Urteil des BGH vom 08.07.2005

BGH (anhörung, gutachten, rechtliches gehör, persönliche anhörung, verhandlung, antrag, berufsunfähigkeit, ladung, zpo, sache)

BUNDESGERICHTSHOF
BESCHLUSS
IV ZR 182/05
vom
15. März 2006
in dem Rechtsstreit
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Der IV. Zivilsenat des Bundesgerichtshofes hat durch den Vorsit-
zenden Richter Terno und die Richter Dr. Schlichting, Seiffert, Wendt
und Dr. Franke
am 15. März 2006
beschlossen:
Auf die Beschwerde des Klägers wird die Revision gegen
das Urteil des 10. Zivilsenats des Oberlandesgerichts
Koblenz vom 8. Juli 2005 zugelassen.
Das vorbezeichnete Urteil wird gemäß § 544 Abs. 7 ZPO
aufgehoben.
Die Sache wird zur neuen Verhandlung und Entscheidung,
auch über die Kosten des Rechtsmittelverfahrens, an das
Berufungsgericht zurückverwiesen.
Streitwert: 36.959,65 €
Gründe:
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I. 1. Der Kläger begehrt von der Beklagten Leistungen aus einer
Berufsunfähigkeitszusatzversicherung. Er ist der Auffassung, wegen ver-
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schiedener gesundheitlicher Beeinträchtigungen liege bei ihm eine be-
dingungsgemäße Berufsunfähigkeit von mindestens 50% vor.
a) Das Landgericht hat dazu durch Einholung mehrerer schriftli-
cher Sachverständigengutachten Beweis erhoben. Schriftliche Gutachten
haben der Orthopäde Prof. Dr. S. , der Neurologe Prof. Dr. K.
(unter Einschluss eines neurophysiologischen Zusatzgutachtens)
sowie der Neurochirurg Prof. Dr. E. erstattet. Sämtliche Gutachten
kamen zu dem Ergebnis, beim Kläger liege bedingungsgemäße Berufs-
unfähigkeit nicht vor. Bei dieser Beurteilung blieben die Sachverständi-
gen auch in vom Landgericht auf entsprechende Einwände des Klägers
eingeholten ergänzenden schriftlichen Stellungnahmen. Der Kläger be-
antragte, die Sachverständigen zu laden, damit sie in der mündlichen
Verhandlung von ihm befragt werden könnten. Ferner lehnte er den
Sachverständigen Prof. Dr. S. wegen Besorgnis der Befangenheit
ab, blieb damit jedoch erfolglos. Auf seine Anregung hin wurde vom
Landgericht ergänzend ein berufs- bzw. arbeitsmedizinisches Gutachten
des Dr. K. eingeholt, das ebenfalls zu einer sicher unter 50% lie-
genden Berufsunfähigkeit gelangte. Das Landgericht wies die Klage dar-
aufhin als unbegründet ab, ohne die Sachverständigen in der mündlichen
Verhandlung persönlich anzuhören. Der Kläger habe nicht bewiesen,
dass er in dem von ihm ausgeübten Beruf zu mindestens 50% berufsun-
fähig sei.
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b) Gegen dieses Urteil legte der Kläger Berufung ein und bean-
standete insbesondere, das Landgericht habe entgegen seinen Anträgen
die Sachverständigen nicht zur mündlichen Verhandlung geladen, so
dass er sie zu ihrem Gutachten nicht habe befragen können. Nach Be-
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weisaufnahme durch Anhörung des arbeitsmedizinischen Sachverständi-
gen Dr. K. hat das Berufungsgericht das Rechtsmittel zurückge-
wiesen, da der Eintritt bedingungsgemäßer Berufsunfähigkeit nicht be-
wiesen sei. Dies habe auch der Sachverständige Dr. K. in seinem
schriftlichen Gutachten sowie in seiner Anhörung vor dem Senat in
Übereinstimmung mit den anderen Gutachten bestätigt. Konkrete An-
haltspunkte, die Anlass geben könnten, an der Richtigkeit der anderen
Gutachten zu zweifeln, sei nicht vorhanden.
2. Mit seiner Beschwerde beanstandet der Kläger unter anderem
die unterbliebene Anhörung der Sachverständigen Prof. Dr. S. ,
Prof. Dr. K. sowie Prof. Dr. E. und rügt insoweit die Ver-
letzung seines Grundrechts auf Gewährung rechtlichen Gehörs (Art. 103
Abs. 1 GG). Mit den Anträgen auf Anhörung der Sachverständigen habe
er jeweils konkrete Fragen an diese verbunden. Zwar habe das Landge-
richt, statt diesen Anträgen nachzugehen, ein berufs- und arbeitsmedizi-
nisches Gutachten von Dr. K. eingeholt. Damit habe sich jedoch
allenfalls sein Antrag auf Vernehmung von Prof. Dr. K. erledigt,
weil das arbeitsmedizinische Gutachten dem Gericht die Kenntnisse
vermitteln sollte, die Prof. Dr. K. nicht hatte. Für alle anderen
Anhörungsanträge gelte dies nicht. Da der Kläger in der Berufungsin-
stanz das Übergehen seiner Anhörungsanträge gerügt und diese alle-
samt wiederholt habe, hätte das Berufungsgericht ihnen auch nachgehen
müssen. Entscheidungserheblich sei insbesondere der Antrag auf Anhö-
rung des orthopädischen Gutachters Prof. Dr. S. gewesen.
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II. Die zulässige Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revi-
sion ist begründet. Mit Erfolg macht die Nichtzulassungsbeschwerde gel-
tend, dass das Berufungsgericht verfahrensfehlerhaft von einer mündli-
chen Anhörung von Sachverständigen abgesehen hat. Es hat damit den
Anspruch des Klägers auf rechtliches Gehör (Art. 103 Abs. 1 GG) ver-
letzt.
