Urteil des BGH vom 28.11.2013

Meilensteine der Psychologie Leitsatzentscheidung

BUNDESGERICHTSHOF
IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
I Z R 7 6 / 1 2
Verkündet am:
28. November 2013
Führinger
Justizangestellte
als Urkundsbeamtin
der Geschäftsstelle
in dem Rechtsstreit
Nachschlagewerk:
ja
BGHZ:
nein
BGHR:
ja
Meilensteine der Psychologie
UrhG § 52a Abs. 1 Nr. 1
a) Werden von einem Sprachwerk höchstens 12% der Seiten des gesamten
Werkes und nicht mehr als 100 Seiten zur Veranschaulichung im Unterricht
an einer Hochschule öffentlich zugänglich gemacht, handelt es sich dabei um
im Sinne von § 52a Abs. 1 Nr.
1 UrhG „kleine“ Teile eines Werkes. Bei der
Prüfung, ob danach kleine Teile eines Werkes öffentlich zugänglich gemacht
worden sind, sind sämtliche Seiten zu berücksichtigen, die keine Leerseiten
sind und deren Inhalt überwiegend aus Text besteht.
b) Das Öffentlich-Zugänglichmachen dient schon dann im Sinne von § 52a
Abs. 1 Nr.
1 UrhG der „Veranschaulichung“ im Unterricht, wenn der Lehrstoff
dadurch verständlicher dargestellt und leichter erfassbar wird. Das ist auch
dann der Fall, wenn die Lektüre der zugänglich gemachten Texte dazu ge-
eignet ist, den im Unterricht behandelten Lehrstoff zu vertiefen oder zu er-
gänzen.
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c) Die Schrankenregelung des § 52a Abs. 1 Nr. 1 UrhG erlaubt nicht nur ein Be-
reithalten kleiner Teile eines Werkes zum Lesen am Bildschirm. Vielmehr ge-
stattet sie ein Zugänglichmachen kleiner Teile eines Werkes auch dann,
wenn Unterrichtsteilnehmern dadurch ermöglicht wird, diese Texte auszudru-
cken oder abzuspeichern und damit zu vervielfältigen.
d) Das Öffentlich-Zugänglichmachen ist nicht zu dem jeweiligen Zweck im Sin-
ne von § 52a Abs. 1 Nr. 1 UrhG geboten und damit unzulässig, wenn der
Rechtsinhaber die Werke oder Werkteile in digitaler Form für die Nutzung im
Netz der jeweiligen Einrichtung zu angemessenen Bedingungen anbietet.
Das setzt allerdings nicht nur voraus, dass die geforderte Lizenzgebühr an-
gemessen ist, sondern auch, dass das Lizenzangebot unschwer aufzufinden
ist und die Verfügbarkeit des Werkes oder der Werkteile schnell und unprob-
lematisch gewährleistet ist (Anschluss an BGH, Urteil vom 20. März 2013
- I ZR 84/11, GRUR 2013, 1220 = WRP 2013, 1627 - Gesamtvertrag Hoch-
schul-Intranet).
BGH, Urteil vom 28. November 2013 - I ZR 76/12 - OLG Stuttgart
LG Stuttgart
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Der I. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat auf die mündliche Verhand-
lung vom 28. November 2013 durch den Vorsitzenden Richter Prof. Dr. Dr. h.c.
Bornkamm und die Richter Pokrant, Prof. Dr. Büscher, Dr. Koch und Dr. Löffler
für Recht erkannt:
Auf die Revision der Beklagten wird das Urteil des 4. Zivilsenats
des Oberlandesgerichts Stuttgart vom 4. April 2012 aufgehoben.
Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil der 17. Zivilkam-
mer des Landgerichts Stuttgart vom 27. September 2011 abge-
ändert, soweit das Landgericht die Beklagte verurteilt hat, es zu
unterlassen, Teile des Werkes „Meilensteine der Psychologie“
ohne Zustimmung des Klägers zu verbreiten und/oder durch Drit-
te elektronisch vervielfältigen, verbreiten und öffentlich zugäng-
lich machen zu lassen (Tenor zu 1) sowie hinsichtlich dieser
Handlungen Auskunft zu erteilen (Tenor zu 2) und Schadenser-
satz zu leisten (Tenor zu 3).
Im Umfang der Abänderung wird die Klage abgewiesen.
Im Übrigen wird die Sache zur neuen Verhandlung und Ent-
scheidung, auch über die Kosten der Revision, an das Beru-
fungsgericht zurückverwiesen.
Von Rechts wegen
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Tatbestand:
Der Kläger ist ein Verlag. Er ist Inhaber aller urheberrechtlichen Nut-
zungsrechte an dem von ihm verlegten Werk
„Meilensteine der Psychologie“,
das die Geschichte der Psychologie in einzelnen Beiträgen zu 73
„Wegbereitern
der Psychologie
“ darstellt. Das Buch hat - einschließlich Inhaltsverzeichnis,
Vorwort, Einleitung, Literaturverzeichnis, Namensregister und Sachregister -
533 Seiten, von denen fünf Leerseiten sind. Es richtet sich an psychologisch In-
teressierte, Studierende und Fachleute.
Die Beklagte ist die einzige staatliche Fernuniversität in Deutschland. Sie
hat mehr als 4.000 Studierenden, die im Wintersemester 2008/2009 und Som-
mersemester 2009 im Bachelor-Studiengang Psychologie den Kurs
„Einführung
in die Psychologie und ihre Geschichte
“ belegt hatten, 14 vollständige Beiträge
mit insgesamt 91 Seiten des Buches
„Meilensteine der Psychologie“ auf einer
elektronischen Lernplattform als PDF-Datei zum Lesen, Ausdrucken und Ab-
speichern zur Verfügung gestellt. Im Wintersemester 2009/2010 und Sommer-
semester 2010 hat sie den Umfang der zur Verfügung gestellten Texte auf neun
vollständige Beiträge mit insgesamt 70 Seiten beschränkt. Nach einer Abmah-
nung durch den Kläger hat sie ferner dafür gesorgt, dass die Texte nur noch ge-
lesen und ausgedruckt und nicht mehr abgespeichert werden konnten. Die Be-
klagte hat ein Angebot des Klägers zum Abschluss eines Lizenzvertrages abge-
lehnt, wonach sie gegen Zahlung einer Vergütung von 0,10
€ pro Seite, Nutzer
und Lerneinheit berechtigt sein sollte, registrierten Nutzern die Beiträge elektro-
nisch zur Verfügung zu stellen.
Der Kläger ist der Ansicht, die Beklagte habe in das Urheberrecht an
dem Werk
„Meilensteine der Psychologie“ eingegriffen, ohne hierzu nach der
Schrankenregelung des § 52a UrhG berechtigt zu sein.
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Der Kläger hat beantragt,
1. die Beklagte unter Androhung von Ordnungsmitteln zu verurteilen, es zu un-
terlassen, Teile des Werkes
„Meilensteine der Psychologie“, ISBN 978-3-
520-33401-5, ohne seine Zustimmung elektronisch zu vervielfältigen, zu
verbreiten, öffentlich zugänglich zu machen und/oder solche Handlungen
durch Dritte begehen zu lassen, indem sie
a) ihren Studierenden ermöglicht, die Werkteile als elektronische Datei her-
unterzuladen und auf Datenträgern zu speichern, und/oder
b) ihren Studierenden den Abruf der Werkteile in elektronischer Form ohne
die Möglichkeit der Speicherung ermöglicht, und/oder
c) ihren Studierenden ermöglicht, die nach a) oder b) zur Verfügung gestell-
ten Werkteile ganz oder teilweise auszudrucken,
sofern der Umfang des Werkteils insgesamt mehr als drei Seiten umfasst;
hilfsweise: sofern der Umfang des Werkteils insgesamt mehr als 48 Seiten
umfasst;
höchst hilfsweise: sofern der Werkteil die nachfolgenden Kapitel des Werkes
umfasst: Sokrates, Platon, Aristoteles, Augustinus, von Aquin, Descartes,
Hume, Herbart, Dilthey, Galton, Ebbinghaus, Pawlow, James und Wygotski;
2. die Beklagte zu verurteilen, ihm Auskunft über den Umfang der rechtsverlet-
zenden Handlungen nach vorstehender Ziffer 1 zu erteilen, insbesondere
unter Angabe der Zeitpunkte und Zeiträume der öffentlichen Zugänglichma-
chung und der Anzahl der Zugriffe auf die jeweiligen Werkteile seit dem
Zeitpunkt ihrer öffentlichen Zugänglichmachung;
3. festzustellen, dass die Beklagte verpflichtet ist, ihm sämtliche Schäden zu
ersetzen, die ihm aus den in Ziffer 1 beschriebenen Handlungen bereits ent-
standen sind oder künftig noch entstehen werden;
4. die Beklagte zu verurteilen, ihm
1.580 € nebst 5% Zinsen seit Klageerhe-
bung zu bezahlen.
