Urteil des BGH vom 05.10.2005

Arzneimittelgebrauchsmuster Leitsatzentscheidung

BUNDESGERICHTSHOF
BESCHLUSS
X ZB 7/03
vom
5. Oktober 2005
in der Rechtsbeschwerdesache
betreffend die Gebrauchsmusteranmeldung 200 14 819.2
Nachschlagewerk: ja
BGHZ: ja
BGHR: ja
Arzneimittelgebrauchsmuster
GebrMG § 2
§ 2 Nr. 3 GebrMG schließt die Eintragung eines Gebrauchsmusters für die Ver-
wendung bekannter Stoffe im Rahmen einer medizinischen Indikation nicht aus.
BGH, Beschl. v. 5. Oktober 2005 - X ZB 7/03 - Bundespatentgericht
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Der X. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat am 5. Oktober 2005 durch
den Richter Scharen, die Richterin Ambrosius und die Richter Prof. Dr. Meier-
Beck, Asendorf und Dr. Kirchhoff
beschlossen:
Auf die Rechtsbeschwerde des Anmelders wird der Beschluss des
5.
Senats (Gebrauchsmuster-Beschwerdesenat) des Bundespa-
tentgerichts vom 28. Oktober 2002 aufgehoben. Die Sache wird zur
neuen Verhandlung und Entscheidung - auch über die Kosten der
Rechtsbeschwerde - an das Bundespatentgericht zurückverwiesen.
Gründe:
I. Der Anmelder begehrt die Eintragung eines Gebrauchsmusters mit elf
Schutzansprüchen und der Bezeichnung "Pharmakologisch wirksame Substanz
zur Behandlung kardiovaskulärer Erkrankungen", wobei er die Abzweigung aus
der deutschen Patentanmeldung 100 38 043.3 erklärt hat. Der Schutzan-
spruch 1 lautet:
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"1. Verwendung von Serin/Threonin-Proteinphosphatase-Inhibito-
ren für ein Arzneimittel zur therapeutischen und präventiven
Behandlung arteriosklerotischer Erkrankungen."
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Die Ansprüche 10 und 11 beziehen sich auf die Verwendung eines näher be-
stimmten Arzneimittels nach Anspruch 1 mit mindestens einer weiteren phar-
makologisch wirksamen Substanz (Anspruch 9) und einer solchen weiteren
Substanz aus einer bestimmten Gruppe von Substanzen (Anspruch 10) zur Be-
handlung bestimmter Krankheiten.
Durch Beschluss vom 11. Juli 2001 hat die Gebrauchsmusterstelle des
Deutschen Patent- und Markenamts die Anmeldung zurückgewiesen, weil sie
ein nach § 2 Nr. 3 GebrMG nicht schutzfähiges Verfahren betreffe.
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Die gegen diese Entscheidung gerichtete Beschwerde des Anmelders
hat das Bundespatentgericht durch den angefochtenen Beschluss (Mitt. 2004,
266) zurückgewiesen. Es geht davon aus, dass es sich bei den angemeldeten
Schutzansprüchen um typische Verwendungsansprüche handele, die gemäß
§ 2 Nr. 3 GebrMG ausdrücklich vom Schutz durch Gebrauchsmuster ausge-
schlossen seien. Die beantragten Schutzansprüche seien darauf gerichtet, ein
bekanntes Erzeugnis durch Verfahrensmaßnahmen "für eine neue Verwendung
geeignet" zu machen. Typische Ansprüche auf medizinische Verwendungen
seien Verfahrensansprüche. Denn sie umfassten neben der Verabreichung des
Stoffs an den Patienten auch die Maßnahmen für seine Herrichtung zur Ver-
wendung bei der therapeutischen Behandlung, etwa seine gebrauchsfertige
Verpackung und Kennzeichnung für den neuen therapeutischen Verwendungs-
zweck (unter Bezug auf Sen. BGHZ 88, 209, 212 "Hydropyridin"). Die Anwei-
sung in den beanspruchten Schutzansprüchen richtet sich darauf, einen be-
stimmten Stoff, der als solcher selbst nicht geschützt werden solle, zu einem
bestimmten Zweck, nämlich der Behandlung näher bezeichneter Krankheiten,
zu verwenden. Soweit neben diesem nach den Ansprüchen 10 und 11 noch ein
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zweiter Stoff benutzt werden solle, ändere dies nichts an der Qualifizierung als
Verfahrensanspruch. Einerseits werde Schutz wiederum nicht für das Stoffge-
misch begehrt, andererseits würde auch ein Verwendungsanspruch, bei dem
ein Stoff eingesetzt werde, um ein neues Erzeugnis (Verbindung/Mischung)
hervorzubringen, nichts am Charakter als Verfahrensanspruch ändern.
