Urteil des BGH vom 13.02.2013

Leitsatzentscheidung

BUNDESGERICHTSHOF
BESCHLUSS
XII ZB 527/12
vom
13. Februar 2013
in der Familiensache
Nachschlagewerk:
ja
BGHZ:
nein
BGHR:
ja
VersAusglG §§ 27, 35
Eine befristete Herabsetzung des Versorgungsausgleichs ist nicht bereits deshalb
geboten, weil das Verfahren über den Versorgungsausgleich ausgesetzt war und
dem ausgleichspflichtigen Ehegatten, wäre über den Versorgungsausgleich nach
dem bis zum 31. August 2009 geltenden Recht entschieden worden, das sogenannte
Rentnerprivileg (§ 101 SGB VI Abs. 3 a.F.) zugutegekommen wäre.
BGH, Beschluss vom 13. Februar 2013 - XII ZB 527/12 - OLG Nürnberg
AG Nürnberg
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Der XII. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat am 13. Februar 2013 durch den
Vorsitzenden Richter Dose, die Richterin Weber-Monecke und die Richter
Dr. Klinkhammer, Schilling und Dr. Nedden-Boeger
beschlossen:
Die Rechtsbeschwerde gegen den Beschluss des 7. Zivilsenats
und Senats für Familiensachen des Oberlandesgerichts Nürnberg
vom 15. August 2012 wird auf Kosten des Antragstellers zurück-
gewiesen.
Beschwerdewert: 4.978
Gründe:
I.
Die Beteiligten streiten über den Versorgungsausgleich.
Auf die im Januar 2009 zugestellten wechselseitigen Anträge hat das
Familiengericht die am 4. März 1976 geschlossene Ehe des Antragstellers
(Ehemann) und der Antragsgegnerin (Ehefrau) unter Abtrennung der Folgesa-
che Versorgungsausgleich rechtskräftig geschieden. Es hat das Verfahren über
den Versorgungsausgleich ausgesetzt, weil beide Ehegatten Anrechte aus ei-
ner Zusatzversorgung des Öffentlichen Dienstes erworben hatten, die vorüber-
gehend nicht bewertet werden konnten, nachdem der Bundesgerichtshof die
der zugrundeliegenden Versorgungsordnung entsprechende Satzung der Ver-
sorgungsanstalt des Bundes und der Länder (VBL) im Hinblick auf die Berech-
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nung der Startgutschriften für rentenferne Jahrgänge für unwirksam erklärt
hatte.
Im Oktober 2010 hat das Familiengericht das Verfahren über den Ver-
sorgungsausgleich wieder aufgenommen. Während der Ehezeit (1. März 1976
bis 31. Dezember 2008; § 3 Abs. 1 VersAusglG) erwarben der Ehemann
57,2616 Entgeltpunkte und die Ehefrau 19,6534 Entgeltpunkte in der gesetzli-
chen Rentenversicherung. Außerdem erwarben der Ehemann 205,84 Versor-
gungspunkte und die Ehefrau 61,29 Versorgungspunkte aus einer Pflichtversi-
cherung der Zusatzversorgung des öffentlichen Dienstes.
Am 2. Juni 2009 trafen die Ehegatten eine notarielle Scheidungsverein-
barung, in der sie wechselseitig auf nachehelichen Unterhalt verzichteten und
ergänzend vereinbarten, dass eine künftige Veränderung in den Verhältnissen,
gleich welcher Art, keinen Einfluss auf den vereinbarten gegenseitigen Unter-
haltsverzicht haben soll. Für die Zukunft wurde Gütertrennung vereinbart und
der Ausgleich des bisherigen Zugewinns in einer Gesamtvermögensauseinan-
dersetzung geregelt, bei der auch Regelungen über Miteigentumsanteile an
Immobilien getroffen wurden.