Das Landgericht hat dem Unterlassungsantrag zu 1a nach dem Hauptan-
trag (Verbot der Ermöglichung des Herunterladens und Speicherns von mehr
als drei Seiten) und den Unterlassungsanträgen zu 1b und 1c nach dem ersten
Hilfsantrag (Verbot der Ermöglichung des Abrufs ohne Speicherung sowie des
Ausdrucks von mehr als 48 Seiten) und den darauf bezogenen Anträgen zu 2
und 3 auf Auskunftserteilung und Feststellung der Schadensersatzpflicht sowie
dem Zahlungsantrag zu 4 in
Höhe von 1.185 € nebst 5% Zinsen seit dem
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10. Februar 2011 stattgegeben und die Klage im Übrigen abgewiesen (LG
Stuttgart, GRUR-RR 2011, 419).
Mit der Berufung hat der Kläger seinen Klageantrag einschließlich der
Hilfsanträge und die Beklagte ihren Klageabweisungsantrag weiterverfolgt. Das
Berufungsgericht hat auf die Berufung des Klägers unter Zurückweisung der
Berufung der Beklagten das landgerichtliche Urteil abgeändert und der Klage in
vollem Umfang stattgegeben (OLG Stuttgart, GRUR 2012, 718).
Mit ihrer vom Berufungsgericht zugelassenen Revision, deren Zurück-
weisung der Kläger beantragt, verfolgt die Beklagte ihren Klageabweisungsan-
trag weiter.
Entscheidungsgründe:
A. Das Berufungsgericht hat angenommen, die Klage sei nach dem
Hauptantrag begründet, weil die von der Beklagten gewählte Art des Öffentlich-
Zugänglichmachens nicht von der Schrankenregelung des § 52a Abs. 1 Nr. 1
UrhG gedeckt sei. Dazu hat es ausgeführt:
Die von der Beklagten auf der Lernplattform eingestellten Texte könnten
nicht als im Sinne von § 52a Abs. 1 Nr.
1 UrhG „kleine“ Teile des Werkes „Mei-
lensteine der Psychologie“ angesehen werden. Der Begriff „kleine Teile eines
Werkes“ könne nicht allein nach dem Verhältnis der öffentlich zugänglich ge-
machten Stellen zum Gesamtwerk bestimmt werden; vielmehr bedürfe es einer
Abwägung im Einzelfall und der Festsetzung einer absoluten Obergrenze. Im
Streitfall sei zu berücksichtigen, dass das Buch aus einer Aneinanderreihung
von Einzelbeiträgen bestehe, von denen zunächst 14 und später neun jeweils
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vollständig veröffentlicht worden seien. Diese Einzelbeiträge könnten nicht als
Werke geringen Umfangs angesehen werden.
Das Einstellen der Beiträge auf der Lernplattform habe auch nicht wie
von § 52a Abs. 1 Nr. 1 UrhG vorausgesetzt der Veranschaulichung im Unter-
richt gedient. Da die Beklagte als Fernuniversität keine Lehrveranstaltungen
durchführe, bestehe der Unterricht aus den Studienbriefen. Die Beiträge hätten
nicht zur Verdeutlichung, sondern zur Ergänzung der Studienbriefe gedient; die
Beklagte habe damit einen anderen Blickwinkel und eine andere Sichtweise
vermittelt und sich eine eigene ausführlichere Darstellung in den Studienbriefen
erspart.
Das Öffentlich-Zugänglichmachen der Teile des Werkes sei nicht im Sin-
ne von § 52a Abs. 1 Nr. 1 UrhG geboten gewesen und halte dem Dreistufentest
des Art. 5 Abs. 5 der Richtlinie 2001/29/EG zur Harmonisierung bestimmter As-
pekte des Urheberrechts und der verwandten Schutzrechte in der Informations-
gesellschaft nicht stand. Das Erfordernis der Beschränkung des Zugänglichma-
chens auf bestimmte Sonderfälle sei nicht erfüllt; da es um den Sonderfall in der
Ausnahme gehe, könne dieser nicht in der Veranschaulichung im Unterricht
oder der Zugänglichmachung liegen. Das Zugänglichmachen beeinträchtige die
normale Verwertung des Werkes; da nur die auf der Lernplattform eingestellten
Beiträge Pflichtlektüre und Prüfungsgegenstand seien, sei ein Erwerb des Bu-
ches für die Studierenden nicht mehr erforderlich. Unter diesen Umständen
würden auch die berechtigten Interessen der Rechtsinhaber ungebührlich ver-
letzt.
Es könne offenbleiben, ob das Zugänglichmachen der Texte im Blick auf
das Lizenzangebot des Klägers nicht geboten gewesen sei. Zwar seien ange-
messene Lizenzangebote gegenüber Schrankenregelungen vorrangig. Es müs-
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se jedoch nicht festgestellt werden, ob das Lizenzangebot des Klägers ange-
messen sei, denn das Zugänglichmachen sei schon aus anderen Gründen nicht
geboten.
Die Schrankenregelung des § 52a Abs. 1 Nr. 1 UrhG erlaube nur ein Be-
reithalten zum Lesen am Bildschirm und nicht das Einräumen der Möglichkeit
zum Abspeichern oder Ausdrucken der Texte.
B. Die gegen diese Beurteilung gerichtete Revision der Beklagten hat Er-
folg. Die Annahme des Berufungsgerichts, die Klage sei nach dem Hauptantrag
begründet, hält einer rechtlichen Nachprüfung nicht stand. Mit der vom Beru-
fungsgericht gegebenen Begründung kann eine Haftung der Beklagten weder
als Täter für eine eigene Urheberrechtsverletzung (dazu II) noch als Teilnehmer
oder Störer für eine von Studierenden begangene Urheberrechtsverletzung
(dazu III) bejaht werden.
I. Mit der vom Berufungsgericht gegebenen Begründung kann eine Haf-
tung der Beklagten als Täter nicht bejaht werden.
1. Die vom Kläger geltend gemachten Ansprüche auf Unterlassung (§ 97
Abs. 1 Satz 1 UrhG), Auskunftserteilung (§ 242 BGB), Feststellung der Scha-
densersatzpflicht (§ 97 Abs. 2 UrhG) und Erstattung von Abmahnkosten (§ 97a
Abs. 1 Satz 2 UrhG aF) setzen voraus, dass die Beklagte das Urheberrecht an
dem Buch
„Meilensteine der Psychologie“ widerrechtlich verletzt hat.
2. Zwischen den Parteien steht außer Streit, dass es sich bei dem vom
Kläger verlegten Buch um ein urheberechtlich geschütztes Sprachwerk handelt
(§ 2 Abs. 1 Nr. 1, Abs. 2 UrhG). Ferner ist unstreitig, dass der Kläger als Inha-
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ber der urheberrechtlichen Nutzungsrechte zur Geltendmachung der erhobenen
Ansprüche berechtigt ist.
3. Die Beklagte hat auch in das Urheberrecht an diesem Werk eingegrif-
fen. Sie hat die in Rede stehenden Beiträge aus dem
Buch „Meilensteine der
Psychologie“ mehr als 4.000 Studierenden auf einer elektronischen Lernplatt-
form zur Verfügung gestellt. Dadurch hat sie in das ausschließliche Recht der
Urheber dieser Beiträge eingegriffen, ihr Werk zu vervielfältigen (§ 15 Abs. 1
Nr. 1, § 16 UrhG) und es öffentlich zugänglich zu machen und damit öffentlich
wiederzugeben (§ 15 Abs. 2 Satz 1 und 2 Nr. 2, § 19a UrhG). Sie hat die Bei-
träge dagegen nicht verbreitet (§ 15 Abs. 1 Nr. 2, § 17 UrhG), da das Einstellen
auf der Lernplattform nicht mit einer Übertragung des Eigentums verbunden ist
und daher keine Vervielfältigungsstücke der Beiträge angeboten oder in Ver-
kehr gebracht worden sind (vgl. EuGH, Urteil vom 17. April 2008 - C-256/06,
Slg. 2008, I-2731 = GRUR 2008, 604 Rn. 36 - Peek & Cloppenburg/Cassina;
BGH, Urteil vom 22. Januar 2009 - I ZR 247/03, GRUR 2009, 840 Rn. 21 =
WRP 2009, 1127 - Le-Corbusier-Möbel II). Soweit der Kläger der Beklagten ein
Verbreiten von Teilen des Werkes verbieten lassen will, ist die Klage daher von
vornherein unbegründet.
4. Das Berufungsgericht hat angenommen, das Vervielfältigen und Öf-
fentlich-Zugänglichmachen der Beiträge sei nicht von der Schrankenregelung
des § 52a UrhG gedeckt. Mit der vom Berufungsgericht gegebenen Begrün-
dung kann das Vorliegen der Voraussetzungen des § 52a Abs. 1 Nr. 1, Abs. 3
UrhG nicht verneint werden.
a) Gemäß § 52a Abs. 1 Nr. 1 UrhG ist es zulässig, veröffentlichte kleine
Teile eines Werkes, Werke geringen Umfangs sowie einzelne Beiträge aus Zei-
tungen oder Zeitschriften zur Veranschaulichung im Unterricht (unter anderem)
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an Hochschulen ausschließlich für den bestimmt abgegrenzten Teil von Unter-
richtsteilnehmern öffentlich zugänglich zu machen, soweit dies zu dem jeweili-
gen Zweck geboten und zur Verfolgung nicht kommerzieller Zwecke gerechtfer-
tigt ist. In einem solchen Fall sind gemäß § 52a Abs. 3 UrhG auch die zur öf-
fentlichen Zugänglichmachung erforderlichen Vervielfältigungen zulässig. Die
durch § 137k UrhG befristete Geltung dieser Schrankenregelung ist mehrfach
und zuletzt bis zum 31. Dezember 2014 verlängert worden (vgl. dazu die Be-
gründung zum Regierungsentwurf, BT-Drucks. 17/11317, S. 5 f.).