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1. Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs kommt es für
die Frage, ob die Ladung eines Sachverständigen zur mündlichen Erläu-
terung des von ihm erstatteten Gutachtens geboten ist, nicht darauf an,
ob das Gericht noch Erläuterungsbedarf sieht oder ob gar zu erwarten
ist, dass der Gutachter seine Auffassung ändert. Die Parteien haben zur
Gewährleistung des rechtlichen Gehörs nach §§ 397, 402 ZPO einen An-
spruch darauf, dass sie dem Sachverständigen die Fragen, die sie zur
Aufklärung der Sache für erforderlich halten, in mündlichen Anhörung
stellen können. Dieses Antragsrecht der Parteien besteht unabhängig
von § 411 Abs. 3 ZPO (vgl. BGH, Beschluss vom 10. Mai 2005 - VI ZR
245/04 - VersR 2005, 1555 unter 2 a m.w.N.; BGHZ 6, 398, 400 f.; 24, 9,
14 und ständig). Hat das Landgericht einem rechtzeitig gestellten Antrag
auf Ladung eines Sachverständigen zur mündlichen Erläuterung nicht
entsprochen, so muss das Berufungsgericht dem im zweiten Rechtszug
wiederholten Antrag stattgeben (BGH, Urteil vom 24 Oktober 1995 - VI
ZR 13/95 - VersR 1996, 211 f.). Dabei kann von der Partei, die einen An-
trag auf Ladung des Sachverständigen stellt, nicht verlangt werden, dass
sie die Fragen, die sie an den Sachverständigen zu richten beabsichtigt,
im Voraus konkret formuliert. Es genügt, wenn sie allgemein angibt, in
welcher Richtung sie durch ihre Fragen eine weitere Aufklärung herbei-
zuführen wünscht (BGHZ 24, 9, 14).
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2. Danach begegnet es schon in Bezug auf den orthopädischen
Sachverständigen Prof. Dr. S. durchgreifenden rechtlichen Beden-
ken, dass das Berufungsgericht von dessen persönlicher Anhörung in
der mündlichen Verhandlung abgesehen hat.
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Der Kläger hatte im ersten Rechtszug rechtzeitig die Ladung des
Sachverständigen zur Erläuterung seines Gutachtens vom 13. Septem-
ber 1999 beantragt; dieser Antrag war auch nach Eingang der ergänzen-
den Stellungnahme dieses Sachverständigen vom 21. Februar 2000 nicht
schon dadurch erledigt, dass der Kläger diesen Sachverständigen in der
Zwischenzeit wegen Besorgnis der Befangenheit abgelehnt hatte. Da al-
so schon das Landgericht den Sachverständigen hätte laden müssen,
das Verfahren in erster Instanz mithin fehlerhaft war, war das
Berufungsgericht an die Feststellungen im erstinstanzlichen Urteil nicht
gebunden und hätte seinerseits den Sachverständigen laden müssen.
Gemäß § 529 Abs. 1 Nr. 1 Halbs. 2 ZPO hätte es die aufgrund des
Gutachtens getroffenen Feststellungen seiner Entscheidung nicht zu
Grunde legen dürfen. Der Auffassung der Beschwerdeerwiderung, nach
- wenn auch erfolgloser - Ablehnung des Sachverständigen Prof.
Dr. S. durch den Kläger habe das Berufungsgericht nicht mehr
davon ausgehen müssen, dass er die ihm obliegende Beweisführung
weiterhin auf ein Gutachten dieses Sachverständigen habe stützen
wollen, kann nicht gefolgt werden. Zwar kann in einem bestimmten
Prozessverhalten einer Partei nach den Umständen des Falles auch eine
stillschweigende Erklärung gesehen werden, sich - nunmehr - in Bezug
auf ein Sachverständigengutachten mit einer schriftlichen Erläuterung
zufrieden geben zu wollen (vgl. BGH, Urteil vom 24. Oktober 1995 aaO).
Im vorliegenden Fall hatte der Kläger jedoch im Berufungsrechtszug
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hatte der Kläger jedoch im Berufungsrechtszug nicht nur die unterbliebe-
ne Anhörung des Sachverständigen im ersten Rechtszug gerügt, sondern
seine dahingehenden Anträge ausdrücklich wiederholt. Da das Gutach-
ten wegen der erfolglos gebliebenen Ablehnung des Sachverständigen
auch Grundlage für die Beurteilung der Berufsunfähigkeit des Klägers
geblieben war, musste diesem um so mehr daran gelegen sein, das für
ihn ungünstige Ergebnis des Gutachtens durch eine Anhörung des Sach-
verständigen in der mündlichen Verhandlung zu erschüttern.
3. Da nicht ausgeschlossen werden kann, dass das Berufungsge-
richt bei der gebotenen Klärung zu einer anderen Beurteilung des Falles
gekommen wäre, war das Urteil aufzuheben und die Sache an das Beru-
fungsgericht zurückzuverweisen. Dieses wird bei der neuen Verhandlung
und Entscheidung unter Berücksichtigung der Ausführungen des Sach-
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verständigen Prof. Dr. S. erwägen müssen, ob ergänzend auch eine
persönliche Anhörung der Sachverständigen Prof. Dr. K. und
Prof. Dr. E. geboten ist.
Terno Dr. Schlichting Wendt
Felsch Dr. Franke
Vorinstanzen:
LG Trier, Entscheidung vom 09.03.2004 - 11 O 428/97 -
OLG Koblenz, Entscheidung vom 08.07.2005 - 10 U 440/04 -