Urteil des BGH vom 30.06.2000

Leitsatzentscheidung

BUNDESGERICHTSHOF
IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
V ZR 149/99
Verkündet am:
30. Juni 2000
K a n i k ,
Justizamtsinspektorin
als Urkundsbeamtin
der Geschäftsstelle
in dem Rechtsstreit
Nachschlagewerk:
ja
BGHZ:
nein
BGHR:
ja
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BGB §§ 123 Abs. 1, 242 Ca
Für die Frage, ob die Rechtslage des Getäuschten beeinträchtigt ist, kommt es auf
den Zeitpunkt der Abgabe der Anfechtungserklärung an, nicht den des Zugangs.
BGH, Urt. v. 30. Juni 2000 - V ZR 149/99 - OLG Düsseldorf
LG Düsseldorf
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Der V. Zivilsenat des Bundesgerichtshofes hat auf die mündliche Verhandlung
vom 30. Juni 2000 durch den Vorsitzenden Richter Dr. Wenzel und die Richter
Dr. Vogt, Tropf, Schneider und Dr. Lemke
für Recht erkannt:
Auf die Revision des Klägers wird das Urteil des 9. Zivilsenats
des Oberlandesgerichts Düsseldorf vom 1. März 1999 aufgeho-
ben.
Die Berufung des Beklagten gegen das Urteil der 13. Zivilkammer
des Landgerichts Düsseldorf vom 23. Januar 1998 wird zurück-
gewiesen.
Der Beklagte trägt die Kosten der Rechtsmittelverfahren.
Von Rechts wegen
Tatbestand:
Mit notariellem Vertrag vom 20. April 1996 erwarb der Kläger von dem
Beklagten unter Gewährleistungsausschluß eine vermietete Eigentumswoh-
nung zum Preis von 115.000 DM. In der Teilungserklärung ist bestimmt, daß
ein Erwerber für Wohngeldrückstände des Veräußerers haftet. Der Verkäufer
erklärte in dem Vertrag, daß Wohngeldrückstände nicht bestünden. Er hatte
die Eigentumswohnung mit notariellem Vertrag vom 27. Juli 1995 erworben, in
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dem festgehalten war, "daß Wohngeldrückstände in Höhe von z.Zt.
11.689,57 DM bestehen".
Nachdem der Kläger am 18. September 1996 im Grundbuch eingetragen
worden war, wurde ihm in einem gegen den Beklagten rechtshängigen Wohn-
geldverfahren über 10.931,92 DM, der Streit verkündet. Aufgrund eines Ange-
botes des Beklagten vom 20. März 1997 kam es mit der Hausverwaltung zu
einem Vergleich über 9.134,24 DM, die der Beklagte in der Folge auch be-
zahlte.
Mit Schreiben vom 14. November 1996, 20. Februar 1997, 9. und
20. Mai 1997 erklärte der Kläger die Anfechtung des Vertrages wegen einer
falschen Wirtschaftlichkeitsberechnung des vom Beklagten eingeschalteten
Vermittlers, wegen einer Täuschung über das Bestehen von rückständigen
Wohngeldforderungen und wegen des Verschweigens von baulichen Mängeln.
Er verlangt die Rückabwicklung des Vertrages. Das Landgericht hat der Klage
stattgegeben. Auf die Berufung des Beklagten hat das Oberlandesgericht diese
Entscheidung abgeändert und die Klage abgewiesen. Hiergegen richtet sich
die Revision des Klägers. Der Beklagte beantragt die Zurückweisung des
Rechtsmittels.
Entscheidungsgründe:
Die Revision hat Erfolg und führt zur Wiederherstellung des landgericht-
lichen Urteils.
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I.
Das Berufungsgericht führt aus, ein Anfechtungsrecht des Klägers we-
gen einer falschen Wirtschaftlichkeitsberechnung bestehe nicht, weil sich nicht
feststellen lasse, daß dies im Auftrag oder mit Wissen und Wollen des Be-
klagten geschehen sei. Hinsichtlich der Baumängel lasse sich nicht feststellen,
daß diese zum Zeitpunkt des Vertragsschlusses noch vorgelegen hätten. Die
auf die Täuschung über das Nichtbestehen von Wohngeldrückständen ge-
stützte Anfechtung sei rechtsmißbräuchlich, weil ein wirtschaftlicher Nachteil
für den Kläger nicht mehr bestehe. Es sei zwar unklar, ob die Zahlung des Be-
klagten vor der Anfechtungserklärung aus diesem Grunde erfolgt sei. Dem Klä-
ger sei es nach Treu und Glauben jedoch zuzumuten gewesen, mit der An-
fechtung zunächst abzuwarten, nachdem er seine Zahlungsverpflichtung ge-
genüber der Wohnungseigentümergemeinschaft nie bestritten und dieser mit
Schreiben vom 20. März 1997 ein Vergleichsangebot unterbreitet habe. Auf die
vorher mit Schriftsatz vom 20. Februar 1997 erklärte Anfechtung könne nicht
abgestellt werden, denn es sei nicht erkennbar, daß dem Beklagten diese Er-
klärung vor Mai 1997 zugegangen sei.
II.
