Urteil des BGH vom 23.10.2013, XII ZB 429/13
Leitsatzentscheidung
BUNDESGERICHTSHOF
BESCHLUSS
XII ZB 429/13
vom
23. Oktober 2013
in der Betreuungssache
Nachschlagewerk: ja
BGHZ: nein
BGHR: ja
VBVG § 4 Abs. 1 Satz 2
Durch die im Rahmen eines erfolgreichen Hochschulstudiums in der ehemaligen DDR zur Diplomlehrerin für Russisch und Geschichte erfolgte Ausbildung in
den Bereichen Pädagogik, Psychologie, Didaktik und Methodik wurden besondere, für die Führung der Betreuung nutzbare Kenntnisse im Sinn des § 4
Abs. 1 Satz 2 VBVG vermittelt.
BGH, Beschluss vom 23. Oktober 2013 - XII ZB 429/13 - LG Dresden AG Riesa
Der XII. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat am 23. Oktober 2013 durch
den Vorsitzenden Richter Dose und die Richter Schilling, Dr. Günter,
Dr. Botur und Guhling
beschlossen:
Die Rechtsbeschwerde gegen den Beschluss der 2. Zivilkammer
des Landgerichts Dresden vom 12. Juli 2013 wird auf Kosten des
Beteiligten zu 1 zurückgewiesen.
Verfahrenswert: 63 €.
Gründe:
I.
1Die Beteiligte zu 2 (im Folgenden: Betreuerin) ist seit dem Jahr 2010 als
Mitarbeiterin des Beteiligten zu 3, eines Betreuungsvereins, als Berufsbetreuerin der Betroffenen bestellt. Die Betreuung für die unter Altersdepression und
Morbus Parkinson leidende Betroffene umfasst unter anderem die Aufgabenkreise der Gesundheits- und der Vermögenssorge sowie der Aufenthaltsbestimmung und der Wohnungsangelegenheiten.
2Die Betreuerin erwarb im Jahr 1982 in der ehemaligen DDR den Hochschulabschluss als Diplomlehrerin für die Fachkombination Russisch und Ge-
schichte und erhielt damit die Lehrbefähigung zur Erteilung des entsprechenden
Fachunterrichts an den allgemeinbildenden polytechnischen Oberschulen der
DDR. Im Jahr 1992 schloss sie zudem eine Ausbildung an einer Fachschule für
Sozialpädagogik zur staatlich anerkannten Erzieherin ab.
3Für den Abrechnungszeitraum vom 20. Juli 2012 bis zum 19. Oktober
2012 hat die Betreuerin für ihre Tätigkeit die Festsetzung einer Betreuervergütung für sechs Stunden in Höhe von 264 € beantragt, der sie im Hinblick auf
ihre Ausbildung einen Stundensatz nach der höchsten Vergütungsstufe von
44 € zugrunde gelegt hat.
4Das Amtsgericht hat dem Antrag stattgegeben und die Beschwerde zugelassen. Die Beschwerde der Staatskasse (Beteiligter zu 1), mit der diese unter Berücksichtigung des Abschlusses der Betreuerin als staatlich anerkannte
Erzieherin geltend gemacht hat, eine Abrechnung auf der Basis eines Stundensatzes in Höhe von 33,50 € sei zutreffend, hat das Landgericht zurückgewiesen. Mit der zugelassenen Rechtsbeschwerde verfolgt die Staatskasse ihr Beschwerdebegehren weiter.
II.
5Die vom Beschwerdegericht zugelassene Rechtsbeschwerde ist statthaft
(§ 70 Abs. 1 FamFG) und auch im Übrigen zulässig. Sie hat jedoch in der Sache keinen Erfolg.
61. Das Landgericht hat zur Begründung seiner Entscheidung ausgeführt,
die Betreuerin habe im Rahmen ihres Studiums psychologische und pädagogische Kenntnisse erworben, die für die ihr übertragene Betreuung nutzbar seien.
Sie könnten hilfreich sein, aus der Erkrankung der Betroffenen folgende
Schwierigkeiten im persönlichen Kontakt zu überwinden. Neben den Fächern
Pädagogik und Psychologie einschließlich des Vertiefungsfachs Diagnostik der
Schülerpersönlichkeit sei auch die Methodik des Unterrichts teilweise betreuungsrelevant. Die entsprechende Ausbildung sei nicht lediglich bei Gelegenheit
des Studiums erfolgt, sondern habe angesichts der praktischen Bedeutung für
den geplanten späteren Beruf und des zeitlichen und inhaltlichen Umfangs sowie der Prüfungsrelevanz Anteil am Kernbereich des Studiums.