Die Bestimmung des § 52a UrhG beruht auf Art. 5 Abs. 3 Buchst. a der
Richtlinie 2001/29/EG. Danach können die Mitgliedstaaten für die Nutzung aus-
schließlich (unter anderem) zur Veranschaulichung im Unterricht Ausnahmen
oder Beschränkungen in Bezug auf das Vervielfältigungsrecht (Art. 2 der Richt-
linie 2001/29/EG) und das Recht der öffentlichen Wiedergabe einschließlich des
Öffentlich-Zugänglichmachens (Art. 3 der Richtlinie 2001/29/EG) vorsehen, so-
fern - außer in Fällen, in denen sich dies als unmöglich erweist - die Quelle,
einschließlich des Namens des Urhebers, wann immer dies möglich ist, ange-
geben wird und soweit dies zur Verfolgung nicht kommerzieller Zwecke gerecht-
fertigt ist.
b) Die in Rede stehenden Beiträge waren bei ihrem Zugänglichmachen
durch die Beklagte im Sinne des § 52a Abs. 1 UrhG veröffentlicht, da das Werk
„Meilensteine der Psychologie“ der Öffentlichkeit bereits zuvor mit Zustimmung
der Berechtigten zugänglich gemacht worden war (§ 6 Abs. 1 UrhG). Bei diesen
Beiträgen handelt es sich aber - wie das Berufungsgericht im Ergebnis mit
Recht angenommen hat - nicht um kleine Teile dieses Werkes.
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aa) Das Berufungsgericht hat angenommen, der Begriff
„kleine Teile ei-
nes Werkes
“ könne nicht allein nach dem Verhältnis der öffentlich zugänglich
gemachten Stellen zum Gesamtwerk bestimmt werden, weil ansonsten auch
wesentliche Teile eines Werkes (wie in sich abgeschlossene Werkteile) oder
(bei umfangreichen Werken) Werkteile in einem nicht mehr hinnehmbaren Um-
fang öffentlich zugänglich gemacht werden könnten. Es bedürfe vielmehr einer
Abwägung im Einzelfall und der Festsetzung einer absoluten Obergrenze. Da-
bei sei auch aus Gründen der Praktikabilität der Gesamtumfang des Werkes
einschließlich Inhaltsverzeichnis, Vorwort, Einleitung, Literaturverzeichnis, Na-
mensregister und Sachregister zugrunde zu legen. Nach diesen Maßstäben
könnten die von der Beklagten auf der Lernplattform eingestellten Texte nicht
als kleine Teile des Werkes
„Meilensteine der Psychologie“ angesehen werden.
Der relative Veröffentlichungsumfang betrage unter Zugrundelegung eines Ge-
samtumfangs des Buches von 533 Seiten bei einer Zugänglichmachung von 91
Seiten im Wintersemester 2008/2009 und Sommersemester 2009 17,07% des
Werkes und von 70 Seiten im Wintersemester 2009/2010 und Sommersemes-
ter 2010 13,13% des Werkes. Ferner sei zu berücksichtigen, dass das Buch
aus einer Aneinanderreihung von Einzelbeiträgen bestehe, von denen zunächst
14 und später neun jeweils zu 100% veröffentlicht worden seien. Diese Einzel-
beiträge könnten nicht als Werke geringen Umfangs angesehen werden.
bb) Dieser Beurteilung kann zwar im Ergebnis, nicht aber in der Begrün-
dung zugestimmt werden. Werden von einem Sprachwerk höchstens 12% der
Seiten des gesamten Werkes und nicht mehr als 100 Seiten zur Veranschauli-
chung im Unterricht an einer Hochschule öffentlich zugänglich gemacht, handelt
es sich dabei um im Sinne von § 52a Abs. 1 Nr. 1 UrhG
„kleine“ Teile eines
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Werkes; bei der Prüfung, ob danach kleine Teile eines Werkes öffentlich zu-
gänglich gemacht worden sind, sind sämtliche Seiten zu berücksichtigen, die
keine Leerseiten sind und deren Inhalt überwiegend aus Text besteht (dazu so-
gleich). Auch nach diesen Maßstäben hat die Beklagte allerdings nicht nur klei-
ne Teile des Werkes
„Meilensteine der Psychologie“ öffentlich zugänglich ge-
macht. Das gesamte Werk hat (ohne Leerseiten) 528 Seiten. Die Beklagte hätte
davon höchstens 12%, das sind 63 Seiten, öffentlich zugänglich machen dür-
fen. Sie hat davon aber im Wintersemester 2008/2009 und Sommersemester
2009 insgesamt 91 Seiten, das sind 17,23%, und im Wintersemester 2009/2010
und Sommersemester 2010 insgesamt 70 Seiten, das sind 13,26%, öffentlich
zugänglich gemacht.
(1) Der Begriff
„kleine Teile eines Werkes“ bezeichnet eine relative Grö-
ße. Entgegen der Ansicht des Berufungsgerichts ist daher bei der Prüfung, ob
„kleine Teile eines Werkes“ öffentlich zugänglich gemacht worden sind, in erster
Linie auf das Verhältnis der öffentlich zugänglich gemachten Teile des Werkes
zum gesamten Werk abzustellen (vgl. Loewenheim in Schricker/Loewenheim,
Urheberrecht, 4. Aufl., § 52a UrhG Rn. 7; Dreier in Dreier/Schulze, UrhG, § 52a
Rn. 5 iVm § 53 Rn. 33; Dustmann in Fromm/Nordemann, Urheberrecht,
10. Aufl., § 52a UrhG Rn. 7; Rauer, GRUR-Prax 2012, 226 f.). Die Revision
macht zutreffend geltend, dass eine prozentuale Obergrenze auch erforderlich
ist, um eine rechtssichere Handhabung der Schrankenbestimmung zu gewähr-
leisten.
In Rechtsprechung und Literatur werden Teile eines Werkes als klein an-
gesehen, wenn sie nicht mehr als 10% bis 20% des gesamten Werkes ausma-
chen (vgl. Dreyer in Dreyer/Kotthoff/Meckel, Urheberrecht, 3. Aufl., § 52a Rn. 9;
Loewenheim in Schricker/Loewenheim aaO § 52a Rn. 7: eine Obergrenze von
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20% erscheine zu hoch, während weniger als 10% jedenfalls einen kleinen Teil
darstelle; Steinhauer, K&R 2011, 311, 312; vgl. aber Dustmann in Fromm/
Nordemann aaO § 52a Rn. 7: konkrete Zahlen verböten sich, maßgebend sei
letztlich eine Einzelfallbetrachtung; Lüft in Wandtke/Bullinger aaO § 52a UrhG
Rn. 5: ein kleiner Teil eines Werkes liege nicht vor, wenn der verwendete Anteil
das Werk ersetzen könne; vgl. auch Dreier in Dreier/Schulze aaO § 52a Rn. 5).
Zur Bestimmung des Anteils eines Werkes, der als kleiner Teil dieses
Werkes anzusehen ist, kann der zwischen der Verwertungsgesellschaft Wort
und den Bundesländern am 26. Juni 2006 geschlossene und am 14. Juli 2010
erneuerte
„Gesamtvertrag zur Vergütung von Ansprüchen nach § 52a UrhG für
das Öffentlich-Zugänglichmachen von Werken für Zwecke des Unterrichts an
Schulen
“ (Gesamtvertrag Schulen) herangezogen werden, der gleichfalls
Sprachwerke betrifft. In diesem Gesamtvertrag ist der Begriff
„kleine Teile eines
Werkes
“ mit höchstens 12% eines Werkes definiert. Es ist nicht ersichtlich,
weshalb für die Definition des
„kleinen Teils eines Werkes“ bei Sprachwerken
unterschiedliche Prozentsätze gelten sollen, je nachdem, ob diese Werke zur
Veranschaulichung im Unterricht an Schulen oder an Hochschulen verwendet
werden. Deshalb sind auch beim Öffentlich-Zugänglichmachen von Sprachwer-
ken für Zwecke des Unterrichts an Hochschulen unter „kleinen“ Teilen eines
Werkes höchstens 12% des gesamten Werkes zu verstehen (vgl. BGH, Urteil
vom 20. März 2013 - I ZR 84/11, GRUR 2013, 1220 Rn. 35 = WRP 2013, 1627
- Gesamtvertrag Hochschul-Intranet).
