Urteil des BGH vom 24.09.2013

Verrechnung von Musik in Werbefilmen Leitsatzentscheidung

BUNDESGERICHTSHOF
IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
I ZR 187/12
Verkündet am:
24. September 2013
Führinger
Justizangestellte
als Urkundsbeamtin
der Geschäftsstelle
in dem Rechtsstreit
Nachschlagewerk:
ja
BGHZ:
nein
BGHR:
ja
Verrechnung von Musik in Werbefilmen
BGB §§ 276 Bd, 286 Abs. 4; UrhWG § 7
Einer Verwertungsgesellschaft ist beim Aufstellen und Ändern der Regeln eines
Verteilungsplanes nach § 7 Satz 1 UrhWG ein außerordentlich weiter, nur durch
das Willkürverbot begrenzter Beurteilungsspielraum eingeräumt. Überschreitet sie
diesen Beurteilungsspielraum, ist für die Frage, ob der Rechtsirrtum verschuldet
ist, der übliche Haftungsmaßstab des § 276 BGB maßgeblich. Der Rechtsirrtum ist
nicht allein deshalb unverschuldet, weil die Verwertungsgesellschaft ihre Ent-
scheidung mit Sorgfalt gebildet hat.
BGH, Urteil vom 24. September 2013 - I ZR 187/12 - KG Berlin
LG Berlin
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Der I. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat auf die mündliche Verhand-
lung vom 24. September 2013 durch den Vorsitzenden Richter Prof. Dr. Dr. h.c.
Bornkamm und die Richter Pokrant, Prof. Dr. Büscher, Prof. Dr. Schaffert und Dr.
Koch
für Recht erkannt:
Auf die Revision des Klägers wird das Urteil des 24. Zivilsenats des
Kammergerichts vom 27. August 2012 aufgehoben.
Die Sache wird zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch über
die Kosten der Revision, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.
Von Rechts wegen
Tatbestand:
Die Beklagte ist die Gesellschaft für musikalische Aufführungs- und mecha-
nische Vervielfältigungsrechte (GEMA). Sie nimmt die ihr von Komponisten, Text-
dichtern und Musikverlegern aufgrund von Berechtigungsverträgen eingeräumten
urheberrechtlichen Nutzungsrechte an Musikwerken wahr und verteilt die Einnah-
men aus der Verwertung der ihr eingeräumten Rechte an die Berechtigten auf der
Grundlage von Verteilungsplänen. Die Verteilungspläne werden von der Mitglie-
derversammlung der Beklagten beschlossen und bilden nach § 6 Buchst. a des
Berechtigungsvertrages auch mit künftigen Änderungen dessen Bestandteil.
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Der Kläger komponiert Werbemusik. Er hat mit der Beklagten einen Berech-
tigungsvertrag geschlossen. Nach Ziff. XIV (Verteilungsschlüssel für Fernsehsen-
dungen) der bei Abschluss des Berechtigungsvertrages geltenden
„Ausführungs-
bestimmungen zum Verteilungsplan für das Aufführungs- und Senderecht
“ war
Musik zu Werbespots unter Anwendung des Koeffizienten 3 zu verrechnen. Nach-
dem Diskussionen über die Verteilungsgerechtigkeit aufgekommen waren, be-
schloss der Aufsichtsrat der Beklagten, eine Änderung dieser Regelung auf der
Hauptversammlung zur Abstimmung zu stellen. Danach sollte künftig nur noch
Musik zu Werbespots (Wirtschaftswerbung) in den Genuss des Koeffizienten 3
kommen, während Musik in sonstigen Werbefilmen (Sender-Eigenwerbung, Direct
Response TV, Erotik-Telefondienste, Teleshopping, Dauerwerbesendungen) mit
dem Koeffizienten 1 verrechnet werden sollte. Der externe Rechtsberater des Auf-
sichtsrats und der zuständige Mitarbeiter der Aufsichtsbehörde (Deutsches Patent-
und Markenamt), die an allen Aufsichtsratssitzungen teilgenommen hatten, äußer-
ten keine Bedenken. Auf der Hauptversammlung am 24./25. Juni 2003 beschlos-
sen die Mitglieder der Beklagten die vorgeschlagene Änderung.
Der Kläger war der Ansicht, die beschlossene Änderung benachteilige ihn
als Komponisten von
„Musik in sonstigen Werbefilmen“ gegenüber Komponisten
von „Musik zu Werbespots“ ohne Grund. Er reichte deshalb im Jahr 2003 beim
Deutschen Patent- und Markenamt als der nach §§ 18, 19 UrhG zuständigen Auf-
sichtsbehörde Beschwerde gegen den Beschluss ein. Diese vertrat in ihrer Stel-
lungnahme vom 26. April 2004 die Ansicht, die beschlossene Änderung verstoße
nicht gegen das Willkürverbot des § 7 Satz 1 UrhWG. Ferner erhob der Kläger im
Jahr 2004 beim Landgericht Berlin Klage, mit der er die Feststellung beantragte,
dass die beschlossene Änderung nichtig sei. Das Landgericht wies die Klage
durch Urteil vom 22. Februar 2005 ab. Auf die Berufung des Klägers gab das
Kammergericht der Klage mit Urteil vom 8. Juli 2009 statt (KG, GRUR-RR 2010,
320). Zur Begründung führte es aus, die beschlossene Änderung sei gemessen an
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§ 7 Satz 1 UrhWG unwirksam, weil der geänderte Koeffizient zu sachlich nicht
mehr nachvollziehbaren Differenzierungen bei der Verteilung der Einnahmen führe
und deswegen als willkürlich anzusehen sei; die Beklagte habe keine Gründe dar-
ge
tan, die es rechtfertigen könnten, „Musik in sonstigen Werbefilmen“ gegenüber
„Musik zu Werbespots“ bei der Verteilung der Einnahmen erheblich abzuwerten.
