Urteil des BGH vom 12.12.2012

Leitsatzentscheidung

BUNDESGERICHTSHOF
IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
VIII ZR 341/11
Verkündet am:
12. Dezember 2012
Ring,
Justizhauptsekretärin
als Urkundsbeamtin
der Geschäftsstelle
in dem Rechtsstreit
Nachschlagewerk:
ja
BGHZ:
nein
BGHR:
ja
NAV § 11; NDAV § 11; EnWG §§ 17 Abs. 1, 18
a) Dem Versorgungsunternehmen verbleibt nach § 11 NAV, § 11 NDAV ein Aus-
wahlermessen hinsichtlich der Wahl der Berechnungsmethode für die Baukosten-
zuschüsse. Das vom Verband der Netzbetreiber VDN e.V. beim VDEW empfohle-
ne "Zwei-Ebenen-BKZ-Modell" kann eine geeignete Grundlage für die Berechnung
der für den Anschluss an das Niederspannungs- oder Niederdrucknetz zu zahlen-
den Baukostenzuschüsse bilden. Die Geeignetheit dieses Modells hängt von den
konkreten Umständen des Einzelfalls ab, deren Würdigung in erster Linie dem
Tatrichter obliegt.
b) Das Transparenzgebot des § 17 Abs. 1 EnWG gilt im Anwendungsbereich des
§ 18 Abs. 1 EnWG und der ihn ausfüllenden Verordnungen nur insoweit, als es mit
dem Inhalt der vorrangigen Sondervorschrift des § 18 EnWG nicht in Widerspruch
steht.
BGH, Urteil vom 12. Dezember 2012 - VIII ZR 341/11 - OLG Jena
LG Mühlhausen
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Der VIII. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat auf die mündliche Verhandlung
vom 12. Dezember 2012 durch den Vorsitzenden Richter Ball, den Richter
Dr. Frellesen, die Richterinnen Dr. Milger und Dr. Fetzer sowie den Richter
Dr. Bünger
für Recht erkannt:
Die Revision des Klägers gegen das Urteil des 2. Zivilsenats des
Thüringer Oberlandesgerichts vom 16. November 2011 wird zu-
rückgewiesen.
Der Kläger hat die Kosten des Revisionsverfahrens zu tragen.
Von Rechts wegen
Tatbestand:
Die Beklagte, örtliche Netzbetreiberin der Stadt N. , erstellte auf
Antrag des Klägers für dessen Gewerbeobjekt die Anschlüsse an das örtliche
Strom- und Gasversorgungsnetz. Der Kläger wird in Niederspannung mit Strom
und in Niederdruck mit Gas versorgt. Für die Anschlüsse erhob die Beklagte
nach Pauschalen berechnete Baukostenzuschüsse in Höhe von insgesamt
34.490,46 € brutto, wovon 9.623,26 € brutto auf den Gasanschluss entfielen.
Die Berechnung der Zuschüsse erfolgte auf der Grundlage des vom Verband
der Netzbetreiber VDN e.V. beim VDEW empfohlenen "Zwei-Ebenen-BKZ-
Modells". Der Kläger zahlte den verlangten Betrag nur unter dem Vorbehalt "der
Prüfung und Rechtmäßigkeit".
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Er nimmt die Beklagte auf Rückzahlung der geleisteten Zuschüsse nebst
Zinsen in Anspruch. Dabei zieht er die Billigkeit der Baukostenzuschüsse in
Zweifel und verlangt eine Offenlegung der Kalkulation der Beklagten. Außerdem
stellt er die Geeignetheit des von der Beklagten verwendeten Berechnungsmo-
dells in Frage. Das Landgericht hat die Zahlungsklage abgewiesen. Die Beru-
fung des Klägers ist vor dem Oberlandesgericht ohne Erfolg geblieben. Mit der
vom Berufungsgericht zugelassenen Revision verfolgt der Kläger sein Klagebe-
gehren weiter.
Entscheidungsgründe:
Die Revision hat keinen Erfolg.
I.
