Urteil des BGH vom 21.07.2005

Leitsatzentscheidung

BUNDESGERICHTSHOF
IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
IX ZR 6/02
Verkündet am:
21. Juli 2005
Bürk
Justizhauptsekretärin
als Urkundsbeamtin
der Geschäftsstelle
in dem Rechtsstreit
Nachschlagewerk:
ja
BGHZ:
nein
BGHR:
ja
BGB § 675
a) Auf Grund eines eingeschränkten Mandats muß ein Steuerberater den Man-
danten vor steuerlichen Nachteilen, die außerhalb des Mandats drohen,
nicht warnen, wenn er davon ausgehen darf, der Mandant sei anderweitig
fachkundig beraten.
b) Leitet der Berater daraus, daß der Mandant eine besondere Nachfrage bei
ihm unterlassen habe, ein Mitverschulden her, muß er darlegen und bewei-
sen, daß die Anfrage unterblieben ist.
BGH, Urteil vom 21. Juli 2005 - IX ZR 6/02 - OLG Frankfurt am Main
LG Frankfurt am Main
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Der IX. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat auf die mündliche Verhandlung
vom 21. Juli 2005 durch den Vorsitzenden Richter Dr. Fischer, die Richter
Dr. Ganter, Vill, Cierniak und die Richterin Lohmann
für Recht erkannt:
Auf die Revisionen der Beklagten und der Klägerin wird das Urteil
des 19. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Frankfurt am Main
vom 12. Dezember 2001 aufgehoben.
Die Sache wird zur neuen Verhandlung und Entscheidung - auch
über die Kosten des Revisionsverfahrens - an das Berufungsge-
richt zurückverwiesen.
Von Rechts wegen
Tatbestand:
Die Klägerin ist die Witwe des im Jahre 1992 verstorbenen C.
B. (i.F.: Erblasser). Dieser hatte zu seinen Erben die gemeinsamen Kinder
eingesetzt. Die Beklagte war die langjährige Steuerberaterin des Erblassers
und der von ihm beherrschten Firmengruppe. Deren Belange wurden im Hause
der Beklagten speziell von dem Abteilungsdirektor Dr. R. betreut. Zuletzt
erledigte die Beklagte die Anfertigung der Erbschaftsteuererklärung für die Er-
ben.
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Mit Schreiben vom 7. November 1994 teilte die Klägerin der Beklagten
mit: "Wie Sie wissen, habe ich einen Anwalt (den Rechtsanwalt, Steuerberater
und Wirtschaftsprüfer Dr. F. ) mit der Ausarbeitung von Lösungskonzep-
ten für einen Erbauseinandersetzungsvertrag zwischen meinen Kindern und
mir beauftragt mit der Zielsetzung, in Abfindung meines Pflichtteilsanspruchs
eine steueroptimierte Lösung sowohl für meine Kinder als auch für mich unter
Berücksichtigung erb- und einkommensteuerlicher Auswirkungen auf beiden
Seiten zu erarbeiten". Sie bat die Beklagte, ihr das zu diesem Zweck benötigte
Zahlenmaterial zu überlassen. Auf dieser Grundlage werde Rechtsanwalt
Dr. F. seine konzeptionellen Vorschläge überprüfen. Sodann werde ein
Gespräch stattfinden, zu dem die Klägerin zum gegebenen Zeitpunkt
Dr. R. und den für die Beurkundung vorgesehenen Notar, Dr. S. ,
hinzubitten werde.
Die Klägerin übersandte der Beklagten unter dem 5. April 1995 einen
von Dr. F. erarbeiteten Vertragsentwurf, der unter anderem die Übertra-
gung von Grundeigentum und Unternehmensbeteiligungen auf die Klägerin
vorsah. Die Klägerin bat die Beklagte, sie wissen zu lassen, wie man den Ver-
tragsentwurf beurteile. Dieser Bitte kam Dr. R. am 12. April 1995 nach.
Die Beklagte berechnete hierfür im Juni 1995 ein Honorar, welches die Kläge-
rin bezahlte.
Auf Anfrage der Beklagten teilte die Klägerin dieser mit Schreiben vom
29. August 1995 Folgendes mit: "Es ist fraglich, ob die vertragliche Regelung
meiner Erb- bzw. Pflichtteilsansprüche noch in diesem Jahr zum Abschluß ge-
bracht werden kann, da der Ihnen bekannte Vertragsentwurf des Herrn
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Dr. F. bislang von Herrn Dr. S. noch nicht in eine beurkundungsrei-
fe Form gebracht wurde ...".
