Urteil des BGH vom 03.06.2014

Grauzementkartell Leitsatzentscheidung

BUNDESGERICHTSHOF
BESCHLUSS
K R B 4 6 / 1 3
vom
3. Juni 2014
in der Kartellbußgeldsache
gegen
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Der Kartellsenat des Bundesgerichtshofs hat am 3. Juni 2014 durch die
Vorsitzenden Richter Prof. Dr. Meier-Beck und Dr. Raum sowie die Richter
Prof. Dr. Strohn, Dr. Bacher und Dr. Deichfuß
beschlossen:
Die Rechtsbeschwerden der Betroffenen und der Nebenbe-
troffenen gegen das Urteil des 1. Kartellsenats des Oberlan-
desgerichts Düsseldorf vom 29. Oktober 2012 werden gemäß
§ 79 Abs. 3 Satz 1 OWiG i.V.m. § 349 Abs. 2 StPO als unbe-
gründet verworfen. Die Betroffenen und Nebenbetroffenen
tragen die Kosten ihrer Rechtsmittel.
Die Rechtsbeschwerden der Generalstaatsanwaltschaft gegen
das vorbezeichnete Urteil werden nach § 79 Abs. 5 OWiG als
unbegründet verworfen, soweit sie sich gegen die Betroffenen
richten. Die Staatskasse trägt die Kosten der Rechtsmittel der
Generalstaatsanwaltschaft und die insoweit den Betroffenen
entstandenen notwendigen Auslagen.
Auf die Rechtsbeschwerden der Generalstaatsanwaltschaft
wird gemäß § 79 Abs. 5 OWiG das vorbezeichnete Urteil be-
züglich der Nebenbetroffenen im Rechtsfolgenausspruch mit
den zugehörigen Feststellungen aufgehoben; die weiterge-
henden Rechtsbeschwerden der Generalstaatsanwaltschaft
werden als unbegründet verworfen.
Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhand-
lung und Entscheidung, auch über die verbliebenen Kosten
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des Verfahrens, an einen anderen Kartellsenat des Oberlan-
desgerichts Düsseldorf zurückverwiesen.
Gründe:
Das Oberlandesgericht hat die vier Betroffenen, die jeweils in leitender
Funktion für die Nebenbetroffenen tätig waren, zu Geldbußen zwischen 8.000
und 14.700 Euro verurteilt, weil sie durch aufeinander abgestimmtes Verhalten
(§ 81 Abs. 2 Nr. 1 i.V.m. § 1 GWB) die Einführung von Siloaufstellgebühren
durch die Nebenbetroffenen bewirkten. Gegen die Nebenbetroffenen, die in der
Herstellung und im Vertrieb von Trockenmörtelprodukten tätig sind, wurden
Bußgelder zwischen 200.000 Euro und 1,6 Mio. Euro verhängt. Gegen dieses
Urteil richten sich die umfassenden Rechtsbeschwerden sämtlicher Beteiligter.
Während die Rechtsbeschwerden der Betroffenen und der Nebenbetroffenen
aus den zutreffenden Gründen der Antragsschrift des Generalbundesanwalts
unbegründet im Sinne des § 349 Abs. 2 StPO sind, führen die Rechtsbe-
schwerden der Generalstaatsanwaltschaft hinsichtlich der Nebenbetroffenen
zur Aufhebung in den Rechtsfolgenaussprüchen. Im Übrigen bleiben auch die
Rechtsbeschwerden der Generalstaatsanwaltschaft ohne Erfolg.
I.
Nach den Feststellungen des Oberlandesgerichts transportieren die Her-
steller den Mörtel in Silos zu den Verarbeitern, soweit er bei den Kunden nicht
(bei kleineren Mengen) in Säcken angeliefert wurde. Die Silos wurden früher
den Verarbeitern kostenlos zur Verfügung gestellt. In Zeiten nachlassender
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Bautätigkeit ab 2003 stiegen die Logistikkosten. Den Herstellern gelang es in
der Folgezeit jedoch trotz einiger Versuche nicht, bei den Abnehmern einen
Deckungsbeitrag für die Aufstellung und zeitweilige Überlassung der Silos
durchzusetzen. Wendepunkt war das Spitzentreffen vom 27. Oktober 2005 mit
maßgeblichen Vertretern des Handels, bei dem die Betroffenen jeweils die nä-
heren Umstände der Einführung der Siloaufstellgebühr und vor allem auch die
Konditionen für den Handel (Rabatte von 5 bis 10%) aus Sicht ihres Unterneh-
mens ansprachen. Ab dem Jahreswechsel 2005/2006 bis spätestens 1. März
2006 führten die Nebenbetroffenen flächendeckend Siloaufstellgebühren von
100 Euro ein.
In der gegenseitigen Information im Rahmen des Spitzentreffens sieht
das Oberlandesgericht die Verwirklichung des Bußgeldtatbestands des aufei-
nander abgestimmten Verhaltens (§ 81 Abs. 2 Nr. 1 i.V.m. § 1 GWB). Ein typi-
sches Mittel einer verbotenen Verhaltensabstimmung zwischen Wettbewerbern
stelle die wechselseitige Unterrichtung über unternehmensrelevante Daten dar.