Das Berufungsgericht hat zur Begründung seiner Entscheidung im We-
sentlichen ausgeführt:
Dem Kläger stehe gegen die Beklagte ein Rückzahlungsanspruch aus
ungerechtfertigter Bereicherung nach § 812 Abs. 1 Satz 1 Alt. 1 BGB nicht zu.
Der Kläger habe den Baukostenzuschuss für den Stromanschluss in vol-
ler Höhe mit Rechtsgrund an die Beklagte geleistet. Der Beklagten habe gemäß
§ 11 der Niederspannungsanschlussverordnung (NAV) ein Anspruch auf einen
Baukostenzuschuss in Höhe des in Rechnung gestellten Betrags zugestanden.
Sie habe den ihr obliegenden Beweis erbracht, das Leistungsentgelt nach billi-
gem Ermessen festgesetzt zu haben (§ 315 Abs. 1 BGB). Die Beklagte sei be-
rechtigt gewesen, der Bemessung des Baukostenzuschusses das sogenannte
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Zwei-Ebenen-Modell des Verbandes der Netzbetreiber (im Folgenden: VDN-
Modell) zugrunde zu legen.
Die Vorschrift des § 11 Abs. 2 Satz 3 NAV eröffne dem Netzbetreiber die
Möglichkeit, den Baukostenzuschuss pauschal zu berechnen. Er könne dabei
aus den betriebswirtschaftlich vertretbaren Methoden diejenige auswählen, die
ihm am zweckmäßigsten erscheine. Der Anschlussnehmer habe keinen An-
spruch darauf, dass der Energieversorger eine Methode wähle, die - wie im vor-
liegenden Fall das von der Bundesnetzagentur bevorzugte Leistungspreismo-
dell - für den Kunden besonders günstig sei. Das von der Beklagten angewand-
te VDN-Modell biete eine geeignete Methode zur Ermittlung von pauschalierten
Baukostenzuschüssen, die den Niederspannungsbereich beträfen. Dieses Mo-
dell entspreche der Zweckrichtung des § 11 NAV und erfülle zudem die Be-
rechnungsanforderungen des § 11 Abs. 2 Satz 1 und 2 NAV. Die Ermittlung des
Baukostenzuschusses unter Zugrundelegung von Tagesneuwerten begegne
ebenfalls keinen Bedenken. Diese seien beispielsweise auch bei der Berech-
nung von Stromnetzentgelten Bezugspunkt.
Auch der Umstand, dass das VDN-Modell einen einheitlichen Baukos-
tenzuschuss für den gesamten Netzbereich vorsehe, stehe seiner Anwendung
im Streitfall nicht entgegen. Zwar könne nach dem Wortlaut des § 11 Abs. 2
Satz 1 NAV ("im betreffenden Versorgungsbereich") ein örtlich begrenzter Ver-
sorgungsbereich gemeint sein. Eine solche Auslegung sei jedoch zu eng. Es sei
sinnvoll, auf das gesamte Netzgebiet abzustellen, da dies zu einer verbesserten
Transparenz und zu homogeneren Baukostenzuschüssen führe, was sich letzt-
lich zugunsten der Kunden auswirke. Ein solches Vorgehen berücksichtige zu-
dem die in § 11 Abs. 2 Satz 2 NAV angesprochene Durchmischung und ver-
meide Abgrenzungsprobleme bei der Ermittlung von Versorgungsbereichen.
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Mit der Verwendung des VDN-Modells habe die Beklagte auch nicht ge-
gen das Transparenzerfordernis des § 17 Abs. 1 EnWG verstoßen. Zwar ent-
halte das VDN-Modell zahlreiche Formeln und Kriterien, die für einen An-
schlussnehmer, der mit Energiewirtschaftsfragen nicht dauernd befasst sei, nur
schwer nachvollziehbar seien. Es müsse jedoch berücksichtigt werden, dass
sich das Transparenzgebot des § 17 Abs. 1 EnWG vorrangig darauf beziehe,
dem Anschlussnehmer zu ermöglichen, die Netzanschlussbedingungen zur
Kenntnis zu nehmen. Zudem habe der Verordnungsgeber ausdrücklich Pau-
schalierungen gestattet. Je mehr hierbei mit ausdifferenzierten Kriterien gear-
beitet werde, um dem ebenfalls in § 17 Abs. 1 EnWG verankerten Angemes-
senheitsgebot gerecht zu werden, desto schwieriger werde es, die Berech-
nungsmethode transparent zu halten. Der vom Landgericht eingeschaltete
Sachverständige habe in seinem Gutachten festgestellt, dass sich der dem Klä-
ger für den Stromanschluss in Rechnung gestellte Betrag im Rahmen des VDN-
Modells bewege. Einwendungen gegen diese Feststellung habe der Kläger
nicht erhoben.