Im September 1995 teilte Dr. F. der Klägerin mit, der Vertrag müs-
se, um steuerliche Nachteile zu vermeiden, noch im selben Jahr beurkundet
werden. Er verwies auf die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom
22. Juni 1995 (BVerfGE 93, 165 = NJW 1995, 2624), die erwarten lasse, daß
die Bemessungsgrundlage der Erbschaftsteuer für Grundbesitz demnächst ge-
ändert werde.
Am 13. September 1995 schlossen die Klägerin und ihre Kinder in An-
wesenheit des Notars Dr. S. einen privatschriftlichen "Vertrag zur Ab-
wendung von Pflichtteilsrechten", der im wesentlichen dem Entwurf des
Dr. F. entsprach. Der Vertrag wurde am 19. August 1996 von
Dr. S. notariell beurkundet.
Auf der Grundlage des Ende 1996 verkündeten Jahressteuergesetzes
1997 (BGBl. I 1996 S. 2049) legte das Finanzamt bei der erbschaftsteuerlichen
Bewertung des Erbauseinandersetzungsvertrages die ab 1. Januar 1996 gel-
tenden Bewertungsrichtlinien zugrunde. Dies führte zum Anfall von Erbschaft-
steuer in Höhe von 681.872,00 DM, die bei Abschluß des Vertrages noch im
Jahr 1995 nicht entstanden wäre.
Die Klägerin nimmt deswegen aus eigenem und abgetretenem Recht
ihrer Kinder die Beklagte auf Zahlung und Feststellung der Pflicht zum Ersatz
aller weiteren Schäden in Anspruch. Sie legt der Beklagten zur Last, sie nicht
darauf hingewiesen zu haben, daß zur Vermeidung steuerlicher Nachteile eine
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Beurkundung noch im Jahr 1995 erfolgen müsse. Da Dr. F. dies für erfor-
derlich gehalten habe, der Notar Dr. S. jedoch gegenteiliger Meinung
gewesen sei, habe sie Dr. R. von der Beklagten um seine Meinung gebe-
ten. Dieser habe im Herbst 1995 ausdrücklich versichert, es sei kein Grund zur
Eile gegeben, weil der Vertrag eine steuerliche Rückbeziehung auf den Tag
des Erbfalls vorsehe. Das Landgericht hat die Klage abgewiesen. Auf die Beru-
fung der Klägerin hat das Oberlandesgericht ihr aus abgetretenem Recht hälf-
tigen Schadensersatz zugesprochen. Dagegen wenden sich beide Parteien mit
jeweils selbständigen Revisionen.
Entscheidungsgründe:
Die Rechtsmittel führen zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und
zur Zurückverweisung.
A.
Das Berufungsgericht hat ausgeführt, die Beklagte habe nach Abgabe
ihrer Stellungnahme zu dem von Dr. F. gelieferten Entwurf am 12. Mai
1995 kein Mandat hinsichtlich des Erbauseinandersetzungsvertrages mehr ge-
habt. Weder sei sie beauftragt gewesen, die Arbeit von Dr. F. zu beglei-
ten, noch könne festgestellt werden, daß die Beklagte um ihren Rat gebeten
worden sei, ob hinsichtlich der absehbaren Änderung der Rechtslage die recht-
liche Beurteilung von Dr. F. oder von Dr. S. zutreffend sei. Indes
habe die Beklagte eine nachvertragliche Hinweispflicht verletzt. Ein Steuerbe-
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rater habe auch außerhalb eines Mandats die vertragliche Nebenpflicht, den
Mandanten vor Schaden zu bewahren, und müsse deshalb von sich aus auf
steuerliche Fehlentscheidungen, die offen zu Tage lägen, aufmerksam ma-
chen. Es sei für einen durchschnittlichen Steuerberater offenkundig gewesen,
daß der Erbengemeinschaft bei einer Beurkundung nach dem Ende des Jahres
1995 ein Steuerschaden gedroht habe. Einen entsprechenden Hinweis habe
die Beklagte pflichtwidrig und schuldhaft unterlassen. Wäre er gegeben wor-
den, hätte die Klägerin ihn befolgt. Daß sie die Warnung des Dr. F. nicht
zum Anlaß genommen habe, die Beurkundung vorzuverlegen, spreche nicht
dagegen. Denn es sei die Beklagte gewesen, die ihr besonderes Vertrauen
genossen habe. Durch das Unterlassen des Hinweises sei der Erbengemein-
schaft der mit der Klage geltend gemachte Schaden entstanden. Die Klägerin
könne diesen jedoch nur zur Hälfte ersetzt verlangen, weil sie ein erhebliches
Mitverschulden treffe. Angesichts der Meinungsverschiedenheit zwischen
Dr. F. und Dr. S. hätte die Klägerin anderweitigen Rat einholen
müssen. Ihre Behauptung, sie habe sich deswegen an die Beklagte gewandt,
sei nicht bewiesen.
