Urteil des BGH vom 26.06.2008

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BUNDESGERICHTSHOF
BESCHLUSS
V ZR 225/07
vom
26. Juni 2008
in dem Rechtsstreit
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Der V. Zivilsenat des Bundesgerichtshofes hat am 26. Juni 2008 durch den
Vorsitzenden Richter Prof. Dr. Krüger und die Richter Dr. Klein, Dr. Schmidt-
Räntsch, Dr. Czub und Dr. Roth
beschlossen:
Auf die Nichtzulassungsbeschwerde der Kläger wird das Urteil des
21. Zivilsenats des Kammergerichts in Berlin vom 19. Juni 2007
aufgehoben.
Der Rechtsstreit wird zur neuen Verhandlung und Entscheidung,
auch über die Kosten des Verfahrens der Nichtzulassungsbe-
schwerde, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.
Der Gegenstandswert des Beschwerdeverfahrens beträgt
103.320,75 €.
Gründe:
I.
Mit notarieller Erklärung vom 20. Oktober 1996 gaben die Kläger ein An-
gebot zum Erwerb einer Eigentumswohnung in B. ab, das die
Beklagte kurz darauf annahm. Dem Vertragsschluss vorausgegangen waren
Gespräche mit dem Mitarbeiter S. der für die Beklagte tätigen Firma A.
& C. , in denen den Klägern die Vorteile des Kaufs einer Eigentumswoh-
nung als Kapitalanlage erläutert worden waren.
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Mit der Behauptung, falsch beraten worden zu sein, verlangen die Kläger
die Rückabwicklung des Kaufvertrages und die Feststellung, dass die Beklagte
zum Ersatz ihrer weiteren Schäden verpflichtet ist.
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Das Landgericht hat der Klage stattgegeben. Auf die Berufung der Be-
klagten hat das Kammergericht die Klage abgewiesen und die Revision nicht
zugelassen; dagegen richtet sich die Beschwerde der Kläger.
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II.
1. Das angefochtene Urteil ist nach § 544 Abs. 7 ZPO aufzuheben, da
das Berufungsgericht durch die Zurückweisung des - erstmals in der Beru-
fungsverhandlung erfolgten - Beweisantritts der Kläger für den Inhalt der Bera-
tungsgespräche deren Anspruch auf rechtliches Gehör (Art. 103 Abs. 1 GG) in
entscheidungserheblicher Weise verletzt hat.
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a) Dem Gewährleistungsgehalt von Art. 103 Abs. 1 GG entnimmt der
Bundesgerichtshof in ständiger Rechtsprechung, dass eine in erster Instanz
siegreiche Partei darauf vertrauen darf, von dem Berufungsgericht rechtzeitig
einen Hinweis zu erhalten, wenn dieses in einem entscheidungserheblichen
Punkt der Beurteilung der Vorinstanz nicht folgen will und auf Grund seiner ab-
weichenden Ansicht einer Ergänzung des Vorbringens oder einen Beweisantritt
für erforderlich hält (vgl. BGH, Beschl. vom 15. März 2006, IV ZR 32/05, NJW-
RR 2006, 937 m.w.N.). Dabei muss der Hinweis so rechtzeitig erfolgen, dass
darauf noch vor dem Termin zur mündlichen Verhandlung reagiert werden kann
(BVerfG NJW 2003, 2524).
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Die Vorschrift des § 531 Abs. 2 Satz 1 ZPO, auf die sich das Berufungs-
gericht stützt, hat an dieser Verpflichtung nichts geändert (BGH, Urt. v. 21. De-
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zember 2004, XI ZR 17/03, juris). Danach sind neue Angriffs- und Verteidi-
gungsmittel in zweiter Instanz zuzulassen, wenn sie einen Gesichtspunkt betref-
fen, der vom Gericht des ersten Rechtszuges erkennbar übersehen oder für
unerheblich gehalten worden ist (§ 531 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 ZPO). Diese Vor-
aussetzungen liegen vor, wenn das Berufungsgericht die Rechtslage abwei-
chend von der Vorinstanz beurteilt und neuer Vortrag oder - wie hier - ein Be-
weisantritt erforderlich ist, um auf der Grundlage dieser Beurteilung zu obsiegen
(vgl. Musielak/Ball, ZPO, 6. Aufl., § 139 Rdn. 17). Dabei kommt es nicht darauf
an, ob das neue Angriffs- und Verteidigungsmittel schon in erster Instanz oder
in der Berufungserwiderung hätte vorgebracht werden können. Die Parteien
sollen durch die Vorschrift des § 531 Abs. 2 ZPO nicht zu Darlegungen und
Beweisangeboten gezwungen werden, die vom Standpunkt des erstinstanzli-
chen Gerichts aus unerheblich sind (Senat, Urt. v. 30. Juni 2006, V ZR 148/05,
NJW-RR 2006, 1292, 1293).
