Urteil des BGH vom 17.10.2000
Leitsatzentscheidung
BUNDESGERICHTSHOF
BESCHLUSS
X ZR 41/00
vom
17. Oktober 2000
in der Patentnichtigkeitssache
Nachschlagewerk:
ja
BGHZ:
nein
BGHR: ja
PatG 1981 §§ 110 ff. (i.d.F. des 2. PatGÄndG v. 16.07.1998); ZPO § 233 Fe
Kreiselpumpe
Ist zweifelhaft, welche Fristenregelung (hier: § 234 Abs. 1 ZPO oder § 123
Abs. 2 Satz 1 PatG) für einen Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen
Stand anzuwenden ist, muß der anwaltliche Vertreter vorsorglich die kürzere
Frist beachten.
BGH, Beschluß vom 17. Oktober 2000 - X ZR 41/00 - Bundespatentgericht
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Der X. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat am 17. Oktober 2000
durch den Vorsitzenden Richter Rogge und die Richter Dr. Jestaedt,
Dr. Melullis, Scharen und Keukenschrijver
beschlossen:
Der Antrag der Klägerin, ihr Wiedereinsetzung in die versäumte
Frist zur Begründung der Berufung zu gewähren, wird auf ihre
Kosten als unzulässig zurückgewiesen.
Der Streitwert für das Berufungsverfahren wird auf
1.000.000,-- DM festgesetzt.
Gründe:
I. Die Beklagte ist eingetragene Inhaberin des mit Wirkung für die Bun-
desrepublik Deutschland erteilten europäischen Patents 0 327 549 (Streitpa-
tents), das eine "Kreiselpumpe für heiße Medien" betrifft. Die von der Klägerin
gegen das Streitpatent erhobene Nichtigkeitsklage hat das Bundespatentge-
richt abgewiesen. Gegen das ihr am 31. Januar 2000 zugestellte Urteil hat die
Klägerin mit am 25. Februar 2000 eingegangenem Telefax Berufung eingelegt,
die der Senat durch am 18. Mai 2000 zugestellten Beschluß vom 3. Mai 2000
als unzulässig verworfen hat, weil die Berufung nicht innerhalb der gesetzli-
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chen Frist begründet wurde. Mit am 23. Mai 2000 per Telefax eingegangenem
Schriftsatz hat die Klägerin unter Nachholung der Berufungsbegründung Wie-
dereinsetzung in die versäumte Berufungsbegründungsfrist beantragt. Zur Be-
gründung hat sie sich auf ein Versehen einer Büromitarbeiterin berufen, die die
Frist fehlerhaft notiert und die Akte erst am 28. März 2000 und somit nach Ab-
lauf der Berufungsbegründungsfrist dem Patentanwalt vorgelegt habe. Auf ge-
richtlichen Hinweis, daß im Patentnichtigkeitsverfahren die zweiwöchige Wie-
dereinsetzungsfrist der ZPO gelten dürfte, hat sich die Klägerin ergänzend ge-
äußert. Die Beklagte tritt dem Wiedereinsetzungsantrag entgegen.
II. 1. Der Wiedereinsetzungsantrag ist unzulässig, weil er nicht innerhalb
der auch im Patentnichtigkeitsverfahren seit dessen Neuregelung durch das 2.
Gesetz zur Änderung des Patentgesetzes und anderer Gesetze vom 16. Juli
1998 (2. PatGÄndG) nach dem entsprechend anzuwendenden § 234 Abs. 1
ZPO geltenden Zweiwochenfrist eingereicht worden ist.
a) Nach seinem eigenen Vorbringen hat der Prozeßbevollmächtigte der
Klägerin von der Versäumung der Berufungsbegründungsfrist, die mit dem 27.
März 2000 abgelaufen war, am 28. März 2000 Kenntnis erlangt. Der Wieder-
einsetzungsantrag ist aber erst am 23. Mai 2000 bei Gericht eingegangen.
Damit war die Zweiwochenfrist des § 234 Abs. 1 ZPO, die mit dem Tag beginnt,
an dem das Hindernis - hier: die unverschuldete Kenntnis von der Fristversäu-
mung - behoben ist (§ 234 Abs. 2 ZPO), nicht gewahrt.