Eine weitere Beweisaufnahme sei nicht angezeigt. Bei der Beurteilung
der Frage, ob von einer wirtschaftlich effizienten Betriebsführung nach § 11
Abs. 1 Satz 1 NAV ausgegangen werden könne, sei das Spannungsverhältnis
zwischen Versorgungssicherheit einerseits und möglichst günstigen Energie-
preisen andererseits zu berücksichtigen. Soweit der Kläger vortrage, das Netz
der Beklagten sei überdimensioniert, so dass überhöhte Tagesneuwerte in die
Berechnung des Baukostenzuschusses einflössen, lasse er unberücksichtigt,
dass bei der Frage, ob das Wirtschaftlichkeitsgebot des § 11 Abs. 1 Satz 1 NAV
eingehalten worden sei, der Blick nicht nur auf die gegenwärtige Situation ge-
richtet werden dürfe. Vielmehr müsse berücksichtigt werden, dass jede Netz-
ausbauplanung und deren Verwirklichung auf die Zukunft ausgerichtet seien.
Die hierbei erfolgten Investitionen könnten nur langfristig über Netzentgelte und
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Baukostenzuschüsse amortisiert werden. Dem widerspräche es, wenn bei der
Ermittlung des Baukostenzuschusses nur auf den aktuell bestehenden Ener-
giebedarf abgestellt würde.
Weiter seien die vom Kläger angegebenen (günstigeren) Sätze einiger
anderer Netzbetreiber nicht ohne weiteres vergleichbar mit den von der Beklag-
ten erhobenen Baukostenzuschüssen. Davon abgesehen, dass die Versor-
gungsstruktur unterschiedlich ausgestaltet sein könne, sei zu berücksichtigen,
dass § 11 Abs. 1 Satz 2 NAV lediglich die Möglichkeit eröffne, maximal 50 %
der in Satz 1 beschriebenen Kosten in Ansatz zu bringen. Ein Energieversor-
gungsunternehmen sei daher nicht dazu gezwungen, diesen Höchstsatz auf
den Anschlussnehmer umzulegen, sondern könne seiner Berechnung auch ei-
nen niedrigeren Prozentsatz zugrunde legen. Ohne Kenntnis der Kalkulation
der betreffenden Unternehmen sei daher ein Vergleich mit den Baukostenzu-
schüssen der Beklagten nicht möglich.
Die Beklagte sei entgegen der Ansicht des Klägers auch nicht gehalten,
ihre Kalkulation offen zu legen. Der Bundesgerichtshof habe in seiner Entschei-
dung vom 4. Dezember 1986 (VII ZR 77/86) dargelegt, der Anschlussnehmer
könne nur verlangen, dass die Pauschalen auf ihre Billigkeit überprüft würden.
Darüber hinaus sei das Versorgungsunternehmen nach dem mit der Bildung
einer Pauschale verfolgten Zweck nicht verpflichtet, den verlangten Betrag wei-
ter aufzuschlüsseln und zu erläutern. Unabhängig davon belegten die von der
Beklagten vorgelegten Unterlagen nicht die Annahme des Klägers, die ange-
setzten Tagesneuwerte seien aufgrund eines ineffizienten Netzes erhöht. Viel-
mehr seien die Tagesneuwerte von der Bundesnetzagentur, die nach § 4 Abs. 1
StromNEV und § 4 Abs. 1 GasNEV zu prüfen habe, ob die Kosten denen eines
effizienten und strukturell vergleichbaren Netzbetreibers entsprechen, bei der
Entgeltgenehmigung im Ansatz akzeptiert worden. Die von der Bundesnetza-
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gentur vorgenommenen Abzüge beruhten darauf, dass in die Ermittlung der
Netzentgelte lediglich die Restwerte der Tagesneuwerte einflössen und die
Bundesnetzagentur hierbei andere Abschreibungszeiträume angesetzt habe als
die Beklagte. Bei der Festlegung des Baukostenzuschusses anhand des VDN-
Modells seien dagegen die Tagesneuwerte in voller Höhe in die Berechnungs-
formel einzusetzen.