Durch das bei dem Spitzentreffen geschaffene Klima der gegenseitigen Ge-
wissheit über die jeweiligen unternehmerischen Strategien bezüglich der Silo-
aufstellgebühren sei deren nachdrückliche Durchsetzung am Markt gefördert
worden.
II.
Die Rechtsbeschwerden der Generalstaatsanwaltschaft haben nur in Be-
zug auf die Rechtsfolgenaussprüche hinsichtlich der Nebenbetroffenen Erfolg.
1. Entgegen der Auffassung der Generalstaatsanwaltschaft sind die
Schuldsprüche rechtsfehlerfrei. Das Oberlandesgericht hat sich in den Urteils-
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gründen explizit mit dem Bußgeldtatbestand des § 81 Abs. 1 Nr. 1 GWB i.V.m.
Art. 101 Abs. 1 AEUV auseinandergesetzt und dessen Anwendbarkeit im kon-
kreten Fall verneint, weil eine spürbare wettbewerbliche Auswirkung auf den
grenzüberschreitenden Handel nicht festzustellen sei (zum Verhältnis von § 81
Abs. 1 Nr. 1 zu Abs. 2 Nr. 1 GWB vgl. Raum in Langen/Bunte, GWB, 12. Aufl.,
§ 81 Rn. 95). In Betracht kommende Anbieter aus dem europäischen Ausland
seien in den regional eng begrenzten Märkten nicht einmal "im Ansatz" erkenn-
bar gewesen. Dies lässt keinen Rechtsfehler erkennen. Weitergehende Erörte-
rungen waren aufgrund der vom Oberlandesgericht festgestellten Tatsachenla-
ge nicht veranlasst. Soweit die Generalstaatsanwaltschaft eine lückenhafte
Feststellung solcher Tatsachen beanstandet, die einen grenzüberschreitenden
Bezug im Sinne dieses Bußgeldtatbestands belegen könnten, hat sie eine ent-
sprechende Aufklärungsrüge nicht erhoben.
2. Dagegen hält der Ausspruch über die konkrete Bußgeldhöhe zwar bei
den Betroffenen, nicht aber bei den Nebenbetroffenen rechtlicher Überprüfung
stand.
a) Die Generalstaatsanwaltschaft beanstandet zu Recht, dass das Ober-
landesgericht bei den Nebenbetroffenen einen unzutreffenden Bußgeldrahmen
zugrunde gelegt hat. Das Oberlandesgericht geht im Ausgangspunkt allerdings
zutreffend davon aus, dass die Regelung des § 81 Abs. 4 Satz 2 GWB keine
Kappungsgrenze darstellt, sondern als Obergrenze zu verstehen ist. Dies folgt
aus der gebotenen verfassungskonformen Auslegung dieser Bestimmung
(BGH, Beschluss vom 26. Februar 2013 - KRB 20/12, BGHSt 58, 158, Rn. 52 ff.
- Grauzementkartell). Der insoweit maßgebliche Gesamtumsatz ist jedoch - wie
der Bundesgerichtshof in der vorgenannten Entscheidung, die nach dem Erlass
des angefochtenen Urteils ergangen ist, ebenfalls ausgeführt hat - auch schon
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unter der Geltung des § 81 Abs. 4 Satz 2 GWB 2005 nicht auf den Umsatz der
konkreten juristischen Person beschränkt, für die die Leitungsperson gehandelt
hat. Vielmehr ergibt sich aus dem Wortlaut und dem Normzweck der Bestim-
mung, dass auch insoweit der weltweite Gesamtumsatz nicht allein der konkre-
ten juristischen Person, sondern der gesamten wirtschaftlichen Einheit in An-
satz zu bringen ist (BGH, aaO Rn. 66 ff.). Da es sich bei sämtlichen Nebenbe-
troffenen nach den Feststellungen um Konzerngesellschaften handelt, nötigt
dieser Fehler zur Aufhebung der gegen die Nebenbetroffenen verhängten
Geldbußen sowie der zum Rechtsfolgenausspruch getroffenen Feststellungen,
die von dem unzutreffenden rechtlichen Ausgangspunkt sämtlich beeinflusst
sind.
b) Entgegen der Auffassung der Generalstaatsanwaltschaft weist die Be-
handlung der Verfahrensdauer im Hinblick auf die Betroffenen keinen durchgrei-
fenden Rechtsfehler auf.