B.
Diese Ausführungen halten in wesentlichen Punkten einer rechtlichen
Überprüfung nicht stand. Prozeßentscheidend ist die Behauptung der Klägerin,
die Beklagte sei wegen der von den übrigen Fachleuten - nämlich Dr. F.
und Dr. S. - unterschiedlich beurteilten steuerlichen Auswirkungen der
zu erwartenden Rechtsänderung um ihren Rat gefragt worden und habe diesen
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falsch erteilt. Wurde die Beklagte nicht gefragt, mußte sie die Klägerin nicht
warnen, wenn sie davon ausgehen durfte, die Klägerin sei anderweitig beraten.
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I. Die Revision der Beklagten
1. Auf der Grundlage des vom Berufungsgericht angenommenen Sach-
verhalts kann von der Verletzung einer nachvertraglichen Pflicht der Beklagten
nicht ausgegangen werden.
a) Nach der Rechtsprechung des Senats muß zwar ein Steuerberater,
dem lediglich ein eingeschränktes Mandat erteilt ist, den Mandanten auch vor
außerhalb seines Auftrages liegenden steuerlichen Fehlentscheidungen war-
nen, wenn sie ihm bekannt oder für einen durchschnittlichen Berater auf den
ersten Blick ersichtlich sind (BGHZ 128, 358, 362; BGH, Urt. v. 7. Mai 1991
- IX ZR 188/90, WM 1991, 1303, 1304).
Ist der Mandant anderweitig fachkundig beraten, kann eine derartige
Warnpflicht jedoch nur eingeschränkt gelten. Hat etwa ein Steuerberater nur
den Auftrag, einen von dem Mandanten als Spezialisten eingeschalteten ande-
ren Steuerberater als Mitprüfer zu begleiten, muß der allgemeine Steuerberater
den Spezialisten nicht überwachen. Er hat den Mandanten vor etwaigen Fehl-
leistungen des Spezialisten nur zu warnen, wenn er diese erkennt oder erken-
nen und zugleich annehmen muß, daß der Mandant die Gefahr möglicherweise
nicht bemerkt (BGH, Urt. v. 4. Mai 2000 - IX ZR 142/99, WM 2000, 1591, 1593;
v. 19. Juli 2001 - IX ZR 246/00, WM 2001, 1868, 1869). Einen Steuerberater,
der bezüglich des Umstands, aus dem Gefahr droht, überhaupt kein Mandat
hat, können keine weitergehenden Pflichten treffen.
Diese Grundsätze gelten auch dann, wenn das Mandat des anderen Be-
rufsträgers beendet ist oder es sich von vornherein nicht auf den Umstand er-
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streckt, der die Warnpflicht auslösen kann, der Mandant gegenüber dem ersten
Steuerberater jedoch den gegenteiligen Eindruck erweckt hat. Dann darf sich
der erste Steuerberater darauf verlassen, der Mandant werde in der entschei-
denden Frage sachkundig anderweitig beraten.
b) Das Berufungsgericht hat angenommen, die Beklagte habe zwar ein
Dauermandat gehabt, die Neuordnung des Erbes im Rahmen eines Erbausei-
nandersetzungsvertrages sei jedoch von diesem ausgenommen gewesen. Da-
nach hätte die Beklagte ein eingeschränktes Mandat gehabt.
Deren Revision macht geltend, die Klägerin sei - durch Rechtsanwalt
Dr. F. - anderweitig fachkundig beraten gewesen. Entsprechenden Vortrag
hatte sie auch bereits in den Tatsacheninstanzen gehalten. Die Klägerin hatte
demgegenüber behauptet, im Jahre 1995 habe Dr. F. kein Steuerbera-
tungsmandat gehabt und mit Erstellung des Vertragsentwurfs Anfang April
1995 sei auch das darauf gerichtete Mandat erledigt gewesen. Sie hat jedoch
zugleich vorgetragen, Dr. F. habe sie tatsächlich - und zwar zutreffend -
über die steuerliche Unmöglichkeit einer Rückbeziehung des Pflichtteilsabgel-
tungsvertrages beraten. Zum Fortbestehen des Mandatsverhältnisses mit
Dr. F. hat das Berufungsgericht keine Feststellungen getroffen.
