Urteil des BGH vom 08.08.2001

BGH (verhalten, verurteilung, stpo, hauptverhandlung, geschlechtsverkehr, strafkammer, tag, verhandlung, grund, vergewaltigung)

BUNDESGERICHTSHOF
IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
2 StR 215/01
vom
8. August 2001
in der Strafsache
gegen
wegen Vergewaltigung u.a.
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Der 2. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat auf Grund der Verhandlung vom
18. Juli 2001 in der Sitzung vom 8. August 2001, an denen teilgenommen ha-
ben:
Vizepräsident des Bundesgerichtshofes
Dr. Jähnke
als Vorsitzender
und die Richter am Bundesgerichtshof
Dr. h.c. Detter,
Dr. Bode,
die Richterinnen am Bundesgerichtshof
Dr. Otten,
Elf
als beisitzende Richter,
Bundesanwalt
als Vertreter der Bundesanwaltschaft,
Rechtsanwalt in der Verhandlung
als Verteidiger,
Rechtsanwältin in der Verhandlung
als Vertreterin der Nebenklägerin ,
Justizangestellte
als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle,
für Recht erkannt:
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Auf die Revision der Nebenklägerin A. wird das Urteil des
Landgerichts Köln vom 6. Oktober 2000 mit den Feststellungen
aufgehoben, soweit der Angeklagte freigesprochen worden ist,
und im Gesamtstrafenausspruch.
Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung
und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an
eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
Von Rechts wegen
Gründe:
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Vergewaltigung in Tatein-
heit mit Freiheitsberaubung und Körperverletzung in zwei Fällen zu einer Ge-
samtfreiheitsstrafe von sieben Jahren verurteilt. Der Verurteilung liegen Taten
gegen die türkischen Staatsangehörigen A. und E. am 9. November
und am 30. Dezember 1998 zugrunde. Vom Vorwurf einer weiteren Vergewalti-
gung der Nebenklägerin A. am 8. November 1998 hat die Strafkammer den
Angeklagten freigesprochen.
Dagegen wendet sich die Nebenklägerin mit ihrer Revision, die sie auf
die Verletzung sachlichen und förmlichen Rechts stützt.
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Das zulässige Rechtsmittel hat mit der Sachbeschwerde Erfolg. Die Be-
weiswürdigung des Landgerichts ist nicht frei von Rechtsfehlern.
Das Revisionsgericht ist zwar nur eingeschränkt zur Überprüfung der
Beweiswürdigung berufen und in der Lage. Es hat die Entscheidung des
Tatrichters grundsätzlich hinzunehmen und sich auf die Prüfung zu beschrän-
ken, ob die Urteilsgründe Rechtsfehler (vgl. § 337 StPO) enthalten. Das ist in
sachlich-rechtlicher Hinsicht der Fall, wenn die Beweiswürdigung widersprüch-
lich, unklar oder lückenhaft ist, wenn sie gegen Denkgesetze oder gesicherte
Erfahrungssätze verstößt (st. Rspr.: BGH NStZ-RR 2000, 171 f.; NStZ 2000,
436 f.; BGHR StPO § 261 Überzeugungsbildung 33; Beweiswürdigung 2, 11,
13, 14).
Die Beweiswürdigung des Landgerichts ist lückenhaft. Freilich können
und müssen die Gründe auch eines freisprechenden Urteils nicht jeden ir-
gendwie beweiserheblichen Umstand ausdrücklich würdigen. Das Maß der ge-
botenen Darlegung hängt von der jeweiligen Beweislage und insoweit von den
Umständen des Einzelfalls ab. Wenn das Tatgericht auf Freispruch erkennt,
obwohl nach dem Ergebnis der Hauptverhandlung gegen den Angeklagten ein
ganz erheblicher Tatverdacht besteht, muß es in seine Beweiswürdigung die
wesentlichen gegen den Angeklagten sprechenden Umstände und Erwägun-
gen einbeziehen (BGH NStZ-RR 2000, 171 f. m.w.N.; für die Fälle von Aussage
gegen Aussage vgl.: BGHSt 44, 153, 158 ff.; 256 ff.).
Dem wird das angefochtene Urteil nicht gerecht. Es weist die Besonder-
heit auf, daß dem Angeklagten zur Last gelegt war, die Nebenklägerin A.
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sowohl am 8. November 1998 wie auch am 9. November 1998 mit Gewalt zum
Geschlechtsverkehr und anderen Sexualpraktiken genötigt zu haben. Das
Landgericht erachtete die Bekundungen der Zeugin aber nur für die Vorfälle
am 9. November 1998 als zur Überführung ausreichend. Es ist der Ansicht, die
Angaben der Zeugin hinsichtlich des Geschehens am 8. November 1998 seien
zur Widerlegung der Einlassung des Angeklagten, der sich auf einen einver-
ständlichen Geschlechtsverkehr berufen hat, nicht geeignet, weil die Aussage
der Nebenklägerin in der Hauptverhandlung eine Vielzahl von Widersprüchen
zu früheren Aussagen bei Polizei (9. und 12. November 1998) und Staatsan-
waltschaft (20. August 1999) enthalte. So habe diese unter anderem erst in der
Hauptverhandlung angegeben, daß sie freiwillig zum Tatort mitgefahren sei,
der Angeklagte seine Waffe an ihren Kopf gehalten und er sie ausgezogen ha-
be. Bei ihren früheren Vernehmungen habe sie bekundet, der Angeklagte habe
vaginal mit ihr verkehrt, es sei zu einem Samenerguß auf ihren Bauch gekom-
men. In der Hauptverhandlung habe sie aber an einen Samenerguß keine Er-
innerung mehr gehabt. Einen Analverkehr habe sie bei ihrer ersten Verneh-
mung verschwiegen. Wesentlich sei auch, daß sie früher fälschlicherweise er-
klärt habe, noch Jungfrau gewesen zu sein. Für das Landgericht waren letzt-
endlich dafür, daß die Bekundungen der Zeugin für eine Überführung des An-
geklagten hinsichtlich der Vorfälle am 8. November 1998 nicht ausreichen, "al-
lein" die Bedenken auf Grund der Häufung der Widersprüche maßgebend. Die
Erklärung dieser Widersprüche durch die Zeugin genüge nicht, die Zweifel zu
beseitigen. Diese würden auch verstärkt durch deren Aussageverhalten. Für
den Vorfall am 8. November 1998 seien deshalb keine sicheren Feststellungen
zu treffen, die eine Verurteilung des Angeklagten rechtfertigen könnten.