Diese Beurteilung hält der rechtlichen Nachprüfung im Ergebnis nicht
stand.
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1. Zutreffend ist zwar die Ausgangsüberlegung des Berufungsgerichts,
daß die Voraussetzungen einer Anfechtung wegen arglistiger Täuschung nach
§ 123 Abs. 1 BGB gegeben sind. Der Beklagte hat wahrheitswidrig erklärt,
Wohngeldrückstände bestünden nicht. Er nahm damit zumindest billigend in
Kauf, daß der Kläger ohne diese Täuschung die Willenserklärung nicht, nicht
zu diesem Zeitpunkt oder nicht mit dem vereinbarten Inhalt abgegeben hätte.
Dies genügt. Jedoch rügt die Revision, die die Ausführungen des Berufungsge-
richts zu den weiteren Anfechtungsgründen hinnimmt, mit Recht, daß das Be-
rufungsgericht nicht von der mit Schriftsatz vom 20. Februar 1997 erklärten
Anfechtung wegen der Wohngeldrückstände ausgehe.
2. Der Kläger hat die Anfechtung wirksam mit dem Schriftsatz vom
20. Februar 1997 erklärt. In diesem Schriftsatz ist erstmals die Täuschung über
das Bestehen von rückständigen Wohngeldforderungen als Anfechtungsgrund
genannt. Sie gilt damit als eigenständige Anfechtungserklärung. Diese Erklä-
rung erfolgte durch den dazu berechtigten Prozeßbevollmächtigten des Klägers
(vgl. Thomas/Putzo, ZPO, 22. Aufl., § 81 Rdn. 5 m.w.N.). Sie ist dem Beklagten
auch fristgerecht (§ 124 Abs. 1 BGB) zugegangen (§ 130 Abs. 1 Satz 1 BGB).
Dies geschah spätestens am 30. Juli 1997 zusammen mit der förmlichen Zu-
stellung der Klage.
3. Entgegen der Ansicht des Berufungsgerichts steht der Anfechtung der
Einwand der unzulässigen Rechtsausübung (§ 242 BGB) nicht entgegen. Zwar
kann eine Anfechtung wegen arglistiger Täuschung nach Treu und Glauben
ausgeschlossen sein, wenn die Rechtslage des Getäuschten durch die arglisti-
ge Täuschung nicht oder nicht mehr beeinträchtigt ist (vgl. RGZ 128, 116, 121;
BGH, Urt. v. 5. Dezember 1975, V ZR 34/74, WM 1976, 111, 113; v.
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15. Dezember 1976, VIII ZR 97/75, WM 1977, 343, 344; v. 1. Juli 1983,
V ZR 93/82, WM 1983, 1055, 1056; v. 11. März 1992, VIII ZR 291/90, ZIP
1992, 775, 777; v. 19. Februar 1993, V ZR 249/91, NJW-RR 1993, 948, 949).
Für die Beurteilung dieser Frage kommt es aber auf den Zeitpunkt der Abgabe
der Anfechtungserklärung, nicht den des Zugangs an (vgl. BGH, Urt. v.
15. Dezember 1976, v. 1. Juli 1983, v. 11. März 1992 und v. 19. Februar 1993,
jeweils aaO). Der Kläger hatte die Anfechtung wegen der rückständigen
Wohngeldforderung bereits mit der Absendung des Schriftsatzes seines Pro-
zeßbevollmächtigten vom 20. Februar 1997, der beim Landgericht am 25. Fe-
bruar 1997 eingegangen ist, erklärt. Zu diesem Zeitpunkt bestand die durch die
arglistige Täuschung des Beklagten verursachte Beeinträchtigung noch, denn
dieser hat den Rückstand jedenfalls erst nach dem 20. März 1997 ausgegli-
chen.
4. Der Grundsatz von Treu und Glauben erfordert es entgegen der Auf-
fassung des Berufungsgerichts nicht, daß der Anfechtungsberechtigte zunächst
abwartet, ob der Täuschende die durch die Täuschung verursachte Beein-
trächtigung alsbald beseitigt. Die tatbestandlichen Voraussetzungen des § 123
Abs. 1 BGB sehen eine solche Einschränkung nicht vor. Sie ist auch nicht nach
Treu und Glauben geboten. Wer seinen Vertragspartner arglistig täuscht, ist zu
Recht mit der Gefahr einer Anfechtung des Vertrages belastet. Diese Gefahr zu
mindern, indem man die Möglichkeit einräumt, die arglistig herbeigeführte Be-
einträchtigung des Vertragspartners zu beseitigen, um damit der Anfechtung
die Grundlage entziehen zu können, wäre schon grundsätzlich verfehlt. Zudem
fehlt es auch an den tatsächlichen Voraussetzungen für die Annahme des Be-
rufungsgerichts. Es ist nicht festgestellt und es fehlt auch jeder Anhaltspunkt
dafür, daß und gegebenenfalls wann dem Kläger die mit dem Schreiben vom
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20. März 1997 angekündigte Zahlungsbereitschaft des Beklagten bekannt ge-
worden sein soll und zu welchem Zeitpunkt die Zahlung erfolgt ist.
Wenzel
Vogt
Tropf
Schneider
Lemke