Die Regelung sei daher auch unter dem Gesichtspunkt des kartellrechtlichen Dis-
kriminierungsverbots des § 20 Abs. 1 GWB unwirksam. Daraufhin zahlte die Be-
klagte dem Kläger für die Geschäftsjahre 2004 bis 2008
für seine „Musik in sonsti-
gen Werbefilmen“ im Verteilungsverfahren insgesamt 542.997,70 € nach.
Mit der vorliegenden - im Jahr 2010 erhobenen - Klage verlangt der Kläger
die Zahlung von Verzugszinsen auf die nachgezahlten Beträge. Er ist der Ansicht,
die Beklagte sei mit der Zahlung der nachgezahlten Tantiemen in Verzug gewe-
sen, weil sie diese nicht bereits zu den nach dem Kalender bestimmten Terminen
geleistet habe. Der Kläger hat - soweit noch von Bedeutung - beantragt, die Be-
klagte zu
verurteilen, an ihn 97.575,65 € zu zahlen.
Die Beklagte ist dem entgegengetreten. Sie macht geltend, sie sei nicht in
Verzug gewesen, weil sie die verspätete Leistung nicht zu vertreten habe; sie ha-
be sich in einem das Verschulden ausschließenden Rechtsirrtum über die Wirk-
samkeit der beschlossenen Änderung des Verteilungsplans befunden. Darüber
hinaus seien vor dem Ende des Jahres 2006 entstandene Ansprüche jedenfalls
verjährt.
Das Landgericht hat die Beklagte - unter Abweisung der Klage im Übrigen -
verurt
eilt, an den Kläger 80.652,15 € zu zahlen. Es hat angenommen, dem Kläger
stehe die Klageforderung (nur) insoweit zu, als die Zinsansprüche nach dem 1.
Januar 2007 entstanden seien; Zinsansprüche aus davor liegenden Zeiten seien
verjährt.
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Mit ihrer Berufung hat die Beklagte ihren Antrag auf vollständige Abweisung
der Klage weiterverfolgt. Mit seiner Anschlussberufung hat der Kläger - unter Er-
weiterung der Klage um Verzugszinsen
in Höhe von 8.072,74 € auf für die Ge-
schäftsjahre 2007 bis 2009 im Wertungsverfahren nachgezahlte Tantiemen - be-
antragt, die Beklagte zur Zahlung weiterer 24.996,24 € zu verurteilen. Das Beru-
fungsgericht hat auf die Berufung der Beklagten unter Zurückweisung der An-
schlussberufung des Klägers die Klage - auch, soweit sie zweitinstanzlich erwei-
tert worden ist - insgesamt abgewiesen.
Mit seiner vom Berufungsgericht zugelassenen Revision, deren Zurückwei-
sung die Beklagte beantragt, verfolgt der Kläger seine Anträge auf Zurückweisung
der Berufung der Beklagten und Verurteilung der Beklagten zur Zahlung zusätzli-
cher
24.996,24 € weiter.
Entscheidungsgründe:
I. Das Berufungsgericht hat angenommen, der Kläger könne die Zahlung
von Verzugszinsen auf die nachgezahlten Tantiemen nicht beanspruchen, weil die
Beklagte nicht in Verzug gewesen sei. Dazu hat es ausgeführt:
Die Beklagte habe die verspätete Zahlung nicht zu vertreten. Sie habe da-
rauf vertrauen dürfen, dass die beschlossene Änderung des Verteilungsplans, die
das Kammergericht später als unwirksam erachtet habe, wirksam sei. Zwar habe
ein Schuldner, der mit einer abweichenden Beurteilung durch das zuständige Ge-
richt rechnen müsse, einen Rechtsirrtum grundsätzlich auch dann zu vertreten,
wenn er seine Rechtsansicht sorgfältig gebildet habe. Handele es sich bei dem
Schuldner jedoch um eine Verwertungsgesellschaft, sei ein Verschulden bereits
dann auszuschließen, wenn diese ihr Urteil mit Sorgfalt gebildet habe. Bei einer
Verwertungsgesellschaft bestehe die Besonderheit, dass sie als Treuhänderin
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nicht eigennützig, sondern fremdnützig tätig werde und sich darüber hinaus bei
der Verteilung der Einnahmen in einem Pflichtenwiderstreit befinde. Auch der Be-
schlussfassung der Mitgliederversammlung vom 24./25. Juni 2003 habe ein sol-
cher Interessenkonflikt zugrunde gelegen. Die Beklagte habe nachgewiesen, sich
ihre Rechtsansicht über die Wirksamkeit der beschlossenen Änderung sorgfältig
gebildet zu haben. Dabei sei zu berücksichtigen, dass es sich bei dieser Änderung
um eine komplexe Abwägungsentscheidung ohne Präjudiz gehandelt habe. Hinzu
komme, dass die zuständige Aufsichtsbehörde diese Änderung durch Schreiben
vom 26. April 2004 ausdrücklich gebilligt und das Landgericht die Rechtsauffas-
sung der Beklagten mit Urteil vom 22. Februar 2005 bestätigt habe. Da der Kläger
mangels Verzugs der Beklagten schon dem Grunde nach keine Verzugszinsen
beanspruchen könne, brauche nicht entschieden zu werden, ob die von der Be-
klagten erhobene Verjährungseinrede durchgreife.