Da der Ausschluss des Gebrauchsmusterschutzes für Verfahrenserfin-
dungen dem ausdrücklichen Willen des Gesetzgebers entspreche, fehle es an
einer unbewussten Regelungslücke, die durch Analogie geschlossen werden
müsse.
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Es liege auch kein gegenständlich eingeschränktes Sachschutzbegehren
vor, das auf einen zweckgebundenen Erzeugnisschutz gerichtet wäre und § 2
Nr. 3 GebrMG nicht unterfallen würde. Zwar könne sich ein Erzeugnisanspruch
auf einen zweckgebundenen Erzeugnisschutz oder auch einen Schutz des Er-
zeugnisses für eine bestimmte Verwendung beschränken. Zwischen diesen
beiden Formen des eingeschränkten Schutzes sei aber ein Unterschied zu ma-
chen. Das folge aus der Regelung des § 3 Abs. 3 PatG zum zweckgebundenen
Arzneimittel-Stoffschutz und dem daneben möglichen patentrechtlichen Schutz
für die Verwendung des Stoffs.
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Das Bundespatentgericht will nicht der in der Literatur vertretenen An-
sicht folgen, wonach Verwendungsansprüche im Wege der Auslegung als auf
den betreffenden Gebrauch beschränkte Erzeugnisansprüche angesehen wer-
den könnten, für die mangels Kategoriewechsels auch der Gebrauchsmuster-
schutz offenstehen solle (U. Krieger, GRUR Int. 1996, 354, 355, jetzt anders in
Münch.Komm. z. EPÜ, Art. 64 Rdn. 10; Loth, GebrMG, § 1 Rdn. 136). Auch
diese Literaturmeinung knüpfe an einen erteilten patentrechtlichen Erzeugnis-
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anspruch an, so dass sich allenfalls in Fällen der Abzweigung aus einer Er-
zeugnispatentanmeldung auf die Zulässigkeit solcher Verwendungsansprüche
im Gebrauchsmustereintragungsverfahren schließen lasse. Hier dagegen ent-
halte die der Abzweigung zugrundeliegende Patentanmeldung nur Patentan-
sprüche, die sich auf den Schutz von Verwendungen richteten.
Das Bundespatentgericht hat die Rechtsbeschwerde wegen grundsätzli-
cher Bedeutung zugelassen. Der Anmelder verfolgt mit ihr seinen Eintragungs-
antrag weiter. Er vertieft die bereits vor dem Bundespatentgericht vorgetragene
Argumentation.
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II. Die Rechtsbeschwerde erweist sich als begründet. Entgegen der Auf-
fassung des Bundespatentgerichts schließt § 2 Nr. 3 GebrMG die Eintragung
eines Gebrauchsmusters für die Verwendung bekannter Stoffe im Rahmen ei-
ner neuen medizinischen Indikation nicht aus.
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1. Der Gegenstand des Schutzanspruchs 1 betrifft kein Verfahren im
Sinne der Ausschlussbestimmung des § 2 Nr. 3 GebrMG. Denn der in dieser
gesetzlichen Regelung verwendete Begriff entspricht der herkömmlichen Ver-
fahrensdefinition bei den technischen Schutzrechten des gewerblichen Rechts-
schutzes und schließt insbesondere Arbeitsverfahren und Herstellungsverfah-
ren ein (BGHZ 158, 142, 149 - Signalfolge).
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Die Verwendung eines bekannten Stoffs zur Erzielung einer bestimmten
therapeutischen oder präventiven Wirkung am menschlichen oder tierischen
Körper kann nicht schlechterdings als auf die Erzeugung eines Stoffs oder einer
Sache ausgerichtetes Herstellungsverfahren angesehen werden. Denn auch
wenn bekannte Wirkstoffe regelmäßig der augenfälligen Herrichtung bedürfen,
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ehe sie zur Behandlung von Krankheiten eingesetzt werden (vgl. BGHZ 68,
156, 161 - Benzolsulfonylharnstoff; Sen.Beschl. v. 03.06.1982 - X ZR 21/81,
GRUR 1982, 548, 549 - Sitosterylglykoside; BGHZ 88, 209, 216 - Hydropyridin),
fehlt es hier doch an einem durch ein Verfahren hergestellten Erzeugnis im üb-
lichen Sinn. Vielmehr erschöpft sich die Verwendung in einem Handlungserfolg,
auf den sie abzielt (vgl. BGHZ 110, 82, 87 - Spreizdübel). Ebenso wenig han-
delt es sich um ein Arbeitsverfahren. Denn als Arbeitsverfahren wird eine tech-
nische Betätigung bezeichnet, durch die an einem Objekt Arbeitsschritte vollzo-
gen werden, ohne dass dabei eine Veränderung der behandelten Sache eintritt
(Sen.Beschl. v. 16.09.1997 - X ZB 21/94, GRUR 1998, 130 - Handhabungsge-
rät). Bei der medizinischen Indikation dagegen wird zur Erzielung einer thera-
peutischen oder präventiven Wirkung auf einen menschlichen oder tierischen
Körper eingewirkt.