Die Beklagte hat in den Tatsacheninstanzen weiter vorgetragen, von
einer etwaigen Beendigung des Dr. F. erteilten Mandats habe sie nichts
gewußt. Allerdings hat sie auch nicht behauptet, sie habe den von Dr. F.
- nach Darstellung der Klägerin: außervertraglich - erteilten Hinweis auf die
Notwendigkeit, die Beurkundung des Pflichtteilsabgeltungsvertrages vorzuzie-
hen, gekannt. Vielmehr hat sie bestritten, wegen eben dieses von Dr. F.
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erteilten Hinweises um ihre Meinung gefragt worden zu sein. Falls die Beklagte
aufgrund der ihr seitens der Klägerin erteilten Informationen davon ausgehen
konnte, die Klägerin werde auch über die steuerlichen Auswirkungen des
Pflichtteilsabgeltungsvertrages fortlaufend von Dr. F. beraten, hätte für
sie kein Anlaß bestanden, Warnungen wegen der zu erwartenden Änderungen
der steuerlichen Rechtslage auszusprechen. Denn tatsächlich hat Dr. F.
die neue Rechtslage vollständig überblickt und die Klägerin zutreffend beraten.
Ob die Klägerin bei der Beklagten die Vorstellung geweckt hat, sie werde wei-
terhin von Dr. F. beraten, ist wiederum tatrichterlich nicht festgestellt.
2. Auch zur Kausalität der angenommenen Pflichtverletzung für den
Schaden erhebt die Revision durchgreifende Rügen.
Das Berufungsgericht hat gemeint, die Vermutung aufklärungsrichtigen
Verhaltens (vgl. BGHZ 123, 311, 315; BGH, Urt. v. 9. November 1995 - IX ZR
161/94, WM 1996, 71, 73) werde im vorliegenden Fall nicht dadurch entkräftet,
daß die Klägerin dem von Dr. F. Mitte September erteilten Hinweis auf die
Notwendigkeit einer notariellen Beurkundung noch in diesem Jahr nicht gefolgt
sei. Denn die Beklagte sei es gewesen, die das besondere Vertrauen der Klä-
gerin genossen habe.
Jedenfalls dann, wenn die Klägerin die Beklagte nicht um ihre Meinung
zu der von Dr. F. ausgesprochenen Warnung gefragt hat - und dies hat
das Berufungsgericht für möglich erachtet -, ist diese Begründung nicht haltbar.
Die Klägerin hatte die Erarbeitung des Pflichtteilsabgeltungsvertrages aus-
schließlich Dr. F. anvertraut, diesen Komplex somit aus dem der Beklag-
ten erteilten Dauermandat herausgenommen. Nach den Feststellungen des
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Berufungsgerichts sollte die Beklagte Dr. F. bei seiner Tätigkeit nicht ein-
mal mitprüfend begleiten. Als dann Dr. F. seine Warnung aussprach und
der Klägerin, als diese nicht sogleich darauf einging, empfahl, hierzu fachlichen
Rat einzuholen, hat sie - nach der Beweiswürdigung des Berufungsgerichts -
jedenfalls die Beklagte nicht konsultiert. Statt dessen ist sie der Meinung ihres
langjährigen Hausnotars Dr. S. gefolgt, der die Bedenken für unbegrün-
det hielt. Auf dieser tatsächlichen Grundlage kann von einer besonderen Ver-
trauensstellung der Beklagten, welche die Klägerin veranlaßt habe, die Mei-
nung der Beklagten derjenigen des Dr. S. vorzuziehen, nicht die Rede
sein.
II. Die Revision der Klägerin
1. Mit ihrer Revision macht die Klägerin geltend, die Beklagte hafte nicht
nur zur Hälfte, sondern vollen Umfangs, weil sie - die Klägerin - sich über
Dr. S. bei dem für die Beklagte handelnden Dr. R. erkundigt habe,
was er von der Meinung des Dr. F. halte, die Beurkundung des Pflicht-
teilsabgeltungsvertrages sei steuerschädlich, wenn sie erst 1996 erfolge. Dar-
aufhin habe Dr. R. ihr ausrichten lassen, eine Beurkundung noch im Jah-
re 1995 sei aus erbschaftsteuerlichen Gründen nicht geboten. Damit beruft sich
die Revision der Klägerin zum einen auf eine andere, schwerer wiegende
Pflichtverletzung - wobei ihr insoweit die Beweislast obläge -, und zum anderen
leugnet sie ein Mitverschulden.