Die im August 1955 geborene Ehefrau hat während der Ehe bis zum
27. Mai 1978 zunächst in Vollzeit gearbeitet. Anschließend hat sie bis Mitte
1986 ihre Tätigkeit unterbrochen und die in dieser Zeit geborenen Kinder und
den Haushalt versorgt. Seit Mitte 1986 arbeitet sie wieder in Vollzeit mit einem
durchschnittlichen Monatsnettoeinkommen von rund 1.800
€.
Der im Juli 1951 geborene Ehemann hat während der Ehezeit durchge-
hend in Vollzeit gearbeitet und dabei Einkünfte erzielt, die deutlich über denen
der Ehefrau lagen. Im Dezember 2003 stellte er einen Antrag auf Altersteilzeit in
Form des Blockmodells. Die Freistellungsphase lief ab Februar 2009. Seit
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1. August 2011 bezieht der Antragsteller eine (noch nicht durch den Versor-
gungsausgleich gekürzte) Altersrente in Höhe von netto 1.418,45
€. Zur Finan-
zierung seiner aus der Scheidungsvereinbarung folgenden Lasten hat der
Ehemann ein Bankdarlehen aufgenommen, auf das er monatlich 399
€ bis
Ende 2024 zu zahlen hat. Außerdem hat er durch Einnahmen nicht gedeckte
Lasten der übernommenen Miteigentumsanteile in Höhe von monatlich 50
€ zu
zahlen. Aus seiner Abfindung für die Altersteilzeit verfügt er noch über rund
10.700
€.
Das Familiengericht hat den Versorgungsausgleich durch interne Teilung
vollständig durchgeführt. Die hiergegen eingelegte Beschwerde des Ehemanns,
mit der er weiterhin eine Herabsetzung des Versorgungsausgleichs nach § 27
VersAusglG verfolgt hat, hat das Oberlandesgericht zurückgewiesen. Hierge-
gen richtet sich die zugelassene Rechtsbeschwerde des Ehemanns.
II.
Die zulässige Rechtsbeschwerde ist nicht begründet.
Auf das Verfahren zum Versorgungsausgleich ist gemäß Art. 111 Abs. 4
FGG-RG, § 48 Abs. 2 Nr. 1 VersAusglG das seit dem 1. September 2009 gel-
tende Verfahrensrecht und materielle Recht anzuwenden, weil das Verfahren
vom Scheidungsverbund abgetrennt, als Folgesache ausgesetzt und erst nach
dem 1. September 2009 wieder aufgenommen worden ist (vgl. Senatsbe-
schlüsse vom 26. Oktober 2011 - XII ZB 567/10 - FamRZ 2012, 98 Rn. 7 ff. und
vom 16. Februar 2011 - XII ZB 261/10 - FamRZ 2011, 635 Rn. 10 ff.).
1. Das Oberlandesgericht hat seine Entscheidung im Wesentlichen wie
folgt begründet: Es bestehe kein Anlass, den Versorgungsausgleich im vorlie-
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genden Fall unter dem Aspekt der "phasenverschobenen Ehe" herabzusetzen,
da der Renteneintritt des Ehemanns erst nach dem Ende der Ehezeit erfolgt sei
und weder ein besonders großer Altersunterschied zwischen den Ehegatten
noch eine besonders lange Trennungszeit vorliege. Auch sei der Versorgungs-
ausgleich nicht herabzusetzen, falls die nach der Ehezeit weiter berufstätige
Ehefrau über eine im Verhältnis zum vorzeitig in Rente gegangenen aus-
gleichspflichtigen Ehemann "unverhältnismäßig hohe" Rente verfügen werde.
Denn dieses beruhe darauf, dass der Ehemann bereits mit 60 Jahren aus dem
Erwerbsleben ausgeschieden sei, während die Ehefrau bis zu ihrem 66. Le-
bensjahr arbeite und gerade in den letzten Jahren ihres Berufslebens noch
erhebliche Anwartschaften erwerbe. Das sei kein Anlass für eine Berichtigung
des Versorgungsausgleichs, zumal der Ehemann auch unter Berücksichtigung
des Versorgungsausgleichs noch über ein monatliches Nettoeinkommen von
1.500
€ verfüge. Auch sei eine befristete Herabsetzung des Versorgungsaus-
gleichs nicht geboten, weil damit die Grundentscheidung des Gesetzgebers zur
Abschaffung des Rentnerprivilegs und die gesetzliche Regelung in § 35
VersAusglG in den Fällen, in denen eine Aussetzung der Kürzung des Versor-
gungsausgleichs auf Antrag noch möglich sei, zu Lasten des Versorgungsträ-
gers umgangen würden.