Kommt es in einem Verfahren zu einem außergewöhnlichen Abstand
zwischen Tat und Urteil, so hat der Tatrichter grundsätzlich drei unterschiedli-
che Strafmilderungsgründe zu bedenken: a) den langen zeitlichen Abstand zwi-
schen Tat und Urteil, b) die Belastungen durch die lange Verfahrensdauer und
c) die Verletzung des Beschleunigungsgebots nach Art. 6 Abs. 1 Satz 1 MRK
(BGH, Beschluss vom 21. Dezember 1998 - 3 StR 561/98, BGHR StGB § 46
Abs. 2 Verfahrensverzögerung 13). Da es sich um unterschiedliche Gesichts-
punkte handelt, stellt es deshalb nicht ohne weiteres einen Rechtsfehler dar,
wenn der Tatrichter eine Kompensation für eine rechtsstaatswidrige Verfah-
rensverzögerung vornimmt und gleichwohl bei der Bemessung des Bußgelds
die Verfahrensdauer und die sich daraus für die Betroffenen ergebenden Belas-
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tungen in den Blick nimmt (BGH, Beschluss vom 11. November 2004 - 5 StR
376/03, BGHSt 49, 342).
Allerdings ist den Rechtsbeschwerden der Generalstaatsanwaltschaft
zuzugeben, dass die Kompensation für eine rechtsstaatswidrige Verfahrensver-
zögerung nicht im Wege eines Abschlags, sondern durch eine Anrechnungs-
entscheidung vorzunehmen ist, die durch das Maß der rechtsstaatswidrigen
Verfahrensverzögerung und der hierdurch eingetretenen Belastungen der Be-
troffenen bestimmt wird (BGH, Beschluss vom 17. Januar 2008 - GSSt 1/07,
BGHSt 52, 124; Urteil vom 27. August 2009 - 3 StR 250/09, BGHSt 54, 135
Rn. 8; Beschluss vom 13. April 2012 - 5 StR 442/11, NJW 2012, 2370 Rn. 12).
Dem genügt das Urteil des Oberlandesgerichts nicht, weil es den Kom-
pensationsbetrag als einen prozentualen Anteil gebildet und diesen Betrag von
der eigentlich verwirkten Geldbuße abgezogen hat. Der Senat schließt jedoch
aus, dass sich dieser Fehler zu Gunsten oder zu Lasten der Betroffenen aus-
gewirkt hat. Den Grad der Belastung für die Betroffenen hat das Oberlandesge-
richt als maßgebliches Bemessungskriterium erkannt. Dass es diesen in Ab-
hängigkeit zur Bußgeldhöhe bestimmt hat, ist hier schon deshalb nicht erheb-
lich, da die Belastung auch von der Höhe der drohenden Geldbuße beeinflusst
ist. Die fehlerhaft unterlassene Anrechnung und der stattdessen vorgenomme-
ne Abzug bleiben beim Bußgeld im Ergebnis ohne Folgen. Der Zahlbetrag än-
dert sich hierdurch nicht, und anderweitige Auswirkungen sind nicht erkennbar.
c) Im Hinblick auf die Nebenbetroffenen kommt es auf die Frage, ob der
Gesichtspunkt der Verfahrensdauer und einer sich hieraus ergebenden Verfah-
rensverzögerung rechtsfehlerfrei gewürdigt wurde, nicht mehr an, weil die
Geldbußen aus den vorgenannten Gründen keinen Bestand haben können. Sie
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müssen deshalb neu zugemessen werden. Da der Senat wegen des inneren
Zusammenhangs auch sämtliche zum Rechtsfolgenausspruch getroffene Fest-
stellungen aufgehoben hat, ist der neue Tatrichter frei, insoweit auch eine ei-
genständige Entscheidung über eine vorzunehmende Kompensation zu treffen,
sofern er eine rechtsstaatswidrige Verfahrensverzögerung bejahen sollte (zu
den Grundsätzen vgl. BGH, Beschluss vom 26. Februar 2013 - KRB 20/12,
BGHSt 58, 158, Rn. 87 ff. - Grauzementkartell).
Meier-Beck Raum Strohn
Bacher Deichfuß
Vorinstanz:
OLG Düsseldorf, Entscheidung vom 29.10.2012 - V-1 Kart 1-6/12 (OWi) -