Urteil des BGH vom 24.11.2004

BGH (steuerhinterziehung, staatsanwaltschaft, berlin, verteidiger, nachprüfung, auszahlung, steuerfestsetzung, aufhebung, zustimmung, nacht)

5 StR 220/04
BUNDESGERICHTSHOF
IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
vom 24. November 2004
in der Strafsache
gegen
1.
2.
3.
4.
wegen Steuerhinterziehung u. a.
- 2 -
Der 5. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat in der Sitzung vom 24. No-
vember 2004, an der teilgenommen haben:
Vorsitzende Richterin Harms,
Richter Häger,
Richterin Dr. Gerhardt,
Richter Dr. Brause,
Richter Schaal
als beisitzende Richter,
Oberstaatsanwältin beim Bundesgerichtshof
als Vertreterin der Bundesanwaltschaft,
Rechtsanwalt B
als Verteidiger für den Angeklagten N F ,
Rechtsanwalt Dr. H
als Verteidiger für den Angeklagten D ,
Rechtsanwalt F
als Verteidiger für den Angeklagten E ,
Rechtsanwalt S
als Verteidiger für den Angeklagten R F ,
Justizangestellte
als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle,
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für Recht erkannt:
1. Auf die Revisionen der Staatsanwaltschaft wird das Urteil
des Landgerichts Berlin vom 4. Dezember 2003
a) in den Schuldsprüchen dahin abgeändert, daß die
Angeklagten der Steuerhinterziehung in Tateinheit mit
Urkundenfälschung sowie der versuchten Steuerhin-
terziehung in 455 Fällen jeweils in Tateinheit mit Ur-
kundenfälschung schuldig sind,
b) in den Strafaussprüchen mit den zugehörigen Fest-
stellungen aufgehoben.
2. Die Revision des Angeklagten R F wird ver-
worfen. Dieser Angeklagte trägt die durch sein Rechtsmit-
tel entstandenen Kosten.
3. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Ver-
handlung und Entscheidung, auch über die insoweit ent-
standen Kosten der Rechtsmittel, an eine andere Straf-
kammer des Landgerichts zurückverwiesen.
– Von Rechts wegen –
G r ü n d e
Das Landgericht hat die Angeklagten jeweils wegen versuchter Steu-
erhinterziehung in Tateinheit mit Urkundenfälschung schuldig gesprochen
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und gegen die Angeklagten N F , R F und E eine
Freiheitsstrafe von zwei Jahren und neun Monaten sowie gegen den Ange-
klagten D eine Freiheitsstrafe von zwei Jahren und sechs Monaten
verhängt. Die – vom Generalbundesanwalt vertretenen – Revisionen der
Staatsanwaltschaft führen zu einer Änderung der Schuldsprüche und zur
Aufhebung der Strafaussprüche. Die Revision des Angeklagten R F
ist unbegründet.
I.
Das Landgericht hat folgende Feststellungen getroffen:
Die Angeklagten wollten ihre schlechte finanzielle Situation durch Er-
schleichung von unberechtigten Vorsteuererstattungen aufbessern. Der An-
geklagte E , der aufgrund einer abgebrochenen Ausbildung zum Finanz-
beamten steuerrechtliche Kenntnisse hatte, erklärte den übrigen Angeklagten
das System der Umsatzsteuervoranmeldungen. Die Angeklagten verabrede-
ten daraufhin, eine große Anzahl von Voranmeldungen an zahlreiche Fi-
nanzämter in Deutschland gleichzeitig abzusenden und die von ihnen erwar-
teten Vorsteuererstattungen untereinander gleichmäßig aufzuteilen. Zur Vor-
bereitung besorgten sich die Angeklagten zunächst gefälschte Personaldo-
kumente. Anschließend meldeten sich die Angeklagten D und N
F unter falschen Personalien in Berlin beim Landeseinwohneramt
an. „Danach meldeten sie unter Verwendung der falschen Personalien ein
Gewerbe an und hängten an zwei unterschiedlichen, für sie fremden Adres-
sen jeweils einen Briefkasten auf, um mögliche Postsendungen für die einge-
richtete Scheinfirma in Empfang nehmen zu können.“ Ferner eröffneten sie
unter falschem Namen Konten und besorgten sich mehrere Mobiltelefone,
um für etwaige Rückfragen der Finanzämter erreichbar zu sein.