Auch hinsichtlich des Baukostenzuschusses, den der Kläger an die Be-
klagte für den Anschluss an das Gasnetz geleistet habe, stehe dem Kläger kein
Rückzahlungsanspruch wegen ungerechtfertigter Bereicherung gegen die Be-
klagte zu. Die Beklagte habe sich an die Vorgaben des § 11 Niederdruckan-
schlussverordnung (NDAV) gehalten und einen billigem Ermessen entspre-
chenden Baukostenzuschuss erhoben. Sie sei - wie bereits an anderer Stelle
dargelegt - zur Ermittlung des Zuschusses anhand des VDN-Modells berechtigt
gewesen. Der Gutachter habe zudem bestätigt, dass die Beklagte keinen über-
teuerten Zuschuss festgesetzt habe, sondern einen Betrag verlangt habe, der
8 % unter dem vom Sachverständigen ermittelten Wert liege. Soweit der Kläger
die Auffassung vertrete, das Gasnetz der Beklagten sei überdimensioniert,
weshalb es nicht korrekt sei, mit den von der Beklagten ermittelten Tagesneu-
werten zu arbeiten, gälten die Ausführungen zu dem für den Stromanschluss
erhobenen Baukostenzuschuss entsprechend.
II.
Diese Beurteilung hält rechtlicher Nachprüfung stand; die Revision ist
daher zurückzuweisen.
Das Berufungsgericht hat zu Recht einen Anspruch des Klägers gegen
die Beklagte aus § 812 Abs. 1 Satz 1 Alt. 1 BGB auf Rückzahlung der unter
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Vorbehalt geleisteten Baukostenzuschüsse mit der Begründung verneint, dass
die Zahlungen des Klägers mit Rechtsgrund erfolgt seien, da die Beklagte vor-
liegend den Baukostenzuschuss anhand des VDN-Modells habe ermitteln dür-
fen.
1. Das Berufungsgericht hat als Ausgangspunkt für die Überprüfung der
Angemessenheit der verlangten Baukostenzuschüsse zu Recht den Maßstab
des § 315 Abs. 3 BGB gewählt. Die Regelungen in § 11 Abs. 1, 2 NAV, § 11
Abs. 1, 2 NDAV ermächtigen den Netzbetreiber, vom Anschlussnehmer einen
- auf der Grundlage der durchschnittlich für vergleichbare Fälle entstehenden
Kosten pauschal berechneten - Baukostenzuschuss zu verlangen. Damit wird
dem Netzbetreiber ein - an bestimmte Vorgaben geknüpftes (§ 11 Abs. 1
Satz 2, Abs. 2, Abs. 3 NAV (NDAV)) - einseitiges Leistungsbestimmungsrecht
eingeräumt, das der Billigkeitskontrolle nach § 315 Abs. 3 BGB unterliegt. Hier-
von geht auch der Verordnungsgeber aus, der in der Begründung zur Nieder-
spannungsanschlussverordnung (NAV) ausgeführt hat, eine pauschale Berech-
nung von Baukostenzuschüssen unterliege nach der Rechtsprechung der Billig-
keitsprüfung nach § 315 Abs. 3 BGB (BR-Drucks. 367/06, S. 45). Auch wenn
der Verordnungsgeber dabei auf Rechtsprechung Bezug genommen hat, die
sich mit der Billigkeitskontrolle von - §§ 9, 10 AVBGasV bzw. § 9 AVBWasserV
nachempfundenen - Allgemeinen Geschäftsbedingungen befasst (BGH, Urteil
vom 4. Dezember 1986 - VII ZR 77/86, NJW 1987, 1828 f.; Senatsurteil vom
21. September 2005 - VIII ZR 8/05, RdE 2006, 117 unter II 1), hat er damit zum
Ausdruck gebracht, dass er auch im Hinblick auf das von ihm eingeräumte ein-
seitige Leistungsbestimmungsrecht von der Anwendbarkeit des § 315 Abs. 3
BGB ausgeht.
