
ner Verhandlung und Entscheidung die von dem Eingangsgericht festgestellten
Tatsachen zugrunde zu legen.
aa) Die damit angeordnete Bindungswirkung der erstinstanzlichen Fest-
stellungen  (vgl.  Begründung  des  Regierungsentwurfs  des  ZPO-RG,  BT-Drs.
14/4722,  S.  100)  erstreckt  sich  auch  auf  sogenannte  Rechtstatsachen.  Den
tatsächlichen  Umständen  (§ 138  Abs. 1  ZPO)  stehen  nämlich  Tatsachen  in
ihrer juristischen Einkleidung gleich, wenn dies durch einen einfachen Rechts-
begriff  geschieht,  der  jedem  Teilnehmer  des  Rechtsverkehrs  geläufig  ist  (Se-
nat,  BGHZ  135,  92,  95;  Senat,  Urt.  v.  2. Juni  1995,  V  ZR  304/93,  WM  1995,
1589,  1590;  Zöller/Greger,  ZPO,  24.  Aufl.,  § 138  Rdn. 2).  Hierher  gehört  der
den  Abschluß  eines  Abtretungsvertrags  gemäß  § 398  BGB  umschreibende
Begriff der Abtretung jedenfalls dann, wenn er, wie hier, von einem Rechtsan-
walt verwendet wird (Senat, Urt. v. 2. Februar 1990, V ZR 245/88, BGHR ZPO
§ 288 Abs. 1 Rechtsbegriff 3).
- 8 -
bb)  Festgestellt  sind  nicht  nur  solche  Tatsachen,  hinsichtlich  derer  das
erstinstanzliche  Gericht  aufgrund  einer  freien  Beweiswürdigung  gemäß  § 286
Abs. 1 ZPO die Entscheidung getroffen hat, daß sie wahr oder nicht wahr sind.
Eine  derartige  Beschränkung  des  tatsächlichen  Prüfungsumfangs  des  Beru-
fungsgerichts wäre nicht sachgerecht, weil das erstinstanzliche Urteil regelmä-
ßig  auch  auf  nicht  beweisbedürftigen,  insbesondere  unstreitigen  Tatsachen
beruht.  Das  Berufungsgericht  hat  seiner  Verhandlung  und  Entscheidung  des-
halb auch solche Tatsachen zugrunde zu legen, die auch das erstinstanzliche
Gericht  seiner  Entscheidung  ohne  Prüfung  der  Wahrheit zugrunde gelegt hat,
sei  es,  weil  sie  offenkundig  oder  gerichtsbekannt  (§  291  ZPO),  ausdrücklich
zugestanden  (§ 288  ZPO)  oder  –  wie  die  von  dem  Kläger  behauptete  Abtre-
tung - unstreitig (§ 138 Abs. 3 ZPO) waren, oder weil sie sich aus gesetzlichen
Vermutungen  oder  Beweis-  und  Auslegungsregeln  ergeben  haben  (Münch-
Komm-ZPO/Rimmelspacher, 2. Aufl., Aktualisierungsband, § 529 Rdn. 5). Dies
entspricht dem allgemeinen Verständnis des in § 559 Abs. 2 ZPO verwendeten
Begriffs  der  von  dem  Revisionsgericht  zugrunde  zu  legenden  Feststellungen
(vgl. MünchKomm-ZPO/Wenzel, aaO, § 559 Rdn. 8; Musielak/Ball, aaO, § 559
Rdn. 20;  Zöller/Gummer,  aaO,  § 559  Rdn. 11;  für  § 561  Abs. 2  ZPO  a.F.:
Stein/Jonas/Grunsky,  ZPO,  21. Aufl.,  § 561  Rdn. 31),  die  wegen  der  in  § 540
Abs. 1 Nr. 1 ZPO vorgesehenen Bezugnahme in dem Berufungsurteil auch die
von  dem  erstinstanzlichen  Gericht  fehlerfrei  getroffenen  Tatsachenfeststellun-
gen umfassen.
b) Konkrete Anhaltspunkte für Zweifel an der von dem Landgericht fest-
gestellten  Abtretung  des  Klageanspruchs,  die  gemäß  § 529  Abs. 1  Nr. 1
Halbs. 2  ZPO  erneute  Feststellungen  des  Berufungsgerichts  zu  diesem  Punkt
- 9 -
erforderlich gemacht hätten, lagen entgegen der Auffassung der Revision nicht
vor.