(2) Allerdings erscheint bei Sprachwerken, die zur Veranschaulichung im
Unterricht an Hochschulen öffentlich zugänglich gemacht werden, die Festset-
zung einer absoluten Höchstgrenze von 100 Seiten erforderlich. Der
„Gesamt-
vertrag Schulen
“ sieht zwar für die mit 12% eines Werkes definierten „kleinen
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Teile eines Werkes
“, die im Unterricht an Schulen verwendet werden, keine De-
ckelung vor. Gleichwohl ist für die gleichfalls mit 12% eines Werkes zu definie-
renden
„kleinen Teile eines Werkes“, die im Unterricht an Hochschulen genutzt
werden, die Festsetzung einer absoluten Obergrenze geboten. Im Hochschul-
unterricht werden - anders als im Schulunterricht - Werke genutzt, die zum Teil
tausende von Seiten umfassen, wie dies etwa bei wissenschaftlichen Lehrbü-
chern oder juristischen Kommentaren der Fall sein kann. Ohne eine solche De-
ckelung würden die Rechteinhaber daher auch dann unangemessen benachtei-
ligt, wenn höchstens 12% eines Werkes öffentlich zugänglich gemacht werden
dürfen, weil dann - wie das Berufungsgericht mit Recht angenommen hat -
Werkteile in einem nicht mehr hinnehmbaren Umfang öffentlich zugänglich ge-
macht werden könnten, beispielsweise ganze Bände eines mehrbändigen Ge-
schichtswerks oder Kommentars (vgl. BGH, GRUR 2013, 1220 Rn. 38 - Ge-
samtvertrag Hochschul-Intranet; Lüft in Wandtke/Bullinger aaO § 52a UrhG
Rn. 5; Rauer, GRUR-Prax 2012, 226, 227).
(3) Das Berufungsgericht hat zutreffend angenommen, dass der Prüfung,
ob kleine Teile eines Werkes öffentlich zugänglich gemacht worden sind, auch
aus Gründen der Praktikabilität der Gesamtumfang des Werkes einschließlich
Inhaltsverzeichnis, Vorwort, Einleitung, Literaturverzeichnis, Namensregister
und Sachregister zugrunde zu legen ist. Allerdings sind dabei Leerseiten außer
Acht zu lassen; ferner sind nur Seiten zu berücksichtigen, deren Inhalt überwie-
gend aus Text und nicht etwa überwiegend aus Bildern, Fotos oder Abbildun-
gen besteht (vgl. BGH, GRUR 2013, 1220 Rn. 24 - Gesamtvertrag Hochschul-
Intranet).
(4) Dagegen ist es aus Gründen der Rechtssicherheit nicht sachgerecht,
in jedem Einzelfall aufgrund einer Abwägung sämtlicher Umstände im Wege ei-
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ner wertenden Betrachtung zu bestimmen, ob
„kleine Teile eines Werkes“ vor-
liegen (aA Jani, GRUR-Prax 2012, 223, 224). Es kann deshalb auch nicht da-
rauf abgestellt werden, ob wesentliche Teile eines Werkes öffentlich zugänglich
gemacht werden. Denn es lässt sich nicht allgemein bestimmen, welche Teile
eines Werkes
„wesentlich“ sind. Ebenso wenig kann es darauf ankommen, ob
in sich abgeschlossene Teile eines Werkes - wie hier die einzelnen Beiträge zu
„Wegbereitern der Psychologie“ - öffentlich zugänglich gemacht worden sind.
Das zeigt schon der Umstand, dass es nach § 52a Abs. 1 Nr. 1 UrhG zulässig
sein kann, Werke geringen Umfangs sowie einzelne Beiträge aus Zeitungen
oder Zeitschriften öffentlich zugänglich zu machen, obwohl es sich dabei um in
sich abgeschlossene Werke oder Teile eines Werkes handelt.
c) Entgegen der Ansicht des Berufungsgerichts hat die Beklagte die auf
der Lernplattform eingestellten Teile des Werkes
„zur Veranschaulichung im
Unterricht an Hochschulen
“ öffentlich zugänglich gemacht. Die Beklagte ist als
staatliche Fernuniversität eine Hochschule im Sinne des § 52a Abs. 1 Nr. 1
UrhG.
Das Einstellen diente auch der „Veranschaulichung im Unterricht“.
aa) Teile eines Werkes werden nur dann
„im Unterricht“ öffentlich zu-
gänglich gemacht, wenn sie ausschließlich zu Lehrzwecken und nicht auch zu
anderen Zwecken - wie etwa für Belange der Hochschulverwaltung - öffentlich
zugänglich gemacht werden (vgl. Loewenheim in Schricker/Loewenheim aaO
§ 52a Rn. 9; Dustmann in Fromm/Nordemann aaO § 52a UrhG Rn. 9; Lüft in
Wandtke/Bullinger aaO § 52a UrhG Rn. 9; Dreyer in Dreyer/Kotthoff/Meckel
aaO § 52a Rn. 16; Dreier in Dreier/Schulze aaO § 52a Rn. 6 iVm § 53 Rn. 39).
Dass das Zugänglichmachen nicht auch anderen Zwecken dienen darf, folgt da-
raus, dass Art. 5 Abs. 3 Buchst. a der Richtlinie 2001/29/EG eine Beschränkung
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des Rechts des Öffentlich-
Zugänglichmachens „ausschließlich“ zur Veran-
schaulichung im Unterricht gestattet.
Das Zugänglichmachen
„im Unterricht“ ist allerdings - wie das Beru-
fungsgericht zutreffend angenommen hat - nicht durch die zeitlichen und räum-
lichen Grenzen des Unterrichts beschränkt, sondern kann sich auf andere Zei-
ten (wie die Vor- oder Nachbereitung des Unterrichts) und Orte (etwa den häus-
lichen Arbeitsplatz) erstrecken (vgl. Dreyer in Dreyer/Kotthoff/Meckel aaO § 52a
UrhG Rn. 16; Suttorp, Die öffentliche Zugänglichmachung für Unterricht und
Forschung [§ 52a UrhG], 2005, S. 119 bis 124; aA Sandberger, ZUM 2006,
818, 823 f.). Nichts anderes ergibt sich daraus, dass in § 52a Abs. 1 Nr. 1 UrhG
ebenso wie in Art. 5 Abs. 3 Buchst. a der Richtlinie 2001/29/EG und anders als
in § 53 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 UrhG und § 87c Abs. 1 Nr. 3 UrhG nicht von einer
Veranschaulichung
„des“ Unterrichts, sondern von einer Veranschaulichung
„im“ Unterricht die Rede ist (Dreier in Dreier/Schulze aaO § 52a Rn. 6). Das
folgt bereits daraus, dass die Schrankenregelung des § 52a Abs. 1 Nr. 1 UrhG
wie auch Art. 5 Abs. 3 Buchst. a der Richtlinie 2001/29/EG mit dem Öffentlich-
Zugänglichmachen ein Zugänglichmachen an Orten und zu Zeiten der Wahl
(§ 19a UrhG, Art. 3 der Richtlinie 2001/29/EG) gestattet (Steinhauer, K&R 2011,
311, 313). Im Übrigen wäre die Vorschrift praktisch bedeutungslos, wenn ein
Zugänglichmachen nur während des Unterrichts zulässig wäre.
Die Beklagte hat die Beiträge aus dem Werk
„Meilensteine der Psycho-
logie
“ danach „im Unterricht“ öffentlich zugänglich gemacht. Dabei kommt es
nicht darauf an, dass die Beiträge nicht zur Zeit und am Ort einer Lehrveranstal-
tung zugänglich gewesen sind, weil die Beklagte als Fernuniversität keine Lehr-
veranstaltungen anbietet, sondern den Lehrstoff in Studienbriefen vermittelt, die
an die Stelle des Unterrichts treten. Entscheidend ist, dass die auf der Lernplatt-
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- 17 -
form eingestellten Beiträge nach den Feststellungen des Berufungsgerichts der
Vertiefung und Ergänzung dieser Studienbriefe und damit ausschließlich Lehr-
zwecken dienen.
bb) Das Berufungsgericht hat angenommen, eine
„Veranschaulichung“
im Unterricht müsse der Verdeutlichung oder Vertiefung und dürfe nicht allein
der Ergänzung des Unterrichts dienen. Da die Beklagte als Fernuniversität kei-
ne Lehrveranstaltungen durchführe, bestehe der Unterricht aus den Studien-
briefen. Die auf der Lernplattform eingestellten Beiträge aus dem Werk
„Meilen-
steine der Psychologie
“ hätten nicht zur Verdeutlichung, sondern zur Vertiefung
und Ergänzung der Studienbriefe gedient; die Beklagte habe damit einen ande-
ren Blickwinkel und eine andere Sichtweise vermittelt und sich eine eigene aus-
führlichere Darstellung in den Studienbriefen erspart. Dieser Beurteilung kann
nicht zugestimmt werden.
Die vom Berufungsgericht gewählten Abgrenzungskriterien sind zur Be-
stimmung des Begriffs „Veranschaulichung“ im Unterricht ungeeignet, weil zwi-
schen einer Verdeutlichung, einer Vertiefung und einer Ergänzung des Unter-
richts praktisch kaum genau unterschieden werden kann (vgl. Dreier in Drei-
er/Schulze aaO § 52a Rn. 6; Rauer, GRUR-Prax 2012, 226, 227). Auch dem
Berufungsgericht ist eine solche Unterscheidung im Streitfall nicht gelungen. Es
hat zwar ohne Rechtsfehler angenommen, die auf der Lernplattform eingestell-
ten Beiträge dienten der Vertiefung des Unterrichts; es hat die Vertiefung des
Unterrichts jedoch zunächst der von ihm als zulässig angesehenen Verdeutli-
chung des Unterrichts und sodann der von ihm als unzulässig erachteten Er-
gänzung des Unterrichts zugeordnet.
