Urteil des BGH vom 10.08.2006

Leitsatzentscheidung

BUNDESGERICHTSHOF
BESCHLUSS
I ZB 110/05
vom
10. August 2006
in der Rechtsbeschwerdesache
Nachschlagewerk: ja
BGHZ
: nein
BGHR
:
ja
ZPO § 887
Der Gläubiger, der die dem Schuldner obliegende vertretbare Handlung selbst
vorgenommen hat, kann die ihm dadurch entstandenen Kosten nicht noch
nachträglich im Vollstreckungsverfahren erstattet verlangen.
BGH, Beschl. v. 10. August 2006 - I ZB 110/05 - LG Chemnitz
AG
Marienberg
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Der I. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat am 10. August 2006 durch
den Vorsitzenden Richter Prof. Dr. Ullmann und die Richter Prof. Dr. Bornkamm,
Dr. Büscher, Dr. Schaffert und Dr. Bergmann
beschlossen:
Die Rechtsbeschwerde des Gläubigers und die Anschlussrechts-
beschwerde der Schuldnerinnen gegen den Beschluss der 3. Zivil-
kammer des Landgerichts Chemnitz vom 23. August 2005 werden
mit der Maßgabe zurückgewiesen, dass die im Verfahren vor dem
Amtsgericht entstandenen Kosten des Verfahrens unter Abände-
rung der Kostenentscheidung im Beschluss des Amtsgerichts Ma-
rienberg vom 14. Juli 2004 - 2 C 685/01 - dem Gläubiger zu 85 %
und den Schuldnerinnen als Gesamtschuldnerinnen zu 15 % auf-
erlegt werden.
Von den Kosten des Rechtsbeschwerdeverfahrens haben der
Gläubiger 77 % und die Schuldnerinnen zu 1 und 2 jeweils 11,5 %
zu tragen.
Der Gegenstandswert des Rechtsbeschwerdeverfahrens wird auf
2.063,69 € festgesetzt.
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Gründe:
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I. Die Parteien streiten im Zwangsvollstreckungsverfahren um die Frage,
ob dem vom Gläubiger geltend gemachten Anspruch gemäß § 887 Abs. 2 ZPO
auf Vorauszahlung der Kosten für die Vornahme der geschuldeten Handlung
entgegensteht, dass der titulierte Anspruch auf Befreiung von einer Geldver-
bindlichkeit nur Zug um Zug gegen Abtretung möglicher Schadensersatzan-
sprüche des Gläubigers gegen den Dritten besteht und zudem der Gläubiger
die Verbindlichkeit, von der er befreit werden soll, schon selbst (teilweise) erfüllt
hat.
Der Gläubiger hatte nach einem Unfall, den die Schuldnerin zu 1 mit ei-
nem von ihr gehaltenen und gefahrenen und bei der Schuldnerin zu 2 haft-
pflichtversicherten Pkw verursacht hatte, bei der U. Autovermietung GmbH
(im Weiteren: Mietwagenunternehmen) ein Unfallersatzfahrzeug angemietet.
Mit seiner vor dem Amtsgericht gegen die Schuldnerinnen erhobenen Klage hat
er deswegen einen Geldbetrag in Höhe von umgerechnet 2.013,69 € bean-
sprucht. Da der Gläubiger die ersetzt verlangten Mietwagenkosten noch nicht
bezahlt hatte und die Schuldnerinnen geltend gemacht hatten, dass das Miet-
wagenunternehmen seine Aufklärungspflichten gegenüber dem Gläubiger ver-
letzt habe, hat das Amtsgericht mit Urteil vom 20. August 2002 entschieden,
dass die Schuldnerinnen den Gläubiger von den gegen ihn gerichteten Ansprü-
chen des Mietwagenunternehmens freizustellen hätten Zug um Zug gegen Ab-
tretung möglicher Schadensersatzansprüche des Gläubigers aus dem von ihm
mit dem Mietwagenunternehmen geschlossenen Vertrag.