II. Die Revision des Klägers hat Erfolg. Mit der vom Berufungsgericht gege-
benen Begründung kann der Anspruch des Klägers auf Zahlung von Verzugszin-
sen auf die nachgezahlten Tantiemen nicht verneint werden. Die Beklagte kann
sich nicht mit Erfolg darauf berufen, sie habe es nicht zu vertreten, dass sie dem
Kläger die nachgezahlten Tantiemen nicht bereits zu den nach dem Kalender be-
stimmten Terminen gezahlt habe.
1. Verletzt der Schuldner durch Verzögerung der Leistung eine Pflicht aus
dem Schuldverhältnis, kann der Gläubiger nach § 280 Abs. 1 und 2 BGB Ersatz
des hierdurch entstehenden Schadens verlangen, soweit der Schuldner sich mit
der Leistung in Verzug befand. Der Schuldner kommt gemäß § 286 Abs. 1 Satz 1,
Abs. 2 Nr. 1 BGB in Verzug, wenn für die Leistung eine Zeit nach dem Kalender
bestimmt ist und er zu dieser Zeit nicht leistet; er kommt gemäß § 286 Abs. 4 BGB
nicht in Verzug, solange die Leistung infolge eines Umstands unterbleibt, den er
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nicht zu vertreten hat. Nach § 288 Abs. 1 Satz 1 BGB ist eine Geldschuld während
des Verzugs zu verzinsen.
2. Die Beklagte schuldete dem Kläger wegen der Verwertung sein
er „Musik
in sonstigen Werbefilmen“ nach dem Berechtigungsvertrag und dem Verteilungs-
plan für das Aufführungs- und Senderecht einschließlich der zugehörigen Ausfüh-
rungsbestimmungen die Zahlung von Tantiemen, deren Höhe unter Anwendung
des Koeffizienten 3 zu errechnen war. Da die Beklagte dem Kläger für die Ge-
schäftsjahre 2004 bis 2009 im Verteilungsverfahren und im Wertungsverfahren zu
den nach dem Kalender bestimmten Auszahlungsterminen lediglich Tantiemen
auszahlte, deren Höhe unter Anwendung des Koeffizienten 1 ermittelt war, war sie
mit der Zahlung der Unterschiedsbeträge bis zu deren Nachzahlung in Verzug.
Der Kläger kann daher grundsätzlich die Zahlung von Verzugszinsen auf diese
Beträge beanspruchen. Entgegen der Ansicht des Berufungsgerichts kann die Be-
klagte sich nicht mit Erfolg darauf berufen, sie habe die verzögerte Leistung nicht
zu vertreten.
a) Der Schuldner hat gemäß § 276 Abs. 1 Satz 1 BGB Vorsatz und Fahr-
lässigkeit zu vertreten, wenn eine strengere oder mildere Haftung weder bestimmt
noch aus dem Inhalt des Schuldverhältnisses zu entnehmen ist. Die Beklagte haf-
tet danach, wenn sie zumindest fahrlässig gehandelt hat. Die Beklagte macht oh-
ne Erfolg geltend, für sie müsse ein reduzierter Verschuldensmaßstab gelten, weil
sie bei der treuhänderischen Wahrnehmung der eingeräumten Nutzungsrechte
nicht eigennützig, sondern fremdnützig tätig werde.
Allerdings ist der Gedanke, dass derjenige, der nicht im eigenen Interesse,
sondern im Interesse eines Dritten handelt, beim Verschuldensmaßstab privilegiert
wird, dem Bürgerlichen Gesetzbuch nicht fremd. Dies zeigen Bestimmungen wie
die §§ 690, 708, 1359, 1664 in Verbindung mit § 277 BGB oder die §§ 521, 599,
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680, 968 BGB. Aus diesen besonderen Regelungen für bestimmte Rechtsverhält-
nisse lässt sich jedoch kein allgemeiner Grundsatz ableiten, dass für unentgeltli-
che oder uneigennützige Tätigkeiten eine Haftungsmilderung auf eigenübliche
Sorgfalt oder grobe Fahrlässigkeit besteht (vgl. BGH, Urteil vom 30. April 1959
- II ZR 126/57, BGHZ 30, 40, 46; Urteil vom 9. Juni 1992 - VI ZR 49/91, NJW
1992, 2474, 2475; Palandt/Grüneberg, BGB, 73. Aufl., § 276 Rn. 45).