2. Diese Ausführungen halten einer rechtlichen Nachprüfung stand.
a) Gemäß § 27 VersAusglG findet ein Versorgungsausgleich ausnahms-
weise nicht statt, soweit er grob unbillig wäre. Dies ist nur der Fall, wenn die
gesamten Umstände des Einzelfalls es rechtfertigen, von der Halbteilung abzu-
weichen.
Ob und in welchem Umfang die Durchführung des Versorgungsaus-
gleichs grob unbillig erscheint, unterliegt grundsätzlich der tatrichterlichen Beur-
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teilung. Diese ist im Verfahren der Rechtsbeschwerde nur daraufhin zu überprü-
fen, ob alle wesentlichen Umstände berücksichtigt wurden und das Ermessen in
einer dem Gesetzeszweck entsprechenden Weise ausgeübt worden ist (Se-
natsbeschluss vom 19. September 2012 - XII ZB 649/11 - FamRZ 2013, 106
Rn. 16 mwN).
Dabei erfordert § 27 VersAusglG für einen Ausschluss oder eine Herab-
setzung des Wertausgleichs eine grobe Unbilligkeit, d.h. eine rein schematische
Durchführung des Versorgungsausgleichs muss unter den besonderen Gege-
benheiten des konkreten Falles dem Grundgedanken der gesetzlichen Rege-
lung, nämlich eine dauerhaft gleichmäßige Teilhabe beider Ehegatten an den in
der Ehezeit erworbenen Versorgungsanrechten zu gewährleisten, in unerträgli-
cher Weise widersprechen. Die grobe Unbilligkeit muss sich wegen des Aus-
nahmecharakters von § 27 VersAusglG im Einzelfall aus einer Gesamtabwä-
gung der wirtschaftlichen, sozialen und persönlichen Verhältnisse beider Ehe-
gatten ergeben (Senatsbeschluss vom 19. September 2012 - XII ZB 649/11 -
FamRZ 2013, 106 Rn. 19 mwN).
b) Nach diesem Maßstab sind die Erwägungen, mit denen das Oberlan-
desgericht das Vorliegen eines Härtefalls im Ergebnis verneint hat, nicht zu be-
anstanden.
aa) Zwar kann, wie der Senat entschieden hat, der Ausgleich von Ver-
sorgungsanrechten, die ein Ehegatte nach der Trennung bis zum Ende der Ehe
erworben hat, im Zusammenhang mit einer langen Trennungszeit zu einer gro-
ben Unbilligkeit führen, wenn der ausgleichspflichtige Überschuss an Versor-
gungsanrechten, die dieser Ehegatte erzielt hat, nicht auf seiner höheren wirt-
schaftlichen Leistungsfähigkeit während der Ehezeit beruht, sondern auf dem
Umstand, dass der andere Ehegatte nach der Trennung aufgrund seines Alters
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- und damit nicht ehebedingt - keine Versorgungsanwartschaften mehr erwor-
ben hat (Senatsbeschluss vom 19. Mai 2004 - XII ZB 14/03 - FamRZ 2004,
1181, 1183).