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8a) Die Frage, unter welchen Umständen ein Berufsbetreuer im Einzelfall
die Voraussetzungen erfüllt, die gemäß § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 VBVG die Bewilligung einer erhöhten Vergütung rechtfertigen, obliegt einer wertenden Betrachtung des Tatrichters. Dessen Würdigung kann im Rechtsbeschwerdeverfahren
nur eingeschränkt darauf überprüft werden, ob er die maßgebenden Tatsachen
vollständig und fehlerfrei festgestellt und gewürdigt, Rechtsbegriffe verkannt
oder Erfahrungssätze verletzt und die allgemein anerkannten Maßstäbe berücksichtigt und richtig angewandt hat (Senatsbeschlüsse vom 22. August 2012
- XII ZB 319/11 - NJW-RR 2012, 1475 Rn. 9 und vom 4. April 2012
- XII ZB 447/11 - NJW-RR 2012, 774 Rn. 13).
9b) Einer solchen Überprüfung hält die tatrichterliche Würdigung des Beschwerdegerichts stand, wonach die abgeschlossene Hochschulausbildung der
Betreuerin besondere, für die Führung der Betreuung nutzbare Kenntnisse
vermittelt hat.
10 2. Diese Ausführungen sind rechtlich nicht zu beanstanden.
aa) Dass die Betreuerin über eine abgeschlossene Ausbildung an einer
Hochschule im Sinne des § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 VBVG verfügt, wird von der
Rechtsbeschwerde zu Recht nicht in Zweifel gezogen.
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Beschwerdegericht das Vorliegen auch der weiteren Voraussetzungen des § 4
Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 VBVG angenommen hat.
12(1) Besondere und für die Betreuung nutzbare Kenntnisse im Sinne des
§ 4 Abs. 1 Satz 2 VBVG sind solche, die über das jedermann zu Gebote stehende Wissen hinausgehen und den Betreuer in die Lage versetzen, seine Aufgaben zum Wohl des Betreuten besser und effektiver zu erfüllen. Angesichts
der Pflichten des Betreuers, auf den Willen des Betreuten einzugehen, um seine Wünsche zu erkennen und ihnen weitgehend zu entsprechen (§ 1901
Abs. 2, Abs. 3 BGB), sind unter anderem Fachkenntnisse, die den Umgang mit
und das Verständnis für die besondere Situation von psychisch Kranken oder
Behinderten fördern, als für die Betreuung nutzbar anzusehen.
13Nach Sinn und Zweck des § 4 Abs. 1 Satz 2 VBVG ist ein erhöhter Stundensatz jedoch nicht bereits gerechtfertigt, wenn die Ausbildung gleichsam am
Rande auch die Vermittlung betreuungsrelevanter Kenntnisse zum Inhalt hat.
Erforderlich ist vielmehr, dass sie in ihrem Kernbereich hierauf ausgerichtet ist.
Davon ist auszugehen, wenn ein erheblicher Teil der Ausbildung auf die Vermittlung solchen Wissens gerichtet und dadurch das erworbene betreuungsrelevante Wissen über ein Grundwissen deutlich hinausgeht (Senatsbeschluss
vom 22. August 2012 - XII ZB 319/11 - NJW-RR 2012, 1475 Rn. 16 ff. mwN).
14 bb) Ohne Erfolg wendet sich die Rechtsbeschwerde dagegen, dass das
(2) Unter Zugrundelegung dieser Maßstäbe hat das Beschwerdegericht
zu Recht das Vorliegen besonderer und für die Betreuung nutzbarer Kenntnisse
der Betreuerin bejaht.