b) Entgegen der Ansicht des Berufungsgerichts ist ein Verschulden der Be-
klagten nicht deshalb ausgeschlossen, weil sie nach sorgfältiger Prüfung der
Rechtslage davon ausgehen durfte, dass die beschlossene Änderung des Vertei-
lungsplans wirksam sei.
aa) Die Ansicht der Beklagten, die beschlossene Änderung des Vertei-
lungsplans sei wirksam und der Kläger habe daher keinen Anspruch auf Auszah-
lung einer unter Anwendung des Koeffizienten 3 errechneten Vergütung für
„Musik
in sonstigen Werbefilmen
“, beruhte auf einem Rechtsirrtum. Im Urteil des Kam-
mergerichts vom 8. Juli 2009 ist rechtskräftig festgestellt worden, dass die be-
schlossene Änderung des Verteilungsplans nichtig ist. Daraus folgt, dass die ur-
sprüngliche Regelung des Verteilungsplans weiterhin galt und der Kläger einen
Anspruch auf Auszahlung einer unter Anwendung des Koeffizienten 3 errechneten
Vergütung für
„Musik in sonstigen Werbefilmen“ hatte.
bb) Das Berufungsgericht ist zutreffend davon ausgegangen, dass ein
Schuldner, der mit einer abweichenden Beurteilung durch das zuständige Gericht
rechnen muss, einen Rechtsirrtum grundsätzlich auch dann zu vertreten hat, wenn
er seine Rechtsansicht sorgfältig gebildet hat.
Ein Rechtsirrtum ist nur dann entschuldigt, wenn der Irrende bei Anwen-
dung der im Verkehr erforderlichen Sorgfalt mit einer anderen Beurteilung durch
die Gerichte nicht zu rechnen brauchte. Bei einer zweifelhaften Rechtsfrage, in der
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sich noch keine einheitliche Rechtsprechung gebildet hat und die insbesondere
nicht durch höchstrichterliche Entscheidungen geklärt ist, geht das Sorgfaltserfor-
dernis zwar nicht so weit, dass aus der Sicht des rechtsirrig Handelnden die Mög-
lichkeit einer für ihn ungünstigen gerichtlichen Klärung undenkbar gewesen sein
müsste. Durch strenge Anforderungen an seine Sorgfalt muss indessen verhindert
werden, dass er das Risiko der zweifelhaften Rechtslage dem anderen Teil zu-
schiebt. Fahrlässig handelt daher, wer sich erkennbar in einem Grenzbereich des
rechtlich Zulässigen bewegt, in dem er eine von der eigenen Einschätzung abwei-
chende Beurteilung der rechtlichen Zulässigkeit des fraglichen Verhaltens in Be-
tracht ziehen muss (st. Rspr.; vgl. BGH, Urteil vom 6. Mai 1999 - I ZR 199/96,
BGHZ 141, 329, 345 f. - Tele-Info-CD, mwN; Urteil vom 29. Oktober 2009
- I ZR 168/06, GRUR 2010, 57 Tz. 42 = WRP 2010, 123 - Scannertarif; Urteil vom
29. April 2010 - I ZR 68/08, GRUR 2010, 623 Rn. 32 und 55 = WRP 2010, 927
- Restwertbörse I).
cc) Entgegen der Ansicht des Berufungsgerichts ist ein Rechtsirrtum einer
Verwertungsgesellschaft hinsichtlich der - hier in Rede stehenden - Beurteilung
der Wirksamkeit von Änderungen eines Verteilungsplans nicht bereits dann als
unverschuldet anzusehen, wenn die Verwertungsgesellschaft ihr Urteil mit Sorgfalt
gebildet hat.
(1) Die Verwertungsgesellschaft hat die Einnahmen aus ihrer Tätigkeit ge-
mäß § 7 Satz 1 Halbsatz 1 UrhWG nach festen Regeln (Verteilungsplan) aufzutei-
len. Das Berufungsgericht hat zutreffend angenommen, dass eine Verwertungs-
gesellschaft beim Aufstellen der Regeln eines Verteilungsplans - wie hier die Be-
klagte beim Aufstellen des Verteilungsplans für das Aufführungs- und Senderecht
- insofern in einem Interessenkonflikt steht, als sie dabei einander widerstreitende
Interessen unterschiedlicher Gruppen von Berechtigten zu berücksichtigen und
auszugleichen hat.
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Ein Berechtigter hat nach dem Berechtigungsvertrag einen Anspruch gegen
die Beklagte, mit einem Anteil an ihren Einnahmen beteiligt zu werden, der den Er-
lösen entspricht, die durch die Auswertung seiner Rechte erzielt wurden. Bei der
Wahrnehmung des Aufführungsrechts ist dies allerdings nicht in der Weise mög-
lich, dass die Erlöse jeweils genau den Aufführungen der einzelnen Werke zuge-
ordnet werden. Angesichts der Vielzahl von Werknutzern kann das Aufführungs-
recht im Allgemeinen wirksam nur kollektiv für die Gesamtheit der Berechtigten
und mit pauschalierenden Vergütungssätzen wahrgenommen werden. Die Beklag-
te kann dementsprechend das aus der treuhänderischen Auswertung der Rechte
Erlangte an die einzelnen Berechtigten nur in der Weise herausgeben, dass nach
bestimmten allgemeinen Verteilungsgrundsätzen jeweils ein möglichst leistungs-
gerechter Anteil an den Einnahmen ausgeschüttet wird (BGH, Urteil vom 19. Mai
2005 - I ZR 299/02, BGHZ 163, 119, 126 - PRO-Verfahren).
