Urteil des BGH vom 10.10.2006

BGH (stpo, gesamtstrafe, strafkammer, menge, besondere härte, kokain, stgb, kolumbien, verkäufer, rauschgift)

BUNDESGERICHTSHOF
BESCHLUSS
1 StR 377/06
vom
10. Oktober 2006
in der Strafsache
gegen
wegen unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer
Menge u.a.
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Der 1. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat am 10. Oktober 2006 beschlos-
sen:
1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landge-
richts Augsburg vom 9. Februar 2006 aufgehoben
a) im Fall II 2 g der Urteilsgründe; insoweit wird der Angeklagte
freigesprochen;
b) im Ausspruch über die Gesamtstrafe mit der Maßgabe, dass
eine nachträgliche gerichtliche Entscheidung über die Ge-
samtstrafe gemäß §§ 460, 462 StPO zu treffen ist.
2. Die weitergehende Revision wird verworfen.
3. Der Angeklagte ist damit schuldig des unerlaubten Handeltrei-
bens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge, des uner-
laubten Besitzes von Betäubungsmitteln in nicht geringer Men-
ge in 14 Fällen und des unerlaubten Erwerbs von Betäubungs-
mitteln.
4. Soweit der Angeklagte freigesprochen wurde, hat die Staats-
kasse die Kosten des Verfahrens und die notwendigen Ausla-
gen des Angeklagten zu tragen. Über die verbleibenden Kosten
des Rechtsmittels ist zugleich mit der Entscheidung über die
Gesamtstrafe zu befinden.
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Gründe:
Der Angeklagte wurde wegen zwei Fällen des Handeltreibens mit Betäu-
bungsmitteln in nicht geringer Menge, 14 Fällen des Besitzes von Betäubungs-
mitteln in nicht geringer Menge und einem Fall des Erwerbs von Betäubungs-
mitteln zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von sechs Jahren und neun Monaten
verurteilt. Seine auf die näher ausgeführte Sachrüge gestützte Revision hat hin-
sichtlich einer Verurteilung wegen Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in
nicht geringer Menge (Fall II 2 g der Urteilsgründe = Fall 6 der Anklage) Erfolg
(§ 349 Abs. 4 StPO). Insoweit hat der Senat, wie auch von der Generalbundes-
anwältin beantragt, den Angeklagten freigesprochen (§ 354 Abs. 1 StPO). Mit
dem Wegfall der hierfür ausgeworfenen Einzelstrafe entfällt zugleich die Ge-
samtstrafe (§ 349 Abs. 4 StPO). Im Übrigen bleibt die Revision erfolglos (§ 349
Abs. 2 StPO).
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I.
1. Der Angeklagte konsumierte jedenfalls ab 1997/98 bis 2003 und wie-
der ab 2004 regelmäßig Kokain, „1 bis maximal 2mal wöchentlich in sich stei-
gernder Dosierung, ab 2001/2002 2-3 g, gelegentlich auch 5 g“.
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Die Strafkammer hat festgestellt, dass er zwischen 1998 und 2004 re-
gelmäßig jedenfalls in 15 Fällen Kokain erworben hat, einmal 3 g, sonst zwi-
schen 10 g und 100 g, oft 50 g, so allein im Frühjahr 2001 innerhalb von maxi-
mal vier Wochen vier Mal. In diesen Fällen konnte die Strafkammer Zweifel
daran, dass dieses Kokain auch zum Weiterverkauf bestimmt war, nicht über-
winden, selbst nicht insoweit, als der Angeklagte innerhalb von höchstens vier
Wochen bei einem maximalen wöchentlichen Eigenverbrauch von 10 g insge-
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samt 200 g kaufte. Sie verkennt zwar nicht, dass die Umstände des Falles auf
die Absicht gewinnbringender Weiterveräußerung hindeuten. Konkrete Umstän-
de, die gegen diese Annahme sprechen könnten, führt sie nicht an. Sie hält je-
doch die getroffenen Feststellungen für nicht tragfähig genug, um auf die ge-
nannte Absicht schließen zu können.
2. Der Senat braucht der Frage, ob die genannten Erwägungen der
Strafkammer die Anforderungen an die richterliche Überzeugungsbildung über-
spannt haben könnten (vgl. Körner BtMG 5. Aufl. § 29 Rdn. 282, 284 m. w. N.),
nicht näher nachzugehen, weil der Angeklagte hierdurch nicht beschwert sein
kann.
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Den Angeklagten beschwerende Rechtsfehler sind hinsichtlich des
Schuldspruchs in allen diesen Fällen nicht zu erkennen, wie dies auch die Ge-
neralbundesanwältin zutreffend ausgeführt hat.