2. Im ersten Punkt wird die Beweiswürdigung des Berufungsgerichts mit
Erfolg angegriffen. Insofern ist die Nachprüfung durch das Revisionsgericht
darauf beschränkt, ob der Tatrichter sich mit dem Prozeßstoff und den Beweis-
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ergebnissen umfassend und widerspruchsfrei auseinandergesetzt hat, die Wür-
digung also vollständig und rechtlich möglich ist und nicht gegen Denkgesetze
und Erfahrungssätze verstößt (ständige Rechtsprechung, vgl. BGH, Urt. v.
14. Januar 1993 - IX ZR 238/91, NJW 1993, 935, 937).
a) Nach Auffassung des Berufungsgerichts hat die erstinstanzliche Be-
weisaufnahme nicht ergeben, daß der Notar Dr. S. das von ihm als
Zeuge geschilderte Telefongespräch mit Dr. R. geführt hat. Der Zeuge ist
zweimal gehört worden, einmal vor dem Einzelrichter als beauftragtem Richter
und ein zweites Mal vor der vollbesetzten Kammer. Der wesentliche Inhalt der
Zeugenaussage ging jeweils dahin, Dr. R. habe auf Vorhalt des von
Dr. F. eingenommenen Standpunkts geantwortet, es sei aus erbschaft-
steuerlichen Gründen nicht geboten, den Pflichtteilsabgeltungsvertrag noch im
Jahr 1995 zu beurkunden. Daraufhin habe er die Klägerin angerufen und ihr
gesagt, seiner Meinung nach irre sich Dr. F. .
b) Das Berufungsgericht hat ausgeführt, seine Zweifel an den Aussagen
des Dr. S. gründeten sich auf Widersprüche. Bei seiner Vernehmung
vor dem beauftragten Richter habe der Zeuge das in Rede stehende Fernge-
spräch mit Dr. R. als kurz bezeichnet; demgegenüber habe er vor der
Kammer ausgesagt, in den Gesprächen mit Dr. R. seien immer relativ
komplexe Themen, die nicht einfach gewesen seien, angesprochen worden.
Wie die Revision zu Recht rügt, besteht dieser Widerspruch nicht. Ausweislich
des Protokolls stammt die zweite Aussage von dem Zeugen Dr. R. ; das
Berufungsgericht hat sie irrtümlich Dr. S. zugeschrieben (Verstoß ge-
gen § 286 ZPO).
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c) Ferner hat es das Berufungsgericht als wenig nachvollziehbar be-
zeichnet, daß der Zeuge Dr. S. in einem Gespräch, in dem es um die Not-
wendigkeit notarieller Beurkundung gegangen sei, den wenige Tage zuvor,
nämlich am 13. September 1995, vor ihm unterzeichneten privatschriftlichen
Vertrag nicht erwähnt haben will. Die Revision weist zutreffend darauf hin, daß
der Zeuge bei keiner der durchgeführten Vernehmungen ausdrücklich angege-
ben hat, er habe die Unterzeichnung des privatschriftlichen Vertrags nicht er-
wähnt. Aus dem Protokoll ergibt sich nicht, daß er dazu überhaupt befragt wor-
den ist. Unter diesen Umständen darf eine verneinende Aussage nicht einfach
unterstellt werden (Verstoß gegen § 286 ZPO).
d) Aus der Aussage des Zeugen Dr. S. , er habe nach dem Ge-
spräch mit Dr. R. die Klägerin angerufen und ihr mitgeteilt, er meine, daß
Dr. F. irre, hat das Berufungsgericht gefolgert, das Gespräch zwischen
Dr. S. und Dr. R. könne nicht den von dem Erstgenannten ge-
schilderten Inhalt gehabt haben. Auch dies erscheint fehlerhaft (Verstoß gegen
§ 286 ZPO). Das Berufungsgericht hat die Aussage des Zeugen, er sei von der
Klägerin wegen der von Dr. F. geäußerten Bedenken angesprochen wor-
den und diese habe ihm die Telefonnummer Dr. F. gegeben, nicht in
Zweifel gezogen. War jedoch die telefonische Erkundigung des Zeugen bei
Dr. R. von der Klägerin angeregt worden, liegt es nahe, daß der Zeuge
der Klägerin später über das Ergebnis seiner Erkundigung berichtet hat. Je-
denfalls bedurfte es einer näheren Begründung, weshalb die Klägerin die im
Anschluß an das Telefonat erfolgte Mitteilung des Zeugen, er meine, daß sich
Dr. F. irre, nicht dahin verstehen durfte, der Zeuge sei in seiner Meinung
durch Dr. R. bestärkt worden. Eine derartige Begründung enthält das Be-
rufungsurteil nicht.