Die Beklagte muss daher beim Aufstellen der Regeln für die Verteilung der
Erlöse in gewissem Umfang typisieren und pauschalieren (vgl. BGH, Beschluss
vom 3. Mai 1988 - KVR 4/87, GRUR 1988, 782, 783 = WRP 1989, 85 - GEMA-
Wertungsverfahren; Urteil vom 13. Dezember 2001 - I ZR 41/99, GRUR 2002,
332, 333 = WRP 2002, 442 - Klausurerfordernis; Urteil vom 4. März 2004
- I ZR 244/01, GRUR 2004, 767, 769 = WRP 2004, 1184 - Verteilung des Vergü-
tungsaufkommens; BGHZ 163, 119, 130 - PRO-Verfahren; vgl. auch BVerfG, ZUM
1997, 555 f.). Dabei muss sie die Interessen der unterschiedlichen Gruppen von
Berechtigten bewerten und abwägen (BGH, GRUR 1988, 782, 784 f. - GEMA-
Wertungsverfahren). Sie steht beim Aufstellen von Verteilungsplänen, wie das Be-
rufungsgericht zutreffend angenommen hat, insofern in einem Interessenkonflikt,
als die Tantiemen, die sie an eine Gruppe von Berechtigten ausschüttet, bei der
Verteilung an die anderen Gruppen von Berechtigten nicht mehr zur Verfügung
stehen und durch unverhältnismäßige Ausschüttungen an eine Gruppe von Be-
rechtigten die anderen Gruppen von Berechtigten benachteiligt werden.
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(2) Der Beklagten muss wegen der unvermeidbaren Typisierungen und
Pauschalierungen und im Blick auf die notwendige Bewertung und Abwägung der
Interessen der betroffenen Berechtigten ein hinreichender Beurteilungs- und Er-
messensspielraum beim Aufstellen der Verteilungspläne zugebilligt werden (vgl.
BGH, GRUR 1988, 782, 784 f. - GEMA-Wertungsverfahren; BGHZ 163, 119, 128
f. - PRO-Verfahren).
Dieser Spielraum wird allerdings bereits durch die Regelung des § 7 Satz 1
Halbsatz 2 UrhWG geschaffen. Danach müssen die von der Verwertungsgesell-
schaft aufzustellenden Verteilungspläne (lediglich) ein willkürliches Vorgehen bei
der Verteilung ausschließen. Der Inhalt des Willkürverbots leitet sich aus dem all-
gemeinen Gleichheitssatz des Art. 3 Abs. 1 GG ab (Reinbothe in Schri-
cker/Loewenheim, Urheberrecht, 4. Aufl., § 7 UrhWG Rn. 3). Danach liegt Willkür
vor, wenn ohne zureichenden sachlichen Grund wesentlich Gleiches ungleich oder
wesentlich Ungleiches gleich behandelt wird (vgl. BVerfGE 1, 14, 52; 4, 144, 155;
90, 145, 195 f.). Damit ist der Verwertungsgesellschaft beim Aufstellen und Än-
dern der Regeln eines Verteilungsplans ein außerordentlich weiter Spielraum ein-
geräumt. Sie ist bei der Verteilung der Einnahmen grundsätzlich innerhalb der
Grenzen der Willkür frei.
Es ist daher nicht gerechtfertigt, einer Verwertungsgesellschaft, die beim
Aufstellen eines Verteilungsplans die Grenzen der Willkür überschritten hat, auch
noch einen milderen als den üblichen Haftungsmaßstab zuzubilligen. Nichts ande-
res folgt entgegen der Ansicht des Berufungsgerichts daraus, dass der Bundesge-
richtshof es einem Verwalter von Wohnungseigentum, der bei der Beurteilung der
Frage, ob ein wichtiger Grund zur Versagung der Zustimmung zu einer baulichen
Veränderung vorliegt, einem Rechtsirrtum erlegen war, kein Verschulden angelas-
tet hat, weil er die Rechtsfrage mit der erforderlichen Sorgfalt geprüft hatte (BGH,
Beschluss vom 21. Dezember 1995 - V ZB 4/94, BGHZ 131, 346, 353 ff.). Der
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Bundesgerichtshof hat diese Ausnahme von den strengen Anforderungen an die
Entschuldbarkeit eines Rechtsirrtums damit begründet, dass der Verwalter nicht
im eigenen Interesse handelt, sondern fremde Interessen wahrnimmt und sich im
Blick auf die Notwendigkeit, eine Zustimmung entweder erteilen oder versagen zu
müssen, in einem nicht lösbaren Pflichtenwiderstreit befindet. Ihm stehe deshalb
bei Rechtszweifeln über das Vorliegen eines wichtigen Grundes ein Beurteilungs-
spielraum offen. Diese Grundsätze lassen sich entgegen der Ansicht des Beru-
fungsgerichts schon deshalb nicht auf das Aufstellen von Verteilungsplänen durch
eine Verwertungsgesellschaft übertragen, weil der Verwertungsgesellschaft - an-
ders als dem Wohnungseigentumsverwalter - bereits kraft Gesetzes ein nur durch
willkürliches Verhalten begrenzter Beurteilungsspielraum eingeräumt ist.