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2. Rechtsfehlerfrei hat das Berufungsgericht angenommen, dass die
Bemessung der dem Kläger in Rechnung gestellten Baukostenzuschüsse billi-
gem Ermessen entspricht.
Die tatrichterlichen Ausführungen zur Anwendung von § 315 BGB im
konkreten Fall können vom Revisionsgericht nur darauf überprüft werden, ob
das Berufungsgericht den Begriff der Billigkeit verkannt, ob es die gesetzlichen
Grenzen seines Ermessens überschritten oder von dem Ermessen in einer dem
Zweck der Ermächtigung nicht entsprechenden Weise Gebrauch gemacht hat
und ob es von einem rechtlich unzutreffenden Ansatz ausgegangen ist, der ihm
den Zugang zu einer fehlerfreien Ermessensentscheidung versperrt hat (Se-
natsurteil vom 8. Juli 2009 - VIII ZR 314/07, NJW 2009, 2894 Rn. 18 mwN).
Derartige Rechtsfehler sind dem Berufungsgericht nicht unterlaufen. Es
hat sich eingehend mit den Vorgaben des VDN-Modells und dessen Geeignet-
heit für die Festsetzung von Baukostenzuschüssen im Niederspannungs- und
Niederdruckbereich befasst. Weiter hat es rechtsfehlerfrei die Erkenntnisse des
vom Landgericht bestellten Sachverständigen verwertet, der die Richtigkeit der
von der Beklagten auf dieser Grundlage vorgenommenen Berechnungen bestä-
tigt hat.
3. Die Berechnung der Baukostenzuschüsse genügt auch den Vorgaben
in § 11 Abs. 1 NAV, § 11 Abs. 1 NDAV, wonach Baukostenzuschüsse höchs-
tens in Höhe von 50 % der bei wirtschaftlich effizienter Betriebsführung im
maßgeblichen Versorgungsbereich für die Erstellung oder Verstärkung der örtli-
chen Verteileranlagen notwendigen Kosten erhoben werden dürfen.
a) Dies gilt zunächst für die Auswahl der Berechnungsmethode (VDN-
Modell). Aus § 11 NAV, § 11 NDAV ergibt sich entgegen der Ansicht der Revi-
sion nicht, dass ein Energieversorgungsunternehmen beim Bestehen mehrerer
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Berechnungsmethoden zwingend derjenigen Berechnungsweise den Vorzug zu
geben hätte, die zu einem geringeren Baukostenzuschuss führt.
aa) Die genannten Bestimmungen schreiben nicht vor, welche Berech-
nungsweise anzuwenden ist oder mit welchem Wert die Betriebsmittel des Ver-
sorgungsunternehmens in eine solche Berechnung einzufließen haben. Diesem
bleibt damit ein Auswahlermessen (vgl. zu den ähnlichen Regelungen in § 9
AVBWasserV und AVBFernwärmeV Hermann in Hermann/Recknagel/Schmidt-
Salzer, Kommentar zu den Allgemeinen Versorgungsbedingungen, 1981, § 9
AVBV Rn. 100). Die Entscheidung des Energieversorgungsunternehmens für
eine bestimmte Methode ist daher nur darauf überprüfbar, ob sie sich im Rah-
men seines pflichtgemäßen Ermessens hält. Diese Prüfung obliegt in erster
Linie dem Tatrichter und hängt im Wesentlichen von den jeweiligen Umständen
des Einzelfalls ab.
