Urteil des BGH vom 13.06.2006
BGH (wiedereinsetzung in den vorigen stand, zpo, wiedereinsetzung, begründung, sohn, beweiskraft, stand, zustellung, sicherung, bundesverfassungsgericht)
BUNDESGERICHTSHOF
BESCHLUSS
IX ZR 128/05
vom
13. Juni 2006
in dem Rechtsstreit
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Der IX. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat durch den Vorsitzenden Richter
Dr. Fischer und die Richter Dr. Ganter, Raebel, Kayser und Cierniak
am 13. Juni 2006
beschlossen:
Die Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision in dem
Urteil des 12. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Düsseldorf vom
12. Mai 2005 wird auf Kosten des Beklagten zurückgewiesen.
Der Gegenstandswert des Beschwerdeverfahrens wird auf
26.982,15 € festgesetzt.
Gründe:
Es kann dahingestellt bleiben, ob dem Berufungsgericht bei seiner Fest-
stellung, die Zustellung des Versäumnisurteils vom 22. Oktober 2002 sei durch
Übergabe an den Beklagten persönlich erfolgt, Verfahrensfehler unterlaufen
sind, welche die Voraussetzungen des Zulässigkeitsgrundes der Sicherung ei-
ner einheitlichen Rechtsprechung erfüllen. Das Berufungsgericht hat die Beru-
fung des Beklagten auch mit der Begründung zurückgewiesen, der Beklagte
könne die von ihm begehrte Wiedereinsetzung in den vorigen Stand nach Ver-
säumung der Einspruchsfrist des § 339 Abs. 1 ZPO auch dann nicht beanspru-
chen, wenn ihm das Versäumnisurteil durch Übergabe an seinen Sohn gemäß
§ 178 Abs. 1 ZPO zugestellt worden wäre. Soweit es um diese, die angefochte-
ne Entscheidung selbständig tragende Begründung geht, hat die Rechtssache
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keine grundsätzliche Bedeutung; auch erfordern weder die Fortbildung des
Rechts noch die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung die Zulassung
der Revision (§ 543 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 und 2 ZPO).
1. Der Beklagte weist auf die Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs
zur Feststellung des rechtzeitigen Eingangs eines fristgebundenen Schriftsat-
zes hin. Danach ist, wenn die vorgelegten anwaltlichen und eidesstattlichen
Versicherungen nicht ausreichen, den Nachweis des fristgerechten Eingangs zu
führen, der beweisbelasteten Partei Gelegenheit zu geben, Zeugenbeweis an-
zutreten oder andere Beweismittel zu bezeichnen (BGH, Beschl. v.
7. Dezember 1999 - VI ZB 30/99, NJW 2000, 814; v. 7. Mai 2002 - I ZB 30/01).
Der Beklagte meint, es stelle sich die Grundsatzfrage, ob diese Rechtspre-
chung auf Fälle der vorliegenden Art zu übertragen ist, in denen die vorgelegten
eidesstattlichen Versicherungen nicht ausreichen, um die einer öffentlichen Ur-
kunde nach § 418 Abs. 1 ZPO zukommende Beweiskraft gemäß § 418 Abs. 2
ZPO zu entkräften. Diese Frage stellt sich jedoch nicht. Bei seinen Ausführun-
gen zu einer wirksamen Zustellung gemäß §
178 Abs.
1 ZPO durch
Übergabe des Versäumnisurteils an den Sohn des Beklagten hat das Beru-
fungsgericht nicht auf die formelle Beweiskraft der Zustellungsurkunde gemäß
§ 418 Abs. 1 ZPO abgestellt. Es hat eine Wiedereinsetzung vielmehr mit der
Begründung abgelehnt, der vom Beklagten vorgetragene Sachverhalt sei "gänz-
lich unglaubhaft"; er werde auch durch die vorgelegten eidesstattlichen Versi-
cherungen nicht glaubhaft gemacht.
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2. Auch auf die Maßstäbe, die das Bundesverfassungsgericht zur Wie-
dereinsetzung in den vorigen Stand in Fällen des "ersten Zugangs" zum Gericht
entwickelt hat (vgl. BVerfGE 38, 35, 38; 40, 42, 44 ff; 40, 88, 91; 54, 80, 84),
kommt es hier nicht an. Diese Rechtsprechung besagt unmittelbar nichts über
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Vorkehrungen für Zustellungen, die in späteren Verfahrensabschnitten notwen-
dig werden (BVerfGE 41, 332, 335). So aber liegt es hier; denn dem Beklagten
waren vor dem Erlass des Versäumnisurteils bereits die Klage nebst Termins-
ladung sowie die Klageerweiterung vom 29. Juli 2002 zugestellt worden (vgl.
BVerfG aaO S. 335 f). Im Übrigen hat das Berufungsgericht die verfassungs-
rechtlichen Anforderungen an den Zugang zum Gericht und die Gewährung
rechtlichen Gehörs nicht verkannt. Hierauf hat es vielmehr am Ende der Ent-
scheidungsgründe in der gebotenen Kürze hingewiesen. Bleibt die Möglichkeit
einer verschuldeten Fristversäumung bestehen, ist eine Wiedereinsetzung auch
in Fällen des ersten Zugangs zum Gericht ausgeschlossen (vgl. BGH, Beschl.
v. 14. Juli 1987 - IX ZB 48/87, VersR 1988, 158 f; Hk-ZPO/Saenger, § 233
Rn. 63).
Fischer Ganter Raebel
Kayser Cierniak
Vorinstanzen:
LG Duisburg, Entscheidung vom 19.10.2004 - 1 O 192/02 -
OLG Düsseldorf, Entscheidung vom 12.05.2005 - I-12 U 132/04 -