Bei der Beurteilung, ob öffentlich zugänglich gemachte Teile eines Wer-
kes der
„Veranschaulichung“ im Unterricht dienen, ist auch im Blick auf die ver-
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- 18 -
fassungsrechtlich verbürgte Freiheit der Lehre (Art. 5 Abs. 3 GG) kein kleinli-
cher Maßstab anzulegen (vgl. Dreyer in Dreyer/Kotthoff/Meckel aaO § 52a
UrhG Rn. 16; Steinhauer, K&R 2011, 311, 312; Rauer, GRUR-Prax 2012, 226,
227; Rauer, K&R 2012, 440; Braun/Keller, jurisPR-ITR 13/2012 Anm. 4 unter
C II; aA Jani, GRUR-Prax 2012, 223, 224). Das Öffentlich-Zugänglichmachen
dient daher schon dann der
„Veranschaulichung“ im Unterricht, wenn der Lehr-
stoff dadurch verständlicher dargestellt und leichter erfassbar wird (vgl. Loe-
wenheim in Schricker/Loewenheim aaO § 52a UrhG Rn. 9; Dustmann in
Fromm/Nordemann aaO § 52a UrhG Rn. 9; Dreyer in Dreyer/Kotthoff/Meckel
aaO § 52a UrhG Rn. 16; Dreier in Dreier/Schulze aaO § 52a Rn. 6). Das ist
auch dann der Fall, wenn die Lektüre der zugänglich gemachten Texte dazu
geeignet ist, den im Unterricht behandelten Lehrstoff zu vertiefen oder zu er-
gänzen.
Diese Voraussetzung ist im Streitfall erfüllt, da die auf der Lernplattform
eingestellten Beiträge nach den Feststellungen des Berufungsgerichts einen
anderen Blickwinkel und eine andere Sichtweise auf den Unterrichtstoff vermit-
teln. Dem steht nicht entgegen, dass die Beklagte sich durch das Einstellen der
Werkteile auf der Lernplattform eine eigene ausführlichere Darstellung in den
Studienbriefen erspart haben mag. Auch an den Unterrichtsstoff anknüpfende
und weiterführende Literatur kann den Lehrstoff besser verständlich machen.
d) Die Beklagte hat die Teile des Werkes
„ausschließlich für den be-
stimmt abgegrenzten Teil von Unterrichtsteilnehmern
“ öffentlich zugänglich ge-
macht.
aa)
Die Teile des Werkes dürfen nur „Unterrichtsteilnehmern“, also den
Studierenden, die am Unterricht teilnehmen, und nicht etwa allen Studierenden
des Studiengangs oder der Hochschule zugänglich gemacht werden. Das Beru-
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- 19 -
fungsgericht hat mit Recht angenommen, dass Werkteile auch einem großen
Kreis von Unterrichtsteilnehmern zugänglich gemacht werden dürfen, wenn die-
ser bestimmt abgegrenzt ist (vgl. Dreier in Dreier/Schulze aaO § 52a Rn. 8;
Dustmann in Fromm/Nordemann aaO § 52a UrhG Rn. 11; Lüft in Wandtke/
Bullinger aaO § 52a UrhG Rn. 9; Dreyer in Dreyer/Kotthoff/Meckel aaO § 52a
UrhG Rn. 17). Die Teile eines Werkes werden
„ausschließlich“ dem bestimmt
abgegrenzten Teil von Unterrichtsteilnehmern zugänglich gemacht, wenn die-
sem Kreis nicht angehörende Personen durch technisch geeignete Mittel von
einem Zugang ausgeschlossen sind (vgl. Loewenheim in Schricker/Loewen-
heim aaO § 52a UrhG Rn. 10; Dustmann in Fromm/Nordemann aaO § 52a
UrhG Rn. 11; Dreyer in Dreyer/Kotthoff/Meckel aaO § 52a UrhG Rn. 18; Dreier
in Dreier/Schulze aaO § 52a Rn. 8).
bb) Danach hat die Beklagte die hier in Rede stehenden Teile des Wer-
kes
„ausschließlich für den bestimmt abgegrenzten Teil von Unterrichtsteilneh-
mern
“ öffentlich zugänglich gemacht. Die auf der Lernplattform eingestellten
Materialien standen nach den Feststellungen des Berufungsgerichts aus-
schließlich den Studierenden des Bachelor Studiengangs Psychologie zur Ver-
fügung, die den Kurs
„Einführung in die Psychologie und ihre Geschichte“ be-
legt hatten; nur sie konnten mittels eines Benutzernamens und eines Passworts
auf die Texte zugreifen. Dass es sich dabei um mehr als 4.000 Studierende
handelte, ist unerheblich, da der Kreis der Unterrichtsteilnehmer bestimmt ab-
gegrenzt war.
e) Das Öffentlich-Zugänglichmachen der Teile des Werkes war
„zur Ver-
folgung nicht kommerzieller Zwecke gerechtfertigt
“. Diese Voraussetzung ist er-
füllt, wenn der Unterricht und das Zugänglichmachen der Teile des Werkes
- wie hier - nicht der Gewinnerzielung dienten (vgl. dazu Loewenheim in Schri-
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cker/Loewenheim aaO § 52a UrhG Rn. 15; Dustmann in Fromm/Nordemann
aaO § 52a UrhG Rn. 16; Dreyer in Dreyer/Kotthoff/Meckel aaO § 52a UrhG
Rn. 24; Dreier in Dreier/Schulze aaO § 52a Rn. 13).
f) Das Berufungsgericht hat angenommen, das Öffentlich-Zugäng-
lichmachen der Teile des Werkes sei
„zu dem jeweiligen Zweck“ - hier also dem
Zweck der Veranschaulichung im Unterricht - nicht
„geboten“ gewesen. Die vom
Berufungsgericht für diese Annahme gegebene Begründung, hält einer rechtli-
chen Nachprüfung nicht stand.
aa) Das Berufungsgericht ist allerdings zutreffend davon ausgegangen,
dass
„geboten“ nicht im Sinne von „unbedingt notwendig“ zu verstehen ist; an-
dernfalls liefe die Schrankenregelung leer, da eine Veranschaulichung im Unter-
richt grundsätzlich auch ohne das Öffentlich-Zugänglichmachen geschützter
Werke möglich ist (Dreier in Dreier/Schulze aaO § 52a Rn. 12; Dustmann in
Fromm/Nordemann aaO § 52a UrhG Rn. 15). Zur Prüfung, ob ein Öffentlich-
Zugänglichmachen im Sinne von § 52a Abs. 1 UrhG geboten ist, kann der so-
genannte Dreistufentest des Art. 5 Abs. 5 der Richtlinie 2001/29/EG durchge-
führt werden (Jani, GRUR-Prax 2012, 223, 224; Rauer, GRUR-Prax 2012, 226,
227).
Nach Art. 5 Abs. 5 der Richtlinie 2001/29/EG dürfen die in Art. 5 Abs. 1,
2, 3 und 4 genannten Ausnahmen und Beschränkungen - wie hier die in Art. 5
Abs. 3 Buchst. a der Richtlinie 2001/29/EG genannte und mit § 52a UrhG um-
gesetzte Beschränkung - (erste Stufe) nur in bestimmten Sonderfällen ange-
wandt werden, in denen (zweite Stufe) die normale Verwertung des Werkes
oder sonstigen Schutzgegenstands nicht beeinträchtigt wird und (dritte Stufe)
die berechtigten Interessen des Rechtsinhabers nicht ungebührlich verletzt
werden.
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- 21 -
Diese Regelung enthält in erster Linie eine Gestaltungsanordnung ge-
genüber dem nationalen Gesetzgeber in Bezug auf die im Einzelnen zu konkre-
tisierenden Schranken des Urheberrechts. Darüber hinaus ist der Dreistufentest
entscheidender Maßstab für die Anwendung der einschlägigen Vorschriften des
Urheberrechtsgesetzes im Einzelfall (BGH, Urteil vom 25. Februar 1999
- I ZR 118/96, BGHZ 141, 13, 34 - Kopienversanddienst; vgl. zu Art. 5 Abs. 1
der Richtlinie 2001/29/EG EuGH, Urteil vom 16. Juli 2009 - C-5/08, Slg. 2009,
I-6569 = GRUR 2009, 1041 Rn. 58 - Infopaq/DDF I; Beschluss vom 17. Januar
2012 - C-302/10, GRUR-Int. 2012, 336 Rn. 56 - Infopaq/DDF II; Regierungs-
entwurf eines Gesetzes zur Regelung des Urheberrechts in der Informationsge-
sellschaft, BT-Drucks. 15/38, S. 15; Regierungsentwurf eines Zweiten Gesetzes
zur Regelung des Urheberrechts in der Informationsgesellschaft, BT-Drucks.
16/1828, S. 21).
bb) Das Berufungsgericht hat angenommen, das Erfordernis der Be-
schränkung des Zugänglichmachens auf bestimmte Sonderfälle (erste Stufe)
sei nicht erfüllt. Da es um den Sonderfall in der Ausnahme gehe, könne dieser
nicht in der Veranschaulichung im Unterricht oder der Zugänglichmachung lie-
gen.