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Nach Eintritt der Rechtskraft des Urteils hat der Gläubiger mit Schreiben
vom 15. November 2002 erklärt, dass er mögliche Schadensersatzansprüche
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gegenüber dem Mietwagenunternehmen an die Schuldnerinnen abtrete. Mit
Schreiben vom 6. Dezember 2002 hat die Schuldnerin zu 2 die Annahme der
Abtretung erklärt. Zugleich hat sie mitgeteilt, sie habe eine Zahlung in Höhe von
872 € an das Mietwagenunternehmen veranlasst und stelle den Gläubiger "ge-
mäß Urteil frei".
Da sich die Schuldnerinnen nachfolgend geweigert haben, an das Miet-
wagenunternehmen weitere Zahlungen zu erbringen, hat der Gläubiger an die-
ses am 1. April und 30. Juni 2003 insgesamt weitere 670 € gezahlt.
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Mit Schriftsatz vom 8. Juni 2004 hat der Gläubiger beantragt, ihn gemäß
§ 887 Abs. 1 ZPO zu ermächtigen, die nach dem Urteil vom 20. August 2002
den Schuldnerinnen obliegende Freistellung von der noch offenen Forderung in
Höhe von 1.141,69 € nebst Zinsen und Kosten selbst vornehmen zu lassen.
Des Weiteren hat er zugleich beantragt, die Schuldnerinnen gemäß § 887
Abs. 2 ZPO zur Vorauszahlung der ihm durch die teilweise Befriedigung des
Mietwagenunternehmens entstandenen Kosten in Höhe von 670 € und weiterer
Kosten zu verpflichten.
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Das Amtsgericht hat diese Anträge abgelehnt.
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Mit seiner hiergegen gerichteten sofortigen Beschwerde hat der Gläubi-
ger beantragt, die Schuldnerinnen gesamtschuldnerisch zu verurteilen, die ihm
durch die Selbstvornahme entstehenden und entstandenen Kosten in Höhe von
2.013,69 € vorauszuzahlen und die durch die Vornahme der Handlung entste-
henden Kosten zu tragen, unbeschadet des Rechts auf eine Nachforderung,
wenn die Vornahme der Handlung einen größeren Kostenaufwand verursacht.
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Das Beschwerdegericht hat die Schuldnerinnen gesamtschuldnerisch
verurteilt, die dem Gläubiger durch die Ersatzvornahme entstehenden Kosten in
Höhe von 471,69 € vorauszuzahlen. Im Übrigen hat es das Rechtsmittel zu-
rückgewiesen.
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Mit seiner (vom Beschwerdegericht zugelassenen) Rechtsbeschwerde
verfolgt der Gläubiger seinen Antrag weiter, soweit dieser im Verfahren der so-
fortigen Beschwerde erfolglos geblieben ist. Die Schuldnerinnen sind der
Rechtsbeschwerde entgegengetreten und haben Anschlussrechtsbeschwerde
eingelegt. Mit ihr erstreben sie die Wiederherstellung des den Vollstreckungsan-
trag des Gläubigers insgesamt ablehnenden Beschlusses des Amtsgerichts.
II. Die Rechtsbeschwerde des Gläubigers ist aufgrund ihrer Zulassung
statthaft (§ 574 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2, Abs. 3 Satz 2 ZPO) und auch ansonsten
zulässig. Dasselbe gilt für die rechtzeitig eingelegte und begründete Anschluss-
rechtsbeschwerde der Schuldnerinnen (vgl. § 574 Abs. 4 ZPO). In der Sache
haben beide Rechtsmittel keinen Erfolg. Zu berücksichtigen ist lediglich der
Teilerfolg des Gläubigers bei der erstinstanzlichen Kostenentscheidung (§ 891
Satz 3 i.V. mit § 92 Abs. 1, § 100 Abs. 4 ZPO).
