Urteil des BGH vom 29.04.2008

Leitsatzentscheidung

BUNDESGERICHTSHOF
IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
VI ZR 220/07 Verkündet
am:
29. April 2008
Böhringer-Mangold
Justizamtsinspektorin
als
Urkundsbeamtin
der
Geschäftsstelle
in dem Rechtsstreit
Nachschlagewerk: ja
BGHZ: nein
BGHR: nein
BGB § 249 Abs. 2 Satz 1 Hb
Ein Unfallgeschädigter kann (fiktiv) die vom Sachverständigen geschätzten Repara-
turkosten bis zur Höhe des Wiederbeschaffungswerts in der Regel nur abrechnen,
wenn er das Fahrzeug mindestens sechs Monate weiternutzt und zu diesem Zweck -
falls erforderlich - verkehrssicher (teil-) reparieren lässt (im Anschluss an Senat,
BGHZ 154, 395 ff.; 168, 43 ff.).
BGH, Urteil vom 29. April 2008 - VI ZR 220/07 - LG Wiesbaden
AG Wiesbaden
- 2 -
Der VI. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat im schriftlichen Verfahren mit
Schriftsatzfrist bis zum 14. April 2008 durch die Richter Dr. Greiner, Wellner,
Pauge, Stöhr und Zoll
für Recht erkannt:
Die Revision gegen das Urteil der 3. Zivilkammer des Landge-
richts Wiesbaden vom 15. Juni 2007 wird auf Kosten des Klägers
zurückgewiesen.
Von Rechts wegen
Tatbestand:
Der PKW des Klägers ist bei einem Verkehrsunfall beschädigt worden.
Die Beklagte hat als Kraftfahrzeugpflichtversicherer des Unfallgegners in vollem
Umfang für den Schaden einzustehen.
1
Eine fachgerechte Instandsetzung des beschädigten Fahrzeugs hätte
nach sachverständiger Schätzung 1.916,70 € netto gekostet. Der Kläger ließ
die Reparatur jedoch kostengünstiger durchführen. Er veräußerte das Fahrzeug
spätestens nach 22 Tagen. Die Beklagte erstattete ihm einen Betrag von
1.300 €, den sie aus dem Wiederbeschaffungswert des Fahrzeugs vor dem Un-
fall in Höhe von 3.800 € unter Abzug eines Restwerts von 2.500 € errechnete.
2
- 3 -
Mit seiner Klage hat der Kläger die geschätzten Kosten einer fachgerech-
ten Reparatur abzüglich gezahlter 1.300 €, mithin 616,70 € nebst Zinsen und
vorgerichtlichen Anwaltskosten in Höhe von 295,51 € geltend gemacht. Hierbei
hat er eine 1,5 Geschäftsgebühr aus dem Gegenstandswert von 2.567 €
zugrunde gelegt, eine 0,75 Prozessgebühr aus dem Klagebetrag von 616,70 €
abgesetzt und die Postpauschale von 20 € sowie die Umsatzsteuer hinzuge-
rechnet.
3
Das Amtsgericht hat die Klage in der Hauptsache abgewiesen und vor-
gerichtliche Anwaltskosten lediglich aus einem Gegenstandswert von
1.879,06 € in Höhe von 254,62 € zugesprochen. Das Landgericht hat die Beru-
fung des Klägers, mit der dieser sein ursprüngliches Klageziel weiterverfolgt
hat, zurückgewiesen. Mit der vom Berufungsgericht zugelassenen Revision ver-
folgt der Kläger seine im Berufungsverfahren zuletzt gestellten Anträge weiter.
4
Entscheidungsgründe:
I.
Das Berufungsgericht hat zur Begründung seiner Entscheidung im We-
sentlichen ausgeführt, die vom Kläger durchgeführte Reparatur könne zwar
aufgrund der vorgelegten Lichtbilder und Anlagen nicht als unfachmännisch
bezeichnet werden; eine Reparatur mit Gebrauchtteilen sei im Hinblick auf das
Alter des Fahrzeugs angemessen. Der Kläger verstoße aber gegen das Berei-
cherungsverbot, wenn er trotz des alsbaldigen Weiterverkaufs durch den Unfall
wirtschaftlich besser gestellt werde als ohne das schädigende Ereignis.
5
- 4 -
II.