15(a) Nach den Feststellungen des Beschwerdegerichts absolvierte die Betreuerin im zweiten Studienjahr ein dreiwöchiges pädagogisch-psychologisches
Praktikum und im vierten Studienjahr ein 13-wöchiges "Großes Schulpraktikum". Ab dem fünften Semester belegte sie vertiefend das Fach Psychologie/Lehrgebiet Diagnostik der Schülerpersönlichkeit mit 188 Stunden. Weitere
116 der insgesamt 3.056 vorgesehenen Stunden entfielen auf Psychologie, 134
Stunden auf Pädagogik und 250 Stunden auf Methodik des Unterrichts. Gegenstand der von der Betreuerin absolvierten Abschlussprüfung waren unter anderem Pädagogik, Psychologie sowie Methodik des Haupt- und Nebenfachs. Im
Abschlusszeugnis sind als "Abschlussprüfungen und Belege" unter anderem
die Fächer "Diagnostik d. Schülerpersönlichkeit" und "Päd. psych. Praktikum"
aufgeführt.
16(b) Ohne Rechtsfehler ist die Beurteilung des Beschwerdegerichts, dass
die durch das Studium vermittelten pädagogischen und psychologischen
Kenntnisse für die Führung der Betreuung nutzbar sind. Denn sie können für
die Betreuerin die Grundlage darstellen, um aus der Erkrankung der Betroffenen resultierende Schwierigkeiten im persönlichen Kontakt zu überwinden, die
Bedürfnisse der Betroffenen zu erkennen und auf sie in sinnvoller Weise einzuwirken (vgl. KG FGPrax 2008, 60, 62; OLG Hamm NJW-RR 2002, 654, 655;
OLG Zweibrücken FGPrax 2002, 21, 22; BayObLG FamRZ 2001, 306, 307;
OLG Dresden FamRZ 2000, 847, 848; vgl. auch OLG Frankfurt Beschluss vom
21. Januar 2008 - 20 W 378/05 - juris Rn. 5; MünchKommBGB/Fröschle
6. Aufl. § 4 VBVG Rn. 11; Knittel Betreuungsrecht [Stand: 1.9.2011] § 4 VBVG
Rn. 26; BtKomm/Dodegge 3. Aufl. Teil F Rn. 118). Dies gilt entgegen der Auffassung der Rechtsbeschwerde auch für das Fach Diagnostik der Schülerpersönlichkeit.
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(c) In rechtlicher Hinsicht ebenfalls nicht zu beanstanden ist, dass das
Beschwerdegericht darüber hinaus auch die durch das Studium vermittelten
Kenntnisse in den Bereichen Didaktik und Methodik als zumindest teilweise betreuungsrelevant eingestuft hat. Denn sie können die Bewältigung der für die
Kommunikation mit psychisch Kranken häufig besonders wichtigen, aber auch
anspruchsvollen Aufgabe der situationsgerechten Aufbereitung und Weitergabe
von Inhalten wesentlich befördern.
18(d) Schließlich hat das Beschwerdegericht zu Recht die betreuungsrelevanten Fächer dem Kernbereich des von der Betreuerin absolvierten Hochschulstudiums zugeordnet und damit als erheblichen Teil der Ausbildung angesehen.
19Dem steht nicht entgegen, dass die Ausbildung schwerpunktmäßig eine
andere Zielrichtung hatte und im überwiegenden Teil der Gesamtstundenzahl
auf die Wissenserlangung in den zu unterrichtenden Fächern Russisch und Geschichte ausgerichtet war. Das Beschwerdegericht hat ausgeführt, dass die im
Rahmen des von der Betreuerin absolvierten Studiums erworbenen psychologischen und pädagogischen Kenntnisse auch in Anbetracht des prozentualen
Anteils der entsprechenden Ausbildungsteile an der Gesamtstundenzahl als
zentraler Teil des Lehrerstudiums anzusehen seien. Mit Blick auf den zeitlichen
Umfang der insbesondere in den Bereichen Psychologie, Pädagogik und Diagnostik der Schülerpersönlichkeit absolvierten Ausbildung sowie darauf, dass
das dabei vermittelte Wissen selbständiger und maßgeblicher Bestandteil der
Abschlussprüfung war, ist das nicht zu beanstanden (vgl. auch OLG Hamm Beschluss vom 15. August 2006 - 15 W 139/06 - juris Rn. 11; BayObLG FamRZ
2001, 187, 188; OLG Köln FamRZ 2000, 1303, 1304; OLG Schleswig FamRZ
2000, 846, 847).
Dose Schilling Günter
Botur Guhling
Vorinstanzen: AG Riesa, Entscheidung vom 15.01.2013 - 4 XVII 66/10 - LG Dresden, Entscheidung vom 12.07.2013 - 2 T 79/13 -
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