b) Vergebens beruft sich die Klägerin darauf, daß die Frist für die Wie-
dereinsetzung nicht zwei Wochen, sondern zwei Monate betrage. Wie der Se-
nat inzwischen entschieden hat, kommt die Zweimonatsfrist des § 123 Abs. 2
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Satz 1 PatG im Patentnichtigkeitsverfahren, soweit sich das Verfahren nach
der Neuregelung im Zweiten Gesetz zur Änderung des Patentgesetzes und
anderer Gesetze richtet, nicht mehr zur Anwendung. Der Senat hat hierzu aus-
geführt (Beschluß vom 31.5.2000 – X ZR 154/99 – Schaltmechanismus, zur
Veröffentlichung vorgesehen):
"Bis zum Inkrafttreten der Regelungen des 2. Gesetzes zur Änderung
des Patentgesetzes und anderer Gesetze (2. PatGÄndG) vom 16. Juli 1998
(BGBl. I S. 1823 ff.) war die an den Bundesgerichtshof stattfindende Berufung
gegen Urteile der Nichtigkeitssenate des Bundespatentgerichts bei diesem Ge-
richt einzulegen (§§ 110 Abs. 1 Satz 2, 112 Abs. 1, 113, 114 PatG jeweils a.F.
- sogenanntes Vorschaltverfahren). Wer ohne Verschulden verhindert war,
dem Bundespatentgericht gegenüber die Berufungsfrist von einem Monat ein-
zuhalten, konnte deshalb gemäß § 123 Abs. 1 PatG innerhalb der in Abs. 2
Satz 1 dieser Vorschrift vorgesehenen Frist von zwei Monaten nach Wegfall
des Hindernisses in zulässiger Weise Wiedereinsetzung in den vorigen Stand
beantragen. In der nunmehr geltenden Fassung des Patentgesetzes ist § 123
PatG im Falle der Berufung in Patentnichtigkeitssachen nicht mehr direkt an-
wendbar, weil er ausdrücklich nur für das Verfahren vor dem Deutschen Pa-
tent- und Markenamt sowie vor dem Bundespatentgericht gilt und das Rechts-
mittel gemäß § 110 Abs. 2 PatG in der Fassung des 2. PatGÄndG durch Ein-
reichung der Berufungsschrift beim Bundesgerichtshof eingelegt wird. Für das
Berufungsverfahren in Patentnichtigkeitssachen fehlt damit eine gesetzliche
Regelung der Wiedereinsetzung in den vorigen Stand.
Die Statthaftigkeit dieses Rechtsbehelfs auch für das Berufungsverfah-
ren in Patentnichtigkeitssachen ist jedoch ein aus Art. 2 Abs. 1 GG und dem
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Rechtsstaatsprinzip folgendes Gebot. Unter welchen Voraussetzungen im Be-
rufungsverfahren in Patentnichtigkeitssachen Wiedereinsetzung in den vorigen
Stand gewährt werden kann, muß deshalb die analoge Anwendung eines ge-
eigneten Regelwerks ergeben. In Betracht zu ziehen sind insoweit einmal der
bereits erwähnte § 123 PatG sowie zum anderen die §§ 233, 234, 236 ZPO,
wonach die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand im Falle der Versäumung
der Berufungsfrist als Notfrist oder der Frist zur Begründung der Berufung bin-
nen deutlich kürzerer Frist, nämlich binnen zwei Wochen beantragt werden
muß (§ 234 Abs. 1 ZPO).
Dazu, welcher Regelung nach der von ihm geschaffenen neuen
Rechtslage der Vorzug zu geben sein könnte, läßt sich dem 2. PatGÄndG ein
eindeutiger Hinweis nicht entnehmen. Die Tatsache, daß § 123 PatG a.F.
- abgesehen von der hier nicht interessierenden Abs. 1 Satz 2 und Abs. 7 be-
treffenden Änderung - trotz Abschaffung des sogenannten Vorschaltverfahrens
(§§ 112-114 PatG a.F.) vor dem Bundespatentgericht, in dessen Rahmen bis-
her im Falle der Berufung in Patentnichtigkeitssachen über Anträge auf Wie-
dereinsetzung in den vorigen Stand zu entscheiden war, keine Novellierung
erfahren hat, könnte zwar dahin gedeutet werden, daß die Anwendung dieser
Vorschrift in dem nunmehr von Anfang an vor dem Bundesgerichtshof durch-
zuführenden Berufungsverfahren vom Gesetzgeber nicht beabsichtigt ist; der
gegenteilige Schluß ließe sich aber ebenfalls rechtfertigen, weil der Gesetzge-
ber es auch unterlassen hat, für das Berufungsverfahren vor dem Bundesge-
richtshof eine dem § 106 Abs. 1 PatG entsprechende Regelung zu schaffen,
nach welcher im Rechtsbeschwerdeverfahren vor dem Bundesgerichtshof die
Vorschriften der ZPO über die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand analog
anzuwenden sind. Ob sich die Voraussetzungen der Wiedereinsetzung in den
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vorigen Stand in Berufungsverfahren in Patentnichtigkeitssachen aus § 123
PatG oder den §§ 233, 234, 236 ZPO ergeben, ist deshalb danach zu ent-
scheiden, welche Vorschriften nach dem allgemeinen Werturteil der in Betracht
zu ziehenden Gesetze eher geeignet erscheinen, den ähnlich gelagerten Fall
zu regeln und zu beherrschen (vgl. Engisch, Einführung in das juristische Den-
ken, Kapitel VII, I 2). Dies führt zur Anwendbarkeit der Vorschriften der ZPO (im
Ergebnis ebenso Busse, PatG, 5. Aufl., § 121 Rdn. 18).