Dem kann nicht zugestimmt werden. Die hier in Rede stehende Bestim-
mung des § 52a Abs. 1 Nr. 1 UrhG regelt einen bestimmten Sonderfall und ist
daher auch immer nur in diesem bestimmten Sonderfall anwendbar. Sie be-
schränkt das Recht des Urhebers zum Öffentlich-Zugänglichmachen seines
Werkes für den besonderen Fall, dass veröffentlichte kleine Teile dieses Wer-
kes zur Veranschaulichung im Unterricht an Hochschulen ausschließlich für den
bestimmt abgegrenzten Teil von Unterrichtsteilnehmern öffentlich zugänglich
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- 22 -
gemacht werden, soweit dies zu diesem Zweck geboten und zur Verfolgung
nicht kommerzieller Zwecke gerechtfertigt ist. Anders als das Berufungsgericht
wohl gemeint hat, verlangt die erste Stufe des Dreistufentests nicht, dass die
einen Sonderfall regelnde Ausnahme oder Beschränkung ihrerseits nur in ei-
nem - bezogen auf die Schrankenregelung - Sonderfall angewendet wird (vgl.
Bornkamm in FS Erdmann, 2002, S. 29, 43 f.).
cc) Das Berufungsgericht hat weiter angenommen, das Öffentlich-
Zugänglichmachen der in Rede stehenden Beiträge beeinträchtige die normale
Verwertung des Werkes (zweite Stufe). Da nur die auf der Lernplattform einge-
stellten Beiträge Pflichtlektüre und Prüfungsgegenstand seien, sei ein Erwerb
des Buches für die Studierenden nicht mehr erforderlich. Auch dem kann nicht
beigetreten werden.
(1) Eine Beeinträchtigung der normalen Verwertung des Werkes ist nur
dann anzunehmen, wenn die fragliche Nutzung zur herkömmlichen Nutzung in
unmittelbaren Wettbewerb tritt (vgl. Bornkamm aaO S. 29, 46 f.).
(2) Das kommt etwa dann in Betracht, wenn ausschließlich für den Unter-
richtsgebrauch bestimmte Werke für Unterrichtszwecke öffentlich zugänglich
gemacht werden. Deshalb ist das Öffentlich-Zugänglichmachen von Schulbü-
chern nach § 52a Abs. 2 Satz 1 UrhG stets nur mit Einwilligung des Berechtig-
ten zulässig, um einen Eingriff in den Primärmarkt der Schulbuchverlage zu
vermeiden (vgl. BT-Drucks. 15/837, S. 34). In vergleichbarer Weise könnte die
normale Werkverwertung beeinträchtigt werden, wenn ein ausschließlich für
den Unterrichtsgebrauch an Hochschulen bestimmtes Lehrbuch zur Veran-
schaulichung im Unterricht an Hochschulen öffentlich zugänglich gemacht wür-
de.
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Im Streitfall ist ein derartiger Eingriff in die Primärverwertung nicht zu be-
fürchten. Das Werk
„Meilensteine der Psychologie“ ist nicht allein für den Unter-
richtsgebrauch an Hochschulen bestimmt; es richtet sich in gleicher Weise an
psychologisch Interessierte, Studierende und Fachleute. Die normale Werkver-
wertung wird daher nicht dadurch beeinträchtigt, dass der Erwerb des gesam-
ten Buches - wie das Berufungsgericht angenommen hat - für die Studierenden,
die den Kurs
„Einführung in die Psychologie und ihre Geschichte“ belegt haben,
nicht mehr erforderlich sein mag, weil lediglich die auf der Lernplattform einge-
stellten Teile des Werkes Pflichtlektüre und Prüfungsgegenstand sind.
(3) Die normale Werkverwertung wird auch nicht dadurch beeinträchtigt,
dass auf der elektronischen Lernplattform eingestellte kleine Teile des Werkes
von den Studierenden ausgedruckt und abgespeichert werden können.
Der Senat hat allerdings in seiner Entscheidung
„Elektronische Leseplät-
ze“ die Frage aufgeworfen und dem Gerichtshof der Europäischen Union zur
Vorabentscheidung vorgelegt, ob die von den Mitgliedstaaten gemäß Art. 5
Abs. 3 Buchst. n der Richtlinie 2001/29/EG vorgesehenen Rechte - in Deutsch-
land das in § 52b UrhG vorgesehene Recht zur Wiedergabe von Werken an
elektronischen Leseplätzen in öffentlichen Bibliotheken - so weit reichen dürfen,
dass Nutzer der Terminals dort zugänglich gemachte Werke auf Papier ausdru-
cken oder auf einem USB-Stick abspeichern können (BGH, Beschluss vom
29. September 2012 - I ZR 69/11, GRUR 2013, 503 Rn. 24 = WRP 2013, 511
- Elektronische Leseplätze). Der Senat hat dabei deutlich gemacht, dass nach
seiner Ansicht die normale Verwertung eines Werkes zwar nicht beeinträchtigt
ist, wenn das Zugänglichmachen eines Werkes an einem elektronischen Lese-
platz das Ausdrucken dieses Werkes ermöglicht, wohl aber dann, wenn es des-
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- 24 -
sen Abspeichern ermöglicht (BGH, GRUR 2013, 503 Rn. 33 bis 36 - Elektroni-
sche Leseplätze).
Die in dieser Entscheidung angestellten Überlegungen lassen sich nicht
auf den vorliegenden Fall übertragen. Anders als dort geht es hier nicht um ein
Zugänglichmachen vollständiger Werke. Es liegt zwar nahe, dass die Möglich-
keit zum Abspeichern und anschließenden (unerlaubten) Verbreiten und Zu-
gänglichmachen digitaler Vervielfältigungsstücke eines vollständigen Werkes
die normale Verwertung dieses Werkes beeinträchtigen kann. Eine vergleichba-
re Beeinträchtigung der normalen Werkverwertung ist dagegen nicht zu be-
fürchten, wenn lediglich kleine Teile des Werkes ausgedruckt oder abgespei-
chert und anschließend (unerlaubt) verbreitet und vervielfältigt werden können
(vgl. Braun/Keller, jurisPR-ITR 13/2012 Anm. 4 unter C I; aA Jani, GRUR-Prax
2012, 223, 225).
dd) Das Berufungsgericht hat schließlich eine ungebührliche Verletzung
der berechtigten Interessen des Rechtsinhabers bejaht (dritte Stufe). Zur Be-
gründung hat es auf seine Ausführungen dazu verwiesen, dass die Anwendung
der Schrankenregelung im Streitfall den beiden ersten Stufen des Dreistufen-
tests nicht genüge. Da diese Ausführungen - wie ausgeführt - einer rechtlichen
Nachprüfung nicht standhalten, kann die ungebührliche Verletzung der berech-
tigten Interessen des Rechtsinhabers mit dieser Begründung nicht bejaht wer-
den. Darüber hinaus fehlt die auf der dritten Stufe des Dreistufentests und zur
Prüfung der Gebotenheit erforderliche Interessenabwägung und Feststellung,
ob das Bedürfnis an einem Zugänglichmachen die Beeinträchtigung des
Rechtsinhabers überwiegt (vgl. Dreier in Dreier/Schulze aaO § 52a Rn. 12;
Dustmann in Fromm/Nordemann aaO § 52a UrhG Rn. 15; Dreyer in Dreyer/
Kotthoff/Meckel aaO § 52a UrhG Rn. 23).
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Eine ungebührliche Verletzung der berechtigten Interessen des Rechts-
inhabers ist zwar auch dann zu bejahen und ein Öffentlich-Zugänglichmachen
kleiner Teile eines Werkes - wie das Berufungsgericht zutreffend angenommen
hat - nicht geboten, wenn ein angemessenes Lizenzangebot des Rechtsinha-
bers für diese Nutzung vorliegt (dazu sogleich). Das Berufungsgericht hat je-
doch - von seinem Standpunkt aus folgerichtig - keine Feststellungen zur An-
gemessenheit des der Beklagten vom Kläger unterbreiteten Lizenzangebots ge-
troffen, weil es angenommen hat, die Voraussetzungen des § 52a Abs. 1 Nr. 1
UrhG seien bereits aus anderen Gründen nicht erfüllt. Es kann daher nicht be-
urteilt werden, ob das Lizenzangebot des Klägers der Schrankenregelung vor-
geht.