aa) Anhaltspunkte für Zweifel an der Richtigkeit oder Vollständigkeit der
entscheidungserheblichen  Feststellungen  können  sich  aus  Verfahrensfehlern
ergeben,  die  dem  erstinstanzlichen  Gericht  bei  der  Feststellung  des  Sachver-
halts  unterlaufen  sind  (BT-Drs.  14/4722,  S.  100;  Rimmelspacher,  NJW  2002,
1897,  1901;  Stackmann,  NJW  2003,  169,  171).  Dies  gilt  insbesondere  dann,
wenn  es  Beweise  fehlerhaft  erhoben  oder  gewürdigt  (Senat,  Urt.  v.  12. März
2004,  V ZR  257/03,  zur  Veröffentlichung  in  BGHZ  bestimmt,  Umdruck  S. 6)
oder wenn es Tatsachenvortrag der Parteien übergangen oder von den Partei-
en  nicht  vorgetragene  Tatsachen  verwertet  hat  (Musielak/Ball,  aaO,  § 529
Rdn. 5). Einen derartigen Verfahrensfehler stellt es nicht dar, daß das Landge-
richt den Inhalt der schriftlichen Abtretungserklärung vom 30. März 1997 unbe-
rücksichtigt gelassen und seine Entscheidung allein auf die mit Schriftsatz des
Klägers  vom  21.  Januar  1998  behauptete  Abtretung  gestützt  hat.  Da  die  von
der  Sparkasse  Mittleres  Erzgebirge  zu  den  Gerichtsakten  gereichte  Vertrags-
urkunde  erstinstanzlich  von  keiner  der  Parteien  in  Bezug  genommen  worden
war,  handelte  es  sich  nicht  um  Parteivortrag, den das Landgericht seiner Ent-
scheidung hätte zugrunde legen dürfen. Hieraus folgt zugleich, daß die mit der
Berufung  erhobene  Rüge,  das  erstinstanzliche  Urteil  beruhe  auf  der  von  den
Parteien  nicht  vorgetragenen  Abtretungserklärung,  sachlich  unzutreffend  ist.
Sie wird von der Revision auch nicht aufrecht erhalten.
bb) Zweifelhaft können die Feststellungen des erstinstanzlichen Gerichts
auch  durch  neue  Angriffs-  und  Verteidigungsmittel  werden,  soweit  sie  in  der
Berufungsinstanz  gemäß  § 529  Abs. 1  Nr. 2  in  Verbindung  mit  § 531  Abs. 2
ZPO  zu  berücksichtigen  sind,  weil  ihre  Geltendmachung  in  erster  Instanz  we-
- 10 -
gen  eines  von  dem  Gericht  zu  vertretenden  Umstands  (§  531  Abs. 2  Satz 1
Nr. 1 und 2 ZPO) oder sonst ohne Verschulden der Partei (§ 531 Abs. 2 Satz 1
Nr. 3  ZPO)  unterblieben  ist  (BT-Drs.  14/4722,  S.  101;  Musielak/Ball,  aaO,
§ 529 Rdn. 19; Rimmelspacher, NJW 2002, 1897, 1901; Schnauder, JuS 2002,
162; Crückeberg, MDR 2003, 10). Diese Voraussetzungen sind im Hinblick auf
den von dem Kläger erstmals in der Berufungsinstanz vorgetragenen Inhalt der
schriftlichen  Abtretungserklärung  vom  30.  März  1997  ebensowenig  erfüllt  wie
im  Hinblick  auf  die  von  ihm  im  Widerspruch  zu  seinem  erstinstanzlichen  Vor-
bringen aufgestellte Behauptung, eine Abtretung der Klageforderung hätten die
Beteiligten nicht gewollt.
(1) § 531 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 ZPO gestattet neues, d. h. in erster Instanz
noch  nicht  geltend  gemachtes  (Grunsky,  NJW  2002,  800;  Rimmelspacher,
NJW  2002,  1897,  1903)  Vorbringen  zu  tatsächlichen  oder  rechtlichen  Ge-
sichtspunkten,  die  von  dem  Standpunkt  des  Berufungsgerichts  aus  betrachtet
entscheidungserheblich sind, von dem Eingangsgericht jedoch erkennbar über-
sehen oder für unerheblich gehalten wurden (BT-Drs. 14/4722, S. 101; Münch-
Komm-ZPO/Rimmelspacher,  aaO,  § 531  Rdn. 20;  Musielak/Ball,  aaO,  § 531
Rdn. 17)  und  aus  einem  von  diesem  mit  zu  verantwortenden  Grund  in  erster
Instanz nicht geltend gemacht worden ist (BGH, Urt. v. 19. Februar 2004, III ZR
147/03,  Umdruck  S. 8).  Dieser  Fall  liegt  hier  nicht  vor,  weil  das  Berufungsge-
richt  seine  Entscheidung  über  den  ursprünglichen  (Haupt-)Antrag  ebenso  wie
das Landgericht auf die von dem Kläger in erster Instanz behauptete Abtretung
der  Klageforderung  gestützt  hat.  Neues  Vorbringen  zu  diesem  bereits  dem
erstinstanzlichen  Urteil  zugrunde  liegenden  Gesichtspunkt  war  dem  Kläger
daher verwehrt.