bb) Hiernach ist es nicht zu beanstanden, dass das Berufungsgericht die
Beklagte nicht für verpflichtet gehalten hat, das von der Bundesnetzagentur bei
Netzanschlüssen oberhalb der Niederspannungsebene bevorzugte Leistungs-
preismodell anzuwenden. Durch den in § 11 NAV (und in § 11 NADV) erwähn-
ten Effizienzmaßstab soll zwar das Interesse des Anschlussnehmers an kosten-
günstigen Lösungen auch in Bezug auf die Bemessung des Baukostenzu-
schusses unterstrichen werden (BR-Drucks. 367/06, S. 45). Dies bedeutet aber
nicht, dass die Wahl der Berechnungsweise allein am Interesse des betroffenen
Anschlussnehmers auszurichten wäre, mit möglichst geringen Netzanschluss-
kosten belastet zu werden. Denn zum einen wird dem Interesse des An-
schlussnehmers an einer möglichst kostengünstigen Errichtung des Netzan-
schlusses schon durch eine Absenkung des Höchstsatzes für Baukostenzu-
schüsse von zunächst 70 % auf nunmehr 50 % Rechnung getragen (BR-
Drucks. 367/06, aaO; Danner/Theobald/Hartmann, Energierecht, Stand 2012,
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§ 11 NAV Rn. 12). Zum anderen soll es den Versorgungsunternehmen durch
die Lenkungswirkung der Baukostenzuschüsse ermöglicht werden, für alle Ver-
sorgungskunden eine kostengünstige Energieversorgung zu gewährleisten (BR-
Drucks. 367/06, aaO; Danner/Theobald/Hartmann, aaO Rn. 11). Die Möglich-
keit, Baukostenzuschüsse in signifikanter Höhe zu erheben, dient dazu, An-
schlussnehmer anzuhalten, Netzanschlüsse nur entsprechend dem tatsächli-
chen Leistungsbedarf zu beantragen (Danner/Theobald/Hartmann, aaO; Bour-
wieg in Britz/Hellermann/Hermes, EnWG, 2. Aufl., § 17 Rn. 19b). Das zeigt,
dass Versorgungsunternehmen bei der Festsetzung der Baukostenzuschüsse
nicht allein die Interessen des jeweiligen Anschlussnehmers zu beachten haben
und sie daher bei der Bemessung solcher Zuschüsse einen gewissen Spiel-
raum besitzen.
b) Ohne Erfolg macht die Revision weiter geltend, es liege im Hinblick
auf den Vortrag des Klägers, der von der Beklagten für den Anschluss an das
Niederspannungsnetz verlangte Zuschuss liege bis zu 300 % über den Sätzen
anderer Anbieter, nahe, dass in die Berechnung des Baukostenzuschusses
Kosten eingeflossen seien, die mit dem eigentlichen Netzanschluss nichts zu
tun hätten. Wie das Berufungsgericht zutreffend ausgeführt hat, ist der Hinweis
auf deutlich niedrigere Baukostenzuschüsse anderer Netzbetreiber nicht geeig-
net, die Annahme zu begründen, bei der Beklagten seien auch Kosten einge-
rechnet worden, die bei wirtschaftlich effizienter Betriebsführung (§ 11 Abs. 1
Satz 1 NAV) nicht angefallen wären. Es ist bereits nicht dargelegt worden, wel-
che Versorgungsstruktur den Baukostenzuschüssen der anderen Netzbetreiber
zugrunde liegt und auf welche Weise diese ihre Baukostenzuschüsse ermittelt
haben, insbesondere, ob sie den erlaubten Anteil von 50 % (§ 11 Abs. 1 Satz 2
NAV) voll ausgeschöpft haben. Zudem würde es dem Zweck der vom Verord-
nungsgeber eingeführten pauschalierten Berechnungsweise widersprechen,
von einem Netzbetreiber zu verlangen, die Kosten der Betriebsmittel in allen
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Einzelpositionen aufzuschlüsseln. Denn nach der Begründung des Verord-
nungsgebers sollte durch die Befugnis zur pauschalierten Kostenberechnung
der Bearbeitungsaufwand des Netzbetreibers verringert und hierdurch auch im
Massengeschäft eine kostengünstige Durchführbarkeit der Berechnung der
Baukostenzuschüsse gesichert werden (BR-Drucks. 367/06, S. 45).
