Urteil des BGH vom 17.06.2010

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BUNDESGERICHTSHOF
BESCHLUSS
V ZB 176/09
vom
17. Juni 2010
in dem Rechtsstreit
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Der V. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat am 17. Juni 2010 durch den Vor-
sitzenden Richter Prof. Dr. Krüger und die Richter Dr. Klein, Dr. Lemke,
Dr. Schmidt-Räntsch und Dr. Roth
beschlossen:
Auf die Rechtsbeschwerde der Beklagten wird der Beschluss des
Oberlandesgerichts Bamberg - 3. Zivilsenat - vom 6. Oktober 2009
aufgehoben.
Die sofortige Beschwerde des Klägers gegen den Kostenfestset-
zungsbeschluss des Landgerichts Bamberg vom 10. August 2009
wird zurückgewiesen.
Der Kläger trägt die Kosten der Rechtsmittelverfahren.
Der Gegenstandswert des Rechtsbeschwerdeverfahrens beträgt
290,06 €.
Gründe:
I.
Mit Beschluss vom 10. August 2009 hat das Landgericht die von dem
Kläger an die Beklagte zu erstattenden Kosten auf 1.244,93 € festgesetzt. Da-
bei hat es die von der Beklagten geltend gemachte 1,3-fache Verfahrensgebühr
in voller Höhe berücksichtigt. Auf die dagegen erhobene sofortige Beschwerde
des Klägers hat das Oberlandesgerichts die Verfahrensgebühr um die Hälfte
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gekürzt und die zu erstattenden Kosten auf 954,87 € festgesetzt. Mit der zuge-
lassenen Rechtsbeschwerde will die Beklagte die Wiederherstellung des Kos-
tenfestsetzungsbeschlusses des Landgerichts erreichen.
II.
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Das Beschwerdegericht meint, die Verfahrensgebühr nach Nr. 3100 VV
RVG sei anteilig um die Geschäftsgebühr nach Nr. 2300 VV RVG zu kürzen.
Das folge aus dem Wortlaut der Vorbemerkung 3 Abs. 4 zu Nr. 3100 VV RVG
und entspreche der inzwischen gefestigten Rechtsprechung des Bundesge-
richtshofs. Die am 5. August 2009 in Kraft getretene Vorschrift des § 15a RVG
rechtfertige keine andere Beurteilung der Rechtslage, weil in diesem Zeitpunkt
die Beklagte ihren Prozessbevollmächtigten den unbedingten Auftrag zur Erle-
digung derselben Angelegenheit bereits erteilt gehabt habe und deshalb die
Vergütung nach dem bisher geltenden Recht zu berechnen sei. Eine Anwen-
dung der Regelung in § 15a Abs. 2 RVG auf Altfälle sei nicht gerechtfertigt.
III.
Das hält der rechtlichen Nachprüfung nicht stand.
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1. Die Rechtsbeschwerde ist nach § 574 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 ZPO statt-
haft und auch im Übrigen zulässig (§ 575 ZPO). Sie hat in der Sache Erfolg.
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2. Die Entscheidung des Beschwerdegerichts entspricht der Rechtspre-
chung des Bundesgerichtshofs bis zur Einführung des § 15a RVG, nach der die
Verfahrensgebühr gegen den Prozessgegner nur gekürzt um den nach der
Vorbemerkung 3 Abs. 4 zu Nr. 3100 VV RVG anzurechnenden Teil der Ge-
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schäftsgebühr festgesetzt werden kann (Beschluss vom 22. Januar 2008,
VIII ZR 57/07, NJW 2008, 1323; Beschluss vom 20. April 2008, III ZB 8/08,
NJW-RR 2008, 1095; Beschluss vom 3. Juni 2008, VI ZB 55/07, NJW-RR 2008,
1528; Beschluss vom 16. Juli 2008, IV ZB 24/07, JurBüro 2008, 529 f.; Be-
schluss vom 14. August 2008, I ZB 103/07, AGS 2008, 574; Beschluss vom
25. September 2008, VII ZB 93/07, RVG-Rep 2008, 468). Nach dem Inkrafttre-
ten des § 15a RVG, wonach sich ein Dritter nur unter bestimmten Vorausset-
zungen auf die Anrechnung berufen kann, haben sich die bisher befassten Se-
nate des Bundesgerichtshofs auf den Standpunkt gestellt, dass die Regelung in
§ 15a RVG die bisherige Rechtslage nicht geändert hat, sondern sie lediglich
klarstellt (Beschluss vom 2. September 2009, II ZB 35/07, NJW 2009, 3101;
Beschluss vom 9. Dezember 2009, XII ZB 175/07, NJW 2010, 1375; Beschluss
vom 3. Februar 2010, XII ZB 177/09, AGS 2010, 106; Beschluss vom 11. März
2010, IX ZB 82/08, AGS 2010, 159; Beschluss vom 31. März 2010, XII ZB
230/09, Rdn. 6, juris). Dieser Rechtsprechung schließt sich der erkennende Se-
nat an. Die Erwägungen des Berufungsgerichts zu den Aufgaben des Gesetz-
gebers bei der Schaffung einer neuen Rechtsnorm, zur Auslegung der Vor-
schrift des § 15a RVG und zum Willen des Gesetzgebers sind in dem Be-
schluss des Bundesgerichtshofs vom 9. Dezember 2009 erörtert und für nicht
durchgreifend erachtet worden (XII ZB 157/07, NJW 2010, 1375, 1376). Dem ist
nichts hinzuzufügen. Auch für Altfälle - wie hier - gilt somit, dass die Anrech-
nung nach der Vorbemerkung Abs. 4 zu Nr. 3100 VV RVG grundsätzlich nur
das Innenverhältnis zwischen dem Prozessbevollmächtigten und seinem Man-
danten betrifft und sich deshalb im Verhältnis zu Dritten, also insbesondere im
Kostenfestsetzungsverfahren, nicht auswirkt (Senat, Beschl. v. 29. April 2010,
V ZB 38/10, juris, Rdn. 8 f.).
Da ein Ausnahmefall nach § 15a Abs. 2 RVG nicht vorliegt, hat das Be-
schwerdegericht die von der Beklagten geltend gemachte Verfahrensgebühr zu
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Unrecht gekürzt. Die angefochtene Entscheidung ist deshalb aufzuheben und
die sofortige Beschwerde des Klägers gegen den Kostenfestsetzungsbeschluss
des Landgerichts zurückzuweisen.
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3. Obwohl der Senat von der zitierten Rechtsprechung des I., III., IV., VI.,
VII. und VIII. Zivilsenats abweicht, bedarf es keiner Anrufung des Großen Se-
nats für Zivilsachen. Denn die Abweichung ist die Folge einer gesetzlichen Klä-
rung und setzt deshalb keine Entscheidung des Großen Senats voraus (BGH,
Beschluss vom 11. März 2010, IX ZB 82/08, aaO).
III.
Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 91 Abs. 1, 97 Abs. 1 ZPO.
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Krüger Klein
Lemke
Schmidt-Räntsch
Roth
Vorinstanzen:
LG Bamberg, Entscheidung vom 10.08.2009 - 2 O 52/09 -
OLG Bamberg, Entscheidung vom 06.10.2009 - 3 W 109/09 -