- 11 -
(2)  §  531  Abs. 2  Satz 1  Nr. 2  ZPO  betrifft  insbesondere  den  Fall,  daß
nach  § 139  ZPO  gebotene  Hinweise  des  Eingangsgerichts  unterblieben  sind,
die  zu  entsprechendem  Vorbringen  in  erster  Instanz  Anlaß  gegeben  hätten
(BT-Drs.  14/4722,  S.  101;  MünchKomm-ZPO/Rimmelspacher,  aaO,  § 531
Rdn. 23;  Musielak/Ball,  aaO,  § 531  Rdn. 18).  Entgegen  der  Auffassung  der
Revision  hat  das  Landgericht  die  ihm  obliegende  Hinweispflicht  jedoch  nicht
verletzt. Zwar konnte der Kläger aus dem Umstand, daß das Landgericht trotz
der  bereits  vorgetragenen  Abtretung  Beweis  zu  den  Voraussetzungen  des
geltend gemachten Verwendungsersatzanspruchs erhoben hat, schließen, daß
es auf diesen Gesichtspunkt für die gerichtliche Entscheidung nicht ankommen
werde.  Er  hatte  daher  zunächst  keinen  konkreten  Anlaß,  zu  der  Frage  der
Abtretung weiter vorzutragen oder sein Vorbringen in dem Sinn richtig zu stel-
len,  daß  tatsächlich  keine  Abtretung  vereinbart  worden  sei.  Dies  änderte  sich
jedoch,  nachdem  das  Landgericht  auf  die  Bedeutung  der  Abtretung  für  die
Fassung des Klageantrags hingewiesen hatte. Im Hinblick auf die in der münd-
lichen Verhandlung verlesene Kommentarstelle mußte dem anwaltlich vertrete-
nen Kläger bewußt gewesen sein, daß seine auf Zahlung an sich selbst gerich-
tete  Klage  wegen  der  von  ihm  vorgetragenen  Abtretung  des  Klageanspruchs
keinen  Erfolg  haben  konnte,  wenn  das  Landgericht  mit  der  ganz  überwiegen-
den Auffassung in Rechtsprechung und Literatur eine Umstellung des Klagean-
trags  auf  Zahlung  an  den  Abtretungsempfänger  für  erforderlich  hielt.  Selbst
wenn  der  Kläger,  wie  von  der  Revision  behauptet,  davon  ausgegangen  sein
sollte, das Landgericht habe in dieser Frage noch keine abschließende Positi-
on eingenommen, hätte er jedenfalls mit der Möglichkeit einer Klageabweisung
rechnen  müssen.  Damit  wäre  es  aus  Sicht  des  Klägers  nicht  nur  geboten  ge-
wesen, den Klageantrag – wie in der Berufungsinstanz geschehen – zumindest
hilfsweise  auf  Zahlung  an  den  Abtretungsempfänger  umzustellen.  Darüber
- 12 -
hinaus  hätte  auch  Anlaß  bestanden, im Rahmen des ursprünglichen Klagean-
trags  zu  der  Frage  der  Abtretung  ergänzend  Stellung  zu  nehmen.  Daß  dies
dem  Kläger  in  erster  Instanz,  sei  es  auch  nach  Einräumung  einer  von  ihm  zu
beantragenden  Schriftsatzfrist  (vgl.  BGH,  Urt.  v.  25.  Juni  2002,  X  ZR  83/00,
NJW  2002,  3317,  3320),  nicht  möglich  gewesen  wäre,  wird  von  der  Revision
nicht geltend gemacht und ist auch sonst nicht ersichtlich. Von sich aus mußte
das  Landgericht  jedenfalls  nicht  auf  einen  weiteren  Sachvortrag  des  Klägers
hinwirken,  da  dessen  Prozeßbevollmächtigter  ausdrücklich  um  eine  gerichtli-
che Entscheidung gebeten hatte und keinerlei Anhaltspunkte für die Annahme
bestanden,  sein  Vortrag  zu  der  erfolgten  Abtretung  könne  ergänzungs-  oder
korrekturbedürftig sein.