Die Entscheidung über Berufungen in Patentnichtigkeitsverfahren ist seit
den Anfängen des deutschen Patentrechts dem obersten deutschen Gericht für
Zivilsachen übertragen. Die Begründung zum Entwurf des 2. PatGÄndG (abge-
druckt BlPMZ 1998, 393 ff.) betont, daß mit der Neufassung die Vorschriften
über das Berufungsverfahren vor dem Bundesgerichtshof in Patentsachen an
die in der Zivilprozeßordnung enthaltenen Vorschriften über das Verfahren vor
den Berufungsgerichten angeglichen werden sollen (BlPMZ 1998, 396 f.). Da
die §§ 233, 234, 236 ZPO eine ausdrückliche Regelung für die Wiedereinset-
zung in die eine Notfrist darstellende Berufungsfrist und in die Berufungsbe-
gründungsfrist im Falle der Berufung an ein deutsches Zivilgericht beinhalten,
spricht schon dies dafür, daß die zivilprozessualen Regelungen nach der ge-
setzlichen Wertung als sachgerechtere Normen angesehen werden müssen,
die Geltendmachung dieses Rechtsbehelfs auch im Rahmen des bei Patent-
nichtigkeitssachen zugelassenen Rechtsmittels zu regeln. Im Hinblick auf die
dabei einzuhaltende Frist ist zudem vor allem von Bedeutung, daß das
2. PatGÄndG die Verpflichtung wieder eingeführt hat, die Berufung zum Bun-
desgerichtshof zu begründen (§ 111 Abs. 1 PatG), und die mit der Einlegung
der Berufung beginnende Frist für die Berufungsbegründung einen Monat be-
trägt (§ 111 Abs. 2 Satz 2 PatG). Dies soll die Zusammenfassung und Be-
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schleunigung des Rechtsstreits in der Berufungsinstanz ermöglichen, wie es in
der Begründung zum Entwurf des 2. PatGÄndG heißt (BlPMZ 1998, 397). Mit
diesem Gesetzeszweck wäre die nach § 123 Abs. 2 Satz 1 PatG vorgeschrie-
bene Frist von zwei Monaten kaum vereinbar, weil sie die für die Berufungsbe-
gründung gesetzlich vorgesehene Frist deutlich übersteigt. Wer die Berufungs-
begründungsfrist versäumt, hätte zur Nachholung der Begründung erheblich
mehr Zeit zur Verfügung, als derjenige für die Berufungsbegründung hat, der
die gesetzlich vorgesehene Frist einhält. Schließlich ist auch noch auf § 99
Abs. 1 PatG zu verweisen. Er regelt für das Verfahren vor dem Bundespatent-
gericht, daß das erstinstanzlich zur Entscheidung in Nichtigkeitsverfahren be-
rufene Gericht das GVG und die ZPO als subsidiäres Regelwerk anzuwenden
haben, wenn dies durch die Besonderheiten des Verfahrens nicht ausge-
schlossen wird. Für das Verfahren vor dem Bundesgerichtshof kann ein solcher
Ausschluß hinsichtlich der §§ 233, 234, 236 ZPO nicht festgestellt werden. Ihre
Voraussetzungen für die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand entsprechen
im wesentlichen denen in § 123 PatG; ein praktischer Unterschied besteht le-
diglich hinsichtlich der Frist zur Geltendmachung des Rechtsbehelfs. Eine kür-
zere Frist einzuhalten als vor dem Bundespatentgericht, ist für die Partei, wel-
che die Berufungsfrist oder die Berufungsbegründungsfrist versäumt hat, je-
doch zumutbar angesichts der gesetzlichen Notwendigkeit, sich vor dem Bun-
desgerichtshof durch einen Rechtsanwalt oder einen Patentanwalt als Bevoll-
mächtigten vertreten zu lassen (§ 111 Abs. 4 Satz 1 PatG). Rechtsanwälte sind
ausgebildet und gewohnt, auch binnen kurzer Fristen das zur Wahrung der
Belange ihrer Mandanten Erforderliche zu veranlassen. Von Patentanwälten,
welche die Vertretung vor dem Bundesgerichtshof übernehmen, kann dies
ebenfalls verlangt werden, weil sie gemäß § 111 Abs. 4 Satz 1 PatG dieselbe
Stellung wie ein Rechtsanwalt haben.