(1) Das Öffentlich-Zugänglichmachen ist nicht zu dem jeweiligen Zweck
geboten und damit unzulässig, wenn der Rechtsinhaber die Werke oder Werk-
teile in digitaler Form für die Nutzung im Netz der jeweiligen Einrichtung zu an-
gemessenen Bedingungen anbietet (vgl. BGH, GRUR 2013, 1220 Rn. 39 bis
59 - Gesamtvertrag Hochschul-Intranet; Dreyer in Dreyer/Kotthoff/Meckel aaO
§ 52a UrhG Rn. 23; aA Braun/Keller, jurisPR-ITR 13/2012 Anm. 4 unter C III 1;
Pflüger, ZUM 2012, 444, 451 f.). Das setzt allerdings nicht nur voraus, dass die
geforderte Lizenzgebühr angemessen ist, sondern auch, dass das Lizenzange-
bot unschwer aufzufinden ist und die Verfügbarkeit des Werkes oder der Werk-
teile schnell und unproblematisch gewährleistet ist (vgl. BGH, GRUR 2013,
1220 Rn. 57 - Gesamtvertrag Hochschul-Intranet).
(2) Gegen die Annahme eines Vorrangs angemessener Lizenzangebote
vor der Schrankenregelung des § 52a UrhG spricht nicht, dass ein Vorrang ver-
traglicher Regelungen und Angebote ausdrücklich nur in den Schrankenrege-
lungen vorgesehen ist, die Elektronische Leseplätze (§ 52b Satz 1 UrhG
„soweit
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dem keine vertraglichen Regelungen entgegenstehen
“) und den Kopienversand
auf Bestellung (§ 53a Abs. 1 Satz 3 UrhG
„wenn der Zugang […] nicht offen-
sichtlich
[…] mittels einer vertraglichen Vereinbarung zu angemessenen Bedin-
gungen ermöglicht wird
“) betreffen. Diese speziellen Einschränkungen in § 52b
Satz 1 und § 53a Abs. 1 Satz 3 UrhG stehen einer Auslegung der generellen
Einschränkung in § 52a Abs. 1 UrhG (
„soweit dies zu dem jeweiligen Zweck
geboten […] ist“) nicht entgegen, nach der die Inanspruchnahme der Schran-
kenregelung (unter anderem) dann nicht geboten ist, wenn ein angemessenes
Lizenzangebot vorliegt. Ein Vorrang angemessener Lizenzangebote ermöglicht
es dem Rechtsinhaber auch nicht, einseitig Bedingungen festzulegen und die
Schranke des § 52a UrhG auszuhebeln. Das Angebot des Rechtsinhabers ist
nur vorrangig, wenn die Bedingungen angemessen sind. Es gibt auch keine hin-
reichenden Anhaltspunkte dafür, dass die Werknutzer sich im Blick auf mögli-
che Auseinandersetzungen über die Angemessenheit der Bedingungen davon
abhalten lassen könnten, von der Schrankenregelung des § 52a UrhG Ge-
brauch zu machen (aA Dreier in Dreier/Schulze aaO § 52a Rn. 12).
(3) Die Annahme des Vorrangs eines angemessenen Vertragsangebots
vor der Schrankenregelung des § 52a UrhG ist auch mit der Richtlinie
2001/29/EG vereinbar.
Art. 5 Abs. 3 Buchst. a der Richtlinie 2001/29/EG lässt es zu, dass § 52a
UrhG die Zulässigkeit eines Zugänglichmachens zur Veranschaulichung im Un-
terricht von der in Art. 5 Abs. 3 Buchst. a der Richtlinie 2001/29/EG nicht aufge-
führten, einschränkenden Voraussetzung abhängig macht, dass kein angemes-
senes Lizenzangebot vorliegt. Zwar führt die Richtlinie 2001/29/EG die Aus-
nahmen und Beschränkungen in Bezug auf das Vervielfältigungsrecht und das
Recht der öffentlichen Wiedergabe erschöpfend auf (Erwägungsgrund 32
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Satz 1 der Richtlinie 2001/29/EG). Das bedeutet aber nur, dass Ausnahmen
und Beschränkungen nicht über das hinausgehen dürfen, was nach den einzel-
nen Bestimmungen des Art. 5 Abs. 2 und 3 der Richtlinie 2001/29/EG zulässig
ist. Angesichts der fakultativen Ausgestaltung der Bestimmungen und ange-
sichts der Möglichkeit, eine Beschränkung statt einer Ausnahme einzuführen,
ist eine hinter dem Zulässigen zurückbleibende Maßnahme hingegen richtli-
nienkonform (vgl. BGH, GRUR 2013, 1220 Rn. 40 bis 43 - Gesamtvertrag
Hochschul-Intranet, unter Hinweis auf die Schlussanträge der Generalanwältin
Eleanor Sharpston vom 24. Januar 2013 in den verbundenen Rechtssachen
C-457/11, C-458/11, C-459/11 und C-460/11, juris Rn. 37).
Dass es nach der Richtlinie 2001/29/EG zulässig ist, in nationalen
Schrankenregelungen einen Vorrang vertraglicher Abreden vorzusehen, lässt
sich auch dem Erwägungsgrund 45 der Richtlinie 2001/29/EG entnehmen. Da-
nach sollen die in Art. 5 Abs. 2, 3 und 4 der Richtlinie 2001/29/EG vorgesehe-
nen Ausnahmen und Beschränkungen vertraglichen Beziehungen zur Sicher-
stellung eines gerechten Ausgleichs für die Rechtsinhaber nicht entgegenste-
hen, soweit dies nach innerstaatlichem Recht zulässig ist (vgl. zu Art. 5 Abs. 3
Buchst. n der Richtlinie 2001/29/EG BGH, GRUR 2013, 503 Rn. 17 f. - Elektro-
nische Leseplätze).
Es kommt schließlich nicht darauf an, ob Art. 5 Abs. 5 der Richtlinie
2001/29/EG es gebietet, einem angemessenen Lizenzangebot den Vorrang ge-
genüber einer Art. 5 Abs. 3 Buchst. a der Richtlinie 2001/29/EG umsetzenden
Schrankenregelung einzuräumen. Jedenfalls steht Art. 5 Abs. 5 der Richtlinie
2001/29/EG dem nicht entgegen (vgl. BGH, GRUR 2013, 1220 Rn. 50 bis 52
- Gesamtvertrag Hochschul-Intranet).
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g) Entgegen der Ansicht des Berufungsgerichts erlaubt die Schrankenre-
gelung des § 52a Abs. 1 Nr. 1 UrhG nicht nur ein Bereithalten kleiner Teile ei-
nes Werkes zum Lesen am Bildschirm. Vielmehr gestattet sie ein Zugänglich-
machen kleiner Teile eines Werkes auch dann, wenn Unterrichtsteilnehmern
dadurch ermöglicht wird, diese Texte auszudrucken oder abzuspeichern und
damit zu vervielfältigen.
Die Bestimmung des § 52a Abs. 1 UrhG erlaubt allerdings nur ein Zu-
gänglichmachen, nicht dagegen ein Vervielfältigen. Auch § 52a Abs. 3 UrhG
gestattet nur zur öffentlichen Zugänglichmachung erforderliche Vervielfältigun-
gen, wie insbesondere das Abspeichern auf einem Server, nicht aber der digita-
len Zugänglichmachung nachfolgende Vervielfältigungen (Dreier in Dreier/
Schulze aaO § 52a Rn. 16; Dustmann in Fromm/Nordemann aaO § 52a UrhG
Rn. 19; Dreyer in Dreyer/Kotthoff/Meckel aaO § 52a UrhG Rn. 22).
Daraus folgt aber nicht, dass § 52a UrhG ein Zugänglichmachen nicht
zulässt, wenn es ein anschließendes Vervielfältigen ermöglicht. Die Bestim-
mung des § 52a UrhG besagt nichts über die Zulässigkeit von Anschlussnut-
zungen; diese können nach anderen Schrankenregelungen gestattet sein. So
kann das Ausdrucken oder Abspeichern von auf einer Lernplattform öffentlich
zugänglich gemachten kleinen Teilen eines Werkes durch Studierende von den
Schrankenregelungen des § 53 Abs. 2 und 3 UrhG gedeckt sein (vgl. BT-
Drucks. 15/837, S. 34; Loewenheim in Schricker/Loewenheim aaO § 52a UrhG
Rn. 18; Dreyer in Dreyer/Kotthoff/Meckel aaO § 52a UrhG Rn. 22; Dreier in
Dreier/Schulze aaO § 52a Rn. 16; Dustmann in Fromm/Nordemann aaO § 52a
UrhG Rn. 21; Lüft in Wandtke/Bullinger aaO § 52a UrhG Rn. 20; Braun/Keller,
jurisPR-ITR 13/2012 Anm. 4 unter C IV; Rauer, K&R 2012, 441; Rauer, GRUR-
Prax 2012, 226, 228 f.; Kianfar, GRUR 2012, 691, 695 f.).
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Zwar kann sich aus den Anforderungen des Dreistufentests ergeben,
dass ein Zugänglichmachen von Werken, das deren Vervielfältigung ermöglicht,
unzulässig ist, weil dadurch die normale Verwertung des Werkes beeinträchtigt
würde (vgl. zu § 52b UrhG BGH, GRUR 2013, 503 Rn. 33 bis 36 - Elektronische
Leseplätze). Dies ist bei dem hier in Rede stehenden Zugänglichmachen von
kleinen Teilen eines Werkes jedoch - wie ausgeführt (vgl. oben Rn. 53 bis 55) -
nicht der Fall.
II. Mit der vom Berufungsgericht gegebenen Begründung kann eine Haf-
tung der Beklagten als Teilnehmer oder Störer für von Studierenden begangene
Urheberrechtsverletzungen nicht bejaht werden.
1. Die Beklagte hat den Studierenden durch das Bereitstellen der Texte
auf der Lernplattform die Möglichkeit eingeräumt, die Beiträge abzuspeichern
und auszudrucken und damit zu vervielfältigen. Soweit die Studierenden zu die-
sem Vervielfältigen nicht berechtigt gewesen sein sollten, käme zwar eine Haf-
tung der Beklagten als Teilnehmer oder Störer in Betracht. Es ist jedoch weder
vom Berufungsgericht festgestellt noch vom Kläger vorgetragen, dass es in
konkreten Fällen zu unberechtigten Vervielfältigungen durch Studierende ge-
kommen ist. Davon kann auch nicht ohne Weiteres ausgegangen werden.