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1. Das Beschwerdegericht hat seine Entscheidung wie folgt begründet:
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Der Anspruch auf Befreiung von einer hinreichend bestimmten oder be-
stimmbar bezeichneten Geldverbindlichkeit sei als vertretbare Handlung nach
§ 887 ZPO zu vollstrecken. Die Ermächtigung zur Ersatzvornahme sei aber
ausgeschlossen, wenn der Schuldner oder der Gläubiger die Handlung bereits
ordnungsgemäß vorgenommen habe. Im Hinblick auf die unstreitig erfolgten
Zahlungen in Höhe von insgesamt 1.542 € sei der Gläubiger daher zu ermäch-
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tigen, die nach dem Urteil vom 20. August 2002 den Schuldnerinnen obliegende
Verpflichtung zur Freistellung im Umfang von 471,69 € vorzunehmen.
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Die Freistellungserklärung vom 6. Dezember 2002 habe entgegen der
Auffassung der Schuldnerinnen nicht zur Erfüllung des Befreiungsanspruchs
geführt. Der Gläubiger sei der Forderung des Mietwagenunternehmens weiter
ausgesetzt. Im Vollstreckungsverfahren sei allein vom titulierten Anspruch aus-
zugehen; nicht zu entscheiden sei daher, ob der Anspruch des Mietwagenun-
ternehmens mittlerweile verjährt sei. Ebenso sei auch unbeachtlich, ob sich der
Gläubiger den Schuldnerinnen gegenüber möglicherweise schadensersatz-
pflichtig machte, wenn er auf eine verjährte Forderung freiwillig zahlte oder eine
Ratenzahlungsvereinbarung träfe, und ob der Gläubiger durch sein Verhalten
einen von den Schuldnerinnen im Übrigen nicht substantiiert vorgetragenen
Schadensersatzanspruch gegenüber dem Mietwagenunternehmen vereitelt ha-
be.
2. Diese Beurteilung hält der rechtlichen Nachprüfung stand.
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a) Rechtsbeschwerde des Gläubigers
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aa) Der Gläubiger hat seinen ursprünglich weiterreichenden Antrag im
Verfahren der sofortigen Beschwerde dahingehend eingeschränkt, dass er die
Verurteilung der Schuldnerinnen zur Vorauszahlung der Kosten der Selbstvor-
nahme in Höhe von 2.013,69 € und zur Tragung der durch die Vornahme der
Handlung zukünftig entstehenden Kosten begehrt hat.
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bb) Das Beschwerdegericht hat mit Recht entschieden, dass von dem
danach in Rede stehenden Vorauszahlungsbetrag in Höhe von 2.013,69 € zum
einen - wie auch die Rechtsbeschwerde nicht in Zweifel zieht - der von der
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Schuldnerin zu 2 an das Mietwagenunternehmen gezahlte Betrag von 872 €
und zum anderen auch die vom Gläubiger auf die Rechnung des Mietwagenun-
ternehmens gezahlten 670 € in Abzug zu bringen sind.
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Der Gläubiger, der die dem Schuldner obliegende vertretbare Handlung
- wie hier die Befreiung von einer Zahlungsverpflichtung (vgl. BGH, Urt. v.
22.10.1957 - VI ZR 231/56, NJW 1958, 497; Urt. v. 28.6.1983 - VI ZR 285/81,
NJW 1983, 2438, 2439) - in eigener Person oder durch von ihm beauftragte
Dritte vorgenommen hat, kann die ihm dadurch entstandenen Kosten nicht noch
nachträglich im Vollstreckungsverfahren erstattet verlangen (vgl. OLG Hamm
MDR 1972, 615; OLG Hamburg MDR 1973, 768; OLG Köln Rpfleger 1993, 84;
Musielak/Lackmann, ZPO, 4. Aufl., § 887 Rdn. 23; Stein/Jonas/Brehm, ZPO,
22. Aufl., § 887 Rdn. 49; Zöller/Stöber, ZPO, 25. Aufl., § 887 Rdn. 7; Schneider,
MDR 1975, 279, 281 mit Nachweisen zur früher auch vertretenen Gegenauffas-