b) Das Berufungsgericht ist seiner Pflicht, die Kläger darauf hinzuweisen,
dass es die Rechtslage anders beurteilt als das Landgericht, nur unzureichend
nachgekommen. Zwar kann davon ausgegangen werden, dass es den Klägern
in der mündlichen Verhandlung verdeutlicht hat, ein Beratungsfehler könne sich
- entgegen der Ansicht des Landgerichts - nicht aus den erstellten Berech-
nungsbeispielen, sondern nur aus den vorangegangenen Gesprächen mit dem
Berater S. ergeben. Den als Reaktion auf diesen Hinweis erfolgten Be-
weisantritt der Kläger für den Inhalt dieser Gespräche hätte es aber berücksich-
tigen müssen.
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b) Der Beweisantritt ist entscheidungserheblich.
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Wie das Berufungsgericht nicht verkennt, bildet die Ermittlung des mo-
natlichen Eigenaufwands das Kernstück der von der Beklagten geschuldeten
Beratung, da diese den Interessenten von der Möglichkeit überzeugen soll, das
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Objekt mit seinen Mitteln erwerben und halten zu können (Senat, BGHZ 156,
371, 377). Sollte der Zeuge S. den Klägern erklärt haben, sie könnten die
Eigentumswohnung mit einer monatlichen Zuzahlung von nur 100 DM erwerben
und war dies nach den im Zeitpunkt der Beratung erkennbaren Gegebenheiten
falsch, läge ein zum Schadensersatz verpflichtender Beratungsfehler vor. Das
gilt auch dann, wenn zugunsten der Beklagten unterstellt wird, die Kläger hätten
gewusst, dass sich dieser Betrag ohne die Prämien für die Lebensversicherung
verstand.
Die Kläger berufen sich nämlich auch darauf, dass ihnen ein absehbarer
Anstieg der monatlichen Belastung verschwiegen worden sei. Auch dies kann
einen Beratungsfehler begründen. Der Verkäufer muss über im Zeitpunkt der
Beratung absehbare ungünstige Veränderungen der in die Berechnung des
monatlichen Aufwands eingestellten Einnahmen und Ausgaben aufklären (vgl.
Senat, BGHZ 156, 371, 377; Urt. v. 9. November 2007, V ZR 25/07, WM 2008,
89, 91 f. Rdn. 22; Urt. v. 13. Juni 2008, V ZR 114/07, zur Veröffentlichung be-
stimmt). Demgemäß hätten die Kläger deutlich darauf hingewiesen werden
müssen, dass der Zinssatz für das aufzunehmende Darlehen - und damit die
monatliche Belastung - nach Ablauf von drei Jahren steigen wird, da das vorge-
sehene Disagio nach den Feststellungen des Landgerichts verwendet werden
sollte, um die Zinsen (nur) für die ersten drei Jahre zu verringern.
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c) Da sich die Kläger für den gesamten Hergang der Beratung auf den
Zeugen S. berufen haben, wird dieser gegebenenfalls auch hierzu und zu
den weiteren geltend gemachten Beratungsfehlern zu hören sein, auf die das
Berufungsgericht infolge der Zurückweisung des Beweisantritts nicht eingegan-
gen ist. Dazu zählt auch die - erhebliche - Behauptung der Kläger, ihnen sei
versichert worden, sie könnten die Wohnung jederzeit zurückgeben, wenn sie
nicht zufrieden seien. Ferner wird das Berufungsgericht die Erhebung der übri-
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gen Beweise (Vernehmung des Zeugen K. und Parteivernehmung der
Kläger) erwägen müssen.
Krüger Klein Schmidt-Räntsch
Czub Roth
Vorinstanzen:
LG Berlin, Entscheidung vom 15.06.2004 - 15 O 599/03 -
KG Berlin, Entscheidung vom 19.06.2007 - 21 U 152/04 -