Gemäß § 53 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 UrhG ist es zulässig, einzelne Vervielfäl-
tigungsstücke eines Werkes zum eigenen wissenschaftlichen Gebrauch herzu-
stellen, wenn und soweit die Vervielfältigung zu diesem Zweck geboten ist und
sie keinen gewerblichen Zwecken dient. Ein wissenschaftlicher Gebrauch ist
auch der Gebrauch durch Studierende, die sich in ihrer Ausbildung über den
Erkenntnisstand der Wissenschaft informieren wollen (Loewenheim in Schri-
cker/Loewenheim aaO § 53 UrhG Rn. 40; W. Nordemann in Fromm/Nordemann
aaO § 53 UrhG Rn. 19; Dreyer in Dreyer/Kotthoff/Meckel aaO § 53 UrhG
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Rn. 51; Lüft in Wandtke/Bullinger aaO § 53 UrhG Rn. 26; Dreier in Drei-
er/Schulze aaO § 53 Rn. 23). Die Herstellung der Vervielfältigung ist zwar nicht
im Sinne dieser Bestimmung geboten, wenn der Erwerb oder die Ausleihe des
Werkes problemlos möglich und zumutbar ist (Loewenheim in Schricker/
Loewenheim aaO § 53 UrhG Rn. 41; W. Nordemann in Fromm/Nordemann aaO
§ 53 UrhG Rn. 19; Dreyer in Dreyer/Kotthoff/Meckel aaO § 53 UrhG Rn. 52; Lüft
in Wandtke/Bullinger aaO § 53 UrhG Rn. 27; Dreier in Dreier/Schulze aaO § 53
Rn. 23). Wird nur ein kleiner Teil eines Werkes zum wissenschaftlichen Ge-
brauch benötigt, ist es im Allgemeinen aber nicht zumutbar, das gesamte Werk
zu erwerben oder auszuleihen (vgl. Dreyer in Dreyer/Kotthoff/Meckel aaO § 53
UrhG Rn. 52). In einem solchen Fall ist daher das Ausdrucken oder Abspei-
chern des in Form einer Datei zugänglichen Werkteils in der Regel als geboten
anzusehen (vgl. Loewenheim in Schricker/Loewenheim aaO § 53 UrhG Rn. 42).
Darüber hinaus ist es nach § 53 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 Buchst. a Fall 1,
Satz 2 Nr. 1 und 2, Satz 3 UrhG zulässig, einzelne Vervielfältigungsstücke ei-
nes Werkes zum sonstigen eigenen Gebrauch herzustellen, wenn es sich um
kleine Teile eines erschienenen Werkes handelt und die Vervielfältigung auf
Papier oder einem ähnlichen Träger mittels beliebiger photomechanischer Ver-
fahren oder anderer Verfahren mit ähnlicher Wirkung vorgenommen wird oder
eine ausschließlich analoge Nutzung stattfindet. Auch diese Ausnahmebestim-
mung beruht auf der Erwägung, dass es dem Nutzer nicht zuzumuten ist, das
ganze Werk zu kaufen, wenn er nur kleine Teile des Werkes vervielfältigen will
(vgl. BT-Drucks. IV/270, S. 73). Deshalb setzt die Regelung keinen bestimmten
Zweck der Vervielfältigung voraus (Dreier in Dreier/Schulze aaO § 53 Rn. 33).
Schließlich sind gemäß § 53 Abs. 1 Satz 1 UrhG einzelne Vervielfälti-
gungen eines Werkes durch eine natürliche Person zum privaten Gebrauch auf
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beliebigen Trägern zulässig, sofern sie weder unmittelbar noch mittelbar Er-
werbszwecken dienen, soweit nicht zur Vervielfältigung eine offensichtlich
rechtswidrig hergestellte oder öffentlich zugänglich gemachte Vorlage verwen-
det wird. Diese Schrankenregelung gestattet das Ausdrucken und Abspeichern
der von der Beklagten auf der Lernplattform eingestellten Teile des Werkes
durch die Studierenden zum privaten Gebrauch, wenn diese Werkteile zwar
möglicherweise rechtswidrig, aber jedenfalls nicht offensichtlich rechtswidrig öf-
fentlich zugänglich gemacht worden sind. Das Vervielfältigen zu Ausbildungs-
zwecken ist allerdings kein privater Gebrauch (vgl. BGH, Urteil vom 9. Juni
1983 - I ZR 70/81, GRUR 1984, 54, 55 - Kopierläden; Dreyer in Dreyer/Kotthoff/
Meckel aaO § 53 UrhG Rn. 17; Dreier in Dreier/Schulze aaO § 53 Rn. 10; Lüft
in Wandtke/Bullinger aaO § 53 UrhG Rn. 22; Loewenheim in Schricker/
Loewenheim aaO § 53 UrhG Rn. 15; W. Nordemann in Fromm/Nordemann aaO
§ 53 UrhG Rn. 8; aA Rehbinder, Urheberrecht, 16. Aufl., Rn. 441 es komme auf
die Benutzung innerhalb der privaten Sphäre und nicht auf den verfolgten
Zweck an).
2. Desgleichen ist weder festgestellt noch vorgetragen, die Beklagte ha-
be darauf hingewirkt, dass Studierende von ihnen angefertigte Vervielfälti-
gungsstücke verbreiten oder öffentlich zugänglich machen. Auch insoweit
scheidet daher eine Haftung der Beklagten aus.
C. Danach ist das angefochtene Urteil auf die Revision der Beklagten
aufzuheben. Mit der vom Berufungsgericht gegebenen Begründung kann das
Vorliegen der Voraussetzungen der Schrankenregelung des § 52a Abs. 1 Nr. 1,
Abs. 2 UrhG nicht verneint werden (vgl. oben Rn. 19 bis 67). Das Berufungsur-
teil kann daher keinen Bestand haben.
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Auf die Berufung der Beklagten ist das landgerichtliche Urteil abzuän-
dern, soweit das Landgericht die Beklagte verurteilt hat, es zu unterlassen, Tei-
le des Werkes
„Meilensteine der Psychologie“ ohne Zustimmung des Klägers
zu verbreiten und/oder durch Dritte elektronisch vervielfältigen, verbreiten und
öffentlich zugänglich machen zu lassen (Tenor zu 1) sowie hinsichtlich dieser
Handlungen Auskunft zu erteilen (Tenor zu 2) und Schadensersatz zu leisten
(Tenor zu 3). Der Senat kann insoweit in der Sache selbst entscheiden (§ 563
Abs. 3 ZPO). Die Klage ist insoweit sowohl mit dem Hauptantrag als auch mit
den Hilfsanträgen unbegründet, da die Beklagte die Werkteile nicht verbreitet
hat (vgl. oben Rn. 18) und auch nicht als Teilnehmer oder Störer für unberech-
tigte Nutzungen durch Studierende haftet (vgl. oben Rn. 68 bis 73). Insoweit ist
die Klage deshalb abzuweisen.
Im Übrigen ist die Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung an
das Berufungsgericht zurückzuverweisen (§ 563 Abs. 1 Satz 1 ZPO), da es
noch weiterer Feststellungen bedarf. Das Berufungsgericht hat - von seinem
Standpunkt aus folgerichtig - die Angemessenheit des Lizenzangebots des Klä-
gers nicht geprüft. Ist das Lizenzangebot angemessen, kann die Beklagte sich
nicht mit Erfolg auf die Schrankenregelung des § 52a Abs. 1 Nr. 1, Abs. 3 UrhG
berufen (vgl. oben Rn. 56 bis 63); die Klage wäre dann im Übrigen mit dem
Hauptantrag zu 1 begründet. Ist das Lizenzangebot dagegen unangemessen,
kann die Beklagte sich mit Erfolg auf die Schrankenregelung des § 52a Abs. 1
Nr. 1, Abs. 3 UrhG berufen, soweit der Umfang der Werkteile insgesamt nicht
mehr als 63 Seiten umfasst (vgl. oben Rn. 24 bis 30); die Klage im Übrigen ist
dann nach dem Hauptantrag zu 1 unbegründet und nach dem ersten Hilfsan-
trag zu 1 insoweit begründet, als der Umfang der Werkteile insgesamt mehr als
63 Seiten umfasst.
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Eine Vorlage an den Gerichtshof der Europäischen Union nach Art. 267
Abs. 3 AEUV ist im Streitfall nicht veranlasst (vgl. EuGH, Urteil vom 6. Oktober
1982 - 283/81, Slg. 1982, 3415 = NJW 1983, 1257 Rn. 16 - C.I.L.F.I.T.; Urteil
vom 11. September 2008 - C-428/06, Slg. 2008, I-6747 = EuZW 2008, 757
Rn. 42 - UGT-Rioja u.a.). Insbesondere bestehen keine vernünftigen Zweifel
daran, dass die Annahme des Vorrangs eines angemessenen Vertragsange-
bots vor der Schrankenregelung des § 52a UrhG mit der Richtlinie 2001/29/EG
vereinbar ist (vgl. Rn. 60 bis 63).
Bornkamm
Pokrant
Büscher
Koch
Löffler
Vorinstanzen:
LG Stuttgart, Entscheidung vom 27.09.2011 - 17 O 671/10 -
OLG Stuttgart, Entscheidung vom 04.04.2012 - 4 U 171/11 -
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