(3)  Hat  der  Kläger  damit  diejenigen  tatsächlichen  Umstände,  die  nach
seiner Auffassung der Annahme einer Abtretung der Klageforderung entgegen-
stehen,  in  erster  Instanz  nicht  vorgebracht,  obwohl  ihm  diese  Umstände  und
deren Bedeutung für den Ausgang des Rechtsstreits bis zum Schluß der münd-
lichen  Verhandlung  vor  dem  Landgericht  bekannt  waren  oder  hätten  bekannt
sein müssen, beruht die unterlassene Geltendmachung auf Nachlässigkeit; das
schließt  eine  Berücksichtigung  dieser  Umstände  in  der  Berufungsinstanz  ge-
mäß § 531 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 ZPO aus (vgl. BT-Drs. 14/4722, S. 101; Musie-
lak/Ball,  aaO,  § 531  Rdn. 19;  Hannich/Meyer-Seitz,  ZPO-Reform  2002,  § 531
Rdn. 18  f.;  Rimmelspacher,  NJW  2002,  1897,  1904).  Das  Berufungsgericht
mußte  deshalb  der  unter  Beweis  gestellten  Behauptung  des  Klägers,  er  und
sein  erstinstanzlicher  Prozeßbevollmächtigter  hätten  keine  Abtretung  der  Kla-
geforderung  vereinbaren  wollen,  ebensowenig  nachgehen  wie  der  Frage,  ob
die  schriftliche  Abtretungsvereinbarung  vom  30.  März  1997  nur  die  von  dem
Kläger aufgrund eines obsiegenden Urteils erlangten Geldmittel erfaßt.
- 13 -
c)  Auf  der  Grundlage  der  von  dem  Landgericht  fehlerfrei  festgestellten
Abtretung  hat  das  Berufungsgericht  einen  in  der  Person  des  Klägers  beste-
henden  Verwendungsersatzanspruch  zu  Recht  verneint.  Zwar  hat  die  nach
Eintritt  der  Rechtshängigkeit  erfolgte  Abtretung  des  Klageanspruchs  keinen
Einfluß  auf  dessen  prozessuale  Geltendmachung  (§  265  Abs. 2  Satz 1  ZPO).
Der  Rechtsvorgänger  behält  daher  weiter  seine  Prozeßführungsbefugnis  und
darf den Rechtsstreit als Partei im eigenen Namen weiterführen (Prozeßstand-
schaft).  Aufgrund  der  veränderten  materiellen  Rechtslage  muß  der  Kläger  je-
doch grundsätzlich Leistung an seinen Rechtsnachfolger verlangen. Weigert er
sich, wie hier, so muß die Klage wegen fehlender Aktivlegitimation abgewiesen
werden. Diese Grundsätze, die der ständigen Rechtsprechung des Bundesge-
richtshofes (BGHZ 26, 31, 37; BGH, Urt. v. 28. September 1982, VI ZR 221/80,
WM 1982, 1313; Urt. v. 12. März 1986, VIII ZR 64/85, NJW 1986, 3206, 3207;
Urt. v. 20. November 1996, XII ZR 70/95, NJW 1997, 735, 736) und der über-
wiegenden Auffassung in der Literatur (MünchKomm-ZPO/Lüke, 2. Aufl., § 265
Rdn. 83;  Zöller/Greger,  aaO,  §  265  Rdn. 6a;  Musielak/Foerste,  aaO,  § 265
Rdn. 10;  Baumbach/Lauterbach/Hartmann,  ZPO,  62.  Aufl.,  § 265  Rdn. 17;
Thomas/Putzo/Reichold,  ZPO,  25.  Aufl.,  § 265  Rdn. 13;  a.A.  die  sogenannte
Irrelevanztheorie:  Rosenberg/Schwab/Gottwald,  Zivilprozeßrecht,  15. Aufl.,
§ 102 IV 2, S. 585; Jauernig, Zivilprozeßrecht, 28. Aufl., § 87 III 3, S. 354) ent-
sprechen, stellt auch die Revision nicht in Frage.
Auch  war  der  Kläger  nicht  etwa  deshalb  zur  Einziehung  der  abgetrete-
nen  Forderung  im  eigenen  Namen  befugt,  weil  ihm  der  Abtretungsempfänger
eine Einziehungsermächtigung erteilt hätte (vgl. BGHZ 26, 31, 37; BGH, Urt. v.
28. September 1982, aaO). Eine entsprechende Behauptung hat der Kläger in
- 14 -
erster  Instanz  nicht  aufgestellt.  Sie  läßt  sich  auch  seinem  Vorbringen  in  der
Berufungsinstanz,  soweit  es  überhaupt  zu  berücksichtigen  ist,  nicht  entneh-
men.  Wäre  die  Klageforderung,  wie  nunmehr  von  dem  Kläger  vorgetragen,
nicht  abgetreten  worden,  hätte  keinerlei  Anlaß  zu  der  Erteilung  einer  Einzie-
hungsermächtigung bestanden.
