Urteil des BGH vom 27.10.2003

Leitsatzentscheidung

BUNDESGERICHTSHOF
BESCHLUSS
II ZA 9/02
vom
27. Oktober 2003
in Sachen
Nachschlagewerk: ja
BGHZ:
nein
BGHR: ja
ZPO § 240
Ein Insolvenzverwalter kann nicht einen gemäß § 240 ZPO unterbrochenen
Passivprozeß über eine Insolvenzforderung zur Aufnahme durch den Gemein-
schuldner "freigeben".
BGH, Beschluß vom 27. Oktober 2003 - II ZA 9/02 - OLG Hamburg
LG Hamburg
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Der II. Zivilsenat des Bundesgerichtshofes hat am 27. Oktober 2003
durch
den
Vorsitzenden
Richter
Dr. h.c. Röhricht
und
die
Richter
Prof. Dr. Goette, Kraemer, Dr. Graf und Dr. Strohn
beschlossen:
Der Antrag der Antragsteller auf Bewilligung von Prozeßkosten-
hilfe für das Revisionsverfahren wird zurückgewiesen.
Gründe:
I. Die Antragsteller sind die Erben des vormaligen Beklagten zu 7 und
Revisionsklägers in der Sache II ZR 144/00, den das Berufungsgericht gesamt-
schuldnerisch mit weiteren Beklagten zur Zahlung von Schadensersatz an die
Kläger zu 2, 3, 9, 11, 13 und 14 wegen Verlustes ihrer Einlagen als stille Ge-
sellschafter einer in Konkurs gegangenen Aktiengesellschaft verurteilt hat. Das
ihn betreffende Revisionsverfahren ist nach seinem Tod infolge Eröffnung des
Nachlaßinsolvenzverfahrens am 25. Juni 2001 unterbrochen worden (§ 240
ZPO). Die Antragsteller beantragen nunmehr Prozeßkostenhilfe für das Revisi-
onsverfahren mit dem Vortrag, der Insolvenzverwalter habe am 4. Juni 2002
"den Rechtsstreit aus dem Insolvenzbeschlag gegenüber den Erben freigege-
ben".
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II. Der Antrag ist zurückzuweisen, weil die von den Antragstellern beab-
sichtigte Rechtsverfolgung keine hinreichende Erfolgsaussicht bietet (§ 114
ZPO). Die Antragsteller sind infolge des nach ihrem Vortrag noch nicht been-
deten Insolvenzverfahrens für das von ihnen beabsichtigte Revisionsverfahren
schon nicht prozeßführungsbefugt.
1. Gemäß § 240 ZPO kann das Verfahren nur nach den für das Insol-
venzverfahren geltenden Vorschriften aufgenommen werden. Da der Rechts-
streit nunmehr gegen den Nachlaß gerichtete Insolvenzforderungen (§ 38 InsO)
betrifft, können diese gemäß § 87 InsO von den Klägern als Insolvenzgläubi-
gern nur im Wege der Anmeldung zur Insolvenztabelle (§§ 174 ff. InsO) weiter-
verfolgt werden (vgl. MünchKommZPO/Feiber, 2. Aufl. § 240 Rdn. 34;
MünchKommInsO/Siegmann, § 325 Rdn. 10). Selbst wenn man unterstellt, daß
die vorläufig vollstreckbar titulierten Klageforderungen in entsprechender Weise
angemeldet und im Prüfungstermin (§ 176 f. InsO) von dem Insolvenzverwalter
oder einem anderen Gläubiger bestritten worden sind, wären gemäß §§ 179
Abs. 2, 180 Abs. 2 InsO nur diese und gemäß §§ 179 Abs. 1, 180 Abs. 2 InsO
die Kläger (vgl. BGH, Urt. v. 22. April 1965 - VII ZR 15/65, NJW 1965, 1523) zur
Aufnahme des unterbrochenen Rechtsstreits befugt. Eine Aufnahmebefugnis
des Insolvenzschuldners (hier also der Antragsteller) besteht selbst dann nicht,
wenn allein er die Forderung im Prüfungstermin bestritten hat (vgl.
MünchKommInsO/Schumacher, § 184 Rdn. 5 m.w.N.; vgl. auch Kuhn/
Uhlenbruck, KO 11. Aufl. § 144 Rdn. 6).
2. Eine Aufnahmebefugnis der Antragsteller ergibt sich auch nicht dar-
aus, daß nach ihrem Vortrag der Insolvenzverwalter "den Rechtsstreit aus dem
Insolvenzbeschlag freigegeben" haben soll. Abgesehen davon, daß aus den
Prozeßkostenhilfeunterlagen lediglich die Freigabe eines unter Zwangsverwal-
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tung stehenden Wohnungseigentums der Antragsteller ersichtlich ist, kommt die
Freigabe eines Rechtsstreits durch den Insolvenzverwalter mit der Folge einer
Aufnahmebefugnis des Schuldners nur in Betracht, wenn es sich um einen Ak-
tivprozeß über einen zur Vermehrung der Teilungsmasse dienlichen Anspruch
(§ 85 InsO; vgl. Zöller/Greger, ZPO 23. Aufl. § 240 Rdn. 10 f.) oder um einen
Passivprozeß der in § 86 InsO bezeichneten Art (z.B. Aussonderung, abgeson-
derte
Befriedigung)
handelt
(vgl.
MünchKommInsO/Schumacher
§ 86
Rdn. 26 f.; zu den entsprechenden §§ 10, 11 KO vgl. BGH, Urt. v. 21. Oktober
1965 - Ia ZR 144/63, NJW 1966, 51), wobei im letzteren Fall der Insolvenzver-
walter zugleich den streitbefangenen Gegenstand aus der Masse freigegeben
haben muß (BGH, Beschl. v. 10. Oktober 1973 - VIII ZR 9/72, NJW 1973,
2065). Ein Fall dieser Art liegt hier nicht vor. Das Wohnungseigentum der Be-
klagten ist im vorliegenden Passivprozeß nicht streitbefangen (i.S. von § 86
Abs. 1 InsO). Der Rechtsstreit betrifft vielmehr einfache Insolvenzforderungen
der Kläger (§ 38 InsO) und kann daher nur nach Maßgabe der §§ 179 ff. InsO
aufgenommen (vgl. oben a), nicht aber von dem Insolvenzverwalter an die An-
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tragsteller "freigegeben" werden, weil seine Verfügungsbefugnis gemäß § 80
Abs. 1 InsO sich nicht auf die streitbefangenen Ansprüche der Kläger erstreckt.
Röhricht
Goette
Kraemer
Graf
Strohn