6
1. Das Berufungsurteil ist nicht schon aus formellen Gründen aufzuhe-
ben. Zwar ist nach der seit dem 1. Januar 2002 geltenden Fassung der Zivilpro-
zessordnung eine Aufnahme der Berufungsanträge in das Berufungsurteil nicht
entbehrlich. Der Antrag des Berufungsklägers braucht aber nicht unbedingt
wörtlich wiedergegeben zu werden. Es genügt, wenn aus dem Zusammenhang
der Ausführungen des Berufungsgerichts wenigstens sinngemäß deutlich wird,
was der Berufungskläger mit seinem Rechtsmittel erstrebt hat (vgl. Senat,
BGHZ 161, 151, 153 f.; Urteil vom 18. November 2003 - VI ZR 385/02 - VersR
2004, 255). Diesen Anforderungen genügt das angefochtene Urteil noch, wenn
es ausführt, der Kläger verfolge mit der Berufung sein ursprüngliches Klageziel
in vollem Umfang weiter. Hieraus kann im Zusammenhang mit dem Urteil des
Amtsgerichts, auf welches das Berufungsurteil verwiesen hat, das Berufungs-
begehren und der Berufungsvortrag des Klägers mit noch hinreichender Deut-
lichkeit erkannt werden.
2. Die Ausführungen des angefochtenen Urteils halten rechtlicher Über-
prüfung auch in der Sache stand.
7
a) Nach der Rechtsprechung des erkennenden Senats (vgl. Senat,
BGHZ 154, 395, 397 ff.; 162, 161, 164 f.; 163, 180, 184; Urteil vom
5. Dezember 2006 - VI ZR 77/06 - VersR 2007, 372, 373) stehen dem Unfallge-
schädigten für die Berechnung eines Kraftfahrzeugschadens im Allgemeinen
zwei Wege der Naturalrestitution zur Verfügung: Die Reparatur des Unfallfahr-
zeugs oder die Anschaffung eines "gleichwertigen" Ersatzfahrzeugs. Der Ge-
schädigte, der sein Fahrzeug tatsächlich reparieren lässt, kann grundsätzlich
Ersatz der Reparaturkosten verlangen, wenn diese den Wiederbeschaffungs-
wert nicht übersteigen.
8
- 5 -
b) Der Kläger begehrt jedoch nicht (etwa unter Vorlage der Reparatur-
rechnung) Erstattung der Kosten der tatsächlich durchgeführten Instandset-
zung. Er will vielmehr seinen Schaden (fiktiv) auf der Basis der geschätzten
Kosten für die Instandsetzung berechnen. Nach der Rechtsprechung des er-
kennenden Senats kann der Geschädigte die vom Sachverständigen geschätz-
ten Reparaturkosten bis zur Höhe des Wiederbeschaffungswerts in der Regel
jedoch nur abrechnen, wenn er das Fahrzeug mindestens sechs Monate wei-
ternutzt und zu diesem Zweck - falls erforderlich - verkehrssicher (teil-) reparie-
ren lässt (BGHZ 154, 395 ff.; 168, 43 ff.).
9
c) Nach den tatsächlichen Feststellungen des Berufungsgerichts hat der
Geschädigte im Streitfall das Fahrzeug spätestens 22 Tage nach dem Unfall
weiterveräußert mit der Folge, dass er nicht (fiktiv) die geschätzten Reparatur-
kosten, sondern nur den Wiederbeschaffungsaufwand verlangen kann. Da er
infolge der Weiterveräußerung den Restwert realisiert hat, muss er sich diesen
bei der Schadensberechnung mindernd anrechnen lassen.
10
3. Auch der Anspruch des Klägers auf Erstattung der ihm außergericht-
lich entstandenen Anwaltskosten gemäß Nr. 2300 VV RVG n.F. bemisst sich
daher unter Zugrundelegung des nach Abzug des Restwerts ermittelten Scha-
densbetrags. Der Ansatz einer 1,5-fachen Gebühr (vgl. Nr. 2300 VV RVG n.F.)
beschwert den Kläger nicht.
11
- 6 -
4. Nach allem ist die Revision mit der Kostenfolge aus § 97 Abs. 1 ZPO
zurückzuweisen.
12
Greiner Wellner Pauge
Stöhr Zoll
Vorinstanzen:
AG Wiesbaden, Entscheidung vom 15.02.2007 - 93 C 4757/06 -
LG Wiesbaden, Entscheidung vom 15.06.2007 - 3 S 17/07 -