sung). Entgegen der Auffassung der Rechtsbeschwerde folgt aus dem Sinn und
Zweck der Regelung des § 887 ZPO nichts Gegenteiliges. Die dort getroffene
Regelung soll einen gerechten Ausgleich zwischen dem Interesse des Gläubi-
gers an einer erfolgreichen Vollstreckung und dem ihm gegenüberstehenden
Interesse des Schuldners an einem möglichst geringen Eingriff in seine Rechte
herstellen (vgl. Musielak/Lackmann aaO § 887 Rdn. 1). Ein solcher Interessen-
ausgleich setzt voraus, dass dem Schuldner, der einen titulierten Anspruch des
Gläubigers auf Vornahme einer vertretbaren Handlung nicht erfüllt, die Folgen
seines weiteren Untätigbleibens vor Augen geführt werden. Dementsprechend
ist der Schuldner vor dem Ergehen einer nach § 887 ZPO zu erlassenden Ent-
scheidung gemäß § 891 Satz 2 ZPO zwingend zu hören. Soweit der Gläubiger
das insoweit vorgesehene Verfahren nicht einhält, sondern die Anspruchserfül-
lung selbst herbeiführt, bleibt es ihm zwar unbenommen, die entstandenen Kos-
ten vom Schuldner etwa unter dem Gesichtspunkt der Geschäftsführung ohne
Auftrag (§§ 677 ff. BGB) oder auch nach Bereicherungsrecht (§§ 812 ff. BGB)
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erstattet zu verlangen. Die betreffenden Ansprüche unterliegen jedoch mögli-
chen Einwendungen, die bei Einhaltung des in den §§ 887, 891 ZPO vorgese-
henen Verfahrens nicht in Betracht kommen und dort sinnvollerweise auch nicht
behandelt werden. Die bei der Beurteilung nach materiellem Recht möglicher-
weise auftretenden Streitfragen lassen sich auch nicht - wie die Rechtsbe-
schwerde meint - mit den Problemen vergleichen, die sich ergeben, wenn der
Gläubiger gemäß § 887 Abs. 2 ZPO a.E. eine Nachforderung mit der Begrün-
dung erhebt, die Vornahme der Handlung verursache einen größeren Kosten-
aufwand als vom Gericht angenommen.
b) Anschlussrechtsbeschwerde der Schuldnerinnen
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aa) Die Beurteilung des Beschwerdegerichts, die Freistellungserklärung
vom 6. Dezember 2002 habe nicht zur Erfüllung des Befreiungsanspruchs ge-
führt, ist nicht zu beanstanden. Sie entspricht der Regelung in den §§ 414 bis
416 BGB, wonach ein Wechsel in der Person des Schuldners grundsätzlich nur
im Einverständnis mit dem Gläubiger möglich ist. Eine befreiende Schuldüber-
nahme, die zur Erfüllung und damit zum Erlöschen des Befreiungsanspruchs
führt, ist im Streitfall nicht erfolgt. Den Schuldnerinnen ist es im Übrigen unbe-
nommen, den ihnen vom Gläubiger abgetretenen Schadensersatzanspruch,
dessen Bestehen sie stets betont haben, gegenüber dem Mietwagenunterneh-
men geltend zu machen.
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bb) Soweit die Anschlussrechtsbeschwerde unter Hinweis auf die Unzu-
mutbarkeit der Erfüllung des titulierten materiell-rechtlichen Anspruchs auch
noch weitergehende Einwendungen erhebt, kann sie damit im Ermächtigungs-
verfahren gemäß § 887 ZPO nicht gehört werden (vgl. BGH, Beschl. v.
7.4.2005 - I ZB 2/05, NJW-RR 2006, 202, 203).
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III. Danach sind die Rechtsbeschwerde des Gläubigers und die An-
schlussrechtsbeschwerde der Schuldnerinnen unbegründet. Sie sind daher zu-
rückzuweisen.
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Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 Abs. 1 i.V. mit § 92 Abs. 1 ZPO
(vgl. Hüßtege in Thomas/Putzo, ZPO, 27. Aufl., § 100 Rdn. 11).
Ullmann
Bornkamm
Büscher
Schaffert
Bergmann
Vorinstanzen:
AG Marienberg, Entscheidung vom 14.07.2004 - 2 C 685/01 -
LG Chemnitz, Entscheidung vom 23.08.2005 - 3 T 3275/04 -