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Es kann offenbleiben, in welchem Umfang der fehlenden "Aussagekon-
stanz" bei der Würdigung der Aussage eines Vergewaltigungsopfers besonde-
re Bedeutung zukommt (vgl. BGH NStZ-RR 1997, 172 f.; BGHR StPO § 261
Beweiswürdigung 4; Zeuge 14), denn das Landgericht hat es unterlassen, an-
dere gewichtige Gründe, die für die Richtigkeit der Bekundungen der Zeugin
auch hinsichtlich des Vorfalls am 8. November 1998 sprechen könnten, in die
gebotene Gesamtabwägung (vgl. BGH NStZ 2000, 208; BGHSt 44, 153,
158/159; BGHR § 261 Beweiswürdigung, unzureichende 1) einzubeziehen.
Nicht zutreffend gewürdigt wird durch das Landgericht das von ihm als
erwiesen erachtete Verhalten der Zeugin nach dem von ihr geschilderten Vor-
fall vom 8. November 1998. Wie die Feststellungen ergeben, war die Zeugin
nach dem Geschlechtsverkehr "sehr verstört und verängstigt", als der Ange-
klagte sie zu ihrer Freundin brachte, war sie bei der Verabschiedung sehr ab-
lehnend und beschimpfte ihn (UA S. 12), auch am nächsten Tag reagierte sie
noch verstört (UA S. 48). Selbst wenn aus diesem Verhalten, wie die Straf-
kammer meint, "keine zwingenden Schlüsse auf eine Unfreiwilligkeit des zuvor
erfolgten Geschlechtsverkehr gezogen werden können" (UA S. 49), hätte die-
zwingender
BGHR StPO § 261 - Beweiswürdigung 2 m.w.N.), Anlaß zu der Prüfung sein
müssen, ob im Rahmen einer Gesamtabwägung daraus Schlüsse zum Nachteil
des Angeklagten zu ziehen sind.
Ebenso hätte nicht außer Acht bleiben dürfen, daß der Angeklagte so-
wohl bei der Tat gegen die Nebenklägerin am nächsten Tag und wie auch bei
der Tat gegen die Zeugin E. am 30. Dezember 1998 ein in Art und Weise
des Vorgehens sehr ähnliches Verhalten zeigte, wie es von der Nebenklägerin
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für den Vorfall am 8. November 1998 geschildert wurde. So haben diese und
die Zeugin E. unter anderem übereinstimmend bekundet, der Angeklagte
"sei plötzlich ein anderer Mensch" ("Mann") geworden, er habe eine "harte
Stimme" bzw. einen "bedrohlichen Ton" bekommen (UA S. 32/68). Das Land-
gericht führt sogar ausdrücklich "die nicht nur im äußeren Geschehen, sondern
auch in Einzelheiten auffallenden Ähnlichkeiten" (UA S. 68 und 72) als einen
für den Wahrheitsgehalt der Zeugenaussagen der Tatopfer in den Fällen der
Verurteilung sprechenden Grund an. In die Abwägung über die Glaubwürdig-
keit der Nebenklägerin auch für den Vorfall am 8. November 1998 hat die
Strafkammer aber rechtsfehlerhaft diese Feststellungen nicht einbezogen.
Die Urteilsgründe belegen des weiteren kein ausreichendes Motiv dafür,
warum die Zeugin die Vorfälle vom 8. November 1998 im Gegensatz zu denen
am nächsten Tag unrichtig schildern sollte. Daß ein Motiv für eine Falschaus-
sage "im Eigenschutz" (UA S. 44 und 57) liegen könnte, legen die Feststellun-
gen nicht nahe. Angesichts der Tat vom nächsten Tag bestand auch unter Be-
rücksichtigung des Kulturkreises, aus dem die Nebenklägerin stammt, für einen
"Eigenschutz" kein Anlaß mehr.
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Der Senat kann nicht ausschließen, daß das Landgericht bei ausrei-
chender Berücksichtigung auch der außerhalb der Zeugenaussage liegenden
Gründe zu einer Verurteilung des Angeklagten auch hinsichtlich der Vorgänge
am 8. November 1998 gekommen wäre. Die Sache muß deshalb, soweit der
Angeklagte freigesprochen worden ist, nochmals verhandelt werden.
Jähnke Detter Bode
Otten Elf