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II.
Ebenso hält der Schuldspruch rechtlicher Überprüfung stand, soweit der
Angeklagte im Fall II 2 e der Urteilsgründe wegen Handeltreibens mit Betäu-
bungsmitteln in nicht geringer Menge verurteilt wurde.
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1. Hier war der Angeklagte mit weiteren Tatbeteiligten, darunter C.
C. , der in großem Umfang mit Rauschgift handelte, 2001 nach Hamburg
gefahren und war nach einem gemeinsamen Probekauf über Kokain im Wert
von insgesamt fast 1.000.- DM mit einem Rauschgifthändler über den Erwerb
von 500 g Kokain für 40.000.- DM „handelseinig“ geworden. Aus nicht näher
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mitgeteilten Gründen sagte der Angeklagte dieses Geschäft allerdings später
wieder ab.
2. Unter Berufung auf die Beweiswürdigung der Strafkammer in den ge-
schilderten Fällen, in denen der Angeklagte nicht wegen Handeltreibens mit
Betäubungsmitteln verurteilt wurde, hält die Revision die Urteilsgründe im Fall II
2 e für lückenhaft. Sie vermisst die Erörterung der Möglichkeit, dass es dem
Angeklagten auch in diesem Fall nicht um Weiterverkauf ging. Darüber hinaus
habe die Strafkammer nicht einmal ausdrücklich festgestellt, dass es dem An-
geklagten überhaupt darum ging, diese 500 g (gewinnbringend) umzusetzen,
obwohl sie diese Annahme ihrem Schuldspruch wegen Handeltreibens offenbar
zu Grunde gelegt habe.
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3. Der Senat sieht keinen Rechtsfehler. Der Angeklagte hatte 1996 die
eidesstattliche Versicherung abgegeben. 2003 wurde hinsichtlich der von ihm
beantragten Restschuldbefreiung das Insolvenzverfahren eröffnet. Seine
Schulden beliefen sich auf mindestens 80.000.- Euro. Unter Berücksichtigung
dieser und aller sonstiger Umstände des Falles erscheint es auch unter Beach-
tung der Zweifel der Strafkammer in den anderen Fällen nicht als nahe liegende
und deshalb erörterungsbedürftige Möglichkeit, dass der Angeklagte 2001 für
40.000.- DM Kokain kaufen wollte, um seinen Eigenbedarf für mindestens je-
denfalls rund ein Jahr im Voraus zu decken, oder dass es ihm aus - wie auch
immer beschaffenen - sonstigen Gründen nicht um gewinnbringenden Weiter-
verkauf ging (vgl. auch BGH StraFo 2004, 180 m. w. N.).
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III.
Keinen Bestand haben kann dagegen der Schuldspruch wegen Handel-
treibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge im Fall II 2 g der Ur-
teilsgründe.
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1. Gegenstand der Verurteilung sind Verhandlungen, die der Angeklagte
insbesondere mit H. C. über den Erwerb großer Mengen von Kokain in
Kolumbien geführt hatte. C. sollte als Finanzier die Kaufgelder bereitstel-
len, der Angeklagte zusammen mit einem Kurier das Rauschgift in Kolumbien
beschaffen. Der Angeklagte und C. hatten Ende 2004 vereinbart, dass sie
gemeinsam im Januar 2005 nach Kolumbien fliegen wollten, „um sich die Sache
anzusehen, insbesondere die Lieferanten kennen zu lernen“. Hierzu kam es
nicht, nachdem sich der Angeklagte, so die Feststellung der Strafkammer, nach
einem Gespräch mit seiner Schwester anders besonnen und dies C. mitge-
teilt hatte. Anhaltspunkte dafür, dass der Angeklagte zuvor in Verfolgung des
geschilderten Tatplans mit der Verkäuferseite in Kolumbien Kontakt aufgenom-
men hätte oder gar mit ihr in ernsthafte Verhandlungen eingetreten sei, sind
nicht ersichtlich.