c) Das Berufungsgericht war auch nicht gehalten, bei der Prüfung, ob die
Beklagte bei ihrer Berechnung den Effizienzmaßstab in § 11 Abs. 1 NAV, § 11
Abs. 1 NDAV beachtet hat, die Offenlegung der Kalkulationsgrundlagen der
Beklagten zu fordern. Wie der Senat bereits in anderem Zusammenhang ent-
schieden hat, muss ein Energieversorgungsunternehmen im Rechtsstreit nicht
uneingeschränkt seine gesamte Kalkulation offen legen (Senatsurteile vom
8. Juli 2009 - VIII ZR 314/07, aaO Rn. 30; vom 19. November 2008 - VIII ZR
138/07, BGHZ 178, 362 Rn. 46 zu § 315 Abs. 3 BGB). In welchem Umfang die
Kalkulation offen gelegt werden muss, entscheidet sich vielmehr danach, ob die
angebotene Beweisführung ausreicht, um die Überzeugung des Tatrichters von
den Tatsachen zu begründen, aus denen sich die Angemessenheit der Leis-
tungsbestimmung ergibt (vgl. Senatsurteil vom 19. November 2008 - VIII ZR
138/07, aaO Rn. 45). Im vorliegenden Fall hat es dem Berufungsgericht für sei-
ne Überzeugungsbildung ausgereicht, dass die für die Berechnung nach dem
VDN-Modell benötigten Daten vorgetragen worden sind und der Sachverständi-
ge die Berechnung bestätigt hat. Dies ist aus revisionsrechtlicher Sicht nicht zu
beanstanden.
d) Weiter hat das Berufungsgericht im Ergebnis zu Recht und von der
Revision unbeanstandet angenommen, dass im Streitfall die Geeignetheit des
VDN-Modells, die Baukostenzuschüsse unter Beachtung der Vorgaben von
§ 11 Abs. 1, 2 NAV, § 11 Abs. 1, 2 NADV zu ermitteln, nicht dadurch in Frage
gestellt wird, dass das Berechnungsmodell nicht auf örtlich begrenzten Versor-
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gungsbereichen basiert, sondern den Netzbereich selbst als Versorgungsbe-
reich definiert.
Zwar kann die Festlegung des Versorgungsbereichs erhebliche Auswir-
kungen auf die Höhe des Baukostenzuschusses haben. Denn es können bei
der Berechnung stets nur die Kosten für die Erstellung der Verteilungsanlagen
berücksichtigt werden, die für die energietechnische Erschließung des jeweili-
gen Versorgungsbereichs erforderlich sind (Klinger, RdE 1980, 186, 188). Wählt
der Energieversorger einen großen Versorgungsbereich, hat er somit die Mög-
lichkeit, höhere Kosten in die Berechnung einzustellen. Dies kann sich zu Las-
ten des betroffenen Anschlussnehmers auswirken. Umgekehrt kann die Wahl
eines größeren Versorgungsgebiets - worauf das Berufungsgericht hingewiesen
hat - zu homogeneren Baukostenzuschüssen führen, die die in § 11 Abs. 2
Satz 2 NAV, § 11 Abs. 2 Satz 2 NADV verlangte Durchmischung fördern und
schließlich auch Abgrenzungsschwierigkeiten vermeiden. Die Wahl eines grö-
ßeren Versorgungsbereichs muss sich also nicht stets zum Nachteil des An-
schlussnehmers auswirken.
Gemessen hieran ist die vom Berufungsgericht vorgenommene Bewer-
tung nicht zu beanstanden. Berücksichtigt man zudem die aus dem eingeholten
Sachverständigengutachten ersichtliche moderate Anzahl der zu versorgenden
Kunden (21.583 Haushaltskunden im Strombereich, 7.432 Haushaltskunden im
Gasbereich), so ergeben sich keine Anhaltspunkte dafür, dass der Versor-
gungsbereich im Streitfall zu weit gezogen und der Kläger hierdurch mit erhebli-
chen Zusatzkosten belastet worden ist.