So liegen die Dinge hier jedoch nicht. Während der einjährigen Tren-
nungszeit haben beide Ehegatten Anrechte durch ihre Arbeit erworben. Zwar
befand sich der Ehemann während der Trennungszeit in der sogenannten Ar-
beitsphase der Altersteilzeit, in der sein Arbeitsentgelt und die daraus erworbe-
nen Versorgungsanrechte geschmälert waren. Dies betrifft aber nur einen kur-
zen Zeitraum, welcher sich in der Ausgleichsbilanz im Übrigen nicht zu Lasten,
sondern zugunsten des Ehemanns ausgewirkt hat. Denn die Ehefrau erwarb
während dieser Zeit Anwartschaften aus einer in Vollzeit ausgeübten Tätigkeit.
bb) Ebenfalls zutreffend hat das Oberlandesgericht es für nicht maßgeb-
lich erachtet, dass die nach der Ehezeit weiter berufstätige Ehefrau weitere
Rentenanwartschaften erwirbt und mit dem Eintritt in das Rentenalter womög-
lich über einen höheren Rentenanspruch als der vorzeitig in Altersteilzeit ge-
gangene ausgleichspflichtige Ehemann verfügen werde. Denn soweit der höhe-
re Rentenanspruch darauf beruht, dass die Ehefrau Beitragsleistungen über
das Ehezeitende hinaus bis zum Erreichen der allgemeinen Altersgrenze er-
bringt und für sich selbst nicht die vorzeitigen Freistellungsvorteile des Alters-
teilzeitmodells in Anspruch nimmt, handelt es sich um nachehezeitliche Tatsa-
chen und Entwicklungen, die den ehezeitlichen Versorgungsausgleich grund-
sätzlich unbeeinflusst lassen.
cc) Schließlich ist auch eine befristete Herabsetzung des Versorgungs-
ausgleichs nicht bereits deshalb geboten, weil dem Ehemann - wäre über den
Versorgungsausgleich nach dem bis zum 31. August 2009 geltenden Recht
entschieden worden - das sogenannte Rentnerprivileg (§ 101 SGB VI Abs. 3
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a.F.) zugutegekommen wäre. Nach dieser Vorschrift wurde, wenn nach Beginn
der Rente eine Entscheidung des Familiengerichts über den Versorgungsaus-
gleich zu Lasten des Versicherten wirksam wurde, die Rente des Ausgleichs-
pflichtigen erst zu dem Zeitpunkt um einen Abschlag verändert, zu dem bei ei-
ner Rente des Ausgleichsberechtigten ein Zuschlag berücksichtigt wird.
Bei der Abschaffung dieser Regelung, die den ausgleichspflichtigen
Ehegatten über den Halbteilungsgrundsatz hinaus durch eine versiche-
rungsfremde Sozialleistung aus den Mitteln der gesetzlichen Regelsicherungs-
systeme begünstigte (vgl. auch Senatsbeschluss vom 7. November 2012
- XII ZB 271/12 - FamRZ 2013, 189 Rn. 15), handelt es sich um eine grundsätz-
lich entschädigungslos hinzunehmende Gesetzesänderung. Sie trifft auch den
Ehemann des vorliegenden Verfahrens, da die gerichtliche Entscheidung über
den Versorgungsausgleich nicht vor dem Inkrafttreten der Neuregelung getrof-
fen war.
Zu Recht hat das Oberlandesgericht darauf hingewiesen, dass das am
1. September 2009 in Kraft getretene Recht eine Aussetzung der Kürzung der
laufenden Versorgung auf Grund des Versorgungsausgleichs nur noch in Be-
tracht zieht, wenn die ausgleichspflichtige Person eine laufende Versorgung
wegen Invalidität oder Erreichens einer besonderen Altersgrenze erhält und sie
aus einem im Versorgungsausgleich erworbenen Anrecht keine Leistung bezie-
hen kann (§ 35 Abs. 1 VersAusglG). Unter diese Vergünstigung fällt der Ehe-
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mann nicht, da er eine vorgezogene Rente nicht wegen Invalidität oder Errei-
chens einer besonderen Altersgrenze bezieht, sondern aufgrund einer in An-
spruch genommenen Altersteilzeitregelung.
Dose
Weber-Monecke
Klinkhammer
Schilling
Nedden-Boeger
Vorinstanzen:
AG Nürnberg, Entscheidung vom 10.05.2012 - 113 F 1111/10 -
OLG Nürnberg, Entscheidung vom 15.08.2012 - 7 UF 889/12 -