Anfang Dezember 2001 trafen sich die Angeklagten D sowie
N und R F in Berlin und füllten in telefonischer Absprache
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mit dem Angeklagten E insgesamt 456 Antragsformulare mit frei erfunde-
nen Umsätzen und Vorsteuern aus, die sie jeweils mit einem falschen Na-
men unterschrieben. Anschließend übersandten sie die Voranmeldungen
zusammen mit einem formlosen Anschreiben und einer Anzeige der Be-
triebsaufnahme an die entsprechenden Betriebsfinanzämter. Aufgrund der
Vielzahl von Anträgen mußten die Angeklagten in der Tatnacht zwei Fahrten
zu einem Postbriefkasten in Berlin-Kreuzberg unternehmen, um die Briefe
abzusenden. Die Summe der beantragten Vorsteuererstattungsbeträge belief
sich auf sieben Millionen DM.
Die Anträge gingen bei den Finanzämtern zwischen dem 12. Dezem-
ber und dem 17. Dezember 2001 ein. Zu einer Auszahlung der beantragten
Erstattung kam es jedoch nur in einem Fall. Den Betrag von 15.713 DM
konnten die Angeklagten allerdings nicht abheben, da die Staatsanwaltschaft
bereits vor Eingang des Geldes das Konto gepfändet hatte.
Das Landgericht ist der Auffassung, das Geschehen sei als eine Tat
im Sinne natürlicher Handlungseinheit zu werten, da sämtliche Anträge in
einer Nacht zur Post gebracht worden seien.
II.
Die Revisionen der Staatsanwaltschaft sind begründet. Die rechtliche
Würdigung des Landgerichts, der festgestellte Sachverhalt sei als eine ver-
suchte Steuerhinterziehung in Tateinheit mit Urkundenfälschung zu werten,
hält rechtlicher Nachprüfung nicht stand.
Zutreffend geht das Landgericht allerdings davon aus, daß Fälle, in
denen für Scheinfirmen ohne Bezug auf reale Vorgänge fingierte Umsätze
angemeldet und Vorsteuererstattungen begehrt werden, als Steuerhinterzie-
hung und nicht als Betrug zu beurteilen sind (vgl. BGHSt 40, 109; BGH
wistra 2004, 309, 310).
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Nach den vom Landgericht getroffenen Feststellungen haben sich die
Angeklagten jedoch wegen (vollendeter) Steuerhinterziehung in Tateinheit
mit Urkundenfälschung sowie wegen versuchter Steuerhinterziehung in 455
Fällen jeweils in Tateinheit mit Urkundenfälschung schuldig gemacht.
Bei der Beurteilung des Konkurrenzverhältnisses von Steuerstraftaten
gilt nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs folgendes:
Die Abgabe jeder einzelnen unrichtigen Steuererklärung ist grundsätzlich als
selbständige Tat im Sinne von § 53 StGB zu werten. Von Tatmehrheit ist also
dann auszugehen, wenn die abgegebenen Steuererklärungen verschiedene
Steuerarten, verschiedene Besteuerungszeiträume oder verschiedene Steu-
erpflichtige betreffen. Ausnahmsweise kann Tateinheit vorliegen, wenn die
Hinterziehungen durch dieselbe Erklärung bewirkt werden oder wenn mehre-
re Steuererklärungen durch eine körperliche Handlung gleichzeitig abgege-
ben werden. Entscheidend dabei ist, daß die Abgabe der Steuererklärungen
im äußeren Vorgang zusammenfällt und überdies in den Erklärungen über-
einstimmende unrichtige Angaben über die Besteuerungsgrundlagen enthal-
ten sind (vgl. BGHSt 33, 163;BGH, Urteil vom 28. Oktober 2004
– 5 StR 276/04; jew. m.w.Nachw.).
Übereinstimmende unrichtige Angaben im Sinne dieser Rechtspre-
chung können beispielsweise im Verhältnis von Körperschaftsteuerhinterzie-
hung und Umsatzsteuerhinterziehung (vgl. BGHSt 33, 163, 166; BGH
wistra 1996, 62) oder im Verhältnis von Einkommensteuer-, Gewerbesteuer-
und Umsatzsteuerhinterziehung (vgl. BGH wistra 1996, 231) vorliegen. In
solchen Fällen werden übereinstimmende unrichtige Angaben regelmäßig
deshalb abgegeben, weil der Täter sich bei unterschiedlichen Angaben über
die steuerlich erheblichen Tatsachen in den verschiedenen Steuererklärun-
gen, die letztlich jeweils denselben Lebenssachverhalt betreffen, einem er-
höhten Entdeckungsrisiko aussetzen würde.