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Unter diesen Umständen muß in Berufungsverfahren in Patentnichtig-
keitssachen hinsichtlich der Voraussetzungen einer Wiedereinsetzung in den
vorigen Stand der aus verschiedenen Verfahrensgesetzen (vgl. §§ 523, 557
ZPO, §§ 125 Abs. 1, 141 VwGO) ersichtliche und vom Senat in anderem Zu-
sammenhang auch für das vor ihm stattfindende Verfahren bereits angewandte
(BGH, Beschl. v. 26.9.1996 - X ZR 17/94, GRUR 1997, 119 - Schwimm-
rahmenbremse) Grundsatz zurücktreten, im Rechtsmittelverfahren notfalls die
für die Vorinstanz geltenden Regeln heranzuziehen."
Hieran hält der Senat fest.
c) Einen Antrag auf Wiedereinsetzung in die versäumte Wiedereinset-
zungsfrist hat die Klägerin nicht gestellt. Auch insoweit kommt Wiedereinset-
zung allerdings grundsätzlich in Betracht (BGH, Beschl. v. 4.10.1994 - VI ZB
17/93 - VersR 1995, 480 = BGHR ZPO § 236 Abs. 2 Satz 2 Halbs. 1 Prozeß-
handlung, nachgeholte 3). Zudem könnte insoweit Wiedereinsetzung auch von
Amts wegen bewilligt werden (§ 236 Abs. 2 Halbs. 2 ZPO). Es kann jedoch
nicht davon ausgegangen werden, daß die Klägerin die Wiedereinsetzungsfrist
versäumt hat, ohne daß ihre Vertreter hieran ein ihr nach § 85 Abs. 2 ZPO in
entsprechender Anwendung zuzurechnendes Verschulden traf.
Ob nach der Neuregelung des Nichtigkeitsberufungsverfahrens hinsicht-
lich der Wiedereinsetzungsfrist die Zweiwochenfrist der Zivilprozeßordnung
oder die Zweimonatsfrist des Patentgesetzes zur Anwendung kommt, mußte
bis zur abschließenden Klärung in der Rechtsprechung, die erst durch die Se-
natsentscheidung vom 31. Mai 2000 erfolgt ist, als offen angesehen werden.
Die - soweit ersichtlich - einzige Literaturstelle, die sich mit dieser Frage be-
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faßte (Busse, PatG 5. Aufl. § 121 Rdn. 18), sprach sich für die Anwendung der
Regelung in der ZPO aus. Auch wenn die Klägerin auf Gesichtspunkte verwei-
sen kann, die für eine Anwendung der Regelung im Patentgesetz hätten spre-
chen können, war offen, wie die Rechtsprechung diesen Fall behandeln werde.
Bei derart zweifelhafter Rechtslage mußte aber der Vertreter der Klägerin als
Patentanwalt, für den keine anderen Maßstäbe gelten als für den Rechtsanwalt
(Sen.Beschl. v. 31.5.2000 - X ZR 154/99 – Schaltmechanismus), vorsorglich so
handeln, wie es bei einer für die von ihm vertretene Partei ungünstigen Ent-
scheidung des Zweifels zur Wahrung ihrer Belange notwendig war (vgl. BGH,
Beschl. v. 9.1.1989 - II ZB 11/88, BGHR ZPO § 233 - Verschulden 3; Beschl. v.
19.11.1992 - V ZB 37/92, NJW 1993, 332 f. = BGHR ZPO § 233 Postulations-
fähigkeit 1; Zöller/Greger, ZPO 21. Aufl. § 233 Rdn. 23; Musielak/Grandel, ZPO
§ 233 Rdn. 44; MünchKomm. ZPO/Feiber § 233 Rdn. 58; vgl. schon - allerdings
auf abweichender Rechtsgrundlage - BGHZ 8, 47; ebenso zu § 123 PatG Bus-
se aaO, § 123 Rdn. 45) und im Zweifel den sicheren Weg wählen, nämlich die
kürzere, sich bei Anwendung der Regelung in der Zivilprozeßordnung erge-
bende Frist beachten. Daß er dies nicht getan hat, begründet insoweit ein die
Wiedereinsetzung ausschließendes Verschulden.
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III. Die Kostenentscheidung beruht auf § 238 Abs. 4 ZPO, § 91 ZPO.
Rogge
Jestaedt
Melullis
Scharen Keukenschrijver