2.  Zu  Unrecht  hat  das  Berufungsgericht  jedoch  angenommen,  der  erst-
mals in zweiter Instanz gestellte Hilfsantrag, mit dem der Kläger einen Verwen-
dungsersatzanspruch seines erstinstanzlichen Prozeßbevollmächtigten geltend
macht,  sei  unzulässig,  weil  er  entgegen  § 533 Nr. 2 ZPO  nicht  auf  Tatsachen
gestützt werden könne, die der Verhandlung und Entscheidung über die Beru-
fung ohnehin nach § 529 ZPO zugrunde zu legen waren. Eine mit der Berufung
vorgenommene Umstellung des Klageantrags auf Leistung an den Abtretungs-
empfänger stellt nämlich unabhängig davon, ob sie unbedingt erfolgt oder, wie
hier,  von  dem  Mißerfolg  des  auf  Leistung  an  den  Kläger  selbst  gerichteten
Hauptantrags abhängig ist, keine § 533 ZPO unterfallende Klageänderung dar.
a)  § 533  ZPO knüpft in seinem Einleitungssatz an den allgemeinen Be-
griff  der  Klageänderung  im  Sinne  von  §  263  ZPO  an  (Zöller/Gummer/Heßler,
aaO, § 533 Rdn. 3). Danach ist eine objektive Klageänderung gegeben, wenn
sich  der  Streitgegenstand  verändert,  insbesondere,  wenn  bei  gleich  bleiben-
dem  oder  geändertem  Klagegrund  ein  anderer  Klageantrag  gestellt  wird  (Zöl-
ler/Greger, aaO, § 263 Rdn. 2; Thomas/Putzo/Reichold, aaO, § 263 Rdn. 1 f.).
Wie eine Klageänderung zu behandeln ist der Fall einer nachträglichen (Even-
tual-)Klagenhäufung,  auf  den  § 263  ZPO  entsprechend  anwendbar  ist  (BGH,
Urt.  v.  29. April  1981,  VIII  ZR  157/80,  WM  1981,  423,  427;  Urt.  v.  10.  Januar
1985, III ZR 93/83, NJW 1985, 1841, 1842; Urt. v. 26. Mai 1986, II ZR 237/85,
- 15 -
NJW-RR  1987,  58;  MünchKomm-ZPO/Lüke,  aaO,  § 263  Rdn. 21;  Zöl-
ler/Greger,  aaO,  § 263  Rdn. 2;  Baumbach/Lauterbach/Hartmann,  aaO,  § 263
Rdn. 4)  und  der  deshalb  auch  von  § 533  ZPO  erfaßt  wird  (MünchKomm-
ZPO/Rimmelspacher, aaO, § 533 Rdn. 10; Musielak/Ball, aaO, § 533 Rdn. 6).
b) Handelt es sich allerdings um eine Antragsänderung, die, wie die Um-
stellung  des  Klageantrags  auf  Leistung  an  den  Abtretungsempfänger,  den
Bestimmungen des § 264 Nr. 2 oder 3 ZPO unterfällt (für eine Anwendung von
§ 264 Nr. 2 ZPO: BGH, Urt. v. 3. Juni 1987, IVb ZR 68/86, FamRZ 1987, 926,
928;  Urt.  v.  21.  Dezember  1989,  VII  ZR  84/89,  NJW-RR  1990,  505;  Musie-
lak/Foerste,  aaO,  § 265  Rdn. 10;  Zöller/Greger,  aaO,  § 264  Rdn. 3b;  für  eine
Anwendung von § 264 Nr. 3 ZPO: Stein/Jonas/Schumann, aaO, § 265 Rdn. 42;
MünchKomm-ZPO/Lüke,  aaO,  § 265  Rdn. 87;  Rosenberg/Schwab/Gottwald,
aaO,  § 101 I 3),  ist  sie  kraft  ausdrücklicher  gesetzlicher  Anordnung  nicht  als
eine  Klageänderung  anzusehen.  Auf  eine  solche  Modifizierung  des  Klagean-
trags finden daher diejenigen Vorschriften, die die Zulässigkeit einer Klageän-
derung  regeln,  keine  Anwendung  (MünchKomm-ZPO/Lüke,  aaO,  §  264  Rdn.
4). Dies gilt nicht nur für § 263 ZPO (Stein/Jonas/Schumann, aaO, § 264 Rdn.
1;  MünchKomm-ZPO/Lüke,  aaO,  § 264  Rdn. 4),  sondern  auch  für  §  533  ZPO
(a.A. Zöller/Gummer/Heßler, aaO, § 533 Rdn. 3, die jedenfalls § 533 Nr. 2 ZPO
anwenden  wollen),  weil  § 264 ZPO  gemäß  §  525  Satz 1  ZPO  auch  auf  das
Berufungsverfahren anzuwenden ist.