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Indes reicht es für die Annahme übereinstimmender unrichtiger Anga-
ben nicht aus, wenn der Täter – wie im vorliegenden Fall – gegenüber ver-
schiedenen Finanzämtern für vorgetäuschte Unternehmen gleichartige Vor-
steuererstattungsansprüche behauptet. Die von den Angeklagten in den Um-
satzsteuervoranmeldungen gegenüber 456 unterschiedlichen Finanzämtern
mitgeteilten falschen Angaben betrafen jeweils völlig verschiedene frei erfun-
dene Steuerschuldverhältnisse. Die den einzelnen Voranmeldungen jeweils
zugrundeliegenden Angaben sollten gerade nicht in die Prüfung der anderen
Steuerschuldverhältnisse einfließen, da anderenfalls das strafbare Verhalten
(noch) durchschaubarer gewesen wäre. Dies wird auch dadurch deutlich,
daß die Angeklagten Vorsteuererstattungen in unterschiedlicher Höhe – zwi-
schen 15.023,44 DM und 16.153,44 DM – geltend machten.
Der Umstand, daß alle 456 Umsatzsteuervoranmeldungen in dersel-
ben Nacht in den gleichen Briefkasten geworfen und zur Versendung ge-
bracht wurden, ändert an der konkurrenzrechtlichen Beurteilung im Sinne
von Tatmehrheit nichts. Insbesondere führt dies nicht zur Annahme von na-
türlicher Handlungseinheit.
Soweit in einem Fall die beantragte Vorsteuererstattung durch das Fi-
nanzamt ausgezahlt wurde, liegt eine vollendete Steuerhinterziehung vor. Ist
– wie bei der Umsatzsteuer – eine Fälligkeitssteuer anzumelden, so kann
bereits eine falsche Steueranmeldung zur vollendeten Steuerverkürzung füh-
ren, weil sich eine besondere Steuerfestsetzung erübrigt (§ 167 AO); die
Steueranmeldung steht dann einer Steuerfestsetzung unter Vorbehalt der
Nachprüfung gleich (§ 168 Satz 1, § 370 Abs. 4 Satz 1 AO). Dies gilt jedoch
nicht, wenn – wie hier – die Steueranmeldung zu einer Steuervergütung füh-
ren soll. In einem solchen Fall gilt nach § 168 Satz 2 AO die Steueranmel-
dung erst dann als Steuerfestsetzung unter Vorbehalt der Nachprüfung,
wenn die Finanzbehörde zustimmt; somit ist die Tat mit der Zustimmung der
Finanzbehörde vollendet (vgl. BGHR AO § 370 Abs. 1 Vollendung 2). Von
der Zustimmung der Finanzbehörde, die keiner Form bedarf (§ 168 Satz 3
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AO), kann spätestens ausgegangen werden, wenn der Erstattungsbetrag
ausgezahlt wird. Im Fall der Auszahlung der beantragten Vorsteuererstattung
ändert sich die rechtliche Bewertung als vollendete Steuerhinterziehung auch
nicht dadurch, daß die Staatsanwaltschaft das Konto der Angeklagten, auf
das die Auszahlung erfolgte, bereits gepfändet hatte, so daß den Angeklag-
ten der Zugriff auf den Erstattungsbetrag verwehrt wurde. Der Umstand, daß
die Abhebung des Geldes durch das schnelle Eingreifen der Ermittlungsbe-
hörden verhindert und die Rückzahlung des Geldes an den Fiskus sicherge-
stellt werden konnte, ist jedoch bei der Strafzumessung von Bedeutung.
Der Senat ändert die Schuldsprüche selbst. Die Vorschrift des § 265
StPO steht dem nicht entgegen, da sich die Angeklagten nicht wirksamer als
geschehen hätten verteidigen können. Die Schuldspruchänderungen führen
zur Aufhebung der jeweils verhängten Strafaussprüche. Auf die Einzelbean-
standungen der Staatsanwaltschaft gegen die Strafzumessung des Landge-
richts kommt es daher nicht mehr an.
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III.
Die umfassende Nachprüfung des Urteils aufgrund der vom Angeklag-
ten R F erhobenen Sachrüge hat keinen ihn beschwerenden
Rechtsfehler aufgedeckt.
Harms Häger Gerhardt
Brause Schaal