Gegenstand des Verwendungsanspruchs gemäß Schutzanspruch 1 ist
die Eignung eines bekannten Stoffs für einen bestimmten medizinischen
Einsatzzweck und damit letztlich eine dem Stoff innewohnende Eigenschaft.
Der Gegenstand eines solchen Verwendungsanspruchs wird charakterisiert
durch einen Stoff in einer bestimmten Verwendung (Sen.Urt. v. 05.07.2005
- X ZR 14/03, GRUR 2005, 845, 847 - Abgasreinigungsvorrichtung). Verwen-
dungsansprüche dieser Art weisen jedenfalls Elemente von Erzeugnisansprü-
chen auf. Ihre Verwandtschaft mit Erzeugnisansprüchen manifestiert sich auch
darin, dass der Senat im Patentrecht die eingeschränkte Verteidigung eines
Erzeugnisanspruchs in Form eines Verwendungsanspruchs zulässt. Das ist er-
laubt, weil es nur zu einer Einschränkung, nicht aber einer Verlagerung des Pa-
tentschutzes kommt. Denn ein Anspruch für ein Erzeugnis als solches umfasst
alle Verwendungsmöglichkeiten (vgl. Sen.Urt. v. 17.09.1987 - X ZR 56/86,
GRUR 1988, 287, 288 - Abschlussblende).
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2. Diese Überlegungen sprechen im Streitfall dagegen, den für Verfahren
in § 2 Nr. 3 GebrMG vorgesehenen Ausschlusstatbestand auch auf Schutzan-
sprüche anzuwenden, deren Gegenstand die Verwendung bekannter Stoffe für
bestimmte medizinische Indikationen ist. Auch den Gesetzesmaterialien ist, ent-
gegen der Auffassung des Bundespatentgerichts, nicht zu entnehmen, dass
Verwendungsansprüche für bestimmte medizinische Indikationen vom
Gebrauchsmusterschutz ausgenommen werden sollten. Das Bundespatentge-
richt führt in diesem Zusammenhang einen von dem Präsidenten des Deut-
schen Patent- und Markenamtes in das Verfahren eingeführten Bericht des
Bundesjustizministeriums an, auf den sich die Gesetzesmotive bezögen. Dieser
Bericht referiert zwar den überwiegenden Wunsch der im Gesetzgebungsver-
fahren befragten Wirtschaftskreise, die Verfahrenserfindungen "einschließlich
der Anwendungen oder Verwendungen bekannter Gegenstände für einen neu-
en Zweck" auch weiterhin vom Gebrauchsmusterschutz auszunehmen (vgl.
S. 18 des Berichts). Der Rechtsausschuss des Bundestags hat sich aber nicht
dieses Referat über die Ergebnisse der durchgeführten Befragung, sondern nur
die Schlussfolgerungen des Berichts des Bundesjustizministeriums zu eigen
gemacht (Beschlussempfehlung und Bericht des Rechtsausschusses, abgedr.
BlPMZ 1990, 195, 197). Diese Schlussfolgerungen enthalten an keiner Stelle im
Zusammenhang mit dem Ausschluss der Verfahren vom Gebrauchsmuster-
schutz die vom Bundespatentgericht zur Begründung seines angefochtenen
Beschlusses herangezogene Parenthese "einschließlich der Anwendungen o-
der Verwendungen bekannter Gegenstände für einen neuen Zweck". Die
Schlussfolgerungen nehmen darauf auch keinen Bezug.
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Nach den Schlussfolgerungen sollte die mit dem Verzicht auf das Raum-
formerfordernis bezweckte Öffnung des Gebrauchsmusterschutzes lediglich
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dort eine Grenze haben, wo das ungeprüfte Schutzrecht Gebrauchsmuster die
Rechtssicherheit erheblich gefährden würde und der Gebrauchsmusterschutz
aufgrund seiner dann mangelnden Bestandskraft praktisch ins Leere ginge.
Diese Grenze sei bei Verfahrenserfindungen überschritten, weil es bei ihnen
wegen des Fehlens von Zeichnungen oder von Darstellungen chemischer For-
meln an einer Überprüfbarkeit auf Schutzfähigkeit und Schutzumfang mangele
(Bericht, aaO, S. 23 f.). Dementsprechend führt der Rechtsausschuss als Grund
für den Ausschluss der Verfahrenserfindungen vom Gebrauchsmusterschutz
an, dass sie sich mangels konkreter Darstellbarkeit nicht für ein ungeprüftes
Schutzrecht eigneten (Beschlussempfehlung, aaO).