c) Die unbeschränkte Zulässigkeit einer Modifizierung des Klageantrags
gem.  § 264  Nr. 2  oder  3  ZPO  auch  in  der  Berufungsinstanz  entspricht  dem
Zweck  der  Vorschrift,  der  die  prozeßökonomische  und  endgültige  Erledigung
des  Streitstoffs  zwischen  den  Parteien  fördern  soll  (MünchKomm-ZPO/Lüke,
- 16 -
aaO, § 264 Rdn. 1). Kann das Berufungsgericht auf der Grundlage des bereits
in  erster  Instanz  angefallenen  Prozeßstoffs  eine  abschließende  Entscheidung
über  den  modifizierten  Klageantrag  treffen, widerspräche es den Grundsätzen
der  Prozeßwirtschaftlichkeit,  würde man die Parteien, gestützt auf § 533 ZPO,
auf einen neuen Rechtsstreit verweisen, in dem das erstinstanzliche Verfahren
wiederholt  werden  müßte  und  das  Berufungsgericht  erneut  mit  der  Sache  be-
faßt werden könnte. Nach früherem Recht (§ 523 ZPO a. F. in Verbindung mit
§ 264  ZPO)  war  eine  derart  unökonomische  Verfahrensgestaltung  ausge-
schlossen,  weil  §  264  ZPO  in  der  Berufungsinstanz  Anwendung  fand  (BGHZ
85,  140,  143;  BGH,  Urt.  v.  21.  Dezember  1989,  VII  ZR 84/89, NJW-RR 1990,
505; MünchKomm-ZPO/Lüke, aaO, § 264 Rdn. 5) und in den von der Vorschrift
geregelten Fällen eine Antragsänderung unabhängig von dem Vorliegen weite-
rer  Voraussetzungen  ermöglichte.  Für  das  reformierte  Berufungsverfahren
etwas  anderes  anzunehmen,  hätte  im  Vergleich  zu  dem  früheren  Recht  eine
verstärkte Belastung der Gerichte und eine verzögerte Erledigung der Streitsa-
chen  zur  Folge.  Damit  würde  das  Ziel  der  Zivilprozeßreform,  die  Effizienz  in-
nerhalb  der  Ziviljustiz  zu  steigern  (BT-Drs.  14/4722,  S.  1),  offensichtlich  ver-
fehlt.
d)  §  533  ZPO  steht  einer  Anwendung  des  §  264  ZPO  auf  das  Beru-
fungsverfahren nicht entgegen (§ 525 Satz 1 Halbs. 2 ZPO).
aa) Mit den in § 533 Nr. 1 ZPO bestimmten Merkmalen der Einwilligung
des  Gegners  oder  der  Sachdienlichkeit  wollte  der  Gesetzgeber  die  bereits
nach bisherigem Recht (§ 523 ZPO a. F. in Verbindung mit § 263 ZPO) gelten-
den  Zulässigkeitsvoraussetzungen  einer  zweitinstanzlichen  Klageänderung
übernehmen  (BT-Drs.  14/4722,  S.  102).  Auf  das  Vorliegen  dieser  Vorausset-
- 17 -
zungen kam es jedoch auch bislang nicht an, wenn es sich um eine Antragsän-
derung  gemäß  §  264  Nr.  2  oder  3  ZPO  handelte  (§  523  ZPO  a.  F.  in  Verbin-
dung  mit  § 264  ZPO).  Daß  der  Gesetzgeber  hieran  etwas  ändern  wollte,  läßt
sich der Gesetzesbegründung nicht entnehmen. Die Annahme, derartige Modi-
fizierungen des Klageantrags sollten nach neuem Recht nur noch unter den in
§  533  Nr.  1  ZPO  geregelten  Voraussetzungen  zulässig sein, ist auch deshalb
fernliegend,  weil  diese  Antragsänderungen  in  aller  Regel  als  sachdienlich  an-
zusehen  sind  (vgl.  MünchKomm-ZPO/Lüke,  aaO,  §  264  Rdn.  2),  § 533  Nr.  1
ZPO  insoweit  also  ohnehin  keine  zulässigkeitsbeschränkende  Wirkung  haben
könnte.
bb)  Sinn  und  Zweck  des  §  533  Nr.  2  ZPO  gebieten  es  ebenfalls  nicht,
Antragsänderungen gemäß § 264 Nr. 2 und 3 ZPO in der Berufungsinstanz als
Klageänderungen anzusehen.
(1) § 533 Nr. 2 ZPO bringt die geänderte Funktion des Berufungsverfah-
rens  zum  Ausdruck,  die  keine  vollständige  zweite  Tatsacheninstanz  mehr  er-
öffnet,  sondern  in  erster  Linie  der Fehlerkontrolle und Fehlerbeseitigung dient
(BT-Drs.  14/4722,  S. 64, 102). Für diesen Berufungszweck ist es unerheblich,
ob das erstinstanzliche Gericht subjektiv fehlerhaft gehandelt und entschieden
hat,  was  nicht  der  Fall  ist,  wenn  seine  Entscheidung  gemessen an dem in er-
ster  Instanz  gestellten  Klageantrag  - wie  hier -  zutreffend  ist.  Maßgeblich  ist
vielmehr,  ob  das  erstinstanzliche  Urteil  objektiv  fehlerhaft  ist,  was  nach  der
Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt der Entscheidung des Berufungsgerichts zu
beurteilen  ist  (MünchKomm-ZPO/Rimmelspacher,  aaO,  §  513  Rdn.  7;  Rim-
melspacher, NJW 2002, 1897). Damit kann sich die Korrekturbedürftigkeit des
mit der Berufung angefochtenen Urteils auch aus einer im Berufungsverfahren
- 18 -
erfolgten  Modifizierung  des  Klageantrags ergeben, wenn, wie im vorliegenden
Fall,  mit  der  Umstellung  des  Klageantrags  einer  Veränderung  der  materiellen
Rechtslage  Rechnung getragen wird, an deren sachgerechter Beurteilung das
erstinstanzliche  Gericht  wegen  des  in  erster  Instanz  gestellten  Klageantrags
gehindert war.