4. Das Berufungsgericht hat im Ergebnis auch zu Recht angenommen,
dass die Anwendung des VDN-Modells keinen Verstoß gegen das in § 17
Abs. 1 EnWG normierte Transparenzgebot begründet, selbst wenn man dieses
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so auslegt, dass es nicht nur die Möglichkeit zur Kenntnisnahme, sondern auch
die inhaltliche Nachvollziehbarkeit der Netzanschlussbedingungen fordert. Denn
dieses Transparenzgebot gilt im Anwendungsbereich des § 18 Abs. 1 EnWG
und der ihn ausfüllenden Verordnungen nur insoweit, als es mit dem Inhalt der
vorrangigen Sondervorschrift des § 18 EnWG nicht in Widerspruch steht (zum
Vorrang von § 18 EnWG vgl. Salje, EnWG 2006, § 17 Rn. 23, 26; Hempel in
Hempel/Franke, Recht der Energie- und Wasserversorgung, Stand April 2006,
§ 18 EnWG Rn. 7; Bourwieg in Britz/Hellermann/Hermes, aaO § 18 Rn. 1).
Nach § 18 Abs. 1 Satz 1 EnWG haben "abweichend von § 17" Betreiber
von Energieversorgungsnetzen für Gemeindegebiete, in denen sie Energie-
versorgungsnetze der allgemeinen Versorgung von Letztverbrauchern betrei-
ben, allgemeine Bedingungen für den Netzanschluss durch Letztverbraucher in
Niederspannung oder Niederdruck und für die Anschlussnutzung durch Letzt-
verbraucher zu veröffentlichen sowie zu diesen Bedingungen jedermann an ihre
Energieversorgungsnetze anzuschließen und die Nutzung des Anschlusses zur
Entnahme von Energie zu gestatten. In § 18 Abs. 3 EnWG ist die Bundesregie-
rung ermächtigt worden, mit Zustimmung des Bundesrats durch Rechtsverord-
nung die Allgemeinen Bedingungen für den Netzanschluss und dessen Nutzung
bei den an das Niederspannungs- oder Niederdrucknetz angeschlossenen
Letztverbrauchern angemessen festzusetzen. Hiervon hat die Bundesregierung
durch Erlass der Niederspannungsanschlussverordnung und der Niederdruck-
anschlussverordnung Gebrauch gemacht. In der Begründung zu § 18 EnWG
hat der Gesetzgeber ausgeführt, dass die genannten Rechtsverordnungen im
Interesse eines erhöhten Kundenschutzes und angesichts der Besonderheiten
des sogenannten Massenkundengeschäfts weitgehend abschließenden Cha-
rakter haben und die Geschäftsbedingungen des Netzanschlusses von Letzt-
verbrauchern an das Niederspannungs- und Niederdrucknetz umfassend regeln
sollen (BR-Drucks. 613/04, S. 108). Da § 11 NAV, § 11 NDAV für die Bemes-
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sung der Baukostenzuschüsse die Berücksichtigung zahlreicher Parameter vor-
sehen, kann gegen die Verwendung einer Berechnungsmethode, die diese Pa-
rameter nachvollzieht und ausfüllt, nicht schon per se eingewandt werden, sie
verstoße gegen das Transparenzgebot.
So liegt es auch hier. Mit dem von ihr eingesetzten Berechnungsmodell
ist die Beklagte unter Verwendung ausdifferenzierter, in einer veröffentlichten
Handempfehlung des VDN eingehend erläuterter Kriterien den vom Verord-
nungsgeber vorgegebenen Anforderungen an die Berechnung der Zuschüsse
nachgekommen.
Ball
Dr. Frellesen
Dr. Milger
Dr. Fetzer
Dr. Bünger
Vorinstanzen:
LG Mühlhausen, Entscheidung vom 24.06.2010 - 1 HKO 9/08 -
OLG Jena, Entscheidung vom 16.11.2011 - 2 U 662/10 -
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