c) Die Beklagte kann sich danach nicht mit Erfolg darauf berufen, sie habe
die verspätete Auszahlung der Tantiemen nicht zu vertreten. Ihr Verschulden
ergibt sich daraus, dass sie sich erkennbar in einem Grenzbereich des rechtlich
Zulässigen bewegt hat, in dem sie eine von der eigenen Einschätzung abwei-
chende Beurteilung der rechtlichen Zulässigkeit ihres Verhaltens in Betracht zie-
hen musste. Sie musste damit rechnen, dass das zuständige Gericht die be-
schlossene Änderung des Verteilungsplans als unwirksam erachtet, weil sie gegen
das Willkürverbot des § 7 Satz 1 UrhWG verstößt.
aa) Die Beklagte macht vergeblich geltend, an der Rechtskraft des Feststel-
lungsurteils des Kammergerichts vom 8. Juli 2009 nehme nur die im Tenor festge-
stellte Nichtigkeit der beschlossenen Änderung des Verteilungsplans teil, nicht
aber die dafür im Urteil gegebene Begründung eines Verstoßes gegen das Will-
kürverbot des § 7 Satz 1 UrhWG und das Diskriminierungsverbot des § 20 Abs. 1
GWB. Der Umfang der Rechtskraft eines Feststellungsurteils ist zwar in erster Li-
nie dem Entscheidungssatz zu entnehmen (BGH, Urteil vom 14. Februar 2008
- I ZR 135/05, GRUR 2008, 933 Rn. 13 = WRP 2008, 1227 - Schmiermittel, mwN);
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dagegen erstreckt sich die Rechtskraft eines Urteils nicht auf einzelne Urteilsele-
mente, tatsächliche Feststellungen und rechtliche Folgerungen, auf denen die ge-
troffene Entscheidung aufbaut (BGH, Urteil vom 31. Mai 2012 - I ZR 45/11, GRUR
2012, 949 Rn. 36 = WRP 2012, 1086 - Missbräuchliche Vertragsstrafe, mwN). Die
Ausführungen der Revision geben jedoch keinen Anlass, die vom Kammergericht
für seine Entscheidung gegebene Begründung in Frage zu stellen.
bb) Die Umstände, denen das Berufungsgericht entnommen hat, die Be-
klagte habe ihr Urteil mit Sorgfalt gebildet, rechtfertigen nicht die Annahme, die
Beklagte habe sich nicht erkennbar in einem Grenzbereich des rechtlich Zulässi-
gen bewegt, in dem sie eine von der eigenen Einschätzung abweichende Beurtei-
lung der rechtlichen Zulässigkeit ihres Verhaltens hätte in Betracht ziehen müs-
sen.
Gerade weil es sich nach den Feststellungen des Berufungsgerichts um ei-
ne komplexe Abwägungsentscheidung ohne Präjudiz handelte, bei der die gesam-
te Vielfalt der gegensätzlichen Interessen der jeweiligen Berechtigten zu berück-
sichtigen und die Rechtslage zweifelhaft und nicht eindeutig geklärt war, musste
die Beklagte damit rechnen, dass das zuständige Gericht die beschlossene Ände-
rung des Verteilungsplans als unwirksam erachtet.
Die Beklage durfte auch nicht deshalb auf die Wirksamkeit der beschlosse-
nen Änderung des Verteilungsplans vertrauen, weil die nach §§ 18, 19 UrhWG zu-
ständige Aufsichtsbehörde, das Deutsche Patent- und Markenamt, diese Ände-
rung in ihrer Stellungnahme vom 26. April 2004 ausdrücklich gebilligt hatte. Die
Billigung durch die Aufsichtsbehörde räumte nicht die Möglichkeit aus, dass das
vom Kläger angerufene Gericht die Wirksamkeit des Verteilungsplans anders als
die Aufsichtsbehörde und die Beklagte beurteilt. Hinzu kommt, dass die Aufsichts-
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behörde die Änderung des Verteilungsplans zwar im Ergebnis gebilligt, in der Be-
gründung ihrer Entscheidung aber gleichwohl rechtliche Bedenken aufgezeigt hat.
Es entlastet die Beklagte auch nicht, dass das Landgericht Berlin ihre
Rechtsauffassung in seinem Urteil vom 22. Februar 2005 bestätigt hat. Dieser
Umstand ändert ebenfalls nichts daran, dass die Beklagte mit einer abweichenden
Beurteilung durch das letztinstanzlich entscheidende Gericht rechnen musste. Der
Bundesgerichtshof hat zwar in Amtshaftungssachen den Grundsatz entwickelt,
dass einen Beamten in der Regel kein Verschulden trifft, wenn ein mit mehreren
Berufsrichtern besetztes Kollegialgericht die Amtstätigkeit als objektiv rechtmäßig
angesehen hat (st. Rspr.; vgl. nur BGH, Urteil vom 4. November 2010
- III ZR 32/10, BGHZ 187, 286 Rn. 36 mwN; vgl. auch BGH, Urteil vom 20. Mai
2009 - I ZR 239/06, GRUR 2009, 864 Rn. 20 = WRP 2009, 1143 - CAD-Software).