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2. Revision und Generalbundesanwältin legen im Wesentlichen überein-
stimmend zutreffend dar, dass diese Feststellungen eine Verurteilung wegen
(vollendeten oder auch nur versuchten) Handeltreibens mit Betäubungsmitteln
nicht tragen. Zwar ist der Tatbestand des Handeltreibens mit Betäubungsmitteln
schon dann erfüllt, wenn der Täter bei einem beabsichtigten Ankauf von zum
gewinnbringenden Weiterverkauf bestimmten Betäubungsmitteln in ernsthafte
Verhandlungen mit dem potentiellen Verkäufer eintritt (BGHSt 50, 252 - Großer
Senat -). Hier waren die Verhandlungen aber nur innerhalb der (potentiellen)
Käuferseite geführt, es ging darum, wie mit einem künftigen Verkäufer in Kon-
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takt zu treten sei, welche Mengen gekauft werden sollten, wie der Kauf zu fi-
nanzieren sei, und von wem das Rauschgift im Falle des Kaufes zu transportie-
ren sei. Einen Kontakt mit einem (potentiellen) Verkäufer gab es dagegen noch
nicht. In einem solchen Fall liegt auch dann noch kein Handeltreiben vor, wenn
die Beteiligten auf der (potentiellen) Käuferseite ihr Verhalten für den Fall der
Aufnahme und des Erfolges der geplanten Verhandlungen mit einem (potentiel-
len) Verkäufer schon abgestimmt haben. Es fehlt in einem solchen Fall zwar
nicht an jeder Konkretisierung der beabsichtigten Tat (vgl. hierzu BGH aaO 265
f. m. w. N.), wohl aber an der Konkretisierung hinsichtlich der Aufnahme von
Verhandlungen zwischen (potentieller) Verkäufer- und (potentieller) Käuferseite,
die für den Tatbestand des Handeltreibens kennzeichnend sind.
3. Freilich haben der Angeklagte und C. , durch ihren gemeinsamen
Plan, große Mengen Rauschgift einzukaufen, die Begehung eines Verbrechens
verabredet (§ 30 Abs. 2 StGB). Wie die Revision und die Generalbundesanwäl-
tin übereinstimmend darlegen, ist der Angeklagte hiervon jedoch zurückgetre-
ten.
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Die Generalbundesanwältin hat hierzu im Einzelnen ausgeführt:
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„ … der Angeklagte (hat) die Tat jedoch verhindert, indem er C. er-
klärte, von dem geplanten Geschäft Abstand zu nehmen. Aus den …
Feststellungen ergibt sich …, dass der vom Angeklagten nunmehr ver-
weigerte Tatbeitrag (Schaffen der Kontakte nach Kolumbien) unerlässli-
che Voraussetzung für die Durchführung der Tat gewesen wäre. An-
haltspunkte dafür, dass … C. auf Grund ihm vom Angeklagten be-
reits erteilter Detailinformationen in der Lage gewesen wäre, die
Rauschgiftgeschäfte in eigener Regie durchzuführen, enthält das Urteil
nicht.
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Weiß der Zurücktretende, dass die Tat ohne ihn gar nicht begangen wer-
den kann, genügt für einen Rücktritt nach § 31 Abs. 1 Nr. 3 StGB bloßes
Untätigbleiben (vgl. Joecks in MünchKomm StGB § 31 Rdn. 21; Roxin in
LK StGB 11. Aufl. § 31 Rdn. 20; Lackner/Kühl StGB 25. Aufl. § 31 Rdn.
5 jew. m. RsprNachw).“
Dem stimmt der Senat zu (vgl. auch BGHSt 32,133; BGH NStZ 1999,
395, 396).
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4. Der Senat kann keine Anhaltspunkte dafür erkennen, dass ein neuer
Tatrichter zu diesem Komplex noch Feststellungen treffen könnte, die eine
Verurteilung des Angeklagten tragen könnten. Entsprechend auch dem Antrag
der Generalbundesanwältin spricht der Senat daher den Angeklagten im Punkt
II 2 g der Urteilsgründe (= Fall 6 der Anklage) frei (§ 354 Abs. 1 StPO).
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IV.
Zu den Strafaussprüchen:
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1. Der Freispruch im Fall II 2 g der Urteilsgründe führt zum Wegfall der
hierfür verhängten Einzelstrafe von vier Jahren, der Einsatzstrafe, und damit
zugleich zum Wegfall der Gesamtstrafe.
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2. Die übrigen Einzelstrafen können bestehen bleiben.
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a) Für sich genommen enthalten sie keine Rechtsfehler zum Nachteil des
Angeklagten. Auch insoweit teilt der Senat die auch durch die Erwiderung der
Revision (§ 349 Abs. 3 Satz 2 StPO) nicht entkräftete Auffassung der General-
bundesanwältin.
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b) Der Senat hat erwogen, ob der Wegfall der Strafe im Fall II 2 g der Ur-
teilsgründe gleichwohl zur Aufhebung der übrigen Einzelstrafen führen kann.
