Urteil des BGH vom 18.04.2002

Leitsatzentscheidung

BUNDESGERICHTSHOF
IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
3 StR 370/01
vom
18. April 2002
in der Strafsache
gegen
wegen Totschlags u.a.
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Der 3. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat in der Sitzung vom 18. April
2002, an der teilgenommen haben:
Vorsitzender Richter am Bundesgerichtshof
Prof. Dr. Tolksdorf,
die Richter am Bundesgerichtshof
Winkler,
Pfister,
von Lienen,
Becker
als beisitzende Richter,
Staatsanwältin in der Verhandlung,
Oberstaatsanwalt beim Bundesgerichtshof bei der Verkündung
als Vertreter der Bundesanwaltschaft,
Rechtsanwalt in der Verhandlung,
Rechtsanwältin bei der Verkündung
als Verteidiger,
Justizamtsinspektorin
als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle,
für Recht erkannt:
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Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landge-
richts Düsseldorf vom 28. Februar 2001 aufgehoben.
Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch
über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer
des Landgerichts zurückverwiesen.
Von Rechts wegen
Gründe:
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Totschlags in Tateinheit
mit Schwangerschaftsabbruch zu einer Freiheitsstrafe von 13 Jahren verurteilt.
Die hiergegen gerichtete Revision des Angeklagten hat bereits mit der Sachrü-
ge Erfolg, eines Eingehens auf die Verfahrensrügen bedarf es daher nicht.
I. Nach den Feststellungen hatte sich M. , das spätere Ta-
topfer, die ebenso wie der Angeklagte marokkanischer Herkunft war, nach ei-
ner intensiven mehrmonatigen Liebesbeziehung zum Angeklagten in der Hoff-
nung auf eine Existenzgrundlage in der Bundesrepublik Deutschland einem
deutschen Mann zugewandt, der ihr die Heirat versprochen hatte. Der Ange-
klagte hatte zwar die Aussichtslosigkeit seiner Liebe zu dieser Frau erkannt,
wollte ihre Entscheidung aber nicht akzeptieren, zumal sie ein Kind von ihm
erwartete. Er besuchte sie immer noch fast täglich. Am Abend des 8. Januar
2000 faßte der Angeklagte im Schlafzimmer der M. aus Verzweif-
lung den Entschluß, sich umzubringen und sie mit in den Tod zu nehmen. Als
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beide auf dem Bett lagen, begann der Angeklagte, sie kraftvoll zu würgen, und
erdrosselte sie schließlich mit einem Ledergürtel. In den Folgetagen versuchte
der Angeklagte, sich auf unterschiedliche Weise das Leben zu nehmen, was
ihm jedoch mißlang. Am 10. Januar 2000 stellte er sich der Polizei.
Der Angeklagte hat in der Hauptverhandlung erklärt, er habe
M. auf ihr Verlangen getötet; sie habe die Tötung verlangt, weil sie zer-
rissen gewesen sei zwischen der Liebe zu ihm und der mit der bevorstehenden
Eheschließung verbundenen Hoffnung auf ein sorgenfreies Leben mit dem an-
deren Mann. Die Strafkammer hält diese Einlassung für eine Schutzbehaup-
tung und stützt sich dabei unter anderem auch auf das Argument, der Ange-
klagte habe von einem Tötungsverlangen des Opfers "bei seiner Festnahme
und bei seiner polizeilichen Vernehmung nichts berichtet. Bei Vorliegen eines
Tötungsverlangens hätte es nämlich nahegelegen, die vom Angeklagten ver-
übte Tat durch umgehenden Hinweis darauf in einem strafrechtlich milderen
Licht erscheinen zu lassen" (UA S. 25).
II. Diese Erwägungen halten rechtlicher Nachprüfung nicht stand.
1. Soweit die Strafkammer auf die Angaben des Angeklagten bei seiner
Festnahme am 10. Januar 2000 abstellt, ist den Urteilsgründen zum äußeren
Hergang zu entnehmen: Der Angeklagte hat von sich aus das Polizeirevier
aufgesucht und mit der Bemerkung, es gehe um Mord, nach dem Behördenlei-
ter verlangt. Auf Nachfrage einer Polizeibeamtin äußerte er, daß er seine
Freundin getötet und es "mit den Händen getan" habe.