Einer entsprechenden Anwendung dieses Grundsatzes auf die Tätigkeit der Be-
klagten steht jedoch entgegen, dass der Beklagten bei der Erfüllung ihrer gesetzli-
chen Verpflichtung zum Aufstellen von Verteilungsplänen - anders als Amtsträgern
bei der Erfüllung ihrer Verpflichtungen - ein weitgehender Beurteilungs- und Er-
messensspielraum eingeräumt ist, der grundsätzlich allein durch das Willkürverbot
begrenzt wird.
III. Danach ist das Berufungsurteil auf die Revision des Klägers aufzuhe-
ben. Der Senat kann in der Sache nicht selbst entscheiden. Das Berufungsgericht
hat - von seinem Standpunkt aus folgerichtig - keine Feststellungen dazu getrof-
fen, ob die von der Beklagten erhobene Verjährungseinrede durchgreift. Die Sa-
che ist daher zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht
zurückzuverweisen.
IV. Für das weitere Verfahren weist der Senat darauf hin, dass die Beklagte
gemäß § 214 Abs. 1 BGB berechtigt ist, die Zahlung von Verzugszinsen auf Tanti-
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emen zu verweigern, bei denen die Ansprüche auf Auszahlung der Tantiemen bis
Ende des Jahres 2006 im Sinne von § 199 Abs. 1 Nr. 1 BGB entstanden sind, weil
insoweit nach § 217 BGB - mit der unter IV 4 angeführten Einschränkung für das
Geschäftsjahr 2005 - Verjährung eingetreten ist.
1. Gemäß § 217 BGB verjährt mit dem Hauptanspruch der Anspruch auf die
von ihm abhängenden Nebenleistungen.
2. Bei Verzugszinsen handelt es sich um vom Hauptanspruch abhängige
Nebenleistungen im Sinne des § 217 BGB (vgl. OLG Koblenz, NJW-RR 1999,
638; Palandt/Ellenberger aaO § 217 Rn. 1).
3. Die Auffassung des Landgerichts, § 217 BGB könne hier nicht angewen-
det werden, weil der Kläger den Anspruch auf Verzugszinsen nicht als Nebenfor-
derung, sondern eigenständig als Hauptforderung geltend mache, trifft nicht zu.
Sie findet - wie die Beklagte mit Recht geltend macht - schon keine Stütze im
Wortlaut der Norm und ist darüber hinaus mit Sinn und Zweck des § 217 BGB un-
vereinbar. Die Vorschrift soll den Schuldner davor schützen, sich zur Verteidigung
gegen abhängige Nebenleistungen zum verjährten Anspruch selbst materiell ein-
lassen zu müssen, was dem Rechtsgedanken der Verjährung zuwiderliefe (vgl.
Begründung zum Regierungsentwurf eines Gesetzes zur Modernisierung des
Schuldrechts, BT-Drucks. 14/6040, S. 124). Die Anwendung des § 217 BGB kann
daher nicht davon abhängen, ob der Gläubiger Haupt- und Nebenforderung in ei-
ner Klage oder in zwei eigenständigen Klagen geltend macht. Hinzu kommt, dass
der Schuldner ansonsten gezwungen wäre, eine bereits verjährte Hauptforderung
zu erfüllen, wenn er verhindern will, dass fortlaufend weitere Verzugszinsen anfal-
len.
4. Die bis zum Ende des Jahres 2006 entstandenen Ansprüche des Klägers
auf Nachzahlung der Differenz zwischen den ausgezahlten und den geschuldeten
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Tantiemen für die Geschäftsjahre 2004 und 2005 sind zum Ende des Jahres 2009
verjährt, soweit die Beklagte für das Geschäftsjahr 2005 die Forderung des Klä-
gers nicht durch Zahlung der Tantiemen im Jahr 2009 gemäß § 212 Abs. 1 Nr. 1
BGB anerkannt hat (dazu sogleich unter a bis c). Damit sind auch die Ansprüche
des Klägers auf Zahlung von Verzugszinsen auf diese Beträge zum Ende des Jah-
res 2009 verjährt. Die Erhebung der vorliegenden Klage auf Zahlung von Ver-
zugszinsen im Jahre 2010 konnte die Verjährung dieser Ansprüche nicht mehr
nach § 204 Abs. 1 Nr. 1 BGB hemmen. Dem Kläger stehen hinsichtlich der Haupt-
forderungen aus den Geschäftsjahren 2004 und 2005 - soweit die Forderungen
aus dem Geschäftsjahr 2005 nicht in unverjährter Zeit durch Zahlung im Jahr 2009
im Sinne von § 212 Abs. 1 Nr. 1 BGB anerkannt worden sind - daher keine Ver-
zugszinsen zu, und zwar - entgegen der Ansicht des Landgerichts - auch nicht für
Zeiten nach dem Ende des Jahres 2006.
a) Für den Anspruch des Klägers auf Auszahlung von Tantiemen gilt die re-
gelmäßige Verjährungsfrist des § 195 BGB von drei Jahren. Die regelmäßige Ver-
jährungsfrist beginnt nach § 199 Abs. 1 BGB mit dem Schluss des Jahres in dem
(erstens) der Anspruch entstanden ist und (zweitens) der Gläubiger von den den
Anspruch begründenden Umständen und der Person des Schuldners Kenntnis er-
langt oder ohne grobe Fahrlässigkeit erlangen müsste.