(2)  Ausweislich  der  Gesetzesbegründung  will  §  533  Nr.  2  ZPO  verhin-
dern,  daß  im  Wege  der  Klageänderung  unzulässiger  neuer  Tatsachenstoff  in
das Berufungsverfahren eingeführt wird (BT-Drs. 14/4722, S. 102). In den Fäl-
len des § 264 Nr. 2 und 3 ZPO ist das aber schon deswegen nicht zu befürch-
ten, weil die Vorschrift insoweit voraussetzt, daß der - bereits in erster Instanz
dargelegte - Klagegrund unverändert bleibt. Sollen zu dessen Ergänzung neue
Tatsachen  vorgetragen  werden,  ist  dies  nur  in  den  durch  § 531  Abs. 2  ZPO
gezogenen  Grenzen  zulässig. Damit ist sichergestellt, daß der von dem Beru-
fungsgericht  zu  beurteilende  Prozeßstoff  im  wesentlichen  mit  demjenigen  der
ersten Instanz übereinstimmt.
(3) Schließlich soll durch die Regelung des § 533 Nr. 2 ZPO vermieden
werden,  daß  das  Berufungsgericht  eine  Klageänderung  bei  Vorliegen  der  in
§ 533 Nr. 1 ZPO bestimmten Voraussetzungen zwar zulassen müßte, an einer
der  materiellen  Rechtslage  entsprechenden  Entscheidung  über  die  geänderte
Klage aber gehindert sein könnte, weil es gemäß § 529 Abs. 1 Nr. 1 ZPO sei-
ner  Verhandlung  und  Entscheidung  nur die von dem erstinstanzlichen Gericht
zu der ursprünglichen Klage festgestellten Tatsachen zugrunde legen darf (BT-
Drs.  14/4722,  S.  102).  Diese  Gefahr,  die  den  Gesetzgeber  zu  einer  über  die
frühere  Rechtslage  hinausgehenden  Beschränkung  der  Zulässigkeit  zweitin-
stanzlicher Klageänderungen bewogen hat, besteht bei einer Antragsänderung
- 19 -
gemäß  §  264  Nr. 2 und 3 ZPO nicht. Vielmehr kann das Berufungsgericht bei
der  Beurteilung  des  modifizierten  Klageantrags  auf  den  gesamten  in  erster
Instanz angefallenen Prozeßstoff zurückgreifen.
(a)  Wie  der  Senat  bereits  in  seinem  Urteil  vom  12.  März  2004  (V  ZR
257/03)  ausgeführt  hat,  gelangt  mit  einem  zulässigen  Rechtsmittel  grundsätz-
lich  der  gesamte  aus  den  Akten  ersichtliche  Prozeßstoff  der  ersten  Instanz
ohne  weiteres  in  die  Berufungsinstanz  (Umdruck  S.  14).  Im  Gegensatz  zum
Revisionsrecht  (§  559  Abs.  1  ZPO)  enthalten  die  gesetzlichen  Vorschriften
über das Berufungsverfahren keine das berücksichtigungsfähige Parteivorbrin-
gen beschränkende Bestimmung. Eine Verengung des zweitinstanzlichen Pro-
zeßstoffs auf das aus dem erstinstanzlichen Urteil ersichtliche Parteivorbringen
ergibt  sich  auch  nicht  aus  § 314  ZPO,  weil  dem  Urteilstatbestand  im  Hinblick
auf  schriftsätzlich  angekündigtes  Parteivorbringen  keine  negative  Beweiskraft
zukommt (Umdruck S. 17 f. m.w.N.). Unabhängig hiervon kann der Tatbestand
des erstinstanzlichen Urteils den der Beurteilung des Berufungsgerichts unter-
liegenden  Prozeßstoff  auch  deshalb  nicht  begrenzen,  weil  das  Berufungsver-
fahren  nicht  nur,  wie  das  Revisionsverfahren,  der  Rechtsfehlerkontrolle,  son-
dern  gemäß  § 513  Abs.  1  Alt.  2  ZPO auch der Kontrolle und Korrektur fehler-
hafter  Tatsachenfeststellungen  dient  (BT-Drucks.  14/4722,  S.  64;  Han-
nich/Meyer-Seitz, aaO, § 513 Rdn. 1, 7, 12 f.). Dies setzt voraus, daß das Be-
rufungsgericht  schriftsätzlich  angekündigtes  entscheidungserhebliches  Partei-
vorbringen  berücksichtigen  darf,  das  von  dem  erstinstanzlichen  Gericht  für
unerheblich erachtet oder übersehen worden ist und das deshalb im Urteilstat-
bestand keine Erwähnung gefunden hat (Barth, NJW 2002, 1702, 1703). Die in
§ 513 Abs. 1 Alt. 2 ZPO zum Ausdruck kommende Funktion der Berufung wür-
de  eine  den  berücksichtigungsfähigen  Prozeßstoff  begrenzende  Wirkung  des
- 20 -
erstinstanzlichen  Urteils  also  selbst  dann ausschließen, wenn man im übrigen
mit der bisherigen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes (zuletzt BGH, Urt.