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Dieser Geschehensablauf vermag den Schluß, daß es ein Tötungsver-
langen nicht gegeben habe, weil sich der Angeklagte nicht darauf berufen ha-
be, nicht zu tragen.
Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes kann es
zwar von indizieller Bedeutung sein, wenn ein Angeklagter zu einem bestimm-
ten, einheitlichen Geschehen Angaben macht und insoweit lediglich die Beant-
wortung bestimmter Fragen unterläßt (sog. Teilschweigen, vgl. BGHSt 45, 367,
369 f. m. w. N.). Das Schweigen bildet dann einen negativen Bestandteil seiner
Aussage, die in ihrer Gesamtheit der freien richterlichen Beweiswürdigung
nach § 261 StPO unterliegt (vgl. BGH NStZ 2000, 494, 495 m. w. N.). Entspre-
chendes kann gelten, wenn er nicht die Beantwortung an ihn gestellter Fragen
verweigert, sondern zu einem Geschehen von sich aus nur lückenhafte Anga-
ben macht (vgl. Gollwitzer in Löwe-Rosenberg, StPO 25. Aufl. § 261 Rdn. 78).
Auch dann dürfen grundsätzlich für ihn nachteilige Schlüsse daraus gezogen
werden, daß er einen bestimmten Punkt eines einheitlichen Geschehens von
sich aus verschweigt. Die Schlußfolgerung ist jedoch nur dann berechtigt, wenn
nach den Umständen Angaben zu diesem Punkt zu erwarten gewesen wären
(vgl. Gollwitzer aaO; Schlüchter in SK-StPO, 13. ErgLfg § 261 Rdn. 39), andere
mögliche Ursachen des Verschweigens ausgeschlossen werden können und
die gemachten Angaben nicht ersichtlich fragmentarischer Natur sind.
Hier ging es dem Angeklagten nach den geschilderten Umständen nicht
um eine vollständige Darstellung des Tatablaufs und seiner Hintergründe, son-
dern lediglich darum, erst einmal an den zuständigen Polizeibeamten weiter-
geleitet zu werden. Dies ergibt sich aus der Erklärung, "es gehe um Mord", und
der Frage nach dem Behördenleiter; es lag nahe, daß es sich bei den gegen
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22 Uhr auf einem Polizeirevier anwesenden Beamten nicht um Sachbearbeiter
für Tötungsdelikte handelte. Auch die auf Nachfrage einer Beamtin nachge-
schobene Erklärung, er habe seine Freundin getötet, er habe es mit den Hän-
den getan, dienten nur der Bekräftigung seines Verlangens und stellten er-
sichtlich keine umfassende Schilderung dar.
2. Soweit das Landgericht aus den Äußerungen des Angeklagten bei
seinen polizeilichen Vernehmungen Schlüsse gegen das behauptete Tötungs-
verlangen zieht, läßt das Urteil die Mitteilung der den Schluß tragenden Tatsa-
chen vermissen, so daß die Beweiswürdigung hierzu lückenhaft ist. Denn für
den Ablauf und den Inhalt der polizeilichen Vernehmungen des Angeklagten
am 11. Januar 2000 ist den Urteilsgründen nichts zu entnehmen. Nach § 267
Abs. 1 Satz 2 StPO müssen die Tatsachen angegeben werden, aus denen auf
die tatbestandsrelevanten Umstände gefolgert wird. Ohne diese Angabe der
Tatsachen ist eine revisionsrechtliche Nachprüfung nicht möglich, ob der vom
Landgericht gezogene Schluß auf einer tragfähigen Grundlage beruht. Wenn
sich hier etwa auch bei den polizeilichen Vernehmungen die Aussagen des
Angeklagten in wenigen fragmentarischen Angaben erschöpft haben sollten,
wie dies in der Verfahrensrüge des Beschwerdeführers vorgetragen wird, wür-
den diese ebensowenig wie die unter 1. genannten Erklärungen am Vortag auf
dem Polizeirevier die vom Landgericht gezogenen Schlüsse erlauben.