b) Im vorliegenden Fall hatte der Kläger hinsichtlich der bis zum Ende des
Jahres 2006 entstandenen Ansprüche auf Auszahlung von Tantiemen Kenntnis
nicht nur von der Beklagten als Schuldnerin, sondern auch von den diese Ansprü-
che begründenden Umständen.
aa) Diese Kenntnis liegt im Allgemeinen vor, wenn dem Kläger die Erhe-
bung einer Klage, sei es auch nur in Form der Feststellungsklage, erfolgverspre-
chend, wenn auch nicht risikolos, möglich ist (BGH, Urteil vom 3. Juni 2008
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- XI ZR 319/06, NJW 2008, 2576 Rn. 27). Nicht erforderlich ist in der Regel, dass
der Gläubiger aus den ihm bekannten Tatsachen die zutreffenden rechtlichen
Schlüsse zieht. Nur ausnahmsweise kann die Rechtsunkenntnis des Gläubigers
den Verjährungsbeginn hinausschieben, wenn eine unsichere und zweifelhafte
Rechtslage vorliegt, die selbst ein rechtskundiger Dritter nicht zuverlässig einzu-
schätzen vermag. In diesem Fall fehlt es an der Zumutbarkeit der Klageerhebung
als übergreifender Voraussetzung für den Verjährungsbeginn (BGH, Urteil vom
20. Januar 2009 - XI ZR 504/07, BGHZ 179, 260 Rn. 47; Urteil vom 7. Dezember
2010 - XI ZR 348/09, NJW 2011, 1278 Rn. 15, jeweils mwN). Eine unsichere oder
zweifelhafte Rechtslage besteht allerdings nicht schon dann, wenn noch keine
höchstrichterliche Entscheidung zu einer bestimmten Frage vorliegt. Vielmehr ist
dafür ein ernsthafter Meinungsstreit in Rechtsprechung und Schrifttum erforderlich
(BGH, NJW 2011, 1278 Rn. 21).
bb) Der Kläger hatte vor dem Ende des Jahres 2006 ausreichende Kenntnis
der den Anspruch auf Auszahlung der Differenzbeträge begründenden Umstände.
Das ergibt sich bereits daraus, dass er schon im Jahr 2003 Beschwerde gegen
den Beschluss der Mitgliederversammlung der Beklagten vom 24./25. Juni 2003
eingereicht und im Jahr 2004 Klage auf Feststellung der Unwirksamkeit der be-
schlossenen Änderung des Verteilungsplans erhoben hat. Eine mögliche Unsi-
cherheit des Klägers hinsichtlich des Erfolgs seiner Beschwerde und seiner Klage
hätte nicht auf einer unsicheren und zweifelhaften Rechtslage im Sinne der Recht-
sprechung des Bundesgerichtshofs beruht und den Verjährungsbeginn daher nicht
hinausschieben können. Der Kläger hat nicht dargelegt, dass insoweit ein ernst-
hafter Meinungsstreit in Rechtsprechung und Schrifttum bestand. Ihm war es da-
her möglich und zumutbar, jedenfalls vor dem Ende des Jahres 2006 zumindest
Klage auf Feststellung der Verpflichtung der Beklagten zur Auszahlung der Diffe-
renzbeträge zu erheben.
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c) Die vom Kläger im Jahr 2004 erhobene Klage auf Feststellung der Nich-
tigkeit der beschlossenen Änderung des Verteilungsplans hat den Lauf der Verjäh-
rung des Anspruchs auf Auszahlung von Tantiemen nicht gehemmt. Die Verjäh-
rung wird zwar nach § 204 Abs. 1 Nr. 1 Fall 2 BGB durch die Erhebung der Klage
auf Feststellung des Anspruchs gehemmt. Die Erhebung der Klage hemmt die
Verjährung jedoch nur für Ansprüche in der Gestalt und in dem Umfang, wie sie
mit der Klage geltend gemacht werden, also nur für den streitgegenständlichen
prozessualen Anspruch (st. Rspr.; vgl. nur BGH, Urteil vom 4. Mai 2005
- VIII ZR 93/04, NJW 2005, 2004, 2005; vgl. auch BAG, Urteil vom 1. Februar
1960 - 5 AZR 20/58, NJW 1960, 838, jeweils mwN). Danach ist durch die Erhe-
bung der Klage auf Feststellung der Nichtigkeit der beschlossenen Änderung des
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Verteilungsplans keine Hemmung der Verjährung des Anspruchs auf Auszahlung
von Tantiemen eingetreten, da diese einen anderen prozessualen Anspruch be-
trifft.
VRiBGH Prof. Dr. Dr. h.c. Bornkamm
Pokrant
Büscher
hat Urlaub und ist deshalb an der Un-
terschrift gehindert.
Pokrant
Schaffert
Koch
Vorinstanzen:
LG Berlin, Entscheidung vom 31.05.2011 - 16 O 119/10 -
KG Berlin, Entscheidung vom 27.08.2012 - 24 U 89/11 -