Diese Begründung erfasst nicht Verwendungsansprüche für medizini-
sche Indikationen, die sich darauf beschränken, einen bekannten Stoff in einer
beliebigen, bekannten Darreichungsform dem menschlichen oder tierischen
Körper zuzuführen, um in diesem eine bestimmte Wirkung zu erzielen. Schwie-
rigkeiten der Darstellung des Schutzanspruchs sind hier nicht zu erkennen. Da-
gegen lässt sich den Schlussfolgerungen des Bundesjustizministeriums ent-
nehmen, dass mit dem am 1. Juli 1990 in Kraft getretenen Verzicht auf das
Raumformerfordernis im deutschen Gebrauchsmustergesetz die Eintragung
von Gebrauchsmustern insbesondere für gestaltlose Stoffe und Stoffmischun-
gen wie Arzneimittel ermöglicht werden sollte (Bericht, aaO, S. 21). Ein Grund
für eine hinsichtlich ihrer Schutzfähigkeit als Gebrauchsmuster unterschiedliche
Behandlung von neuen Stoffen, die Arzneimittel sind, und bekannten Stoffen,
deren Wirkung als Arzneimittel in einem erfinderischen Schritt gefunden wurde,
ist indes nicht ersichtlich.
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An der Entwicklung neuer Arzneimittel besteht ein überragendes Interes-
se der Öffentlichkeit. Die Entwicklung solcher Innovationen würde nicht geför-
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dert, sondern gehemmt, wenn Arzneimittel zwar als neue Stoffe, nicht jedoch
als neuartige Verwendungen bekannter Stoffe Gebrauchsmusterschutz bean-
spruchen könnten. Denn häufig wird bemerkenswerter medizinischer Fortschritt
durch die innovative Verwendung bereits bekannter Stoffe erzielt.
3. Auch der Ausschlusstatbestand des § 5 Abs. 2 PatG steht der Eintra-
gung eines Gebrauchsmusters für Schutzansprüche, die sich auf die Verwen-
dung bekannter Stoffe zu bestimmter medizinischer Indikation richten, nicht
entgegen. Denn auch als solche oder als Arzneimittel bekannte Wirkstoffe be-
dürfen regelmäßig der augenfälligen Herrichtung im gewerblichen Bereich, ehe
sie zur Behandlung von Krankheiten verwendet werden können (vgl. BGHZ 68,
156, 161 - Benzolsulfonylharnstoff; Sen.Beschl. v. 03.06.1982 - X ZR 21/81,
GRUR 1982, 548, 549 - Sitosterylglykoside; BGHZ 88, 209, 216 - Hydropyridin).
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4. Die Schutzansprüche 10 und 11 beziehen sich auf die Verwendung
zweier pharmakologisch wirksamer Substanzen zur Behandlung einer Krank-
heit. Auch wenn sie die Mischung oder Verbindung dieser Substanzen voraus-
setzen, geben sie doch keine Anleitung für ein Herstellungs- oder Arbeitsverfah-
ren in dem beschriebenen, von § 2 Nr. 3 GebrMG erfassten Sinn. Diese Schutz-
ansprüche sind daher ebenfalls nach den vorstehend für medizinische
Indikationen entwickelten Grundsätzen zu beurteilen und nicht prinzipiell vom
Gebrauchsmusterschutz ausgeschlossen.
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III. Die vom Bundespatentgericht für die Ablehnung der Eintragung des
angemeldeten Gebrauchsmusters angeführte Begründung erweist sich somit im
Ergebnis als nicht tragfähig. Die Rechtsbeschwerde führt daher zur Aufhebung
des angefochtenen Beschlusses und zur Zurückverweisung zur neuen Ver-
handlung und Entscheidung an das Bundespatentgericht (§§
18 Abs.
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GebrMG, 108 Abs. 1 PatG). Das Bundespatentgericht wird seine erneute Prü-
fung anhand der in dieser Entscheidung ausgeführten Grundsätze vorzuneh-
men haben. Eine Zurückweisung der Anmeldung im Hinblick auf den in § 2
Nr. 3 GebrMG formulierten Ausschlusstatbestand ist danach im Streitfall ausge-
schlossen.
Eine mündliche Verhandlung hat der Senat nicht als erforderlich angese-
hen (§ 18 Abs. 4 GebrMG i.V.m. § 107 Abs. 1 PatG).
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Scharen
Ambrosius
Meier-Beck
Asendorf
Kirchhoff
Vorinstanz:
Bundespatentgericht, Entscheidung vom 28.10.2002 - 5 W(pat) 25/01 -