Der Hergang der Ermittlungen und insbesondere der Inhalt der früheren
Angaben eines Angeklagten oder Zeugen müssen zwar grundsätzlich in den
Urteilsgründen nicht dokumentiert werden. Solche Darstellungen erweisen
sich, wenn sie für die Beweiswürdigung nicht von Bedeutung sind, als überflüs-
sig und, worauf der Bundesgerichtshof schon mehrfach hingewiesen hat, als
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vermeidbare Quelle von Rechtsfehlern (BGH NStZ-RR 1999, 272 m. w. N.).
Wird aber wie hier aus dem Aussageverhalten ein bestimmter Schluß gezogen,
so ist dieses in der Weise darzustellen, daß die Berechtigung dieser Folgerung
nachvollziehbar ist.
3. Die Rechtsfehler führen zur Aufhebung des Schuldspruchs. Die übri-
gen von der Strafkammer gegen die Einlassung des Angeklagten angeführten
Indizien sind nicht so gewichtig, daß ausgeschlossen werden kann, daß das
Urteil auf den unzulässigen Erwägungen beruht.
III. Bei dieser Sachlage braucht der Senat nicht abschließend dazu
Stellung nehmen, ob die Beweiswürdigung des Landgerichts auch im übrigen
Lücken aufweist und rechtlichen Bedenken begegnet. Er weist jedoch für die
neue Hauptverhandlung auf folgendes hin:
1. Nach den Feststellungen hat der nach der Tat zum Selbstmord ent-
schlossene Angeklagte am Abend des 10. Januar 2000 von seiner Tante, der
Zeugin Me. , Abschied nehmen wollen und ihr von der Tat und seiner Lage
berichtet; erst der von der Tante verständigten Schwester in Schweden, der
Zeugin R. , ist es nach einem langen Telefonat mit dem Angeklagten gelun-
gen, diesen von seinen Selbsttötungsabsichten abzubringen und dazu zu be-
wegen, sich der Polizei zu stellen. Es liegt nicht fern, daß der Inhalt der Ge-
spräche, den das Landgericht nicht mitgeteilt hat, für die Beurteilung der Tat-
motive des Angeklagten von Bedeutung sein könnte und aufgeklärt werden
sollte.
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2. In die Bewertung der Art und Intensität der Beziehung des Angeklag-
ten zum Tatopfer wird auch die im angefochtenen Urteil nicht gewürdigte Aus-
sage des Vermieters J. einzubeziehen sein.
3. Darüber hinaus wird sich die neue Strafkammer - gegebenenfalls
sachverständig beraten - näher mit der Frage auseinandersetzen müssen, ob
die Blutanhaftungen am Bettlaken im Hinblick auf Lage und Ausmaß Rück-
schlüsse darauf zulassen, ob die Schnitte an den Handgelenken des Opfers zu
Lebzeiten gesetzt worden sind. Dabei wird sie in Rechnung zu stellen haben,
ob relevante Mengen des Blutes vom Angeklagten stammen können, wenn
seine Verletzungen an den Handgelenken keine Blutgefäße eröffnet haben,
und inwieweit der Todeseintritt den Blutaustritt beeinflußt hat, ob also auch
nach Eintritt des Todes noch große Mengen Blut austreten konnten. Insoweit
wird auf die Ausführungen in der Revisionsbegründung des Verteidigers
Rechtsanwalt Prof. Dr. W. S. 26 ff. hingewiesen.
Tolksdorf Winkler Pfister
von Lienen Becker
Nachschlagewerk: ja
BGHSt: nein
Veröffentlichung: ja
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StPO § 261
Macht ein Angeklagter Angaben zur Sache, wobei er einen bestimmten Punkt
eines einheitlichen Geschehens von sich aus verschweigt, dürfen daraus für
ihn nachteilige Schlüsse gezogen werden. Die Schlußfolgerung ist jedoch nur
dann berechtigt, wenn nach den Umständen Äußerungen zu diesem Punkt zu
erwarten gewesen wären, andere mögliche Ursachen des Verschweigens aus-
geschlossen werden können und die gemachten Angaben nicht ersichtlich
fragmentarischer Natur sind.
BGH, Urt. vom 18. April 2002 - 3 StR 370/01 - Landgericht Düsseldorf