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e) Schließlich hat es das Berufungsgericht - wie die Revision mit Recht
beanstandet - verabsäumt, die Angaben des Zeugen Dr. F. in seine Wür-
digung mit einzubeziehen (Verstoß gegen § 286 ZPO). Dieser hat ausgesagt,
er sei von Dr. S. angerufen worden. Dieser habe ihm unter Bezugnahme
auf das zwischen ihm - Dr. F. - und der Klägerin geführte Gespräch mit-
geteilt, er brauche sich bezüglich der Beurkundungspflicht noch im Jahre 1995
keine Gedanken zu machen, er - Dr. S. - habe mit Dr. R. gespro-
chen, es bestehe keine Eile.
f) Das Berufungsgericht hat auch nicht den späteren, bis zum Ende des
Jahres 1996 reichenden Schriftwechsel - insbesondere das Schreiben des
Dr. R. vom 23. Dezember 1996 - berücksichtigt, aus dem sich nach dem
Vortrag der Klägerin ergibt, Dr. R. sei der verfehlten Auffassung gewesen,
die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 22. Juni 1995 habe für
die Bewertung der zu übertragenden Grundstücke keine Bedeutung (Verstoß
gegen § 286 ZPO).
3. Wenn offen bleibt, ob die Beklagte um ihren Rat gefragt wurde, geht
dies zu ihren Lasten, soweit sie daraus ein Mitverschulden der Klägerin herlei-
tet. In dieser Hinsicht hat das Berufungsgericht - wie die Revision mit Recht
rügt - die Beweislast verkannt.
Das Berufungsgericht hat angenommen, aufgrund des Hinweises von
Dr. F. hätte die Klägerin Rat einholen müssen. Dr. S. sei dafür
nicht in Betracht gekommen. Der Beweis, daß sie jemand anders - insbeson-
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dere Dr. R. - um seinen Rat gefragt habe, sei der Klägerin nicht gelun-
gen.
Der Klägerin oblag die Beweislast zwar insofern, als sie mit der behaup-
teten Anfrage - in Verbindung mit der angeblichen Antwort des Dr. R. -
eine zusätzliche Pflichtverletzung der Beklagten geltend gemacht hat; soweit
aus dem Unterlassen der Anfrage ein Mitverschulden an der Schadensentste-
hung hergeleitet wird, muß jedoch die Beklagte beweisen, daß sie nicht von der
Klägerin um Rat gefragt worden ist (vgl. BGHZ 91, 243, 260; BGH, Urt v.
30. Mai 2001 - VIII ZR 70/00, ZIP 2001, 1461, 1462; v. 30. September 2003
- XI ZR 232/02, ZIP 2003, 2196, 2198).
C.
Das angefochtene Urteil ist somit aufzuheben (§ 564 Abs. 1 ZPO a.F.).
Die Sache ist an das Berufungsgericht zurückzuverweisen (§ 565 Abs. 1 ZPO
a.F.), damit festgestellt wird - sei es durch Überprüfung der erhobenen Bewei-
se, sei es durch eine neue Beweisaufnahme -, ob der für die Beklagte han-
delnde Dr. R. im Spätjahr 1995 zu der Kontroverse zwischen Dr. F.
und Dr. S. befragt wurde und eine unzutreffende Antwort gab. Falls sich
dies wieder nicht feststellen lassen sollte, wird zu prüfen sein, ob die Beklagte
damals davon ausgehen mußte, die Klägerin werde nicht anderweitig fachlich
beraten und sie laufe Gefahr, aus Rechtsunkenntnis steuerliche Nachteile zu
erleiden. Gegebenenfalls wird sich das Berufungsgericht der Frage nach der
Ursächlichkeit erneut zuwenden müssen.
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Fischer
Ganter
Vill
Cierniak
Lohmann