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Dies kann insbesondere in Betracht kommen, wenn die höchste Einzel-
strafe (Einsatzstrafe) keinen Bestand haben kann oder wenn sämtliche abgeur-
teilte Taten in einem engen inneren Zusammenhang stehen (vgl. BGH, Urteil
vom 16. Mai 1995 - 1 StR 117/95). Beides ist hier der Fall. Andererseits ist bei
der Bemessung der in Rede stehenden Einzelstrafen in keiner Weise auf die
unter II 2 g der Urteilsgründe abgeurteilte Tat oder die deshalb verhängte Strafe
Bezug genommen.
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Letztlich braucht der Senat der Frage eines möglichen Zusammenhangs
zwischen der Strafe im Fall II 2 g der Urteilsgründe und den übrigen Strafen
aber nicht zu entscheiden, weil er die übrigen Einzelstrafen jedenfalls für ange-
messen i. S. d. § 354 Abs. 1a Satz 1 StPO hält (vgl. BGH, Beschluss vom 26.
Januar 2006 - 1 StR 407/05; vgl. auch Senge in FS für Hans Dahs 2005, 475,
486 m. w. N.).
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c) Besonderheiten des Einzelfalls, die einer Entscheidung gemäß § 354
Abs. 1a Satz 1 StPO hier entgegenstehen könnten (vgl. hierzu zusammenfas-
send BGH, Beschluss vom 22. August 2006 - 1 StR 293/06 m. w. N., zur Veröf-
fentlichung in BGHSt bestimmt) sind nicht ersichtlich.
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d) Bei seiner Entscheidung konnte der Senat auch Folgendes nicht au-
ßer Acht lassen: Der Angeklagte war innerhalb des Zeitraums, in dem er die
hier abgeurteilten Taten begangen hat, auch sonst wiederholt straffällig gewor-
den. 2001 wurde er wegen Betrügereien zu elf Monaten Freiheitsstrafe verur-
teilt, 2002 wegen Verkehrsunfallflucht zu drei Monaten Freiheitsstrafe. Beide
Strafen wurden zur Bewährung ausgesetzt und später erlassen. Die Strafkam-
mer sieht in diesem Verfahrensgang eine besondere Härte für den Angeklag-
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ten, und hat ihm deshalb - ersichtlich schon bei der Bemessung der Einzelstra-
fen - einen sog. Härteausgleich zugebilligt.
Der Angeklagte stellt sich mit dem Erlass der früheren Strafe(n) jedoch
besser, als wenn deren Einbeziehung in eine erst noch zu vollstreckende nach-
trägliche Gesamtfreiheitsstrafe diese nahe liegend erhöht hätte. Eine wie auch
immer beschaffene Härte liegt jedenfalls nicht vor, dementsprechend ist ein
Härteausgleich nicht veranlasst (BGH NStZ-RR 2004, 330 m. w. N.).
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e) Unter Berücksichtigung dieses Gesichtspunkts, aller für die Strafzu-
messung bedeutsamer Urteilsfeststellungen und des gesamten auf die Straf-
zumessung bezogenen Vorbringens der Verfahrensbeteiligten hält der Senat
die von der Strafkammer ausgeworfenen Einzelstrafen für angemessen.
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3. Die nach alledem hinsichtlich des Strafausspruchs allein gebotene
Aufhebung der Gesamtstrafe erfolgt mit der Maßgabe, dass die nunmehr nur
noch gebotene Entscheidung über die Gesamtstrafe durch Beschluss gemäß
§§ 460, 462 StPO zu erfolgen hat, § 354 Abs. 1b Sätze 1 und 2 StPO. Nach der
Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs ist eine Gesetzesverletzung bei der
Bildung einer Gesamtstrafe i. S. d. § 354 Abs. 1b StPO auch dann gegeben,
und dementsprechend eine Verweisung auf das Beschlussverfahren auch dann
möglich, wenn im Revisionsverfahren eine Einzelstrafe durch Verfahrenseinstel-
lung wegfällt (vgl. BGH NStZ 2005, 223; BGH, Beschluss vom 9. August 2006 -
1 StR 252/06). Fällt, wie hier, eine Einzelstrafe infolge Freispruchs weg, kann
nichts anderes gelten.
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Die Entscheidung über die Gesamtstrafe aus den nunmehr rechtskräfti-
gen Einzelstrafen obliegt dem gemäß § 462a Abs. 3 StPO zuständigen Gericht
(BGH aaO; Senge aaO 493).
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Herr RiBGH Dr. Kolz
befindet sich in Urlaub
und ist deshalb an der
Unterschrift verhindert.
Nack Wahl Nack
Hebenstreit Graf