v.  16.  Mai  1990,  IV  ZR  64/89,  NJW-RR  1990,  1269)  und  des  Bundesverwal-
tungsgerichts  (Beschl.  v.  13.  April  1989,  1  B  21/89,  juris)  an  der  negativen
Beweiskraft  des  Urteilstatbestands  ohne  Einschränkungen  festhielte.  Die  Be-
antwortung dieser Rechtsfrage ist deshalb für die Entscheidung des vorliegen-
den Rechtsstreits im Ergebnis ohne Bedeutung, so daß es weder einer Vorlage
an den Großen Senat für Zivilsachen (§ 132 GVG) noch an den Gemeinsamen
Senat  der  obersten  Gerichtshöfe  des  Bundes  (§  2  RsprEinhG)  bedarf  (vgl.
BGH,  Beschl.  v.  15. Februar  2000,  XI  ZR  10/98,  NJW  2000,  1185  zu  §  132
GVG; GmS-OGB, BGHZ 88, 353, 357 zu § 2 RsprEinhG).
(b) Bei der Entscheidung über den modifizierten Klageantrag ist das Be-
rufungsgericht  nicht  gemäß  §  529  Abs.  1  Nr.  1  Halbs.  1 ZPO an die von dem
erstinstanzlichen Gericht zu dem ursprünglichen Klageantrag getroffenen Fest-
stellungen  gebunden.  Kommt  es  aus  der  allein  maßgeblichen  Sicht  des Beru-
fungsgerichts (Hannich/Meyer-Seitz, aaO, § 529 Rdn. 35; Ball, ZGS 2002, 146,
149)  für die Beurteilung des modifizierten Klageantrags auf Tatsachen an, die
in  dem  erstinstanzlichen  Urteil  trotz  entsprechenden  Parteivortrags  nicht  fest-
gestellt  worden  sind,  dann  bestehen  Zweifel  an  der  Vollständigkeit  der  ent-
scheidungserheblichen  Feststellungen,  die  das  Berufungsgericht  gemäß
§ 529 Abs. 1 Nr. 1  Halbs. 2  ZPO  zu  eigenen  Feststellungen  berechtigen  und
verpflichten.
III.
- 21 -
Nach  alledem  kann  das  angefochtene  Urteil  keinen  Bestand  haben
(§ 562  Abs.  1  ZPO).  Die  Sache  ist  nicht  zur  Entscheidung  reif  (§ 563  Abs. 3
ZPO),  weil  das  Berufungsgericht  keine  Feststellungen  dazu  getroffen  hat,  ob
und  inwieweit  die  Voraussetzungen  eines  von  dem  Kläger  an  seinen  erstin-
stanzlichen  Prozeßbevollmächtigten  abgetretenen  Verwendungsersatzan-
spruchs  gemäß  §§ 994, 996 BGB erfüllt sind und in welchem Umfang ein sol-
cher  Anspruch  gegebenenfalls  durch  die  von  der  Beklagten  erklärte  Hilfsauf-
rechnung erloschen ist. Durch die Zurückverweisung der Sache (§ 563 Abs. 1
Satz 1 ZPO) erhält das Berufungsgericht Gelegenheit, die erforderlichen Fest-
- 22 -
stellungen  nachzuholen.  Dabei  kann  es  die  Ergebnisse  der  in  erster  Instanz
durchgeführten  Beweisaufnahme  verwerten,  soweit  nicht  deren  Wiederholung
nach den von der Rechtsprechung zu §§ 398, 402 ZPO entwickelten Grundsät-
zen  geboten  ist  (vgl.  Senat,  Urt.  v.  12.  März  2004,  V  ZR  257/03,  Umdruck
S. 10 m.w.N.).
Wenzel                                              Tropf                                               Lemke
Gaier                                              Schmidt-Räntsch